Vollmachtsrede Nummer 23
Apg 3,1-6
1 Petrus aber und Johannes gingen um die Stunde des Gebets, die neunte, zusammen hinauf in den Tempel.
2 Und ein Mann, der von seiner Mutter Leibe an lahm war, wurde herbeigetragen; man setzte ihn täglich an die Pforte des Tempels, die man die schöne nennt, damit er Almosen erbat von denen, die in den Tempel gingen.
3 Als dieser Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel eintreten wollten, bat er, dass er ein Almosen empfinge.
4 Petrus aber mit Johannes blickte fest auf ihn hin und sprach: Sieh uns an!
5 Er aber gab acht auf sie, in der Erwartung, etwas von ihnen zu empfangen.
6 Petrus aber sprach: Silber und Gold besitze ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers: Geh umher!
Der Petrus war ja nicht erst seit gestern in Jerusalem. Möglicherweise waren seit Pfingsten schon eins, zwei Jahre vergangen.
Der Petrus ging auch nicht zum ersten Mal in den Tempel.
Der dürfte auch kein gelegentlicher Tempelbesucher gewesen sein, sondern ein häufiger.
(Nach Apg 2,46 verharrten die Christen täglich einmütig im Tempel.)
Der Petrus benutzte also auch nicht zum ersten Mal diesen Eingang des Tempels.
Und der Gelähmte saß täglich dort. Steht in Vers 2.
Die beiden begegneten sich folglich nicht zum ersten Mal.
Inwieweit der Gelähmte die Leute ansah, die an ihm vorübergingen, und inwieweit er sie demzufolge wiedererkannte, wissen wir nicht.
Aber dass Petrus den Gelähmten schon lange wahrgenommen hatte, davon dürfen wir ausgehen.
Aber bisher war Petrus immer an dem Gelähmten vorbeigegangen.
Hatte ihm vielleicht ein Almosen gegeben.
Und ausgerechnet jetzt, ausgerechnet heute …
Daran können Sie die ganze Problematik mit solchen Vollmachten erkennen.
Die sind von Gott.
Damit sind die abhängig von Gott.
Und von Gottes Terminkalender.
Die Überfunktion
Wir wissen nicht, was genau die Botschaft von Gott war, die Petrus empfangen hatte und aufgrund derer er wusste, dass heute dieser eine bestimmte Tag war.
Aber er hat es gewusst.
Und es hat ja auch funktioniert.
Allerdings hat es so gut funktioniert, dass es nicht beim Funktionieren blieb.
Sondern Petrus und Johannes landeten zuerst in Untersuchungshaft und dann vor dem Hohen Rat.
Und am Ende war das Ganze nicht mehr eine individuelle Heilung und ein privater Segen, sondern ein Politikum.
Das lag an mancherlei Dingen:
- Dieser Gelähmte wurde im Zentrum der jüdischen Religion geheilt. Hätte man ihn zu Hause abgepasst, wäre das weniger spektakulär gewesen.
- Der Geheilte hätte nach der Heilung auch glücklich nach Hause gehen können. Statt dessen rennt der in den Tempel und zieht alle Aufmerksamkeit auf Petrus und Johannes, so dass Petrus letztlich gezwungen ist, eine Rede zu halten und den Sachverhalt zu erklären.
- Der Geheilte war in gewisser Hinsicht prominent. Wahrscheinlich gibt es an dem Ort, an dem Sie leben, auch den einen oder anderen auffälligen Menschen, der aus dem Raster fällt, der überdurchschnittlich benachteiligt ist und trotzdem oder gerade deshalb stadtbekannt ist.
Vielleicht wäre an einem anderen Tag mit einer anderen Person alles ganz anders gelaufen.
Gott wollte ein Politikum. Er hat es bekommen.
Gott ist kein Butler
Nun ist Gott ohne Zweifel auch privat gütig.
Aber wenn man von Gott eine Vollmacht bekommt, wenn man also die Kreditkarte für Gottes Konto bekomm, dann werden die Reichtümer, die von dort fließen, niemals in einem privaten Rahmen bleiben.
Per se nicht.
Denn Gott ist nicht Lobbyist von Privatinteressen.
Gott ist immer hochgradig politisch.
Nicht in dem Sinn, wie wir „politisch“ verstehen: Gegen Flughafenausbau, gegen Kohleabbau, für Datenschutz und Menschenrechte.
Gott ergreift nicht menschliche Partei.
Gottes Politik ist weit mehr als weltumspannend. Sie beschäftigt sich nicht nur mit unserem Universum (einschließlich gewisser Sternennebel und schwarzer Löcher), sondern auch mit den anderen Universen, die es gibt.
Gottes Politik ist universell universell.
Ach je, jetzt habe ich euch schon verraten, warum es unter den heutigen Christen so wenig Vollmacht gibt.
Weil die heutigen Christen „Segen“ als etwas privates verstehen.
Ich soll gesegnet werden, und die Menschen, die mir am Herzen liegen, ebenfalls.
Man ist nicht Teil des weltweiten Kampfes zwischen Licht und Finsternis.
Man ist nicht universalpolitisch.
Dass Gott gesegnet wird, hat man höchstens in der Hinsicht im Blick, dass Gott ja gesegnet ist, wenn ich gesegnet bin.
Im äußersten Fall noch, dass es Gott zugute kommt, wenn mein Gemeinde oder mein Land gesegnet sind.
Eine göttliche Vollmacht hat aber immer eine universelle politische Dimension, denn es geht Gott nicht um gepflegten Individualsegen.
Gott steht im Kampf zwischen Licht und Finsternis, er hat den Teufel im Auge und die Dämonen, die Engel und indirekten Wirkungen des Bösen.
Gottes Bild von „Segen“ schaut auf das Ganze und auf das Ziel des Ganzen.
Die meisten Christen schauen nur auf individuelle Befindlichkeiten.
Untersuchungshaft wäre bei denen kein Teil von Segen.
Darum bekommen die von Gott auch keine Vollmacht.
Wer nicht über seinen eigenen Tellerrand hinausdenkt, wird von Gott nicht mit Kraft ausgestattet.
Wozu auch?
„Oh,“ antworten diese Leute, „damit ich im Alltag bestehe!“
Und meinen damit: damit es mir gut geht und mir nichts schlimmes passiert.
Und wenn sie dann nicht (!) in Untersuchungshaft kommen, dann loben sie den Segen Gottes, der sie vor den Gefahren bewahrt hat.
Und darum hatte der Petrus die Vollmacht, und wir haben sie nicht.