Der freie Wille

Der „freie Wille“ ist dadurch definiert, dass ich jede Entscheidung treffen kann, die im Moment praktisch möglich ist. Ich kann mich frei zwischen allen im Moment praktisch bestehenden Möglichkeiten entscheiden.

Daran sieht man schon, dass der „freie Wille“ in seiner Freiheit recht eingeschränkt ist:

  • Ich kann nur das wollen, was praktisch machbar ist. Ich kann nicht entscheiden, in genau diesem jetzigen Moment in Japan zu sein (denn ich bin ja gerade in Deutschland und kann nicht gleichzeitig an zwei so weit entfernten Orten sein). Ich kann mich auch nicht entscheiden, heute oder morgen zum Mars zu fliegen. Das kann ich mir wünschen, aber möglich ist es nicht.
  • Ich kann nur das wollen und mich für das entscheiden, was mir als Person im aktuellen Zustand möglich ist. Ich kann nicht Computerspiele programmieren wollen, weil mein Gehirn für Funktionen nicht gebaut ist (und für höhere Mathematik auch nicht). Ich kann mich nicht für die Teilnahme am Halbmarathon entscheiden, weil ich zu alt bin oder krank oder nie trainiert habe.
  • Ich kann mich nur für die Möglichkeiten entscheiden, die ich auch kenne. Eine Wahlmöglichkeit, die ich nicht kenne, ist zwar theoretisch vorhanden, steht mir aber nicht zum Auswählen zur Verfügung.
  • Schon bei Martin Luther finden wir die Einschränkung, dass die Freiheit des Willens abhängig ist davon, welche Mächte mich beherrschen. Wenn ich im Herrschaftsbereich des Teufels lebe, dann wird der alles tun, um zu verhindern, dass ich mich für das wahrhaft Gute entscheide.

Jetzt kommt Gott ins Spiel

Als Gott den Gebote gab, machte er ihren Willen freier.

Als Gott den Israeliten das Gebot gab, niemals etwas haben zu wollen, was schon jemand anderem gehörte (2.Mose 20,17), gab er ihnen eine Wahlmöglichkeit, die keinem anderen Volk der damaligen Zeit zur Verfügung stand. Denn die anderen Völker und ihre Wirtschaftssysteme lebten davon, das haben zu wollen, was im Moment noch jemand anders hatte.

Der babylonische König war gezwungen, um seine Regierung zu finanzieren und seine Macht zu erweitern, Länder und Schätze zu begehren, die Anderen gehörten. Das ist heute noch genauso: Man kann nicht von den Chinesen verlangen, nicht die Marktanteile zu begehren, die im Moment die Amerikaner und die Europäer besitzen. Wie sollen die Chinesen denn sonst zu etwas kommen?

Bei den Israeliten fiel der Reichtum vom Himmel, bei den anderen Völkern tat er das nicht. Bei den Israeliten regnete es zuerst Manna und Wachteln, später hatten sie im gelobten Land das Versprechen von Frieden und Fülle, Milch und Honig, Wein und Öl.

Die Israeliten hatten einen Gott, der für sie sorgte und auf sie aufpasste. Niemand musste neidisch das Eigentum des anderen begehren, denn Gott versorgte jeden Israeliten im Überfluss. Also konnten die Israeliten wählen, nicht zu begehren, was ihnen nicht gehörte. Diese Wahlmöglichkeit hatten die anderen Völker nicht, denn sie hatten keinen Gott, der sich um sie kümmerte.

So eröffnete sich für die Israeliten mit jedem Gebot Gottes eine weitere Wahlmöglichkeit, d.h., die Freiheit ihres Willens erhöhte sich sichtbar. Sie konnten jetzt mehr wollen wollen.

Noch freierer Wille durch Jesus

Mit Jesus kamen noch jede Menge weiterer Wahlmöglichkeiten dazu, die nur denjenigen zur Verfügung standen, die einen Gott hinter sich wussten, der in großer Liebe solidarisch zu ihnen war.

  • Die Möglichkeit, die andere Backe hinzuhalten, denn wenn Gott mich ehrt, brauche ich nicht mehr um meine eigene Ehre zu kämpfen.
  • Zu geben, und dann wird Gott mir zurück geben. Mit dem Maß gemessen zu werden, mit dem man selber misst. Und je mehr Gott mir zurück gibt, um so zahlreicher werden meine Wahlmöglichkeiten. Je mehr Geld (oder was auch immer) ich habe, umso mehr Möglichkeiten gibt es, das Geld (oder was auch immer) auszugeben.
  • Jesus brachte auch das Gleichnis, dass jemand aus dem Erbe des Königs 1 Talent Silber = 432.000.-€ bekommt. Diese Summe erhöht die Wahlmöglichkeiten natürlich um einiges. Der, der am meisten bekam (5 Talente), bekam 2.160.000.-€. So geht Freiheit!
  • Beten verschafft mir Einfluss in Japan. Oder in Chile. Ich kann jetzt Dinge wollen, da war früher gar nicht dran zu denken.
  • „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ Berge versetzen und auf dem Wasser gehen. Das ist dann natürlich schon freier Wille par excellence.

Die Krönung: Gottes Wille

Ziel der ganzen Sache ist natürlich, dass mein Wille und Gottes Wille möglichst ähnlich werden. Dass ich will, was Gott will. Aber hätte ich dann den absoluten freien Willen?

Um das festzustellen, muss man fragen: Hat Gott einen freien Willen?

Nein, natürlich nicht. Es gibt Dinge, für die kann Gott sich nicht entscheiden, obwohl diese Entscheidung im Moment möglich wäre:

  • Gott kann nicht denen untreu werden wollen, die ihm treu sind. Dafür kann Gott sich nicht entscheiden.
  • Gott kann nicht fies, hinterhältig und gemein sein. Das kann Gott nicht wollen wollen.
  • Gott kann niemanden zwingen, ihn zu lieben. Weil das dann keine Liebe mehr ist, denn das Wesen der Liebe ist Freiwilligkeit.

Zusammenfassung

Als Christ kann ich den freiesten Willen haben, den man haben kann.

Wenn man mit Gott wirklich ernsthaft lebt, dann gibt es niemanden, der mehr Entscheidungsmöglichkeiten hat als die Christen.

Denn letztlich ist das so gedacht, dass wir die Möglichkeiten zur Verfügung haben, die Gott auch zur Verfügung hat. Manchmal hat der Einzelne diese Möglichkeiten, manchmal nur das Kollektiv.

Wenn Jesus so viel von der Freiheit sprach, dann meinte er genau das: Die fast grenzenlosen Möglichkeiten des Willens und des Wollens.

Und für die kann man etwas tun. Denn diese grenzenlosen Möglichkeiten sind abhängig von unserem Glauben und von unserer Erkenntnis.