Gebetsspaziergang

Nein, so ganz der heiße Scheiß ist es nicht mehr.

Aber neue Ideen halten sich in der Christenheit lange, weil neue Ideen so selten sind.

Und der Einfluss des Buddhismus auf die westliche Welt hat auch schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel.

Und wenn man dann auch noch so einen bequemen Ausweg aus der christlichen Misere hat, dann hält man dieses Surrogat gerne lange fest.

Wer will

Um die Tendenz dieses Artikels richtig zu verstehen:

Gebetsspaziergänge sind nicht Sünde.

Und wer diese Vorgehensweise mag, der soll sie praktizieren. Vielleicht ist es zumindest besser als nichts.

Aber im Großen und Ganzen sind Gebetsspaziergänge ein Armutszeugnis für die Gemeinde.

Sachdienlicher Hinweis

Nur, damit wir wissen, wovon wir reden: Gebetsspaziergänge gibt es prinzipiell mit zwei Zielen:

·         Die Mission. Also für die Menschen beten, die man trifft, damit sie letztlich Gott kennen lernen. Oder damit der Geist Gottes im Quartier präsenter wird und so irgendwie die Mission und das Reich Gottes vorangetrieben werden. (= damit die Menschen zugänglicher werden für Gott).

·         Das Wegbeten von Dämonen oder anderen satanischen Einflüssen. Man geht an Orte, von denen man vermutet, dass sie eine besondere Bastion des Teufels sind, und umrundet sie betend wie einst in Jericho, um dem Teufel auf diese Weise zu wehren. (Ja, ist Quatsch, weil Dämonen in der Bibel niemals weggebetet werden. Dämonen befiehlt man. Oder sie verschwinden, weil dauerhaft soviel Jesus anwesend ist, dass sie sich nicht halten können. Aber gelegentliches Beten vertreibt keine Dämonen und keinen satanischen Einfluss.)

Theologische Argumentation

Es gibt eine Art zu beten, der wird verheißen, dass diese Gebete garantiert erhört werden. (Ich verzichte hier auf die Aufzählung der entsprechenden Bibelstellen. Es sind zu viele.)

Diese Art zu Beten ist die hochwertigste, welche Gott uns angeboten hat.

Und wenn Gott so etwas Hochwertiges anbietet, werde ich mich nicht mit etwas minderwertigerem zufrieden geben.

Natürlich kann es auch passieren, dass Sie auf einem Gebetsspaziergang einen Treffer landen. Dass Sie auf einen Menschen treffen, der wirklich gerade auf Gott wartet. (Oder auf den Gott wartet.) Da es wahrscheinlich eine Reihe von Menschen auf der Erde gibt, auf die diese Beschreibung zutrifft, gibt es eine gewisse statistische Wahrscheinlichkeit, dass Sie auf so einen Menschen treffen und dass sich aus Ihrem Gebet dann irgend etwas Gutes entwickelt. (Ich habe noch nie von so einem Erfolg gehört, aber statistisch ist er nicht auszuschließen.)

Damit wird Beten natürlich wie Roulette oder wie Lotto spielen. Wenn Sie tausendmal auf Ihre Zahl setzen, wird die sicher irgendwann kommen. Sofern Sie die 1000 mal durchhalten. Wenn Sie um Gottes Segen für 1000 verschiedene Menschen beten, wird wahrscheinlich eine Person dabei sein, bei der Ihr Gebet etwas bewirkt. Zufallsmission. Oh, Entschuldigung, ich vergaß, dass es bei Gott keine Zufälle gibt. Ist alles Vorsehung, natürlich.

Aber ehrlich: Da kümmere ich mich lieber um die Gebete mit der 100%igen Erhörungsgarantie. Sicher: Die sind schwieriger. Da muss man sich vorher Gedanken machen. Da muss man sehr auf Gott hören. Von der Intensität und der Konzentration sind die anstrengender. Beliebiges Zufallsbeten ist einfacher. Aber ist es tatsächlich das, was Gott will?

Hat Gott irgendwo gesagt: „Betet für alles und jedes, egal wo ihr geht oder steht, wahllos und planlos“? Gibt es irgend eine Verheißung von der Art „Betet nur wild drauflos, irgendwas wird schon dabei herauskommen“?

Die große Lösung

Aus dem Psalm 42/43 lernen wir sehr deutlich, dass wir uns nicht mit den kleinen Lösungen zufrieden geben sollen. Entweder die Fülle, oder gar nichts. Keine Kompromisse, weil man an Gottes große Lösung nicht glaubt. Nicht das Halbe machen, weil man nicht darauf vertraut, dass Gott das Ganze machen will.

Gebetsspaziergänge einführen, weil man das mit dem erhörlichen Beten nicht kann, ist keine Lösung, die Gottes Sache irgendwie weiterbringt. Ganz im Gegenteil: Die Teilnehmer am Gebetsspaziergang bekommen ein gutes Gefühl und ein zufriedenes Gewissen, weil sie so etwas ungemein Geistliches für den Herrn getan haben, so dass sie beruhigt darauf verzichten können, das wirklich kraftvolle Beten zu erlernen.

Der Glauben

Beim Umgang von Jesus mit den Menschen war der Glauben eine entscheidende Größe. Man bekommt genau das, was man Gott zutraut. Wer Gott um Großes bittet, wird Großes bekommen.

Für die Zufallsgebete brauchen Sie keinen Glauben. Sie können munter drauflos plappern und an jeden Menschen, den sie sehen, irgend etwas Allgemeines und Unbestimmtes hinbeten. Denn etwas Konkretes und Nachweisbares können Sie ja nicht beten, weil Sie den Menschen, seine Situation und Gottes Absichten mit diesem Menschen überhaupt nicht kennen.

Ob christliches Zeug, für das man kaum Glauben braucht, vor Gott irgendwie zählt oder im Reich Gottes irgend etwas bewirkt, können Sie nach Schriftstudium selber entscheiden.

Selbstverständliche Erhörung

Ja, Sie haben völlig recht: Meine Behauptung, Gebetsspaziergänge seien weitestgehend ergebnislos, ist vollkommen bösartig und gelogen.

Denn in christlichen Kreisen geht die Beweisführung so:

Ein Gebet gilt solange als sinnvoll und (irgendwie) erhört, solange nicht das Gegenteil eindeutig bewiesen ist.

Die Sinnlosigkeit eines Gebetes kann aber nicht bewiesen werden, weil man impliziert, dass Gott im Verborgenen handelt und Gebete (auch) so erhört, dass niemand diese Erhörung sehen oder erkennen kann. Ich bete, und Gott reagiert darauf mit etwas unsichtbarem, unnachweisbarem, diffusen, heimlichen, unerkennbarem, verborgenen – und vielleicht gar nicht jetzt, sondern erst später, vielleicht in 100 Jahren, wer weiß?

Das ist dann so, wie wenn die Wirksamkeit eines Medikaments ohne jede Prüfung von vornherein angenommen wird. Die Unwirksamkeit des Medikamentes ist erst bewiesen, wenn sie bewiesen ist, und da niemand beweisen kann, dass das Medikament nicht doch irgendwo auf irgend eine Zelle irgendwo in der hintersten Ecke des Körpers einen Einfluss ausgeübt hat – denn dazu müsste man alle Milliarden Zellen des Körpers untersuchen, was nicht geht – darum kann niemand zuverlässig behaupten, das Medikament sei unwirksam.

(Wir hatten etwas ähnliches bei der Homöopathie nach Samuel Hahnemann. Die Wirksamkeit wurde vorausgesetzt, und das Gegenteil war nicht beweisbar.)

Andersherum gesagt: Wenn absolut kein Ergebnis meines Betens sichtbar ist, heißt das noch lange nicht, dass mein Beten ergebnislos ist. Nur weil man nichts sieht, bedeutet das nicht, dass nichts da ist. Man kann immer behaupten, das eigene Gebet sei ungemein wirkungsvoll und Gott wohlgefällig, weil man niemandem erlauben wird, das Gegenteil zu beweisen.

Da lobe ich mir Georg Müller aus Bristol. Der hat über seine Gebete Buch geführt, und immer so lange wegen einer Sache gebetet, bis er die Angelegenheit als erledigt abhaken konnte. Der hat sich nicht über die Wirksamkeit seiner Gebete belogen.

Für die Regierung

Nein, Sie können sich jetzt den Hinweis auf 1.Timotheus 2,1 schenken. Dass dort zum Gebet für alle Menschen und insbesondere die Mächtigen aufgerufen wird, hat als Ziel, dass die Gemeinde in Ruhe ihre Arbeit tun kann. Es geht dort darum, dass die Gemeinde nicht als politisch revolutionär eingeschätzt wird und dann nicht etwa wegen Jesus verfolgt wird, sondern wegen politischer Verdächtigungen. Mit der Zielsetzung von Gebetsspaziergängen hat diese Bibelstelle nichts zu tun.

Die unbestreitbaren Vorteile von Gebetsspaziergängen

Natürlich werden wir uns von so einem blöden Artikel wie diesem nicht unsere Gebetsspaziergänge wegnehmen lassen.

Denn sie sind ja letztlich die einzige geistliche Handlung gegenüber der Welt, die uns geblieben ist.

Zumindest, nachdem wir die Fruchtlosigkeit unserer jahrelangen Sozialarbeit und unseres unermüdlichen politischen Bemühens für die Bewahrung der Schöpfung und die Erhaltung des Friedens eingesehen haben.

Denn nachdem wir jetzt die Schnauze endgültig voll haben von diesem erfolglosen diakonischen Engagement, und nachdem wir frustriert feststellen mussten, dass unsere anhaltenden Friedensgebete durch eine einzige Entscheidung von Herrn Putin oder der Hamas völlig für die Katz waren und unsere Bemühungen für die Bewahrung der Schöpfung durch irgendwelche Schachzüge der großen internationalen Konzerne unmerklich aber wirkungsvoll wieder auf Null gestellt wurden, brauchen wir ein neues Ventil für unsere christliche Aktivität.

Und da bleibt ja nicht viel.

·         Dass wir der Welt die Wahrheit in Form der reinen Lehre entgegen halten können, hat man uns schon vor 30 Jahren genommen. Seit dem Fall des Eisernen Vorgangs sind „Wahrheit“ oder „richtig und falsch“ nichts mehr, mit dem man Mission oder sonstige christliche Arbeit betreiben kann. Das sind keine relevanten Kriterien mehr, und Herr Trump hat das mit seinen alternativen Wahrheiten ja recht hübsch auf die Spitze getrieben.

·         Dämonen austreiben können wir nicht. Erstens, weil wir einen Dämon selbst dann nicht erkennen würden, wenn er uns in den Bauchnabel piekst; und zweitens, weil wir die Vollmacht nicht haben.

·         Weissagung ist uns so fremd wie ein südmongolischer Bantu-Dialekt. Paulus konnte den Timotheus noch auffordern, gemäß der Weissagung zu handeln, die Gott bezüglich des Timotheus herausgegeben hatte (1.Tim 1,18 + 4,14), und damit war der nächste Schritt und die Orientierung klar. Wir hingegen müssen bezüglich unserer Aufgaben raten, und da haben wir schon so oft daneben gelegen, dass so Sprüche wie „ich habe den Eindruck, Gott will …" mittlerweile auch keinen mehr aus dem Sessel reißen.

·         Prophetie fällt mangels Begabung aus. In der Apostelgeschichte bildet sie oft die Entscheidungsgrundlage für die zukünftigen Handlungen der Gemeinde, und sie hat dann auch zu umfangreichen Maßnahmen geführt wie die Sammlung wegen der Hungersnot (Apg 11 Ende) oder die Aussendung von Paulus und Barnabas. Wir hingegen müssen uns von Greta oder den Grünen inspirieren lassen, und die sind (Stand 2024) beide auf dem absteigenden Ast.

·         Wir können noch nicht einmal Gott fragen, was wir als nächstes tun sollen, denn wir könnten die Antwort nicht hören. Gottes Stimme haben wir nie vernommen; wir wissen nicht, wie sie klingt, also können wir sie auch nicht erkennen. Dem Philippus konnte man noch sagen, er solle auf diese öde Straße gehen, und dem Hananias konnte man mitteilen, er solle zu Judas in die Gerade Straße gehen. Den Paulus konnte man nach Griechenland schicken und den Josef nach Ägypten. Wir haben keine Ahnung, was unser nächster geistlicher Auftrag ist, und wir können es auch nicht herausbekommen.

Unter diesen Umständen kommen uns die Gebetsspaziergänge sehr gelegen.

·         Sie führen uns raus aus dem eigenen Saft. Sie sind ein Handeln an der Welt. Das ist beruhigend für unser christliches Pflichtgefühl.

·         Beten ist etwas wahrhaft „geistliches“. Unser soziales Engagement kann von weltlichen Gruppen kopiert werden. Unser Beten nicht.

·         Irgendwie ist das ja auch Liebe. Wenn wir für die Menschen, die in diesen Häusern wohnen, beten, dass Gott sie segnen möge. Wir sind die Guten.

Da also die Gebetsspaziergänge das einzige geistliche Handeln gegenüber der Welt sind, das uns geblieben ist, darum werden wir es weiterhin durchführen und uns gut und wichtig dabei fühlen.

Schließlich können wir nicht zu Büchertisch und Zeltmission zurückkehren …