Neukirchener Kalender
Die heilige Kuh der Erweckten.
Die Bildzeitung der Frommen.
Fastfood für Christen, die keine Zeit zum selber Kochen haben.
Nun ist der Neukirchener Kalender an sich nicht schlecht.
Die Schulbücher für die dritte Klasse Grundschule sind ja auch toll gemacht.
Und wer erst kürzlich zum Glauben gefunden hat und sozusagen in die dritte Klasse der Jesus-Schule geht, der ist mit dem Neukirchener Kalender prima bedient.
Denn das ist der Neukirchener Kalender: Ein Lehrbuch für die dritte Klasse.
Für die erste Klasse nicht. Dazu benutzt er zu viele Worte, die in der nichtchristlichen Welt nicht verstanden werden (Sünde, Heil, Passion, Golgata …). Anfänger können damit nichts anfangen, und zur Mission taugt er nicht.
Aber wer schon ein bisschen was weiß, wer die Namen der handelnden Personen schonmal gehört hat, und wer jetzt wissen will: Was mache ich denn nun mit den ganzen Bibelstellen?, der kann im Neukirchener Kalender einiges lernen.
Lebenslang dritte Klasse
Das Problem innerhalb der Christenheit ist, dass der Neukirchener Kalender 30 Jahre oder länger als Grundlage für die „Stille Zeit“ genommen wird.
Die Leser gehen also 30 Jahre lang in die dritte Klasse.
Denn der Neukirchener Kalender hat sein Niveau seit seinem Bestehen nie geändert. Weder sein geistliches, noch sein intellektuelles Niveau.
Das muss man ihm auch nicht vorwerfen!
Der Neukirchener Kalender kommt aus der evangelischen Kirche, und eine Form von Glaubenswachstum, wie die freien Gemeinden es sich (zumindest theoretisch) auf die Fahnen geschrieben haben, wird in der evangelischen Kirche nicht großflächig propagiert und hat in der evangelischen Kirche auch keine Tradition.
Lauwarme Sauce
Dass der Neukirchener Kalender also eine lauwarme Sauce ohne jeden Biss ist, ist durchaus beabsichtigt und ihm nicht vorzuwerfen. Beabsichtigt ist es aus zwei Gründen:
- Der Neukirchener Kalender bedient ein bestimmtes Klientel: den in Frömmigkeit ergriffenen Landeskirchler. Diese Menschen wollen keine Revolution, sondern ein warmes Gefühl der göttlichen Zuwendung. Und das wird ihnen geboten. Sie wollen das hören, was sie sowieso glauben.
- Der Neukirchner Kalender muss Geld verdienen. Er hat eine Auflage von über einer Viertelmillion, Jahr für Jahr, und die Auflage soll ja nicht sinken. Folglich muss man ein Produkt anbieten, das dauerhaft so viele Kunden bindet. Und das gelingt am besten mit viel warmen Gefühl, auch religiösem Gefühl, und möglichst wenig „Inhalt“ im Sinne von Lehre, Herausforderung oder einem wirklichen Aufstand gegen den Teufel. Massenproduktion geht nicht ohne Rücksicht auf die Masse.
Das Problem für die freien Gemeinden besteht eher darin, dass der Neukirchener Kalender sehr fachkundig gemacht ist. Die Texte sind professionell geschrieben, sie verkünden immer biblische Wahrheit, und am Ende des Textes nickt jeder mit dem Kopf und sagt: „Recht haben sie, so ist es!“ Der Text ist schön zu lesen, es bleiben keine Fragen offen, geärgert wird man auch nicht – das geht runter ohne zu kauen.
Und so lesen die Gläubigen diese Texte und denken hinterher, was ach wie Erbauliches sie jetzt gelesen haben und wie gestärkt sie nun für den Tag sind.
Korinther und Hebräer
Paulus beschwert sich einmal bei den Korinthern: 1.Kor 3,2
2 Ich habe euch Milch zu trinken gegeben, nicht feste Speise; denn ihr konntet <sie> noch nicht <vertragen>. Ihr könnt es aber auch jetzt noch nicht,
Der Neukirchener Kalender bietet Milch, mehr nicht. Das macht er gut, ohne Frage. Paulus meint, es müsse irgendwann mal Schluss sein mit Milch.
In die gleiche Posaune bläst der Autor des Hebräerbriefes: Hebr 5,12
12 Denn während ihr der Zeit nach Lehrer sein solltet, habt ihr wieder nötig, dass man euch lehre, was die Anfangsgründe der Aussprüche Gottes sind; und ihr seid solche geworden, die Milch nötig haben und nicht feste Speise.
Auch jahrzehntelange Lektüre des Neukirchener Kalender befähigt einen Christen nicht, Lehrer zu sein. Dazu hätte man nämlich selber denken müssen, und genau das gewöhnt einem der Neukirchener Kalender ja ab.
Der Autor des Hebräerbriefes beschreibt dann die Milch, die er weglassen will: Hebr 6,1-2
1 Deshalb wollen wir das Wort vom Anfang des Christus lassen und uns der vollen Reife zuwenden und nicht wieder einen Grund legen mit der Buße von toten Werken und dem Glauben an Gott,
2 der Lehre von Waschungen und der Handauflegung, der Totenauferstehung und dem ewigen Gericht.
Wie man Fleisch isst
Natürlich ist das Problem der oberflächlichen Gläubigkeit nicht neu. Im Psalm 1 wird der fleischessende Gläubige so beschrieben: Ps 1,2
2 sondern seine Lust hat am Gesetz des HERRN und über sein Gesetz sinnt Tag und Nacht!
Und dieser Person gilt im Psalm 1 der Segen und nicht dem, der einmal täglich eine vorgekaute massentaugliche Portion zu sich nimmt. „Täglich Andachtsbuch lesen“ und „über des Herrn Gesetz nachdenken Tag und Nacht“ sind grundverschiedene Dinge.
Wer Schuld ist
Und so haben wir in den Gemeinden Menschen, die seit 30 Jahren den Neukirchener Kalender lesen und geradezu stolz sind auf diese Andachtsleistung, die aber jedem Dämon hilflos gegenüber stehen, die Stimme Gottes nicht hören können und die großen Möglichkeiten, die Jesus für die Zeit nach seiner Auferstehung verspricht, nicht umsetzen können.
30 Jahre dritte Klasse und nie weitergekommen.
Schuld daran ist nicht der Neukirchener Kalender. Der ist, wie er ist, und wie alles auf der Welt hat er ein Recht, so zu sein, wie er will.
Schuld sind die, die von Gott und seinem Reich nicht mehr erwarten als die warme, gut bürgerliche Frömmigkeit der evangelischen Landeskirche.
Schuld sind die, die das Denken den anderen überlassen haben.