Erste Vollmachtsrede: Vollmacht ist Jura

Eine Vollmacht verleiht immer Rechte.

Der Begriff „Vollmacht“ ist kein religiöser Begriff, auch wenn er in der Bibel vorkommt.

Schließlich ist das Wort „Kamel“ ja auch kein religiöser Begriff, obwohl der Begriff in der Bibel vorkommt.

Der Begriff „Vollmacht“ ist ein juristischer Begriff, und er beschreibt die Übertragung von Rechten.

Wer eine Vollmacht erhält, hat anschließend mindestens ein Recht mehr als wie er vorher hatte. Es kann aber auch sein, dass der Mensch eine Vollmacht bekommt und dadurch hinterher hundert neue Rechte hat, die er vorher nicht hatte.

Sehr alt

Das Thema „Vollmacht“ ist so alt wie die Zivilisation.

Denn dass jemand etwas zu erledigen hat, aber nicht selber hingehen kann, diesen Fall gibt es schon, solange es Menschen gibt.

Wenn es also etwas zu erledigen gibt, das eigentlich ich erledigen müsste, wo ich aber nicht hingehen kann, dann schicke ich jemand anderen mit einer Vollmacht hin, damit er an Ort und Stelle stellvertretend für mich handelt.

Der, den ich da hin schicke, der muss natürlich die gleichen Rechte haben, die ich auch habe. Sonst macht es keinen Sinn, dass ich ihn da hinschicke. Wenn ich den anderen schicke, an meiner Stelle ein Kamel zu kaufen, aber ich erlaube ihm nicht, an meiner Statt Rechtsgeschäfte abzuschließen, also einen Kaufvertrag zu unterschreiben, den ich hinterher bezahlen muss und der mich hinterher verantwortlich macht für das Kamel; und ich erlaube ihm nicht, mein Geld auszugeben, ich gebe ihm also keine Vollmacht über mein Bankkonto, dann kann der Andere natürlich auch zu Hause bleiben.

Eine Vollmacht zu haben heißt immer, dass ich genau die gleichen Rechte habe wie derjenige, der mir die Vollmacht gegeben hat, und dass ich so handele, als wäre ich der Vollmachtgeber selber.

Ich kaufe also das Kamel, aber es gehört hinterher nicht mir, sondern dem, der mir die Vollmacht gegeben hat, es stellvertretend für ihn zu kaufen. Ich habe es gekauft, aber bezahlt hat es der andere, und dem gehört es auch.

Bankgeschäfte

Wenn Tante Gertrud krank im Bett liegt, aber Geld von der Bank braucht, dann kann sie mir ihre EC-Karte geben und die PIN verraten, und damit habe ich die Vollmacht, von Tante Gertruds Konto Geld abzuheben.

Früher hätte Tante Gertrud auf einen Zettel geschrieben: „Ich bevollmächtige hiermit den wunderbaren Herrn Müller, von meinem Konto Geld abzuheben.“ Und den Zettel hätte ich an der Kasse abgegeben.

Heute handele ich gegenüber dem Geldautomaten so, als wäre ich selber Tante Gertrud. Der Geldautomat wird den Unterschied nicht merken. Denn ich habe in diesem Moment genau die gleichen Rechte wie Tante Gertrud.

Eine Vollmacht zu haben heißt immer, dass ich genau die gleichen Rechte habe wie derjenige, der mir die Vollmacht gegeben hat, und dass ich so handele, als wäre ich der Vollmachtgeber selber. 

Angehörige

Wenn ich eine Vorsorgevollmacht für meine Angehörigen habe, dann kann ich im Notfall so handeln, als wäre ich mein Angehöriger.

Ich mache dann das gleiche, was mein Angehöriger in diesem Moment machen würde.

Ich habe dann die gleichen Rechte, die mein Angehöriger an dieser Stelle hat.

Wenn ich eine Kontovollmacht für das Bankkonto meines Ehepartners habe, dann bedeutet das, dass ich bezüglich dieses Kontos die gleichen Rechte habe wie mein Ehepartner.

Es macht dann keinen Unterschied, ob ich handele oder ob mein Ehepartner handelt.

Eine Vollmacht zu haben heißt immer, dass ich genau die gleichen Rechte habe wie derjenige, der mir die Vollmacht gegeben hat, und dass ich so handele, als wäre ich der Vollmachtgeber selber.

Wenn ich meinem Rechtsanwalt eine Vollmacht gebe, dann übernimmt der Rechtsanwalt meine Rechte. Er ist jetzt ich. Was der Rechtsanwalt gegenüber dem Gericht oder gegenüber einer anderen Partei sagt, ist genauso verbindlich als wenn ich selber es sagen würde.

Dummerweise gilt das auch andersrum: An die Vereinbarungen, die der Rechtsanwalt abschließt, bin ich hinterher gebunden. Denn sie sind so, als wenn ich selber sie abgeschlossen hätte. Denn der Rechtsanwalt hatte eine Vollmacht.

Eine Vollmacht zu haben heißt immer, dass ich genau die gleichen Rechte habe wie derjenige, der mir die Vollmacht gegeben hat, und dass ich so handele, als wäre ich der Vollmachtgeber selber.

Im Namen

Es gibt auch den Begriff „im Namen eines anderen handeln“, und das ist genau das Gleiche wie eine Vollmacht haben. Ich verhalte mich so, als würde ich den Namen des Anderen tragen.

Darum ergehen Gerichtsurteile immer „im Namen des Volkes“. Weil der Richter das Urteil nicht deshalb spricht, weil er Drogendealer nicht ausstehen kann, sondern der Richter spricht das Urteil, weil der Staat oder das Volk dieses Urteil sprechen würden, aber sie haben dem Richter das Recht gegeben, das Urteil anstelle des Staates oder des Volkes zu sprechen. Das Volk oder der Staat sprechen das Urteil, wenn der Richter das Urteil spricht, und der Staat oder das Volk müssen darum hinterher auch dafür sorgen, dass das Urteil umgesetzt wird.

Darum kann man den Richter auch hinterher nicht verklagen, wenn einem das Urteil nicht gefällt. Der Richter hat nicht in seinem eigenen Namen gehandelt, sondern er hatte die Vollmacht, im Namen des Volkes zu handeln.

Ich kann hinterher gegen den Staat klagen, aber nicht gegen den Richter. Denn der Richter war, als er gehandelt hat, gar nicht der Richter, sondern der Staat.

Im Namen eines anderen zu handeln heißt immer, dass ich genau die gleichen Rechte habe wie derjenige, in dessen Name ich handele, und dass ich so handele, als wäre ich der Andere.

Im Namen eines anderen zu handeln heißt immer auch, dass der andere bezahlt.

Schlusswort

Wenn ich also in den nächsten Monaten jeden Sonntag eine Bibelstelle anschaue, die von Vollmacht spricht oder davon, dass man im Namen eines Anderen etwas tut, dann spreche ich nicht in erster Linie über etwas Religiöses, sondern über etwas juristisches, nämlich über  Rechte.

Über Rechte, die gar nicht meine eigenen Rechte sind, sondern die einem anderen gehören.

Und der Andere hat seine Rechte an mich abgetreten, vorübergehend oder dauerhaft.

Und diese fremden Rechte sind natürlich höher als meine eigenen Rechte. Denn wenn ich diese Rechte ohnehin schon hatte, bräuchte man sie mir ja nicht mehr zu verleihen.

Ich werde jetzt monatelang davon reden, dass ich handele, als wäre ich ganz jemand anderer, weil ich die Rechte dieses anderen habe.