Homosexualität und Neues Testament

Dieses wird vermutlich der kürzeste Artikel, den ich jemals geschrieben habe.

Denn Homosexualität kommt im Neuen Testament praktisch nicht vor.

Es gibt dort öfter mal „Knabenschänder“. Aber das sind keine Schwulen in unserem heutigen Sinn, sondern das sind entweder Pädophile oder Leute, die Vergewaltigung als Machtmittel benutzen. Wir kennen das aus Gefängnissen und aus Kriegen. Es handelt sich nicht um Sex unter gleichberechtigten Männern.

Und 1.Kor 6,9 kennt noch die „Weichlinge“, welche die Elberfelder Bibel mit „Lustknaben“ übersetzt. Keine Ahnung, ob Paulus hier an Tempelprostituierte oder Stricher gedacht hat. Vom Sinn her scheint es auf das gleiche wie „Huren“ hinauszulaufen, nur eben männlich.

Ach, und dieser Artikel beschäftigt sich nur mit den Männern. Homosexualität bei Frauen wird in der Bibel überhaupt nicht thematisiert.

Der neue Schwule

Wenn wir heute in den Gemeinden mit Homosexualität konfrontiert sind, dann ist das etwas völlig anderes, als die Bibel es kennt.

Zwar hat es zu allen Zeiten in allen Gesellschaften auf allen Kontinenten immer etwa 4% Schwule unter den Männern gegeben.

Aber dass zwei Männer für ein Leben zusammenbleiben und im Extremfall sogar heiraten, das ist als Erscheinung neu. (Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die queeren Menschen diejenigen sein werden, die am vehementesten für die Ehe kämpfen?)

In der Zeit vor der Rentenversicherung war der Verzicht auf die heterosexuelle Ehe finanziell kaum darstellbar – man brauchte für das Alter Kinder, die einen versorgten und auf dem Hof Kinder, die mitarbeiteten.

Die jungen Männer wurden in der Regel auch nicht gefragt, ob sie heiraten wollten. Bis lange in die Neuzeit waren die meisten Menschen zwangsverheiratet – die Ehe wurde von den Eltern arrangiert und hatte mit der romantischen Idee der Liebesheirat in den allermeisten Fällen nichts zu tun.

Somit waren auch die schwulen Männer alle verheiratet. Die Möglichkeit, ein rein schwules Leben zu führen, existierte gar nicht.

Wenn also das Gesetz des Mose den Fall kennt, dass „ein Mann bei einem Mann liegt“, so war das etwas, dass parallel zur normalen Ehe geschah.

Darum kennt die Bibel auch gar kein Wort dafür, wenn ein Mann von Kindheit oder Jugend an sich ausschließlich zu Männern hingezogen fühlt und nur von Männern sexuell erregt wird. „Homosexualität“ als Prägung wurde von denen, die die alten Texte geschrieben haben, gar nicht verstanden. Folglich gibt es auch kein Wort dafür.

Das Gefährliche

Gesellschaftlich war die Duldung homosexueller Handlungen ein dauerndes Auf und Ab. Sie finden bei Wikipedia unter den Stichworten „§175 Strafgesetzbuch“ und „Sodomiterverfolgung“ lange Ausführungen darüber.

Im Allgemeinen wurde Homosexualität als opferlose Tat überhaupt nicht strafrechtlich verfolgt. Es gab schlicht keinen vernünftigen Grund, weil ja niemand geschädigt worden war. Allerdings kamen immer dann, wenn man einen Schuldigen brauchte oder eine Gruppe, an der man seine Wut auslassen konnte, die Homosexuellen sehr gelegen. Es gab nicht viele Menschengruppen, die man für den Ausbruch der Pest verantwortlich machen konnte. Und weil doch in der Bibel steht, dass Homosexualität Sünde ist, darum ist die Katastrophe, die uns getroffen hat, eine Folge des Zornes Gottes auf die Schwulen.

Hinzu kommt, dass die Ehe vor allem in den alten, patriarchalischen Gesellschaften einen hohen Stellenwert hatte. Nicht, weil man die Gemahlin so sehr liebte. Sondern weil die Ehefrau ein Besitz war, und weil die gesamte soziale Ordnung auf der Unantastbarkeit solcher Besitzstände beruhte. Diese hohe Meinung der Ehe ist auch keine christliche oder jüdische Erfindung. Als Gott zu Abimelech kam wegen der Sache mit Sara (Genesis 20), da wusste Abimelech von alleine, dass der Einbruch in eine Ehe so ziemlich das Schlimmste war, was man tun konnte. Ein Gesetz des Mose, das ihm das mitgeteilt hätte, gab es noch nicht.

Und wenn jetzt jemand kommt und die normale Ehe in Frage stellt, indem er eines ihrer Alleinstellungsmerkmale, nämlich den Sex, sowohl aus der Ehe als auch aus der Beziehung zu einer Frau herausnimmt – also eine grundsätzliche Alternative zur Ehe liefert – sowas kommt im Dorf nicht gut an.

Da hinein mischte sich noch die Frage der „Ehre“, die wir heute noch aus arabisch geprägten Ländern kennen. Dieser Begriff und sein Inhalt sind für gebürtige Westeuropäer nicht verständlich, für den Orientalen bricht aber beim Angriff auf seine Ehre seine Welt zusammen. Wenn man also einen schwulen Sohn hatte (oder heute hat), war das bezüglich der Ehre der Familie oder des Vaters eine ziemliche Katastrophe.

Wenn Gott also im mosaischen Gesetz die Ehe gegen alle möglichen Einflüsse schützt (einschließlich der Homosexualität), dann macht er das nicht, damit die Engel im Himmel ein Vorbild für ihre heiligen himmlischen Ehen haben. Sondern er macht das, weil die Ehe die Grundlage für eine funktionierende Gesellschaft war und von den Menschen, die zu Gott gehörten, als außerordentlich wichtig angesehen wurde.

(In Genesis 20 schützt Gott auch nicht die Ehe. Er schützt Sara.)

Addieren Sie jetzt zu all dem noch den Aspekt der Unverständlichkeit und des Skurrilen. Für heterosexuelle Menschen war und ist es völlig unverständlich, wie man homosexuell empfinden und handeln kann. Das ist jenseits des eigenen Vorstellungsvermögens; das ist fremd und befremdlich, rätselhaft und unvorstellbar. Und Dinge, die einem so fremd sind, empfindet man schnell als gefährlich.

Zusammenfassung dieses Abschnitts: Der Einzige, für den Homosexualität völlig ungefährlich ist, ist Gott. Ansonsten haben wir eine ziemlich chaotische Gemengelage von Ängsten und Befürchtungen in Verbindung mit einem der stärksten Triebe des Menschen, den man irgendwie kontrollieren will.

Das Heilige am Sex

Man hat in christlichen Kreisen immer den Eindruck erweckt, dass das Heilige und Unverletzbare an der Sexualität der körperliche Vorgang sei.

Aber schon im Alten Testament ist der körperliche Vorgang keineswegs unantastbar und heilig.

·         Wenn der Ehepartner gestorben war, konnte man körperlich mit jemand anderen. Auch mehrfach. Die Pharisäer hatten in ihrer Geschichte eine Frau mit 7 Männern in Folge.

·         Bei der Leviratsehe war der Mann sogar verpflichtet, den körperlichen Vorgang mit einer weiteren Frau zu vollziehen.

·         Hosea musste in Hosea 3 seine ehebrecherische Frau wieder heiraten. Die Enthaltsamkeit für ihn und diese Frau war nicht auf Dauer angelegt, sondern nur als vorübergehendes Zeichen. Wenn ein Prophet eine Hure heiraten soll, dann ist es mit der Heiligkeit der Sexualität nicht weit her.

·         1.Kor 7,15 erlaubt die Scheidung nach Bekehrung und damit wohl auch eine neue Ehe. Eine Scheidung um der Scheidung willen macht hier keinen Sinn. Hier ist der Glaube also wichtiger als die sexuelle Treue.

·         Abraham, Jakob, David und Salomo (um nur einige zu nennen) hatten mehrere Frauen gleichzeitig, ohne dass das in sexueller Hinsicht kritisiert wurde. Die Kritik bei Salomo bezieht sich darauf, dass diese Frauen ihn zum Anbeten anderer Götter verführten.

·         Wenn in 1.Tim 3,2 extra darauf hingewiesen wird, dass der Älteste mit nur einer Frau verheiratet sein soll, dann weist das darauf hin, dass das auch in der Gemeinde nicht selbstverständlich war.

Das Heilige an der Ehe ist also nicht der körperliche Teil, sondern es ist die Treue.

Die Treue ist deshalb wichtig, weil Untreue in der Regel ein Opfer, einen Geschädigten hinterlässt. Und Gott schützt nun einmal die Schwachen.

Es geht allerdings nicht um die Treue zu einem geliebten Menschen. In den meisten Fällen war man nicht mit jemandem verheiratet, den man heiß und innig liebte. Die Ehe war ein Vertrag, geschlossen in der Regel von den Eltern. Diesem Vertrag war man treu. So wie Gott uns auch nicht treu ist, weil er in uns verknallt ist, sondern weil er einen Vertrag mit uns hat.

Wenn ein Mann beim Manne liegt, wird also aufgrund des körperlichen Vorgangs nichts Heiliges beschädigt. Erst wenn damit die Treue gebrochen wird, egal ob gegen einen anderen Mann oder eine Frau, dann ist es Sünde.

Und übrigens:

Weder die Geschichte von Sodom und Gomorrha (Genesis 19,5) noch die Geschichte von Gibea (Richter 19,22) handeln von Homosexualität. So viele aggressive Schwule gab es weder in Sodom noch in Gibea. In beiden Geschichten geht es um Fremdenhass und um ein Verbrechen gegen die Gastfreundschaft.

Und noch ein Übrigens: Es wird von den Strenggläubigen immer so getan, als wenn die Schwulen einfach nur lasterhaft und verdorben sind und deshalb mit Wonne sündigen. Es ist aber keineswegs so, dass ein 14jähriger Junge, der entdeckt, dass er schwul ist, nun juchzt und jubelt und sagt: „Juchu, ich bin schwul, das habe ich mir immer gewünscht!“ Schwul zu sein ist für niemanden schön. Man arrangiert sich halt damit, weil es keine Alternative gibt.

Die Schande im Römerbrief

Da es im Neuen Testament im Grunde keinen Text gegen Homosexuelle in unserem heutigen Sinn gibt, darum wird gern die folgende Stelle gegen die Homosexualität herangezogen: Römer 1,27

27 und ebenso haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen, sind in ihrer Begierde zueinander entbrannt, indem die Männer mit Männern Schande trieben, und empfingen den gebührenden Lohn ihrer Verirrung an sich selbst.

Der Fehler ist zum Einen, dass Paulus hier Strafen aufzählt, die Gott den Menschen auferlegt hat, die seit der Schöpfung anhand der Schöpfung hätten erkennen können, dass es Gott gibt, ihn aber ignoriert haben. „Gott hat sie dahingegeben“, dieses oder jenes zu tun, heißt es in diesem Abschnitt mehrmals. Es geht überhaupt nicht darum, was in der Gemeinde oder unter Christen erlaubt ist. Sondern es geht darum, was die Sünde in dieser Welt anrichtet. Der Text sagt nicht: Diese Leute tun das freiwillig. Er sagt: Gott hat sie dazu verurteilt.

Der Fehler ist zum anderen, dass Paulus hier offenbar an ein bestimmtes Ereignis denkt und nicht primär an die Schwulen allgemein. Denn er beschreibt ja, dass diese Männer den gebührenden Lohn für ihr Handeln an sich selbst empfangen haben. Das ist ja nun nichts, was man über alle Homosexuellen sagen kann. Vermutlich dachte Paulus hier an die Geschichte von den Engeln in Sodom. Dort hat das mit den Konsequenzen gestimmt.

Um eine Regel über Homosexualität in der Gemeinde aufzustellen, taugt diese Bibelstelle nichts.

Warum das Thema überhaupt vorkommt

Nun könnte man sich fragen, warum das Thema Homosexualität in der Bibel überhaupt vorkommt, wenn Gott eigentlich mit der Sache als solcher gar kein Problem hat.

Das könnte man sich natürlich bei manch anderem Thema fragen.

Gott spricht immer in die gesellschaftliche Situation hinein, die er vorfindet.

Gott schafft keine neue gesellschaftliche Situation. Er verändert auch die gegebene nicht.

Darum gibt es weder von Gott noch von Jesus und auch nicht von Paulus einen Aufruf zum Aufstand gegen das römische Reich.

Darum gibt es von den Propheten keinen Aufruf an die verschleppten Juden zur Revolte gegen Babylon. Oder vorher gegen Assyrien. Oder später gegen die Perser.

Und wenn es in einer Gesellschaft die Regel der weiblichen Kopfbedeckung gibt, dann wird Gott die Regel übernehmen.

Und wenn es in einer Gesellschaft Sklaverei gibt, wird Gott das Prinzip so stehen lassen. (Ob Gott einzelne Sklaven oder die Israeliten befreit, ist eine andere Frage. Aber die Sklaverei als solche schafft Gott nicht ab.)

So hat Paulus in 1.Kor 5 ein Verhalten als Sünde schlimmer als bei den Heiden bezeichnet, wo wir heute nur mit dem Kopf schütteln. Dass ein Mann die Frau seines Vaters übernimmt, ist vielleicht nicht alltäglich. Aber einen moralischen Shitstorm gibt es in unserer Gesellschaft für sowas nicht. Verboten ist es auch nicht.

Ähnlich bei Noahs Söhnen: Dass einer von denen seinen Vater nackt gesehen hat, wird ihm als schwere Sünde angerechnet. Heute gehen Väter und Söhne zusammen an den FKK-Strand.

Und wenn in einer Gesellschaft Homosexualität als ganz entsetzlich eingestuft wird, wird Gott das erstmal übernehmen.

Und wenn eine Gesellschaft die Todesstrafe verlangt, wird Gott das erstmal übernehmen.

Wenn es in einer Gesellschaft keine Gleichberechtigung der Frauen gibt, wird Gott das erstmal übernehmen. Wenn es die Gleichberechtigung gibt, wird Gott das ebenfalls übernehmen.

Wenn eine Gesellschaft sich verändert, ist Gott immer vorne mit dabei, die Entwicklung zu größerer Liebe voranzutreiben. Aber Gott wird sich in grundsätzlichen Fragen nicht gegen die Gesellschaft stellen. Gott braucht die Menschen als Partner, nicht als Gegner.

… es ist halt schlecht vorstellbar, dass Gott den Taliban einlädt, Gottes Kind zu werden, aber vorher (oder spätestens 3 Monate nach seiner Bekehrung) muss der Taliban für die Gleichberechtigung der Frauen sein, seine Töchter aufs Gymnasium schicken, die Todesstrafe verabscheuen und die Demokratie für die beste Staatsform halten. Nein, es ist für Gott wichtiger, dass der Taliban aus der Hand des Teufels befreit wird, als dass der Taliban sich eine westliche Denkweise aneignet.

Zusammenfassung

Wenn Paulus (oder Gott) sich gegen Homosexualität äußert, dann geht es nicht um den Sex an sich.

Sondern es geht um die 3 Komponenten, um die es dem Paulus bei moralischen Fragen immer geht:

·         Die Liebe geht vor allem. Damit ist Treue ein hoher Wert, denn Untreue lässt ein Opfer zurück – einen Menschen, der leidet. Ebenso das Schänden der Knaben. Da übt ein Stärkerer Macht aus über einen Schwächeren. Laut Jesus soll es aber andersrum sein: Der Stärkere soll dem Schwächeren dienen.

·         Die Unauffälligkeit der Gemeinde innerhalb der Gesellschaft. Das Evangelium ist an sich krass genug. Wenn die Gemeinde zusätzlich noch durch allerlei obskure Machenschaften auffällt, dann will bald kein normaler Mensch mehr zu Jesus gehören, weil in der Gemeinde nur Verrückte und Gestörte sind.

·         Die Christen sollen das beste Leben performen, das die aktuelle Gesellschaft sich vorstellen kann. Mit den höchsten moralischen Werten, abseits irgendwelcher moralischer Trends. Und dann sollen die Christen noch 10% oben drauf legen. Im Alten Testament galt aber „als Mann bei einem Mann liegen“ nicht als etwas heldenhafte, vorbildliches. Von so einem Menschen hat die nächste Generation abends beim Lagerfeuer nicht mehr erzählt.

Wenn wir heute versuchen, eine Stellung zum Christsein schwuler Paare zu finden, dann gelten diese Kriterien immer noch. Allerdings haben sich die moralischen Standards in unserer westlichen Gesellschaft stark verändert. Heute gilt man eher als schräg, wenn man Homosexuelle ausschließt. Daran wird unsere Haltung sich orientieren müssen.

Trotzdem gilt: Was in einer heterosexuellen Partnerschaft nicht als gut gilt, ist in einer gleichgeschlechtlichen genauso schlecht.