Prophetie

Propheten gibt es sowohl im Alten wie im Neuen Testament. Sie haben immer die gleiche Funktion: Zu sagen, was Gott sagen will.

Im Alten Testament kennen wir sowohl die Propheten, deren Aussprüche und deren Wirken aufgeschrieben wurden und Teil des Alten Testamentes geworden sind, als auch reine Sprachpropheten, von deren Wirken wir nur nebenher erfahren und bei denen wir oft genug noch nicht einmal den Namen wissen.

Da das Neue Testament seit dem Tod der letzten Apostel als abgeschlossen gilt, können heutzutage logischerweise keine Schriftpropheten im alttestamentlichen Sinne mehr in den Gemeinden auftreten.

Prophetie im dem Sinne, dass in eine Situation hinein etwas verkündet wird, was Gott sagen will und was im Idealfall etwas enthält, was der Sprechende eigentlich selber nicht wissen kann – entweder weil das Ereignis in der Zukunft liegt, oder weil die Dinge, die er verkündet, geheim waren - gibt es heute in den Gemeinden immernoch. Sie hat aber aus vielerlei Gründen eine relativ geringe Bedeutung:

  • Prophetie muss sich immer an den sonstigen Äußerungen Gottes messen lassen, also an der Bibel. Prophetie steht im Rang unterhalb der biblischen Aussagen und kann der Bibel nicht widersprechen. Und Voraussagen, die sie macht, müssen eintreffen. Prophetische Aussagen müssen sich also ständig Bewertungen gefallen lassen.
  • Das Alte Testament sagt für die Zeit des Neuen Testamentes voraus, dass jeder Gläubige selbst in der Lage sein wird, die Stimme Gottes zu hören (Jer 31:34), und von Gott selber gelehrt sein wird. Das ist eine der herausragenden Eigenschaften und Vorteile des Heiligen Geistes. Der große Unterschied in den Bündnissen zwischen Gott und Menschen ist ja, dass die Israeliten zwangsweise zu Gott gehörten und somit oft wenig gewillt waren, die leise Stimme Gottes zu hören, während wir heute in der Gemeinde (hoffentlich) nur Leute haben, die freiwillig zu Gott gehören und denen darum viel mehr daran gelegen ist, mit Gott in direkte Verbindung zu treten. Die Prophetie wird darum als Sprachrohr Gottes einfach nicht mehr so dringend benötigt.
  • Prophetie wird häufig von Menschen mit hohem Geltungsbedürfnis, aber wenig Willen zur Leistung, benutzt, um sich wichtig zu machen. Das führt dazu, dass man sich in Gottesdiensten oft Dinge als angebliche Prophetie anhören muss, die vor allem eine prophetische Aussage über die mangelnde Demut des Sprechenden machen. Dadurch ist prophetisches Reden in den Gemeinden sehr in Verruf geraten.
  • Geistesgaben, die tatsächlich die Kraft Gottes enthalten und nicht nur Ausdruck von Wichtigtuerei sind, verlangen in der Regel einen Träger von großem Glauben, extremer Hingabe an den Willen Gottes und umfänglicher Heiligung. Da in den europäischen Wohlstandsgemeinden der Druck auf die einzelnen Gläubigen relativ gering ist, werden solche Charakterzüge aber nur noch selten ausgebildet.
  • Da die Geschichte der europäischen Christenheit von streng hierarchisch strukturierten Großkirchen gekennzeichnet ist, Prophetie sich aber der Beherrschung durch die Herrschenden entzieht, gibt es in Europa keine ausgeprägte prophetische Tradition.
Nichtsdestotrotz gibt es in biblischen Gemeinden immer wieder funktionierende Prophetie, z.B. wenn ein Prophet oder eine Prophetin sagen kann, dass im aktuell stattfindenden Gottesdienst ein Mensch mit diesem oder jenem nicht alltäglichen Problem sitzt, und dieser Mensch taucht dann auch tatsächlich auf, wobei er sich mitunter erst nach dem Gottesdienst gegenüber dem Propheten oder in kleinem Kreis zu zu erkennen gibt.

Allerhöchstens Prophetie für Arme ist allerdings das „ich habe vom Herrn ein Bild bekommen“, und dann folgt die Beschreibung eines Bildes, das auf die Lebenssituation von 20 sensiblen und empfänglichen Anwesenden passt – von denen sich in der Regel aber nur ein oder zwei melden, weil der dritte schon denkt: „Oh, war gar nicht für mich, war ja für den anderen!“