Schuld
Wenn wir das Thema "Schuld" im neuen Testament betrachten, haben wir vor allen Dingen ein Sprachproblem. Wenn im Neuen Testament nämlich von "Schuld" die Rede ist, sind normalerweise "Schulden" gemeint. Da aber das, was wir heute "Schulden" nennen, zur Zeit von Martin Luther noch "Schuld" in der Einzahl hieß, steht es heute noch in vielen Bibelübersetzungen so drin, obwohl die Bedeutung der Worte sich im Lauf der Jahrhunderte verändert hat.
In der Elberfelder Bibel steht im Vaterunser aber bereits "und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben haben".
Auch die Gleichnisse von Jesus über die "Schuld" handeln immer vom Geld (und damit von Schulden) und nicht davon, dass jemand eine moralische Schuld auf sich geladen hat, indem er einem Menschen einen dauerhaften körperlichen oder seelischen Schaden zugefügt hat:
- Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht (Mt 18)
- In der Bergpredigt, wo man seinem Gegner schnell entgegen kommen soll, kommt man andernfalls ins Gefängnis, bis man die letzte Münze bezahlt hat (Mt 6:26)
- Das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden/Talenten handelt von Geld, und der, der am Ende bestraft wird, wird es deshalb, weil er die Zinsen, die er seinem Chef mindestens geschuldet hätte, nicht zahlen kann.
- Der untreue Knecht in Lk 12 wird nicht bestraft, weil das Schlagen der Mägde moralisch schlecht ist, sondern weil er eine andere Arbeitsleistung geschuldet hätte. Er wurde für etwas bestimmtes bezahlt, aber er hat die Gegenleistung für das Geld nicht erbracht.
- Der Feigenbaum wird nicht verflucht wegen moralischer Schlechtigkeit, sondern weil er nicht erbrachte, was er rein materiell schuldig gewesen wäre.
Das Schuldverhältnis des Menschen zu Gott ist also kein moralisches, sondern ein sachliches. Der Mensch muss sich auch nicht dafür schämen, denn er kann ja nichts dafür. Selbst der beste und edelste Mensch ist Gott gegenüber Schuldner, aber zuerst einmal nicht aus eigener Schuld, sondern weil er eben Mensch ist. Schulden gegenüber Gott kann man nicht vermeiden, die entstehen durch die simple menschliche Existenz
Es geht sogar soweit, dass eine moralische Schuld gegenüber Gott gar nicht erst anerkannt wird, wie man z.B. im Gleichnis vom verlorenen Sohn sieht. Das ist auch folgerichtig, denn über eine moralische Schuld könnte Gott nur sehr unzureichend Richter sein, weil eine moralische Schuld vom subjektiven Empfinden des Opfers oder des in der Gesellschaft herrschenden Zeitgeistes abhängig ist. Eine moralische Schuld ist schwer zu bewerten und einzuordnen, während die Feststellung der aufgelaufenen Schulden sachlich möglich ist.
Die folgende Tabelle beschreibt die Unterschiede zwischen sachlicher und moralischer Schuld:
Schuld, sachlich |
Schuld, moralisch |
nennt man heute "Schulden" |
Du bist schuld! Du hast Schuld auf Dich geladen! |
Menschen stehen immer zueinander in einem Schuldverhältnis. Eltern schulden ihren Kindern etwas und im Alter umgekehrt. Ich schulde dem Verkäufer das Geld für die Ware. |
Ich habe etwas falsch gemacht und damit einem anderen Schaden zugefügt. Das Wertgefälle zwischen mir und dem anderen ändert sich. Ich bin schlecht, bin der Böse. |
Schämen überflüssig |
Schämen mitunter angebracht. |
Wird beglichen durch: Zahlung oder Erzwingungshaft |
Wird beglichen durch: Strafe, Wiedergutmachung, Reue. Oft nicht begleichbar, weil die Höhe des Schadens nicht objektiv feststellbar. |
Gegenüber Gott habe ich der Natur nach immer Schulden, denn das was Gott von mir fordern würde, könnte ich niemals leisten. Gott-gemäß zu leben ist mir nicht möglich, zwischen Gottes Ansprüchen und meiner Leistungsfähigkeit wird immer eine Kluft bleiben. |
Ich bin ein schlechter Mensch, der Gottes Liebe mit Füßen getreten hat, und muss im Grunde genommen den ganzen Tag und das ganze Leben mit gesenktem Kopf rumlaufen und mich in fortwährender Zerknirschung üben. Mein Leben ist mir peinlich. Ich versuche also, dieses unwürdige Verhalten durch gute Taten wieder gut zu machen. |
Warum wir dieses Thema in diesem Lexikon besprechen? Weil aus dem falschen Verständnis der Schuld in der Christenheit ein völlig falsches Verhältnis zu Gott entstanden ist.
So bringt man in den Kinderstunden schon den kleinen Kindern bei, "dass der Herr Jesus ganz arg traurig ist über das, was Du da gemacht hast." Und man lässt die Kinder Lieder singen "Pass auf, kleines Auge, was Du siehst. Pass auf, kleiner Mund, was Du sprichst." Gott steht da als der, der den Menschen mit Schuldgefühlen unterdrückt.
Bei erwachsenen Christen wirkt es sich dann so aus, dass sie "Demut" als eine Haltung interpretieren, in der sie sich ihrer Niedrigkeit schämen und vor Gott eigentlich immer nur in Sack und Asche auftreten, ständig ihre Sünden vor Augen haben und sich ihrer schämen und sich gar nicht zu freuen trauen, weil das ja doch sehr unpassend wäre.
Tatsächlich ist moralische Schuld etwas, für das man sich relativ oft schämen muss. Aber das Neue Testament kennt die Haltung, dass man sich Gott gegenüber schämt, weil man schuldig ist, überhaupt nicht. Gott fordert die, die zu ihm gehören, niemals auf, dass sie sich schämen sollen. "Sich schämen" ist keine christliche Tätigkeit. Weil unsere Schuld vor Gott eine sachliche ist, keine moralische.