Gottes Beziehung zum Leid.
Wie gut, dass Sie sich noch nie Gedanken gemacht haben über Gottes Beziehung zum Leid.
Darum können Sie jetzt diesen Artikel völlig unvoreingenommen lesen.
Woher das Leid kommt
Um die Beziehung Gottes zum Leid zu verstehen, muss man erstmal feststellen, woher das Leid überhaupt kommt.
Biblisch gesprochen, landen wir bei der Sünde.
Weil der Mensch sich gegen Gott gewendet hat, darum muss er im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen, und darum ist der Erdboden verflucht (Gen 3,17).
Wenn wir uns nicht ganz so fromm ausdrücken, liegt es an der Entscheidungsfreiheit des Menschen.
Dass der Mensch sich für oder gegen Gott entscheiden kann, für oder gegen das Gute.
Der Mensch braucht, um für Gott ein vernünftiges Gegenüber zu sein, immer zwei Möglichkeiten.
Diese Eigenschaft der mindestens zwei Möglichkeiten hat aber nicht nur der Mensch. Diese Eigenschaften hat die gesamte Welt – der Mensch ist nämlich unlösbarer Teil seiner Umwelt:
· Die Erde kann beben, oder nicht.
· Das Wasser kann eiskalt sein oder kochend heiß oder etwas anderes.
· Es gibt Leben, und es gibt Nicht-Leben. (Also den Tod. Oder das Ungeborensein.)
· Das Feuer kann brennen, oder nicht.
· Elemente können miteinander reagieren oder nicht.
· Die Körperzelle kann zu Krebs entarten, oder sie kann sich regulär verhalten.
Hinzu kommen einige grundsätzliche Regeln, die im ersten Schöpfungsbericht beschrieben werden und die auf die oben genannten Dinge Einfluss haben, und die an sich unveränderlich sind und die wir darum Naturgesetze nennen: Die Zeit, die Schwerkraft, die Energie einschließlich des Lichts und so weiter.
Oben genannte (mindestens) zwei Möglichkeiten, die Gott in die Welt eingebaut hat, führen zwangsläufig dazu, dass beide irgendwann eintreffen.
Dass der Mensch also irgendwann sündigte, war vorhersehbar. Weil die Möglichkeit besteht, wird sie irgendwann auch mal Wirklichkeit werden. Das ist, wenn Sie so wollen, eine Frage der Statistik. Wenn die Möglichkeit besteht, dass ein Hummer total blau ist (farblich, nicht alkoholisch), wird es irgendwann mal einen blauen Hummer geben. Wenn die Möglichkeit besteht, dass die Lottozahlen 1,2,3,4,5,6, Zusatzzahl 7 lauten, wird das auch irgendwann einmal eintreten. Es sei denn, man stellt vorher die Ziehungen ein.
Aus Möglichkeit wird Leid
Nun wäre die Existenz von zwei Möglichkeiten an sich erstmal neutral.
In einer entfernten Galaxie könnte ein Stern explodieren, oder er kann es sein lassen. Das ist aus unserer Sicht egal. Mit dem menschlichen Leid oder Glück hat dieser Vorgang nichts zu tun.
Was aber unser Lebensumfeld angeht, so wird schon bei Adam und Eva beschrieben, dass mindestens eine dieser zwei Möglichkeiten sich gegen den Menschen richten wird. Die Erde ist verflucht, und zwar zum Nachteil des Menschen.
Leid ist somit kein objektiver Wert oder Zustand, sondern ein subjektiver.
In dem Moment, wo der Mensch (oder ein anderes Lebewesen, aber hier geht es jetzt nur um Menschen) einen deutlichen Nachteil hat, bezeichnet er das Ergebnis als „Leid“. „Leid“ beschreibt also nicht das Erdbeben selbst. Es beschreibt die Bewertung des Erdbebens durch den Menschen, oder das Erleben des Erdbebens durch den Menschen.
Krieg ist also für viele Menschen Leid, für den Kriegsgewinnler aber das Gegenteil. Und für den, der ganz weit weg wohnt, ist es egal.
Warum die zwei Möglichkeiten eingeführt wurden.
Dass der Mensch und die Erde immer zwei Möglichkeiten haben, die zu qualitativ unterschiedlichen Ergebnissen führen, wurde eingeführt, weil Gott den Menschen zu seinem Gegenüber geschaffen hat.
Damit ist nicht gemeint, dass Gott wollte, dass einfach irgendwer da ist.
Sondern Gott wollte jemanden für die Umsetzung der Liebe. Und zwar für die Liebe in ihrer besten Form. Und die beste Form der Liebe ist die gegenseitige Liebe.
Die erwiderte Liebe.
Natürlich hätte Gott den Menschen auch als Marionette mit nur einer Möglichkeit schaffen können, und diese Marionette hätte er dann lieben können.
Er hätte diese Marionette auch so gestalten können, dass die Marionette Gott lieben muss. Weil sie nichts anderes kann.
Erzwungene Liebe.
Na gut, Sie merken schon: Das ist irgendwie keine Liebe.
Liebe braucht Freiheit. Sonst funktioniert sie nicht.
Und darum gibt es immer mindestens zwei Möglichkeiten. Und die führen immer zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Manchmal führen sie zu besten und zweitbesten Ergebnissen. Es entsteht kein Leid im eigentlichen Sinn, weil keine der Möglichkeiten wirklich schlecht ist.
Aber manchmal entsteht ein Ergebnis, das aus der Sicht des Menschen eine Einschränkung oder einen Nachteil bedeutet.
Das nennen wir dann „Leid“.
Was Gott nun macht
„Leid“ ist also, weil es den zwei Möglichkeiten entstammt, ein Ergebnis der Sünde oder ein Produkt des Teufels oder eine Folge des Bösen.
Damit könnte Gott natürlich irgend so etwas sagen wie „selber schuld“ oder „nicht mein Bier“.
Interessant ist aber, dass Gott genau das Gegenteil macht:
Gott gibt sich durch das Leid zu erkennen.
Man würde erwarten, dass Gott im Glück und im Erfolg zu erkennen ist.
Und das ist auch gar nicht ausgeschlossen, dass Gott auch in einem Lottogewinn oder in der großen Liebe zu erkennen ist. (Missionswissenschaftler behaupten, Menschen seien u.a. nach der Geburt ihres Babys besonders empfänglich für das Evangelium.) Auch in der Bibel sehen wir, dass die Menschen Gott loben, weil er eine Wasserquelle aufgezeigt hat oder die Assyrer besiegt hat oder eine Krankheit geheilt hat.
Das Besondere ist nun, dass Gott das Leid, das ja eigentlich ein Produkt des Bösen ist, ebenfalls verwendet, um sich zu offenbaren und seine Herrlichkeit und sein Wesen sichtbar zu machen.
Und nein: Gott macht das Leid nicht weg. Gottes Ziel ist es, von den Menschen erkannt zu werden. Gottes Ziel ist es nicht, die zwei Möglichkeiten außer Kraft zu setzen. Oder irgend eine Art von Schlaraffenland zu erschaffen. Gott will von den Menschen erkannt werden und durch dieses Erkennen von den Menschen geliebt werden. Und dieses Ziel erreicht er durch das, was wir landläufig „Segen“ nennen, aber genauso durch das angebliche Gegenteil.
Beispiele für die Verdrehung der Ergebnisse
Das bekannteste Beispiel dafür, dass Gott im Leid erkannt wird, ist die Geschichte von Hiob.
Hiob war am Anfang der Geschichte überdurchschnittlich gottesfürchtig, aber am Ende hatte er Gott „gesehen“, also eine völlig andere Art der Gotteserkenntnis erhalten.
Und das Leiden war wirklich böse. Es wurde vom Teufel eingesetzt, um Hiob zu Fall zu bringen. Durch Hiobs Glauben führte es aber dazu, dass er näher an Gott ran kam als jemals zuvor.
Da erkennt man schon das Prinzip: Dass Gott sich durch das Gegenteil von Erfolg und Wohlergehen und Stärke zu erkennen gibt, funktioniert nur bei Gläubigen und nur durch den Glauben.
Und dieses Prinzip zieht sich aber ohne Unterbrechung durch die ganze Bibel durch:
· Weil der Pharao die Tötung der israelitischen Jungen anordnete (2.Mose 1,16), darum wurde der größte Führer und Prophet des alten Testaments am ägyptischen Königshof erzogen und erhielt eine Ausbildung, die ihm später die Leitung eines ganzen Volkes ermöglichte.
· Der Segen für die ganze Welt ging nicht von irgend einem der Kinder Abrahams aus, sondern von dem, das er mit der Frau bekam, die keine Kinder bekommen konnte.
· Die Größe und Macht Gottes wurde nicht am Pharao sichtbar, sondern an denen, die er versklavt hatte.
· Der Größte unter euch soll aller Diener sein.
· Wer sein Leben verliert, wird es gewinnen.
· Gottes Kraft kommt in Schwachheit zur Vollendung (2.Kor 12,9).
· Der Blindgeborene war so, damit die Werke Gottes sichtbar würden (Jh 9,3).
· Der arme Lazarus landet im Himmel, nicht der erfolgreiche Reiche.
· Die Sanftmütigen werden das Land besitzen. (Das sind die letzten, von denen man es erwarten würde).
· Gott kommt nicht zu der Frau mit den 10 Kindern, sondern zu Hanna, Sarah, Frau des Manoach, Elisabeth.
· Die größten Propheten gab es in der größten Finsternis: Elia, Elisa, babylonische Gefangenschaft.
· Der Frau mit dem Parfüm wird der Vorzug gegeben vor den Armen, denen Judas das Geld geben wollte.
· Der Lobgesang der Maria erzählt ausführlich von diesem Prinzip.
· Die Gemeinde wird gebaut mit ungebildeten Männern, nicht mit Theologen.
· Liebt eure Feinde, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel seid (Mt 5,45).
· Die besten Briefe des Paulus wurden im Gefängnis geschrieben, nicht in der Wellness-Oase.
· Das Wort Gottes kam zum Täufer in die Wüste, nicht nach Rom oder Jerusalem oder Alexandria (Jh 3,1-2). Und es kam nicht zur kaiserlichen Familie oder zu den Hohepriestern, die man eigentlich für zuständig halten würde.
· Und natürlich als Krönung: Die Befreiung der Welt vom Bösen gelang durch einen, den die Mächtigen als Verbrecher hingerichtet hatten. Einer, der auf die drastischste Art unterdrückt wurde, wurde zum König der Welt.
Der Anti-Gott
Gott segnet nicht nur durch Leid und Niedrigkeit. Wenn Sie im Lotto gewinnen oder einen herrenlosen Lamborghini auf der Straße finden, dann greifen Sie ruhig zu.
Aber durch Leid und Niedrigkeit kann Gott genauso segnen wie durch Erfolg und Gelingen.
Das bedeutet, dass Gott absoluter Herr über die Dinge ist, die wir dem Teufel oder der Sünde zuschreiben. Die in unseren Augen schlechten Dinge stehen unter Gottes Herrschaft, und Gott kann mit ihnen nach Belieben verfahren. Damit ist bewiesen, dass der Teufel besiegt ist oder Gott der Stärkere ist.
Allerdings wird Gott in den allermeisten Fällen das Leid nicht beseitigen. Denn das ist nicht Gottes primäres Anliegen.
Das wäre auch ein bisschen schwierig, weil vieles, was wir als „Leid“ definieren, einfach nur unsere egoistischen subjektiven Empfindungen gegenüber einem eigentlich neutralen Ereignis sind.
Gottes primäres Anliegen ist die Beziehung zum Menschen.
Und diese Beziehung ist unabhängig davon, ob wir unser Leben gerade als freudvoll oder leidvoll erleben.
Wir sind gerne der Meinung, es ginge um unser Wohlergehen. Gott aber meint, es gehe um Gott.
Wir denken gerne, dass „Segen“ ist, wenn wir umfassendes Wohlergehen haben. Gott meint, Segen sei, wenn wir ihn erkennen.
Diese menschliche Auffassung von Segen geht natürlich nur in der Abwesenheit von Leid. Die göttliche Auffassung ist unabhängig von Glück oder Leid.
Weil der Mensch aber dazu neigt, die Götter immer nur dazu zu benutzen, sein eigenes Leid zu verringern, darum ist unser Gott eine Art Anti-Gott. Man kann ihn nicht dazu benutzen, das eigene subjektive Wohlergehen voranzutreiben. Denn Gott kann mit Leid genauso arbeiten wie mit Glück; rein sachlich ist es für Gott egal.
Schlusswort
„Gottes Beziehung zum Leid“ heißt dieser Artikel. Und da müssen wir sagen: Gott nimmt es zur Kenntnis.
Wenn Gott seine Ziele erreichen will, ist das Leid ihm nicht im Wege. Das Glück auch nicht. Da beide Gefühlszustände zwangsläufig sind (wegen der zwei Möglichkeiten), darum akzeptiert Gott beide, arbeitet mit beiden, benutzt beide.
Zweifellos ist die Abwesenheit von Leid in Gottes Augen besser, weshalb es im Himmel oder im neuen Jerusalem auch kein Leid und keine Träne mehr gegen wird. Aber da gibt es dann auch keinen freien Willen und keine zwei Möglichkeiten mehr.
Für unser irdisches Leben ist es keineswegs Gottes Ziel, das Leid zu minimieren.
Sein Ziel ist es, dass die Menschen ihn erkennen können. Umfassend. Vielseitig. Total.
Und dafür kann Gott sowohl Glück als auch Leid benutzen.