Historische Unglaubwürdigkeit der Bibel – muss man das wissen?

Insbesondere unter den fundamentalistischen Christen ist es ein wichtiger Glaubensgrundsatz, dass die Bibel absolut fehlerfrei ist.

Das bedeutet für diese Christen, dass alle „historischen“ Angaben der Bibel stimmen.

Das bedeutet auch, dass alle „naturwissenschaftlichen“ Aussagen der Bibel stimmen. Wenn also im Gesetz des Mose ein Tier als wiederkäuend beschrieben ist, das wir heute nicht mehr als wiederkäuend beschreiben würden, dann liegt der Fehler bei uns, nicht beim biblischen Autor.

Die historische Zuverlässigkeit beinhaltet auch die Tatsache, dass derjenige, der in unserer Bibel als Autor angegeben ist („ein Psalm Davids“), dann auch tatsächlich der Autor ist und das mit seinem eigenen Kugelschreiber niedergeschrieben hat.Frankfurt am Main

Das geht bei den „bibeltreuen“ Christen sogar soweit, dass die Überschrift, die in den deutschen Bibel steht, ebenfalls die unfehlbare Wahrheit darstellt. Folglich behaupten diese Christen dann, dass die 5 Bücher Mose von Mose geschrieben wurden, obwohl der Bibeltext selbst das gar nicht behauptet, und das Matthäus-Evangelium ist selbstverständlich von Levi geschrieben und das Buch Daniel komplett von einer Person mit diesem Namen.

Nur zum Verständnis

Wenn ich hier die historische Glaubwürdigkeit der Bibel als nicht in jeder Hinsicht gegeben darstelle, dann gehe ich trotzdem davon aus, dass die Bibel das Wort Gottes enthält. Die Autorenschaft der einzelnen biblischen Bücher sagt nichts über die Göttlichkeit des Inhalts.

Denn bei den Büchern Könige und Chronik wissen auch die fundamentalistischen Christen nicht, wer diese Bücher geschrieben hat, und trotzdem enthalten diese Bücher das Wort Gottes. Auch bei vielen Psalmen steht kein Autor drüber, und die Autorenschaft des Hebräerbriefes wird wohl bis ans Ende der Welt ein Rätsel bleiben. Trotzdem gehören alle diese Schriften zum Wort Gottes.

Denn ob Gott aus diesem Schriftstück spricht, ist nicht vom Autor abhängig. Es ist von Gott abhängig und, ja, auch vom Leser. Vielleicht kennen Sie das Sprichwort über Bücher: „Bücher sind wie ein Spiegel. Wenn ein Affe hineinschaut, kann kein Weiser herausschauen.“ Das gilt natürlich auch für die Beschaffenheit der Bibel als Gottes Wort. Wenn da jemand hineinschaut, der nur seine eigene Meinung finden will, dann wird derjenige Gottes Meinung nicht hören.

Die Definition von „wahr“

Eine der Ursachen für diese Sichtweise der bibeltreuen Christen ist ein sehr begrenztes Verständnis von Wahrheit. „Wahr“ ist für diese Menschen nur, was auch historisch wahr ist.

Diese Sichtweise würde für denkende Menschen schnell in einer Sackgasse enden, aber die „bibeltreuen“ Christen hören an der Stelle einfach zu denken auf. Der erste und der zweite Schöpfungsbericht widersprechen sich diametral, es kann also höchstens einer der beiden historisch war sein – aber an der Stelle gibt es für die Fundamentalisten ein Denkverbot, an das sie sich auch halten.

Nun sind die beiden Schöpfungsberichte selbstverständlich wahr. Sie sind Gottes Wort, und sie geben den Willen und die Meinung Gottes fehlerfrei wieder.

Allerdings geben diese Texte nicht das wieder, was der Leser den Texten befiehlt, was sie gefälligst wiederzugeben haben.

So geben die Texte zuerst einmal das wieder, was der Autor mitteilen wollte. Derjenige, der den ersten Schöpfungsbericht geschrieben hat, wollte der Menschheit etwas Bestimmtes über Gottes Handeln, Gottes Wesen und Gottes Willen mitteilen. Es ist fraglich, ob der Autor der Menschheit mitteilen wollte, dass die Welt in 7 Tagen zu 24 Stunden geschaffen wurde. Der Autor benutzt die Einteilung in 7 Tage nicht, um einen minutiös genauen historischen Bericht über das Schöpfungsgeschehen abzuliefern. Er will mit der Wahl dieses Schemas etwas ganz anderes sagen. Das, was er auf diese Weise sagen will, ist allerdings wahr.

An zweiter Stelle geben die Texte das wieder, was Gott sagen will. Wer hier an der Stelle stehen bleibt, dass Gott uns mitteilen will, dass er die Welt in 7 Tagen zu 24 Stunden geschaffen hat, der verpasst die eigentliche Botschaft.

Die Literaturgattung

Für die Fundamentalisten ist eine erfundene Geschichte nicht wahr.

Was sie ja, historisch betrachtet, auch nicht ist.

Damit wären aber alle Gleichnisse Jesu auch nicht wahr. Denn sie sind frei erfunden. Auch die Geschichte vom barmherzigen Samariter wäre nicht wahr, und die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus auch nicht. Und vom verlorenen Sohn, vom verlorenen Geldstück und vom verlorenen Schaf. Alles erfundene Geschichten. „Prosa“ würden wir heute sagen, oder wir würden die Untergattung der Prosa benennen wie Märchen, Fabel, Gleichnis, Weisheitsrede.

Viele Dinge, die es über Gott zu sagen gibt, lassen sich nicht mit Begriffen menschlicher rationaler wissenschaftlicher Wahrheit sagen. Für vieles, was auf Gott zutrifft, haben wir noch nicht einmal Worte. Folglich muss man, wenn man das Wesen und den Willen Gottes beschreiben will, andere Ausdrucksformen benutzen als die eines wissenschaftlichen Berichtes oder einer historischen Reportage.

Dann sind solche Märchen oder Geschichten aber trotzdem wahr. Sie sind wahr in dem, was sie über Gott sagen. Nur dass sie dieses nicht in wissenschaftlicher Eindeutigkeit sagen, sondern in umschreibenden Literaturformen.

Warten Sie also bitte nicht darauf, dass Sie irgendwo einen Löwen tatsächlich Stroh fressen sehen, um dann auszurufen: „Jetzt ist das Reich Gottes da!“ Jesaja 11,7 und Jesaja 65,25 sind anders gemeint.

Wovon auszugehen ist

Wir müssen (leider) davon ausgehen, dass die historische Zuverlässigkeit der Bibel in vieler Hinsicht eher mau ist. Natürlich haben die Könige, von denen die Bibel erzählt, tatsächlich gelebt, und die Erdbeben haben stattgefunden, und die Kriege haben tatsächlich viele Todesopfer gefordert.auf Schienen gehen

Aber vieles ist dann doch Interpretation und nicht Tatsache. Was einen eigentlich nicht überraschen sollte: Die Bibel will Gottes Sicht auf die Dinge wiedergeben, nicht eine meinungsfreie glasklare gefühllose Berichterstattung. Die Bibel ist Meinung. In den meisten Fällen: Gottes Meinung. Damit ist die Bibel natürlich wahr, denn Gottes Meinung über die Dinge ist ohne Abstriche zutreffend. Aber die Bibel ist nicht historisch wahr. War auch nie ihre Absicht. Ist nur die Absicht der „bibeltreuen“ Christen, die meinen, die Bibel müsse vor der Aufklärung bestehen können. Muss sie aber gar nicht. Wollte sie auch nie.

Des Weiteren ist auch davon auszugehen, dass in den meisten Fällen die angenommene Autorenschaft der biblischen Bücher nicht stimmt. Vor allem im Alten Testament können Sie die meisten Autorenangaben vergessen.

Dass das den Fundamentalisten Bauschmerzen macht, hängt damit zusammen, dass jene ihr eigenes Autorenverständnis und das ihrer eigenen Zeit auf die Bibel übertragen.

Aber im Altertum war die Frage der Autorenschaft überhaupt nicht wichtig. Die Autoren blieben meistens unbekannt, oft auch deshalb, weil viele bedeutende Schriften gar nicht von einem einzelnen Autor geschrieben wurden, sondern von einer Gruppe. Dass wir heute Bücher im Laden kaufen können, auf deren Deckel der Name des Autors größer geschrieben ist als der Titel des Buches, war im Altertum nicht denkbar. Man schrieb nicht, um berühmt zu werden, sondern um der Sache und des Themas willen. Oft eben auch: Um eines Gottes Willen. Wer sich als Diener oder Sprachrohr Gottes versteht, schreibt nicht in Fettdruck seinen eigenen Namen vorne drauf. Er schreibt Gottes Namen in Fettdruck.

Muss man das wissen?

Dieser Artikel will ja die Frage beantworten, ob man das mit der mangelnden historischen Glaubwürdigkeit der Bibel wissen muss.

Kann man die Bibel nicht lesen und dabei alles wörtlich nehmen?

Zweifellos gibt es Texte, die sollen Sie genau so verstehen, wie das dort geschrieben wurde. Wenn ein Autor über seinen Text drüber schreibt, dass der von David ist, dann ist es ja beabsichtigt, dass Sie diesen Text genau so lesen, als wäre er von David. Der Autor hat ja extra so geschrieben, dass er wiedergeben wollte, was David in dieser oder jeder Situation gedacht hätte.

Wenn Sie heute eine Biografie von Napoleon lesen, die in der Ich-Form geschrieben ist, dann wissen Sie natürlich, dass die nicht von Napoleon ist. Sie sollen aber durch das Buch erfahren, wie Napoleon in dieser oder jener Situation gedacht hat. Und Sie werden das Buch so lesen, als wäre es von Napoleon. Obwohl Sie natürlich eigentlich wissen, dass es nicht von Napoleon geschrieben wurde.

Bei Texten, wo also ausdrücklich drüber steht, wen Sie als Autor ansehen sollen, da ist es vernünftig und entspricht der Absicht des Textes, wenn sie ihn mit genau diesen Augen lesen.

Wenn Sie den zweiten Teil von Jesaja (ab Kapitel 40) so lesen, dass er eine nahtlose Fortsetzung des ersten Teils ist, dann entsprechen Sie damit dem Willen des Autor. Darum wurde dieser zweite Teil an den ersten Teil drangehängt, weil er als dessen Weiterführung (im Sinne des Autors des ersten Teils) verstanden werden sollte.

Wenn Sie das aber wissen, dass der zweite Teil viel jünger ist als der erste, dann werden Sie nicht über die ansonsten unverständlichen historischen Bezüge stolpern. Denn die Lebensumgebung des zweiten Teils ist eine andere als die des ersten Teils. Aber die geistliche Aussage ist aus einem Guss, deshalb wurden die Texte miteinander kombiniert.

Und dann wird es Texte geben, die werden Sie schlicht nicht verstehen, wenn Sie denken, diese Texte seien historisch zuverlässig. Dazu gehört das Buch Genesis genauso wie das Buch Hiob. Wenn Sie den ersten Schöpfungsbericht auf 7 Tage zu 24 Stunden reduzieren, dann haben Sie von Gottes Wort in diesem Bericht nichts gehört. Diese Erzählungen sind von einer ungeheuren Größe und unvergleichlichen Tiefe, aber genau das erreichen sie nur, weil sie weit über zeitgebundene Historie hinausgehen.

Zusatz:

Die wenigen Aussagen über den König Omri von Israel, welche die Bibel bietet, werden Sie natürlich auch ohne die tatsächlichen historischen Informationen über diesen König verstehen. Das ist so kurz, dass es auch kurz wiedergegeben ist: Gott mag ihn nicht. Gott achtet ihn nicht.

Wenn Sie aber die tatsächlichen historischen Informationen über diesen König kennen (die Ihnen die Bibel nicht bietet), dann werden Sie den Bibeltext in einem weit höherem Maß verstehen und werden zu einem viel tieferen Verständnis Gottes und zu einer weit innigeren Anbetung Gottes kommen als ohne diese außerbiblischen historischen Informationen.

Müssen Sie es also wissen?

Ja.

Genießen Sie die Forschungsergebnisse der Theologie, auch die der historisch-kritischen Methode. Deren wissenschaftliche Erkenntnisse sollten Ihren Glauben vertiefen, nicht ruinieren. (Laut Römer 8,28 soll alles zu Ihrem Vorteil sein, auch dieses.)

Wo Ihnen so ein Wissenschaftler aber erzählen will, dass das, was da geschrieben steht, nicht Gottes Wort sei, sondern „nur“ Literatur, da widerstehen Sie.

Denn natürlich ist die Bibel Literatur. Sie ist ja geschrieben, gedruckt und in Büchern gebunden oder auf Ihrem Bildschirm zusammengefasst. Was soll so etwas sein außer Literatur? Ein Pfund Mayonnaise?

Die Bibel ist Gottes Wort. Sie will Ihnen das sagen, was Gott Ihnen sagen will. Sie macht das mittels vieler verschiedener Literaturformen. Nicht nur mittels historisch wahrer Dokumentationen.

Lesen Sie also das Buch „Richter“, von dem Sie nicht wissen, wer es geschrieben hat, und fragen Sie sich, was der Autor auf der einen Seite Ihnen sagen will – warum hat der dieses Buch geschrieben? Was wollte der? - und fragen Sie sich, was Gott auf der anderen Seite Ihnen durch dieses Buch, so wie es jetzt dasteht, sagen will.

Und nein: es ist nicht historisch.

Es ist göttlich.