Die Entwicklung von Gottes Macht
In der Bibel ist Gott nicht von Anfang an „der Allmächtige“.
Das Hebräische kennt kein Wort für „Allmacht“ oder den „Allmächtigen“, also kennt auch die hebräische Bibel ( = das Alte Testament) diesen Begriff nicht.
Aber nicht nur das Wort gibt es nicht, sondern auch als Konzept oder Idee kommt göttliche Allmacht im Alten Testament erstmal nicht vor.
Es kommt für fromme Christen noch schlimmer:
In den ältesten Schriften der Bibel ist der Gott Israels gar nicht der einzige Gott.
Sondern es gibt – für die Menschen des Alten Testamentes selbstverständlich – viele Götter. Und einer davon ist der Gott Israels.
Und dieser Gott war stark genug, Israel aus Ägypten zu führen.
Aber in 1.Könige 3,27 wird berichtet, dass die Israeliten einen Krieg führen gegen die Moabiter. Und es sieht gut aus für Israel, und das merken die Moabiter auch. Weshalb der König von Moab in seiner Not seinen eigenen Sohn opfert – und er opfert ihn natürlich seinen moabitischen Göttern.
Und die Bibel berichtet in aller Seelenruhe, dass das funktioniert. Der strategische Vorteil der israelitischen Armee ist dahin.
Man rechnet in den alten Berichten selbstverständlich damit, dass es andere Götter gibt. Und dass die auch Macht haben, also nicht etwa Hirngespinste sind.
Erst in der Zeit der Könige fangen die Propheten an, zu verkünden, dass Gott nicht nur höher ist als die anderen Götter, sondern dass die anderen Götter eigentlich Nichtse sind, von den anderen Völkern selbst erdacht.
Die Entwicklung von Gottes Machtbereich
Erst nach und nach wird der Machtbereich Gottes in den Augen der biblischen Autoren größer.
Es fängt damit an, dass der Gott Israels nur ein Gott der Berge ist. Das wussten selbst in späten Jahren noch die Aramäer (1.Könige 20,23), aber das zeigte sich schon bei der Landnahme unter Josua. Denn damals konnten die Israeliten zwar die Berge einnehmen, aber die tiefer gelegenen Ebenen waren ihnen oftmals nicht zugänglich (Richter 1, 19+34).
Der erste Lernschritt für die Israeliten war das oben beschriebene Ereignis unter König Ahab (1.Könige 20,23), als der (uns unbekannte) Prophet den Lernprozess in Gang setzte, dass Gott tatsächlich ein Gott des ganzen Landes war.
Wohingegen Gott als Herrscher der Meere zwar theoretisch in den Psalmen begriffen wird, aber die Israeliten machen einen großen Bogen um das Meer, und auch Salomos Schiffe kommen nie richtig in Fahrt, und dass Gott den Jona den großen Meerestieren wieder entreißen kann, ist schon eine bemerkenswerte Sache.
Irgendwann ist es dann soweit, dass man erkennt, dass alle anderen Götter den Gott Israels als den höchsten Gott anerkennen müssen. In Psalm 82 sitzt Gott zu Gericht über die anderen Götter, weil sie ihre Pflicht nicht getan haben, und Salomo sagte zu Hiram: 2.Chronik 2,4
4 Und das Haus, das ich bauen will, soll groß sein; denn unser Gott ist größer als alle Götter.
Gottes Macht im Totenreich
Das Totenreich ist eine weitere Grenze, in die Gottes Macht erst sehr langsam hineinreicht.
Die Israeliten wussten vom Totenreich, vom Scheol, das war keine Frage. Man wird, wenn man stirbt, zu seinen Vätern versammelt. Aber Gott ist dort nicht, und die Toten loben Gott nicht (Ps 6,6 und 115,17). Die Toten können Gott nicht sehen, und der Tod war für die Israeliten die Trennung von Gott.
Und während es bekanntermaßen in Ägypten Grabbeigaben gab, damit man in der Welt der Götter, in die man mit dem Tod gelangte, auch gut zurechtkam, gibt es in der ganzen Thora keinen einzigen Vers, der den Blick über die Grenze des Todes riskiert.
Erst in den späten Texten des alten Testamentes wird erkannt, dass der Tod offenbar keine Grenze ist, die einen von Gott trennt. Ps 139,8
8 Stiege ich zum Himmel hinauf, so bist du da. Bettete ich mich in dem Scheol, siehe, du bist da.
Die Verwandlung
Gottes Macht wächst also – im Bewusstsein seines Volkes.
Natürlich war Gott schon immer einzig und unantastbar. Das war den Menschen aber nicht verständlich.
Erst nach und nach geschieht ein Offenbarwerden und ein Verstehen, wer Gott eigentlich ist.
So ist die Bibel eine Geschichte, in der der barmherzige Gott Israels immer mächtiger wird.
Aber während Gott einerseits immer mächtiger wird, geschieht parallel dazu eine Gegenentwicklung.
Man sieht sie zum ersten Mal, als Elia verstehen muss, dass Gott nicht im Sturm, im Feuer und im Erdbeben ist.
Die Macht Gottes wird im Laufe der Jahrhunderte immer mehr eine Macht der Liebe.
Das Schwinden von Gottes Macht
Anfangs ist es ja so, dass Gott die anderen Völker vor seinem Volk Israel her besiegt und vertreibt:
Zuerst die Ägypter, denen Gott sein Volk entreißt.
Dann die Völker, die sich Israel auf der Wanderung entgegen stellen, und die Ureinwohner Kanaans bis hin zu den Philistern.
Gott erweist sich als Kriegsgott, der seinem Volk beisteht.
Aber irgendwann kippt das.
Mit den Assyrern ist es schon problematisch, und die Syrer wurden schon nur noch in der Hälfte der Fälle durch Waffengewalt besiegt.
Mit den Ägyptern unter Necho funktioniert es überhaupt nicht, und danach funktioniert es nie wieder: Israel wird für den Rest seiner Geschichte von stärkeren Staaten beherrscht, bis wir zur Zeit Jesu die Römer in dieser Position finden.
Damit einher geht, kleinräumiger gedacht, die Erkenntnis und Erfahrung, dass auch der Gerechte nicht immer triumphiert, sondern leiden muss.
Und irgendwann ist es soweit, dass der König sanftmütig und arm auf einem Esel kommt.
Und als der Teufel Jesus jede Menge Macht anbietet, widersteht Jesus. Er nimmt diese Macht nicht nur nicht an, er beseitigt die Macht des Bösen auch nicht, sondern unterliegt ihr, wird gefangen und gefoltert und verhöhnt.
Und am Ende dieses Prozesses sagt Paulus: 1.Korinther 1,25
25 Denn das Törichte Gottes ist weiser als die Menschen, und das Schwache Gottes ist stärker als die Menschen.
Immer mehr kommt die Liebe Gottes (die vermutlich schon immer Gottes Motiv war) sichtbar zur Macht hinzu und verändert die Macht, gibt ihr eine völlig neue Form.
Und am Ende der Entwicklung ist die Liebe die Macht, die sogar das Böse besiegt.