Frauenfeind Paulus

Das war es, mit dem ich in der Gemeinde insbesondere durch eine einzige Frau über Jahrzehnte hinweg konfrontiert wurde: Dass Paulus ein ausgemachter Frauenfeind gewesen sei.

Anders könne man sich seine Texte zur Rolle der Frau gar nicht erklären.

Und natürlich klingen diese Texte des Paulus für unsere Ohren mitunter entsetzlich.

Die Betonung liegt auf „für unsere Ohren“.

Die Betonung habe ich erwähnt, weil Paulus ja gar nicht für unsere Ohren (oder Augen) geschrieben hat.

Seine Briefe waren für Leute des Altertums bestimmt.

Und nicht alles, was im Altertum passend war, ist heute noch angemessen.

Die Ziele, die Paulus erreichen wollte, sind immer noch aktuell. Aber die Methoden, wie man diese Ziele erreicht, haben sich im Laufe der Jahrtausende vielleicht verändert.

Des Paulus erstes Ziel

Das erste Ziel des Paulus war das Evangelium. Diese Sache mit dem auferstandenen Jesus.

Dass die Welt davon erfährt.

Dass das, was Gott offenbar recht wichtig war, in die Welt hinauskommt.

Das primäre Motiv von Paulus war nicht die Beziehung zwischen Frauen und Männern. Es war die Beziehung zwischen Menschen und Gott.

Wenn Paulus also unter anderem über die Stellung der Frau schreibt, dann ist das für ihn nicht der zentrale Punkt.

Die Stellung der Menschen zueinander und zur Welt war nur insoweit wichtig, ob sie der Sache mit Gott diente oder nicht.

Somit war der wichtigste Punkt für Paulus, dass die Zivilgesellschaft dem Evangelium nicht im Wege stand.

Paulus benutzte die Regeln der Gesellschaft so, dass sie das Evangelium möglichst wenig behinderten.

Wer also die Texte des Paulus liest und meint, die christliche Ehe oder Familie läge ihm arg am Herzen, der irrt.Rolle der Frau

Der Sohn Gottes lag Paulus am Herzen. Und alles andere musste ihm dienen.

Des Paulus Stellung zu Staat und Gesellschaft

Weder Paulus noch Jesus waren in unserem heutigen Sinne Revolutionäre.

Die Veränderung der politischen, sozialen oder kulturellen Gesellschaft war nicht ihr Anliegen.

Sowohl Jesus als auch Paulus haben die Gesellschaft so genommen, wie sie war.

Die irdische Gesellschaftsform war nicht wichtig genug.

Es würde ohnehin immer eine Gesellschaftsform geben, und unter dem Einfluss der Sünde, der sich nicht abstellen lässt, würde jede Gesellschaftsform immer irgendwie fragwürdig sein.

Und so akzeptierte man die Gesellschaft, wie sie war:

  • Hierarchisch (und damit weder demokratisch noch gleichberechtigt)
  • Patriarchalisch
  • ohne irgendwelche „Menschenrechte“

Zwar gab es Revolutionäre schon, seit es Könige gab, aber eine andere Gesellschaftsform als die Vorhandene war überhaupt nicht bekannt. (Vergessen Sie die attische Demokratie der griechischen Stadtstaaten – die hatten mit unserem Begriff der Demokratie wenig zu tun.)

Wir können heute zwischen Gesellschaftsformen wählen: Monarchie, Parlamentarische Demokratie, Diktatur, Republik, Einheitsstaat; mit möglichst viel persönlicher Freiheit oder relativ stark reguliert.

Darum können wir entscheiden, ob wir die Gesellschaftsform, die Jesus und Paulus vorfanden, gut oder weniger gut finden.

Diese Entscheidung war aber damals, als es im Grunde nur eine Form gab, nicht möglich.

Paulus hatte nichts dagegen, dass man alle Möglichkeiten, welche die Gesellschaft einem Menschen bot, auch nutzte:

  • Er berief sich auf sein römisches Bürgerrecht, um nicht geschlagen zu werden (Apg 22,25)
  • Er nannte den Hohepriester „getünchte Wand“, weil dieser ihn gegen die Vorschriften des jüdischen Gesetzes schlagen ließ (Apg 23,3).
  • Wenn ein Sklave frei werden konnte, sollte er diese Möglichkeit durchaus nutzen (1.Kor 7,21)
  • Er konnte die gegenseitige Unterordnung der Ehepartner vorschlagen (Eph 5,21), also ein ganz klein bisschen „Mann und Frau auf Augenhöhe“, was für die damalige Gesellschaft normalerweise keine Option war.
  • Petrus konnte den Alten wie den Jungen Demut im Umgang mit den jeweils anderen verordnen, was im gesellschaftlichen System so nicht vorgesehen war.

Was keiner der neutestamentlichen Schreiber macht, ist das gesellschaftliche System des Patriarchats und der damit verbundenen Rechtlosigkeit von Frauen (und Kindern und Sklaven und Behinderten) grundsätzlich in Frage zu stellen.

Der Umgang mit Revoluzzern und Feministinnen

Offenbar war Paulus in den Gemeinden seiner Zeit mit einer ganzen Reihe von Aufständischen konfrontiert, die genau das machten, was wir heute von „glaubwürdigen“ und „authentischen“ Christen erwarten, nämlich die Beseitigung von Ausbeutung und Unterdrückung:

  • in Korinth meinten ein paar Frauen, der Fluch, der seit dem Sündenfall die Frau dem Mann unterstellt, sei durch Jesus aufgehoben, und darum können sie nun im Gottesdienst die Kopfbedeckung, die diese Unterordnung in der Gesellschaft symbolisiert, abnehmen.
  • Ebenfalls in Korinth wollten die Frauen nun, da Jesus Männer und Frauen (und alle anderen Menschen) auf gleiche Wertigkeit gehoben hatte, im Gottesdienst mitreden. Das konnte natürlich sogar dazu führen, dass diese Frauen öffentlich die Aussagen der Männer in Frage stellten. Gesellschaftlich war das ein Unding, es galt als würdelos und beschämend.
  • Die Sklaven fanden es völlig unangemessen, dass sie, obwohl von Jesus befreit, weiterhin Sklaven sein sollten (1.Kor 7,21). Zwar gibt Paulus zu, dass es bezüglich Sklaven und Herren bei Gott kein Ansehen der Person und damit auch keinen entscheidenden Unterschied gibt (Eph 6,9), aber wenn ein Sklave glaubt, seinem Herrn nicht dienen zu müssen (was rechtlich ein Unrecht wäre), dann kennt Paulus sehr klare Worte dazu (Kol 3,25). Auch dem Onesimus verhilft Paulus nicht zur endgültigen Flucht.
  • Die immer wiederkehrende Ermahnung, der Obrigkeit untertan zu sein und den König zu ehren, hatte sicher einen Grund. So etwas schreibt man ja nicht, wenn es gar keinen Anlass gibt. Schon Jesus musste sich mit „gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“ herumschlagen.

All diesen gesellschaftlichen Revolutionen erteilt Paulus (und auch Petrus) eine eindeutige Absage. Zwar hat Paulus gar nichts dagegen, alle Möglichkeiten zu nutzen, die das gegenwärtige Gesellschaftssystem bietet; aber eine Veränderung dieses Systems strebt Paulus nicht an. Er kritisiert sogar entsprechende Versuche.

Paulus wollte das System verändert wissen, dass hinter allen gesellschaftlichen Systemen und hinter der gesamten Welt stand. Die Sünde musste weg. Nicht das Empfinden von Neid und Ungerechtigkeit und Gegängeltsein.

Genügend Baustellen

Nebenbei bemerkt, hatte man im Umgang mit der Gesellschaft genügend Kriegsschauplätze, die den Gläubigen damals fundamentaler erschienen als der Kampf um die gesellschaftliche Gleichberechtigung aller.

So nimmt der interne Umgang von Juden und Nichtjuden in der Gemeinde im Neuen Testament breiten Raum ein. Dieses Problem hatte direkt mit dem Umgang mit Gott zu tun. Vermutlich können wir kaum ahnen, wieviel gesellschaftliche Revolution allein in diesem einen Thema steckt.

Religiös war man von zwei Seiten umzingelt: Auf der einen Seite die Juden, welche diesen Messias nicht akzeptieren wollten und jede Behauptung, ein Gekreuzigter sei Gottes Gesalbter, mit Härte als Gotteslästerung verfolgten. Auf der anderen Seite die römische Gesellschaft, die eine Organisation, welche weder einen Tempel hatte noch Opfer brachte; deren Anbetungsgegenstand ein Gekreuzigter und damit anerkannter Maßen ein Krimineller war; die keine Heiligtümer hatte und sich nicht vor dem Standbild des Kaisers verbeugte, eigentlich nicht als Religion anerkennen wollte, weil jedes Kennzeichen einer Religion fehlte.

Die Begründung für des Paulus Systemtreue

Aus irgendwelchen Gründen war es für Paulus wichtig, dass möglichst viele Menschen Christen wurden.

Vermutlich ging er davon aus, dass dadurch der Wille Gottes am besten umgesetzt wurde. Denn Gott wollte lieben und geliebt werden, das war Gottes Motiv für jede seiner Handlungen.

Also war es Paulus‘ primäres Anliegen, dass möglichst viele Menschen Jesus als Erlöser akzeptierten und damit den Sieg über das Böse in die Tat umsetzten.

Dieses Ziel man aber nicht, wenn man den Großteil der Bevölkerung einschließlich aller Regierenden gegen sich aufbringt.

Folglich lesen wir folgende Begründungen des Paulus in seinen Briefen:

1.Timotheus 3,7

7Er muss aber auch ein gutes Zeugnis haben von denen, die draußen sind, damit er nicht in übles Gerede und in den Fallstrick des Teufels gerät.

1. Timotheus 5,14

14Ich will nun, dass jüngere Witwen heiraten, Kinder gebären, den Haushalt führen, dem Widersacher keinen Anlass zur Schmähung geben;

1.Timotheus 6,1

1Alle, die Sklaven unter dem Joch sind, sollen ihre eigenen Herren aller Ehre für würdig halten, damit nicht der Name Gottes und die Lehre verlästert wird.

Titus 2,4–5

5besonnen, keusch, mit häuslichen Arbeiten beschäftigt, gütig zu sein, den eigenen Männern sich unterzuordnen, damit das Wort Gottes nicht verlästert wird!

Tit 2,10

10 nichts zu unterschlagen, sondern alle gute Treue zu erweisen, damit sie die Lehre unseres Retter-Gottes in allem zieren!

Einfach gesagt: Das Evangelium würde keine Erfolgsstory werden, wenn es sich außerhalb der Gesellschaft stellte. Aus gesellschaftlicher Sicht sollte es attraktiv sein, Christ zu werden.

Allgemein gemeint

Aufgrund dieser Begründungen des Paulus ist klar, dass das verklemmte Kompromissmodell heutiger konservativer bibeltreuer Gemeinden ein Unding ist: Dass man sagt, in der Gesellschaft könne eine Frau ja Machtpositionen einnehmen, aber in der Gemeinde solle sie sich dann bitte „biblisch“ benehmen. Die Forderung des Paulus, sich an die Regeln des gesellschaftlichen Systems anzupassen, hatte ja gerade den Sinn, dass sich das Verhalten innerhalb der Gemeinde nicht vom Verhalten im richtigen Leben unterschied. Die Gemeinde sollte ja gerade nicht ein Bild vermitteln wie die Kommune 1 in Berlin.

Ein Sonntagslebensstil, der den Rest der Woche nicht galt, war nicht vorgesehen in Gottes Plan.

Seltsame Argumente

Wenn man tatsächlich mal über die Argumentation des Paulus nachdenkt, wird man unweigerlich auf sehr seltsame Begründungen stoßen.

Ein Beispiel: 1.Tim 2,12-13

12 Ich erlaube aber einer Frau nicht zu lehren, auch nicht über den Mann zu herrschen, sondern <ich will>, dass sie sich in der Stille halte, 

13 denn Adam wurde zuerst gebildet, danach Eva; 

Wo ist hier die Logik?

BasteiDie Logik liegt darin, dass das Altertum genau so dachte: Das Ältere ist das Bessere. Weil das Ältere näher am Ursprung der Welt liegt, ist es das ursprünglichere, das göttlichere.

Bei uns ist es heute eher andersherum: Das Neueste ist das Beste, das aktuellste ist das hippste.

Wir würden auf das Argument von Paulus eher sagen: „Der Mann war ohne die Frau so unvollkommen, dass Gott es für notwendig hielt, einzugreifen.“

Aber so wie bei uns der Satz „es ist statistisch erwiesen, dass …“ automatisch Beweiskraft hat, obwohl eine Statistik niemals einen Beweis darstellen kann, so hatte damals das Argument des Älteren automatisch Beweiskraft.

Und folglich benutzt Paulus dieses Argument, und es ist gut möglich, dass Paulus als Kind seiner Zeit das auch tatsächlich so geglaubt hat.

Sie können ja mal nachforschen, wie oft das Argument der Statistik in theologischen und gemeindlichen Diskussionen benutzt wird. Und die, die das statistische Argument verwenden, glauben allen Ernstes, dass sie die Wahrheit sagen. Die wollen keineswegs mit unwahren Aussagen manipulieren.

Schwierig für heute

Die Leser dieses Artikels kommen aus einer Zeit, in der das Individuelle extrem wichtig ist.

Die heutigen Menschen wollen nicht „normal“ sein, „durchschnittlich“. Sie wollen etwas besonderes sein, ganz individuell, wollen als unverwechselbar wahrgenommen werden.

Darum betreiben sie Accounts auf Facebook, WhatsApp, Instagram und TicToc. Um ihre Besonderheit, ihr Anderssein, ihre Individualität zu beweisen.

„Du bist aber ziemlich normal“ gilt heute als Beleidigung, und niemand will Max oder Erika Mustermann sein.

Ein „durchschnittlicher Mensch“ ist so ziemlich das langweiligste, was man sich heute vorstellen kann.

Diese Art des Denkens hat natürlich auch auf die Christenheit abgefärbt, und so wird des Paulus „seid nicht gleichförmig dieser Welt“ auf solche äußeren Lebensformen bezogen wie

  • nicht Fernsehen zu schauen
  • vor dem Essen zu beten
  • eine christliche Familie gemäß der christlichen Haustafel zu sein
  • nicht an die Evolution zu glauben

aber keineswegs darauf, sich entgegen der Welt nicht zu sorgen, barmherzig über russische Soldaten zu denken und nicht jedes Schnäppchen mitnehmen zu müssen.

Wir wollen zwar nicht durchschnittlich sein, aber so exklusiv, dass wir unser Leben von Barmherzigkeit, Vergebung und Güte bestimmen lassen, so exklusiv wollten wir dann doch nicht werden.

Aber genau das ist es, was Paulus fordert: Gesellschaftliche Durchschnittlichkeit und geistliche Exklusivität.

Und dann noch Bibeltreue

Wenn man dann noch „bibeltreu“ ist und möglichst jeden Bibeltext wörtlich verstehen will, dann wird man in des Paulus Aussagen über die Rolle der Frau nicht den Sinn sehen, den Paulus seinen Aussagen gibt – nämlich die Vermeidung des Exzentrischen und der Abkapselung von der Gesellschaft – sondern man wird die Frauenrolle der Taliban übernehmen, denn so steht es ja da – aber man wird dabei natürlich auf beiden Beinen hinken, denn diese Frauenrolle ist in unserer Gesellschaft nicht umsetzbar. Folglich wird man in der Gemeinde eine islamische, oh Entschuldigung, christliche Spezialwelt aufbauen und in der Gesellschaft so leben, als gäbe es den Bibeltext nicht.

Und dann glaubt man allen Ernstes, man habe jetzt den Willen Gottes erfüllt.

Und die Anweisungen des Paulus sachgerecht umgesetzt.

Aber der Wille Gottes (und des Paulus) besteht nicht aus einem bestimmten hierarchischen System.

Er besteht aus Gottes Liebe für möglichst viele Menschen.

Zusammenfassung

Paulus geht davon aus, dass die Erlösung durch keine Gesellschaftsform beeinträchtigt werden kann. Darum akzeptiert er die vorhandene.

Auch wenn er wohl weiß, dass die aktuelle Gesellschaftsform voller Fehler und Ungerechtigkeiten ist.

Immer. Jede.

„Freiheit“ ist für Paulus nicht primär ein gesellschaftlicher oder politischer Begriff. Frei muss der Mensch sein vom Bösen, nicht von hierarchischen Strukturen.

Das Ziel des Paulus ist es, möglichst viele Menschen in Gottes Nähe zu ziehen.

Da ist jede Form eines extravaganten Lebensstils störend, denn die Botschaft von dem hingerichteten und auferweckten Gottessohnes ist in sich selbst exotisch genug. Es ist schon viel verlangt von einem Menschen, dass er sich mit dieser Botschaft identifiziert.

Folglich ist Paulus auch kein Frauenfeind. Im Gegenteil erlaubt er den Frauen alles, was auch nur irgendwie in der Gesellschaft möglich ist, denn wenn Männer und Frauen (und Sklaven und Freie) vor Gott gleich sind, so kann eine Ungleichheit in der Gesellschaft, nachdem Jesus den Fluch der Sünde aus Genesis 3 beseitigt hat, nicht mehr gottgewollt sein.

Gottgewollt ist aber eine Anpassung an diejenigen, die man für den Glauben gewinnen will.

Wer denen Hindernisse in den Weg lägt, dem droht der Mühlstein.

Gut, dieses letzte Beispiel war von Jesus.

Aber trotzdem.