Starke und Schwache in der Gemeinde

Die "Starken" und die "Schwachen" kommen im Römerbrief, Kapitel 14 und 15, und in 1.Kor 8 vor. Das Problem, um das es geht, erscheint aber auch in anderen Briefen sowie in der Apostelgeschichte.

Die "Starken" sind im Sprachgebrauch des Paulus diejenigen, die wissen, dass es seit Jesus keine Regeln und Gesetze mehr gibt und damit alles erlaubt ist oder auch alles weggelassen werden kann. Die Führung des Gläubigen geschieht durch den Heiligen Geist, nicht durch ein Regelwerk, und der Maßstab für das Handeln des Einzelnen ist die Liebe (sowohl zu Gott als auch zu den Menschen) und, daraus abgeleitet, der Glaube.

Darum können die "Starken" eine Buddha-Statue als Briefbeschwerer benutzen, müssen vor dem Essen kein Tischgebet sprechen, können den Götzen geweihtes Fleisch essen oder bei Vollmond geerntete Äpfel und fürchten sich auch nicht vor demeter-Produkten.

Die "Schwachen" hingegen haben Angst, dass sie irgend etwas falsch machen, wenn sie das Tischgebet weglassen oder eine Götter-Statue in der Wohnung rumstehen haben oder etwas essen, das esoterischen Einflüssen ausgesetzt war. Sie haben gewisse Regeln, von denen sie sicher sind, dass sie sie einhalten müssen, um Gott zu gefallen.

Da beide Gruppen in den Gemeinden vorhanden waren, kam es zu den entsprechenden Konflikten: Die Schwachen verurteilten die Starken als Ungläubige, denn "wie kann ein Christ so etwas tun?" Und die Starken verachteten die Schwachen, die irgendwelche Regeln als Krücken für ihren Glauben brauchten.

Paulus stellt sich rein sachlich auf die Seite der Starken, bezüglich des Verhaltens aber auf die Seite der Schwachen. Er verlangt von den Starken, dass sie die Schwachen als Christen annehmen, so wie sie sind, und sie nicht zu ändern versuchen. Denn der Schwache tut sich schwer damit, sein Verhalten zu ändern, noch dazu unter Druck. Der Starke hingegen ist ja frei. Er kann das Tischgebet weglassen, er kann es aber auch durchführen. Er kann Götzenopferfleisch essen, oder er kann darauf verzichten.

Der "reinen Lehre" entspricht zwar das, was die Starken verkünden, aber der Frieden in der Gemeinde ist wichtiger als Rechthaberei. Darum braucht man in der Gemeinde keine Standpunkte durchzusetzen, sondern kann sich anpassen. Und weil die Starken die weitaus größere Flexibilität besitzen, wird von ihnen mehr Anpassung verlangt als von den Schwachen.