Ein lebendiger (!) Gott 

Immer wieder betont die Bibel, dass Gott ein lebendiger Gott ist.

Was die Christen daraus gemacht haben, ist: Er redet, und er zappelt.

Und denken kann er auch.

Aber eigentlich müssten wir doch, wenn wir „Leben“ oder „Lebendigkeit“ beschreiben, von uns ausgehen.

Oder von allem anderen Leben, das wir kennen.

Denn Gott hat uns ja vermutlich eine Welt voller Leben gegeben, damit wir wenigstens ansatzweise verstehen können, wie er ist.

Und wohl auch, damit wir eine Empfindung für das haben, was wir bekommen werden, wenn wir Gott gleich sein werden.

Wenn wir aber unser Leben und das der Bäume und der Schmetterlinge anschauen, dann ist es vor allem eins, das Leben ausmacht: Veränderung.

Alles, was lebt, muss sich zwangsweise laufend verändern.

Was sich nicht verändert, lebt nicht mehr.

Der Mensch, der hier schreibt, war vor 10 Jahren so nicht vorhanden.

Denn alle menschlichen Zellen erneuern sich im Rhythmus von etwa 7 Jahren.

Alles, was Sie heute von mir sehen, war vor 10 Jahren noch nicht da.

(Und wenn Sie mich vor 10 Jahren gesehen haben und seitdem nicht mehr, würden Sie heute auch ohne das Wissen über den Zelltod sagen, dass ich mich verändert habe.)

Evangelikaler Beton

Auch bei den evangelikalen Christen ist es Sitte, zu behaupten, Gott sei so oder so.

Dazu benutzt man dann Bibelstellen, die diese Eigenschaft Gottes beschreiben, und die man gerne in Beton gegossen hätte.

Gott wird sowohl in der liberalen Theologie als auch unter den „erweckten“ Gläubigen behandelt wie eine Milchkanne: Unveränderlich, beschreibbar, festlegbar.

Statisch.

Das, was man den Halbgläubigen oder den anderen Religionen gerne zum Vorwurf macht, macht man in Wahrheit selber.

Aber während viele Ungläubige Gott als statisch in dem Sinne sehen, dass der nicht handelt und sich nicht einmischt, aber schon irgendwie vorhanden ist, schreiben die Christen die Betoneigenschaften dem Handeln Gottes zu:

Gott ist barmherzig.

Gott ist allmächtig.

Und dazu gibt es ja auch jede Menge Bibelstellen.

Dass es auch jede Menge anderer Bibelstellen gibt, blendet man aus.

Dass ein Mensch, der bezüglich seiner Reaktion auf x keine Wahlmöglichkeit hat, sondern festgelegt ist („barmherzig“, „allmächtig“), gar nicht mehr lebt, geht ihnen nicht auf.

Aber tatsächlich ist es ein Merkmal vor allem höheren Lebens, immer eine Wahlmöglichkeit zu haben.

(Wenn Sie es nicht glauben, lesen Sie mal über Ruderalfluren. Ob der Same der Birke keimt oder nicht, entscheidet er schon selber. Und ob der Same der Königskerze oder der Kronen-Lichtnelke keimt, entscheidet der auch selber. Wenn dem die Gegend nicht passt, keimt der nicht. Die beiden letztgenannten Blumen keimen z.B. nur, wenn genügend Steine in der Nähe sind.)

Barmherzig

Natürlich ist Gott in gewissen Bezügen barmherzig.

Und immer, wenn diese Eigenschaft Gottes in der Bibel beschrieben ist, steht sie in einem bestimmten Zusammenhang.

Und in diesem Zusammenhang ist Gott barmherzig.

Gegen Ananias und Saphira nicht.

Gegen Agag, König der Amalekiter, nicht.

Gegen Judas Iskariot nicht.

Gegen den Pharao unter Mose nicht.

Gegen Korach und seine Familie nicht.

Gegen die Kanaaniter nicht.

Gegen Ehebrecher nicht. (Hebräer 13,4; 2.Petrus 2,10; Offenbarung 22,15)

Gegen die Baalspropheten nicht, und gegen Königin Atalja auch nicht. Von deren Söhnen Joram und Ahasja gar nicht zu reden.

Diese Aufzählung lässt auf hundert Beispiele verlängern. Aber soviel Text wollten Sie vermutlich nicht lesen.

Allmächtig

Natürlich ist Gott in gewissen Bezügen allmächtig. Er ist offenbar das stärkste Wesen, das existiert. Da kann man schon etwas erwarten.

Aber immer, wenn diese Eigenschaft Gottes in der Bibel beschrieben ist, steht sie in einem bestimmten Zusammenhang.

Und in diesem Zusammenhang ist Gott allmächtig.

Aber eine Sintflut zur Vernichtung der schlechten Menschen kann Gott nicht mehr durchführen.

Diese Macht hat er nicht (mehr).

Sicher, er hat sie sich selber genommen. (Wer sonst hätte sie ihm nehmen sollen?)

Trotzdem ist Fakt: Er hat diese Macht nicht mehr.

Das Gleiche gilt für die Macht, einen Menschen zu verdammen, der sich reinen Herzens auf Jesus beruft.

Oder für die Macht, sich von einem Menschen, der Gott von ganzem Herzen sucht, nicht finden zu lassen.

Auch diese Aufzählung ließe sich sehr verlängern.

Denn jede Zusage Gottes begrenzt automatisch Gottes Macht, weil sie Gottes Wahlmöglichkeiten einschränkt.

keine Aussage möglich

Was ich in den letzten Absätzen beschrieben habe, ist das, was die Gläubigen über Jahrtausende hinweg immer wieder verunsichert hat:

Sie dachten, Gott sei so oder so.

Sie erwarteten, Gott würde so oder so handeln.

Weil das ja so in seinem Wort steht.

Aber Gott entspricht nicht den menschlichen Vorstellungen, und er handelt nicht nach den menschlichen Erwartungen, selbst wenn diese gut recherchiert sind.

Denn Gott ist lebendig, und damit in ständiger Veränderung und sehr flexibel.

Darum hat er sich bei Mose auch mit keinem anderen Namen als mit der Beschreibung seiner gegenwärtigen Existenz vorgestellt. Er hat sich nicht festlegen lassen.

(Manchmal bewundert man ja die Naivität der Gläubigen: Das Handeln des eigenen Ehepartners können sie nicht voraussagen, sondern sind immer wieder fassungslos oder freudig überrascht, aber das Verhalten Gottes, der ja nun einige Möglichkeiten mehr hat als der Ehepartner, das kann man voraussagen.)

Nun brauchen Sie Ihre Bibel nicht wegzuwerfen.

Denn genau sie informiert uns ja über die ständige Veränderbarkeit Gottes.

Über Gottes Flexibilität.

(Sollten Sie eine Bibelstelle finden, in der steht, dass Gott immer der Gleiche ist und unwandelbar, dann müssen Sie trotzdem den Beton draußen lassen: Gott ist tatsächlich immer der Gleiche, nämlich der Lebendige, und er ist in der Tat unwandelbar, nämlich unwandelbar flexibel. Der wird niemals unflexibel.)

Aber gerade weil uns die Bibel über Gottes Lebendigkeit informiert, ist die einzige Methode, an zuverlässige Aussagen über das aktuelle Handeln Gottes zu kommen, die Begegnung mit ihm.

Der ist lebendig: Fragen Sie ihn!

Was der Wille Gottes für diese oder jene Situation ist, bekommen Sie im Zweifelsfall nur raus, wenn Sie hören.

Nicht lesen.

Nicht Bibelstellen gegeneinander abwägen.

Nicht Literaturanalyse.

Das müssen Sie mit Thomas Mann machen. Der ist nämlich tot. Den können Sie nicht mehr fragen.

„Heiliger Geist“ ist dazu da, mit einem lebendigen Gott tatsächlich in Kontakt zu treten. Und weil dieser lebendige Gott aber so unbeschreiblich anders ist als die Menschen und Kommunikation zwischen Gott und Mensch darum theoretisch so gut möglich ist wie Kommunikation zwischen Mensch und Ameise, darum hat Gott den Heiligen Geist geschickt als verbindendes Glied zwischen ihm und uns.

Unverständlich

Natürlich ist es für uns Menschen unverständlich, wie ein perfektes Wesen sich ständig verändern kann.

(Vielleicht liegt Gottes Perfektion aber gerade in seiner Wandelbarkeit. Wenn jemand immer alles sein kann, ist das vielleicht der höchste Grad der Perfektion.)

Wie man sich in einem Bereich, in dem es keine Zeit gibt, trotzdem verändern kann und lebendig sein kann, ist für uns nicht vorstellbar.

Uns hat Gott die Zeit gegeben, damit wir ein bisschen erleben können, wie Lebendigkeit funktioniert. (In unserem Universum ist „Leben“ zwingend vom Vorhandensein von Zeit abhängig, also von Abläufen.)

Gott braucht keine Zeit und hat vermutlich trotzdem mehr Leben als wir alle zusammen.

Aber Sie müssen es auch nicht verstehen.

Sie müssen es anwenden.

Die Bibel ist nicht zum Zwecke Ihrer intellektuellen Ertüchtigung geschrieben.

Sondern um Sie zu realitätsnahem Handeln zu befähigen.

Behandeln Sie Gott also bitte so, als wenn er tatsächlich lebendig wäre.