Sex vor der Ehe – eine Zwischenbilanz
Das Thema dieses Artikels gibt es eigentlich gar nicht.
Zumindest nicht in bibeltreuen und evangelikalen Gemeinden.
Es wird totgeschwiegen.
Man weiß zwar, welche Meinung man nach dem Bibeltext dazu haben sollte, aber man weiß nicht, ob man das, was man für biblisch richtig hält, auch durchsetzen soll und ob man den Preis bezahlen wollte, den die Durchsetzung kosten würde.
Darum gibt es in der Christenheit einen sehenswerten Eiertanz um dieses Thema.
Gleich vorneweg: Wie es nicht geht
Das Argument „Gott ist (die) Liebe“ als Freifahrschein auszugeben, ist ebenso verlogen wie feige. Mit diesem Argument hätte man auch die politischen Handlungen von Adolf Hitler legitimieren können. Dieser hat nämlich aus Liebe zum Deutschtum und zum deutschen Volk gehandelt.
Daraus, dass jemand etwas oder jemanden liebt, lässt sich keine Argumentation für überhaupt nichts ableiten. Liebe ist eine Entscheidung, und sie kann wie jede andere Entscheidung falsch sein oder zu falschen Ergebnissen führen.
Was für eine Freigabe spricht
Im Vergleich zu der Zeit, als die Bibel geschrieben wurde, haben sich die Lebensumstände der Betroffenen ab dem Beginn der Neuzeit (also noch nicht soooo lange) radikal verändert. Von hier aus könnte man argumentieren, dass die biblischen Vorgaben nicht mehr durchführbar sind.
Im Altertum bis zur Zeit der Aufklärung wurden Mädchen spätestens mit 14 Jahren verheiratet und Jungen spätestens mit 18. Diese Tatsache erklärt uns zumindest mal, warum das Thema „Sex vor der Ehe“ in der Bibel kaum vorkommt. Es fehlten einfach die technischen Möglichkeiten dazu. Das voreheliche Zeitfenster, in dem Sex vor der Ehe möglich gewesen wäre, war sehr klein.
Mit dieser sehr frühen Verheiratung war aber auch verbunden, dass Ehen in der Regel Zwangsehen waren. Die Eltern suchten aus, wen man zu heiraten hatte und wann. Es mag Fälle gegeben haben, wo die Kinder ein begrenztes Vorschlagsrecht wahrnehmen konnten, aber eine Liebesheirat war eher die Ausnahme.
Im Gegensatz zu heute waren die „Jugendlichen“ also mit Sex ausreichend versorgt. (Jugendliche steht in Häkchen, weil es bis in die Neuzeit einen solchen Zeitabschnitt im Leben eines Menschen nicht gab. Man landete nach der Kindheit direkt im Erwachsensein.)
Allerdings konnten die jungen Menschen dem Sex auch nicht entgehen. Und wenn sie denjenigen, mit dem sie ins Bett mussten, unsympathisch fanden oder sogar eklig, dann gab es insbesondere für Frauen kaum eine Möglichkeit, aus diesen Umständen rauszukommen.
Außerdem bedeutete diese Konstellation für die Frauen Schwangerschaft nach Schwangerschaft nach Schwangerschaft und für die Männer das frühe Gebundensein an eine zu ernährende Familie. „Freiheit“ war kein Begriff, der hier eine Rolle spielte. Sich selber auszuprobieren war nicht vorgesehen. Die Lebensmuster waren sehr starr vorgegeben.
Die heutige Situation
Heute beträgt das Heiratsalter im Durchschnitt 28 Jahre, sofern jemand überhaupt heiratet. Das bedeutet, dass zwischen der Geschlechtsreife und der Ehe im Schnitt 15 Jahre liegen. Und zwar ausgerechnet die 15 Jahre, in denen der Geschlechtstrieb am stärksten ist und in die in der Regel das heftigste Verliebtsein fällt.
Da kommt natürlich schnell das Argument auf, dass man das den heutigen jungen Menschen nicht antun kann, angesichts dieser Umstände bis zur Eheschließung zu warten.
In den bekennenden Gemeinden gibt es gelegentlich den Ausweg der entsprechend frühen Ehen, dass die Verliebten also mit Anfang 20 heiraten. Diese Möglichkeit wird aber von vielen Psychologen und Pseudo-Psychologen vehement kritisiert, weil heutige Menschen sich bis zu ihrem 30. Lebensjahr noch enorm verändern.
Während die Männer früher mit 15 Jahren in dem Beruf saßen, den sie ihr Leben lang ausüben würden und spätestens mit 18 auch an eine Ehe mit Kindern gebunden waren und somit keine große Veränderung mehr zu erwarten war, bieten sich den jungen Menschen heute so viele Veränderungsmöglichkeiten an, dass zwei Menschen, die mit 18 vielleicht zusammen gepasst haben, sich mit 28 in völlig gegensätzliche Richtungen entwickelt haben können.
Und darum, so die Befürworter der Freigabe, könne man weder von den jungen Leuten erwarten, dass sie bis zur Ehe enthaltsam leben, noch dass sie jung heiraten, weil letzteres mit hoher Wahrscheinlichkeit daneben geht.
Elend gegeneinander aufrechnen
Gerne wird argumentiert, dass die jungen Leute heute sexuell benachteiligt sind und einem hormonellen Druck ausgeliefert sind, den die jungen Leute des Altertums so vielleicht nicht kannten.
Und darum müsse man den armen, benachteiligten heutigen Jugendlichen den Sex erlauben.
Die Vorteile, welche die heutigen Jugendlichen gegenüber denen des Altertums hatten, sind natürlich bekannt und weiter oben schon beschrieben. Sich den Ehepartner selbst aussuchen zu können und die Jahre zwischen 15 und 30 mit relativ wenig Verantwortung zubringen zu können, ist ja nicht Nichts. Wenn die Befürworter der Freigabe die Rechnung aufmachen, erscheint diese Tatsache nur als Nachteile für die Früheren, man vergisst aber, diese Vorteile in die Rechnung für die heutigen Jugendlichen einzurechnen.
Unser Problem: Die Bibel
Unser Problem bei der ganzen Sache ist, dass Gott die sexuelle Bindung zwischen Mann und Frau gleichgesetzt hat mit der Bindung zwischen Gott und dem Gläubigen (oder der Gruppe der Gläubigen, der Gemeinde).
Die Begründung für nur einen einzigen Sexualpartner im Leben entsteht also (leider) nicht aus einem Zeitgeist oder aus einer gesellschaftlichen Notwendigkeit heraus, die mit dem Wandel der Gesellschaft ihre Gültigkeit verliert.
Sondern die Begründung ist ewig, und sie steht auch nicht nur ein oder zweimal in der Bibel, so dass man davon ausgehen könnte, dass diese Gleichsetzung und die daraus entstehenden Forderungen für das christliche Leben nicht so wichtig sind.
Ich habe in einer Datei über die Jahre alle Bibelstellen gesammelt, die direkt etwas zur Ausübung der Sexualität außerhalb der Ehe sagen. Weil ich selber einen Überblick haben wollte. Es sind 40 längere oder kürzere Abschnitte, die sich angesammelt haben, woraus Sie auch ersehen können, dass es keinen Sinn macht, selbige hier zu zitieren. Dieser Artikel würde extrem lang.
In besagter Sammlung fehlen die Bibelstellen, in denen Gott sich als Israels oder der Gemeinde Bräutigam darstellt. Diese kämen noch dazu.
Wenn die Befürworter der Freigabe also darauf hinweisen, dass die Zeiten sich enorm geändert haben und die jungen Leute heute eine völlig andere Welt vorfinden als vor Martin Luther, so fasst dieses Argument nicht nur deshalb nicht, weil sich die Vorteile und die Nachteile der beschriebenen Änderungen vermutlich die Waage halten, sondern es greift noch viel weniger, weil diese Leute auf eine zeitlose (also ewige) Einrichtung Gottes mit einem zeitlichen Argument reagieren.
Auch alle Versuche in der Vergangenheit (und davon gab es viele!), die in der Bibel benutzten Begriffe für Ehebruch, Hurerei und Unzucht irgendwie so zu deuten, dass sie mit der heute gängigen Sexualmoral nichts mehr zu tun haben, dürfen als gescheitert angesehen werden. Diese Versuche waren auch in der Regel nicht objektiv, sondern getragen von dem dringenden Wunsch, endlich die Sexualität im Großen und Ganzen freizugeben.
Soll man also den Sex vor der Ehe verbieten?
Nein, natürlich nicht.
Wir leben als Gemeinde nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter dem Evangelium.
Die Frage des Gesetzes war: Was darfst Du, und was darfst Du nicht?
Die Frage des Evangeliums ist: Was willst Du erreichen?
Paulus hat das mit seiner Formel „es ist alles erlaubt, aber nicht alles erbaut“ sehr treffend formuliert.
Es muss sich also sowohl der Einzelne als auch die Gemeinde die Frage stellen, was sie erreichen wollen. Wieviel Gott und wieviel Segen wollen sie haben?
Denn die Nähe zu Gott und die Menge an Segen hängen nun einmal an der Hingabe. Heil und Segen sind abhängig davon, in welchem Ausmaß der Wille Gottes respektiert wird.
Und darum muss man auch den Vergleich zu den anderen „Tugenden“ des Glaubens heranziehen. Wenn Habsucht Götzendienst ist und Streit ein Werk des Fleisches und wir ja eigentlich nicht die Absicht haben, Habsucht und Götzendienst frei zu geben, warum sollten wir dann Sex freigeben? Weil Geld schlecht ist und Sex gut?
Der Fehler der Normalität
Der Fehler in dem Urteil, dass man den Umgang mit der Sexualität nicht so streng sehen soll, liegt in der Meinung, Christsein könne als Teil eines normalen Lebens durchgeführt werden.
Ich bin also Angestellter, Sohn meiner Eltern, Verwandter meiner Verwandten, Freund meiner Freunde, Nachbar meiner Nachbarn, Briefmarkensammler und Chorsänger, Kunde meines Reiseportals, Tourist in der Türkei und übrigens auch Christ.
Christsein ist in diesem Fall nur eine der möglichen Definitionen meiner Person oder meiner Rollen im Drama des Lebens.
Ich will Wohlstand und politische Freiheit und genügend Geld und viele Freunde und Sex und eine gute Ausbildung, und Gott will ich auch noch. Aber so geht es nicht. Richtig wäre: Ich will Gott, und der Rest ist dann eher Nebensache.
Der Gedanke, dass Gott den ganzen Aufwand betrieben hat vom Auszug aus Ägypten bis zur Auferstehung von Jesus, um meinem Leben ein weiteres nettes Accessoire zu bieten oder meinem Selbstbild eine zusätzliche Definition hinzuzufügen, ist daneben.
Gott ist nicht von einer solchen Bescheidenheit, dass er sich gleichberechtigt neben Andere stellt.
Wie Jesus so schön sagte: Wer etwas anderes mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig.
Oder: Matthäus 22,37
37 Er aber sprach zu ihm: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand.«
Ja, tatsächlich: Das sind 100%. In allen Bereichen.
Oder wie der Amerikaner sagt: First things first.
Die Sache mit Gott machen Sie dann richtig, wenn es Sie etwas kostet. Das ist übrigens bei jeder großen Sache so, der ein Mensch sein Leben verschreibt. Auch Profifußballer oder Astronaut werden Sie nicht, ohne dafür erhebliche Opfer bringen zu müssen. Und wenn Gott in der Bedeutung noch höher angesiedelt ist als Weltranglistenerster zu sein, dann kann man davon ausgehen, dass auch die Opfer höher sein werden.
Wie man entscheidet
Vermutlich muss jede Gemeinde für sich selber entscheiden, was sie will:
- Will sie die wirklich entschiedenen Gläubigen und diejenigen „Neuen“, die wirklich umkehren wollen? Will sie radikalen Segen und kompromisslose Heiligung? Dann wird sie in all den Fragen, in denen Gott eine eindeutige, nicht zeitgeistbezogene Meinung geäußert hat, eben diese Meinung vertreten.
- Will sie „niederschwellig“ arbeiten, es den Leuten einfach machen, zu Christus zu kommen, dann wird sie auf alle teuren Forderungen Gottes verzichten müssen. Dann steht sie natürlich in der Gefahr, das zu verbreiten, was Bonhoeffer „die billige Gnade“ genannt hat, weil sie eben wenig kostet.
- Auf einer anderen Ebene liegt dann die Entscheidung, wie die Gemeinde die Voraussetzungen für Mitgliedschaft oder Gottesdienstbesuch von dieser Einstellung abhängig macht. Es gibt Gemeinden, die bekommen den Spagat ganz gut hin, sehr hohe Ansprüche zu verkünden und niedrige Ansprüche ertragen zu können. (Zum Beispiel ICF München.)
Wichtig wäre es, dass die Gemeinden hier überhaupt mal entscheiden und eindeutig Position beziehen. In vielen Fällen haben wir ein Rumgedruckse und eine Sprachlosigkeit … nun gut, vergessen Sie es. Denn beim Thema „Geld“ und „Machtkämpfe“ ist es ja auch nicht besser.
Und dieser Artikel war, wie die Überschrift schon sagte, nur eine Zwischenbilanz. Wir können also auch einfach so weitermachen wie bisher.