Lieben, die Menschen
Neulich im Gottesdienst.
Jemand liest einen Artikel aus einem Andachtsbuch vor.
In dem Artikel kam der Satz vor: „Wer nicht missioniert, der liebt die Menschen nicht.“
Guck mal an.
Ehrlich gesagt: Ich will die Menschen gar nicht lieben.
Die meisten Menschen gehen mir schlicht auf den Keks.
Ich kenne auch keine biblische Aufforderung, „die Menschen“ zu lieben.
In meiner Bibel steht etwas von „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“. Da sind die Menschen, die ich lieben soll, ziemlich eindeutig definiert, und wer es nicht versteht, für den hat Jesus das mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter noch verständlich erläutert.
Und aus dem Gebot der Nächstenliebe das Gebot zur Menschenliebe zu machen ist so wie aus der Aufforderung „Iss den Kuchen, der auf Deinem Teller vor Dir steht“ die Aufforderung zu machen „Iss alle Kuchen auf der ganzen Welt!“
Selbst Paulus hat mal behauptet: „Kreter sind immer Lügner, böse, wilde Tiere, faule Bäuche.« (Titus 1, 12+13) Auch der hat nicht im entferntesten daran gedacht, „die Menschen“ zu lieben.
Aber Gott liebt doch alle Menschen!
Ja ja. Gott liebt Adolf Hitler. Gott liebt Wladimir Putin. Gott liebt Baschar al-Assad.
Gott liebt die Kanaaniter. Darum hat er den Israeliten auch den Auftrag gegeben, sie zu vernichten.
Gott liebt die Leute, die im Einzugsbereich des Tsunamis von Weihnachten 2004 lebten. Darum hat er auch 250.000 von ihnen umkommen lassen.
Eigentlich müsste man von einem durchschnittlich gebildeten Europäer verlangen können, dass er differenzieren kann.
Gott liebt im wirklichen Sinn des Wortes diejenigen, die ihn lieben. Die Fülle des Segens, das Entgegenkommen Gottes in grenzenloser Zuneigung gehört denen, die ihr Leben Gott gegeben haben. Und sonst niemandem.
„Den Menschen“ bietet Gott ausnahmslos das Heil an. Das Angebot von Gottes Gegenwart im Leben der Menschen gilt allen, auch Baschar al-Assad. Das ist Gottes Liebe zu „den Menschen“. Das ist aber das geringste Maß an Liebe, das wir von Gott kennen, und eigentlich ist das in der deutschen Sprache mit dem Wort „Liebe“ nicht zutreffend wiedergegeben. „Liebe“ ist in diesem Zusammenhang ein zu großes Wort.
In 1.Timotheus 2,4 hat Paulus das mal so formuliert: „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“
Das ist eine sachgemäße Formulierung der Liebe Gottes zu allen Menschen.
Aber wenn Gott alle Menschen auf diesem Niveau liebt, muss ich dann nicht auch …?
Nein.
Weil man gar nichts müssen muss.
Das Gesetz ist abgeschafft. Wir haben jetzt Evangelium.
Man darf natürlich „die Menschen“ lieben. Ist gut. Gibt es nichts dran zu meckern. Wer eine solche Haltung der Menschheit gegenüber hat, soll sie kultivieren und pflegen. Vielleicht macht so eine Haltung das Leben auch ein wenig leichter.
Wer „die Menschen“ nicht liebt, kann natürlich auch missionieren. Er könnte sagen: Wenn Gott diese Menschen retten will, dann will ich ihm dabei helfen, weil ich Gott liebe und ihm einen Gefallen tun möchte.
Man könnte also auch missionieren, weil man Gott liebt (und nicht „die Menschen“).
Man könnte auch missionieren, weil Gott „die Menschen“ liebt.
Was niemand muss
Niemand muss sich von irgendwelchen Moralaposteln ein schlechtes Gewissen machen lassen, weil er „die Menschen“ nicht liebt. Schon deshalb nicht, weil jemand, der anderen ein schlechtes Gewissen macht, diese Menschen nicht genug liebt. Moralischer Druck hat mit Liebe nichts zu tun.