Gottes Wille, veränderlich

Man hat mir immer erzählt, das Wort Gottes sei seiner Natur nach ewig.

Was Gott einmal gesagt hat, das gilt für alle Ewigkeit.

Wenn also Paulus sagt, eine Frau darf in der Gemeinde nicht lehren, das gilt das für immer und ewig.

Man hat das auch so begründet, dass Gottes Wort ohne Zusammenhang im weltlichen Raum steht. (Das hat man natürlich nicht so formuliert. Das hat man hintenrum vermittelt.) Erst kam Gottes Wort, dann alles andere. Das Wort Gottes entstand im Himmel, ohne irgend einen irdischen Einfluss, und dann wurde es als nacktes Gotteswort auf die Erde geworfen.

Es ist ein göttliches Wort, das von menschlichem Denken und menschlichen Einflüssen völlig unberührt ist.

Und damit ist es auch ein ewiges, unveränderliches Wort. Denn Gott verändert sich nicht, der Himmel verändert sich nicht, die Ewigkeit ist ewig und verändert sich nicht.

Und damit war es völlig klar, dass die Menschen sich für alle Zeit an dieses ewige Wort anzupassen haben. Der Mensch hat sich nach Gottes Wort zu richten, nicht Gottes Wort nach den Menschen. Das Bewegliche muss der Mensch sein, denn das Wort Gottes ist ewig, das bewegt sich nicht. Der, der sich anpasst, muss der Mensch sein, denn das Wort Gottes ist ja vollkommen und perfekt – wenn sich das jetzt irgendwie anpassen müsste, sich also verändern müsste, dann wäre es ja nicht mehr perfekt.

Altäre und so

Als erste haben Kain und Abel Gott Opfer gebracht. Niemand hat sie kritisiert, weil sie keinen Altar dazu benutzten, denn Gott lebte auf der Erde bei den Menschen, da konnte man Gott die Opfer persönlich vorbeibringen. (1.Mose 4,3)

Dann ändere sich die Lage. Mit der Sintflut verschwand Gott leibhaftig von der Erde. Und weil sich die Umstände geändert hatten, änderte sich auch der Umgang mit Gott: Noah baute als erster Mensch einen Altar für Gott, denn jetzt musste er Gott heranbitten, wenn er ein Opfer bringen wollte (Gen 8,20). Niemand hat Noah deswegen kritisiert, weil er sich nicht mehr an die alten Ordnungen hielt. Denn die Lage hatte sich geändert, also wurde auch die Ordnung geändert.

Dann kam Abraham, und Abraham baute Altäre …

·         bei Sichem Genesis 12,7

·         zwischen Bethel und Ai Gen 12,8 und 13,3+4

·         in der Nähe von Hebron Gen 13,8

Die Altäre, die Jakob gebaut hat, lassen wir jetzt mal weg.

Dann kam Mose und baute Altäre:

Exodus 17,15 (ELB 2006)

15Und Mose baute einen Altar und gab ihm den Namen: »Der HERR ist mein Feldzeichen«,

Exodus 24,4 (ELB 2006)

4Da schrieb Mose alle Worte des HERRN auf. Am nächsten Morgen aber machte er sich früh auf und errichtete einen Altar unten am Berg und zwölf Denksteine nach den zwölf Stämmen Israels.

Bisher hatten wir kein echtes Gotteswort über die Altäre. Man baute Altäre, wie die Notwendigkeit es hergab, und da Gott nicht meckerte, gehen wir mal davon aus, dass das so in Ordnung war.

Das erste Altargesetz

Mit Mose kam nun das erste Mal ein Gesetz über die Gestaltung eines Altars. Das Altargesetz steht sofort anschließend an die 10 Gebote, es ist sozusagen das 11. Gebot. Die Gläubigen kennen es aber in der Regel nicht, weil das Andachtsbuch immer beim 10. Gebot aufhört und den Rest weglässt.

Exodus 20,24–25

24Einen Altar aus Erde sollst du mir machen und darauf deine Brandopfer und Heilsopfer, deine Schafe und deine Rinder darbringen.

Zu deutsch: Nimm einen Bagger und mach einen großen Haufen (es muss ja eine Kuh drauf passen). Oder mach es so:

25Wenn du mir aber einen Altar aus Steinen machst, dann darfst du sie nicht als behauene Steine aufbauen, denn du hättest deinen Meißel darüber geschwungen und ihn entweiht.

Nun wissen wir ja, wohin diese Regelung geführt hat: Die Israeliten haben im gelobten Land außerhalb eines jeden Dorfes einen Altar errichtet, und sie haben auf diesen Altären nicht nur Gott Opfer gebracht, sondern auch jedem erdenklichen Regionalgötzen. Denn man konnte ja nicht neben jeden dieser Altäre einen Priester stellen, der aufpasste, dass die Regeln eingehalten wurden.

Und wenn ein König in Israel nicht gut war, dann berichtete man von ihm, dass er die Höhen nicht beseitigte, also diese selbstgebauten Altäre der Leute.

Das heißt: Das, was im Gesetz des Mose gleich nach den 10 Geboten ausdrücklich drin stand, war zur Zeit der Propheten, also 500 Jahre später, eine Sünde.

Und die neue Anordnung, die dem Missbrauch wehren sollte, lautete: Exodus 27,1

1Den Altar sollst du aus Akazienholz machen, fünf Ellen lang und fünf Ellen breit – viereckig soll der Altar sein – und drei Ellen hoch.

Die Menschen konnten mit dem Willen Gottes nicht richtig umgehen, und also passt Gott sich an und verändert seinen Willen.

Das dritte und vierte Glied

Als die Israeliten Ägypten verließen, waren sie weder ein Staat noch ein Volk. Sie waren jede Menge Sippen, die man verschiedenen Stämmen zuordnete. Aber die Stämme hatten keine Oberhäupter, sondern die höchste Gliederungsebene war die Sippe.

In einer Sippe, die letztlich völlig auf sich allein gestellt ist, die also von keinem Staat geschützt wird und von einen Landesgrenzen, sondern wirklich nur von sich selbst, kann es keinen Individualismus und keine Abweichung geben. Folglich war jeder der Sippe verantwortlich und die Sippe jedem. Darum gibt es diese Aussage zur Verantwortung Exodus 20,5

5Du sollst dich vor ihnen nicht niederwerfen und ihnen nicht dienen. Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott, der die Schuld der Väter heimsucht an den Kindern, an der dritten und vierten Generation von denen, die mich hassen,

Mose erneuert diese Eigenschaft Gottes noch einmal Numeri 14,18

18»Der HERR ist langsam zum Zorn und groß an Gnade, der Schuld und Treuebruch vergibt, aber keineswegs ungestraft lässt, der die Schuld der Väter heimsucht an den Kindern, an der dritten und vierten Generation.«

500 Jahre später haben wir im gelobten Land nicht nur Stammesgrenzen, sondern wir haben richtige Staaten. Die Menschen werden jetzt geschützt durch Hoheitsgebiete und staatliche Strukturen. Die Bedeutung der Sippe und der Familie geht zurück. Folglich erklären die Propheten den Anhang des zweiten Gebotes für ungültig: Jeremia 31,29–30

29In jenen Tagen wird man nicht mehr sagen: Die Väter haben unreife Trauben gegessen, und die Zähne der Söhne sind stumpf geworden;

30sondern jeder wird wegen seiner Schuld sterben: Jeder Mensch, der unreife Trauben isst, dessen Zähne sollen stumpf werden.

Ezechiel 18,1–4

2Was habt ihr, dass ihr dieses Sprichwort im Land Israel gebraucht und sprecht: Die Väter essen unreife Trauben, und die Zähne der Söhne werden stumpf?

3So wahr ich lebe, spricht der Herr, HERR, wenn ihr diesen Spruch in Israel noch gebraucht!

4Siehe, alle Seelen gehören mir; wie die Seele des Vaters, so auch die Seele des Sohnes. Sie gehören mir. Die Seele, die sündigt, sie allein soll sterben.

Zusammenfassung

Wir haben hier also am Anfang die Lage, dass es für die Menschen völlig klar war, dass die Verantwortung für das, was geschah, immer bei der Sippe lag. Darum musste Achans ganze Familie sterben, als er sich an der Beute von Jericho bereichert hatte, und darum fiel die ganze Familie von Korach in die Erdspalte, als Korach den Aufstand probte.

Wenn Gott in dieser Zeit bereits die individuelle Verantwortung des Menschen verkündet hätte, hätte das niemand verstanden.

500 Jahre später hatte die Lage sich so verändert, dass Gott die individuelle Verantwortung zumindest mal verkünden konnte. Damit ging das noch lange nicht in die Köpfe aller Menschen, denn die Jünger fragten Jesus, ob der Blindgeborene selbst gesündigt hätte oder seine Eltern. Gott war dem Zeitgeist also noch weit voraus.

König oder doch nicht

Eine andere Gelegenheit, als der Wille Gottes sich als gar nicht so ewig erwiesen hat, war die Frage nach einem König für Israel.

Weil das Rechtssystem in Israel nicht funktionierte und es beim Militär drunter und drüber ging, darum wollten die Stammesältesten einen König und kamen mit diesem Wunsch zu Samuel. Samuel wusste, dass Gott entschieden dagegen sein würde, und er hatte recht.

Gott betrachtete den Wunsch nach einem König als persönliche Beleidigung, weil er selbst König des Volkes sein wollte und das Volk ihn jetzt im Grunde genommen abgesetzt hatte. (1.Samuel 8)

Aber Gott suchte einen König für Israel aus, und zwar einen, der eigentlich gut war, weil er dem Wesen nach bescheiden war und kein Großmaul und auch nicht machtgierig.

Aber Saul war der Verantwortung gegenüber Gott nicht gewachsen, und so setzte Gott ihn wieder ab und setzte David stattdessen ein. Und jetzt passte Gott sich so an das Volk an, dass er ihnen nicht zähneknirschend diesen König gab, sondern er diesen König zum Heilsbringer für Israel und zum Vorbild des Messias machte.

Gott veränderte also seinen Willen von „kein König“ zu „ewiger König“.

Tempel oder doch nicht

Einen ähnlichen Vorgang haben wir beim Tempel.

Als David König war, herrschte ja, was Stiftshütte und Bundeslade und solche Dinge anging, eine außerordentliche Unordnung und eine beachtliche Korruption. Das lag aber nicht an David, sondern das war schon seit 100 oder mehr Jahren so.

Es scheint auch so, als wenn Gott auf die Stiftshütte und das ganze Drumherum nicht mehr soviel Wert legte. Wir kennen keine Aussagen von Gott über dieses religiöse Durcheinander, das seit der Richterzeit geherrscht hatte. Die Stiftshütte war halt für die Wüste gewesen, und jetzt saß man im gelobten Land.

Und nun wollte David für Gott einen Tempel bauen. Das erzählte er dem Propheten Nathan, und der meinte, das ginge in Ordnung.

Daraufhin meldete sich Gott bei Nathan und teilte ihm mit, dass das überhaupt nicht in Ordnung gehe. Aber weil der Wunsch von David, einen Tempel zu bauen, so aus der Liebe zu Gott geboren wurde, darum erklärte Gott, er würde jetzt für David ein Haus bauen, und zwar ein ewiges. (2.Sam 7)

Ach, und wenn David unbedingt einen Tempel für Gott bauen wollte – sein Sohn, der dürfe das dann machen.

Und das Ende vom Lied war, dass Gott mit seiner ganzen Herrlichkeit in diesen Tempel einzog. Den er eigentlich für überflüssig gehalten hatte.

Und 500 Jahre später, als es ihm zu dumm wurde mit den Juden, zog Gott aus dem Tempel wieder aus und hat danach nie wieder im jüdischen Tempel gewohnt. (Hes 10)

Gott hat also seinen Willen an die jeweiligen Möglichkeiten und Bedürfnisse angepasst und hat sich als äußerst flexibel erwiesen.

Schlussfolgerung

Das waren jetzt nur ein paar Beispiele dafür, wie der Wille Gottes sich über die Jahrhunderte verändert hat. Es gäbe noch viel mehr Beispiele, aber ich wollte kein ganzes Buch schreiben, sondern nur einen Artikel.

Im Jahr 2024 ist mein Stand zu diesem Thema der Folgende:

Gott ist ewig. Er ist unveränderlich, unwandelbar, er ist immer der Gleiche und immer gleich.

Auch Gottes Wille ist immer gleich. Gott steht für die edelsten Dinge, die Menschen zu allen Zeiten an allen Orten sich vorstellen konnten: Freiheit, Gerechtigkeit, Liebe, charakterliche Größe, Freude, Reinheit, Glauben … man könnte hier die Frucht des Geistes hinschreiben.

Gott wollte diese Dinge zu Abrahams Zeiten, er wollte sie durch Jesus, und er will sie heute immer noch, und in 3000 Jahren (also 5024) wird sich daran auch nichts geändert haben.

Was die Menschen allerdings unter Freiheit verstehen, das verändert sich.

Was man unter Mose für gerecht hielt, hält man heute für völlig ungerecht.

Wenn es früher als ein Gebot der Liebe galt, dass man der Frau seines verstorbenen Bruders Kinder macht, so würde die Frau meines Bruders das heute wahrscheinlich nicht als Liebe verstehen. Sondern als unanständig und übergriffig. Onan wurde von Gott bestraft, weil er es nicht gemacht hat (Gen 38). Ich würde wahrscheinlich von Gott bestraft, wenn ich es machen würde.

Der Wille Gottes in ethischer Sicht verändert sich nie.

Der Wille Gottes in moralischer Hinsicht ist aber ziemlich flexibel.

Ich verstehe es momentan so, dass Gott immer das Edelste, was eine Gesellschaft sich vorstellen kann, nimmt und da noch 10% draufsetzt – und das ist dann der Maßstab.

Darum sagt Jesus Matthäus 5,20

20Denn ich sage euch: Wenn nicht eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten und Pharisäer weit übertrifft, so werdet ihr keinesfalls in das Reich der Himmel hineinkommen.

Die Pharisäer verkörperten die vergoldete Version des damaligen Zeitgeistes. Aber das Goldrandgeschirr des Zeitgeistes reicht für das Reich Gottes nicht. Da müssen noch 10% an Qualität drauf, und dann können wir über das Himmelreich reden.

Das Problem ist jetzt: Wir haben im Neuen Testament den Zeitgeist von vor 2000 Jahren und die Forderungen, die sich aus diesem Zeitgeist + 10% ergaben.

Wir müssen heute das Edelste, Beste und Hervorragendste tun, was für Menschen in unserer heutigen Zeit vorstellbar ist. Plus 10%. Aber ich fürchte, was wir tun müssen ist nicht mehr das, was Paulus an die Korinther oder die Philipper geschrieben hat.

Von daher glaube ich nicht mehr, dass die Bibel als geschriebenes Wort Gottes in moralischer Hinsicht (!) ewig gültig ist. Gott ist ewig, und der ethische Wille Gottes ist ewig gültig. Die Einzelheiten haben sich schon innerhalb der Bibel ständig verändert, und das waren nur 1000 Jahre.

Es leuchtet mir nicht ein, warum die Einzelheiten dann seit 2000 Jahren angeblich in Beton gegossen sind.