Alles oder Nichts

Dieser Artikel handelt von Allem. Wenn Sie eher zu 80% tendieren, sind Sie hier falsch und verschwenden Ihre Zeit und das bisschen Energie, das Sie haben. Gehen Sie lieber auf TikTok und schauen Sie Memes.

Dieser Artikel handelt vom Nichts. Er wurde unter „A“ einsortiert, um Sie zu irritieren. Es ist nämlich viel einfacher, einen langen Artikel über Nichts zu schreiben als einen kurzen über Alles.

Die Prozente des Nichts

Wenn man davon ausgeht, dass das Alles aus 100% besteht, kann man andererseits keineswegs davon ausgehen, dass das Nichts aus 0% besteht. Das Nichts in der Bibel kann auch aus 50% bestehen, dann ist es aber immer noch „Nichts“. Denn das Problem ist: Die Hälfte oder ein Viertel oder drei Viertel gibt es in der Bibel in vielen Zusammenhängen nicht. Mt 22,37

37 Er aber sprach zu ihm: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand.«

Das leuchtet uns vom deutschen Sprachverständnis her schon ein, dass es nicht gut sein kann, Gott oder auch etwas anderes mit halbem Herzen zu lieben. Halbherzigkeit ist in Deutschland keine Tugend.

Und so kann man aus obiger Bibelstelle auch folgern, dass „Ganz oder gar nicht“ eine biblische Parole ist, oder, wie es vor 20 oder noch mehr Jahren mal auf Aufklebern zu lesen war: ein halber Christ ist ein ganzer Unsinn.

Andererseits ist Radikalität ja unbeliebt. Der goldene Mittelweg wird als tugendhaft verehrt, Mäßigkeit allenthalben geschätzt –Ein Bild für alles

Oder nein, doch nicht. Denn wenn unser Bundestrainer seine Arbeit nur mäßig macht und zum Trainerworkshop für die WM nicht erscheint, weil er sowieso schon alles weiß, was da besprochen wird, dann kriegt er vermutlich massiven Ärger.

Das mit der Radikalität und der Mäßigkeit ist in Deutschland – und wahrscheinlich nicht nur dort – eine Frage des subjektiven Gefallens.

Wenn andere mäßig sind, seien es Politiker, Handwerker oder die Stadtverwaltung, dann ist die Empörung groß. Denn hier würde uns Radikalität, Einsatz mit ganzem Herzen persönlich nützen. Also deren Einsatz, nicht unserer. Schließlich erwarten wir ja etwas für unser Geld.

Wenn aber wir selbst mit ganzem Herzen bei einer Sache sein sollen – es ist eben so, dass wir unsere Liebe oder unsere Abneigung zur Radikalität davon abhängig machen, ob es unseren Ansprüchen nützt oder nicht. Ob die Radikalität uns zu Gute kommt oder – Gott bewahre – von uns verlangt wird.

Der Mangel an Mäßigkeit

Die Bibel kennt nun allerdings das Prinzip der Mäßigkeit oder der 50% oder der 75% gar nicht. Weder auf der Seite Gottes – man wird ihm wohl kaum vorwerfen können, dass er halbherzig sei in seinem Bemühen um das Heil der Welt oder dieses nur mit mäßigem Interesse verfolgt – noch bei den Kindern Gottes, also den Christen.

Es gibt das Gleichnis von den klugen und den dummen Fräuleins, die alle auf den Bräutigam warten. Die, die nicht zu 100% bei der Sache waren, sondern nur zu 80% - es fehlte ihnen ja nicht viel, denn sie hatten die Lampen dabei, und hingegangen waren sie auch und gewartet hatten sie auch – aber am Ende bekamen sie noch nicht einmal einen Stehplatz. Alles oder nichts.

Und der oft zitierte reiche Jüngling – hoch motiviert, fromm bis zur Halskrause, nach solchen würden wir uns in der Gemeinde doch die Finger lecken! Man stelle sich vor, der kam zu Jesus und fragte ihn, wie er noch heiliger werden könne! – und Jesus stellte ihn vor die Wahl: Ganz oder gar nicht. Alles oder nichts.

Retten Sie irgendwas!

Mk 8,35

35 Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, wird es retten.

Dieser Satz von Jesus ist ebenfalls nicht dazu angetan, unseren Glauben an die Mäßigkeit zu stärken. Jesus bietet hier kein Joint Venture an, so nach dem Motto: „Wir machen halbe-halbe – die Hälfte Deines Lebens behältst Du, die andere verlierst Du. Eine Hälfte für Dich, eine Hälfte für Gott.“

Es scheint wohl so, dass Gott der Herr sein will. Das heißt dann im Neuen Testament andersrum, dass der Mensch ein Sklave Christi ist. Das ist aber auch wiederum eine Sache, die nicht teilbar ist, die nicht in irgendeiner Form von Mäßigkeit zu bewältigen ist. Sklave ist man dem Wesen nach zu 100% oder gar nicht, und einen Herrn in diesem Sinne hat man zu 100% oder gar nicht. Einen Teilzeitsklaven kann es nicht geben, weil es hier um Eigentumsfragen geht. Sie kaufen ja auch keine Wohnung und kein Auto, das 8 Stunden am Tag Ihnen gehört und 8 Stunden Ihren Nachbarn und 8 Stunden dem Verkäufer im Media-Markt.

Einsprüche

Die Einsprüche gegen die 100% sind natürlich genau so alt wie die Aussprüche Jesu. Man denke doch nicht, dass man der erste ist, der gegen diese massiven Ansprüche von Radikalität lieber die Forderung nach Interessenausgleich setzt. Da waren nämlich schon welche vor uns, und die ersten unserer Vorgänger waren diese: Lk 9,57-62

59 Er sprach aber zu einem anderen: Folge mir nach! Der aber sprach: Herr, erlaube mir, vorher hinzugehen und meinen Vater zu begraben.

Schließlich wollen wir nicht hartherzig sein, sondern feinfühlig und sensibel. Man will doch nicht jemanden enttäuschen, die Familie, die schließlich erwartet, dass wir unsere traditionelle Pflicht tun, und die Nachbarn, wie schockiert werden sie sein, wenn wir die Beerdigung unseres Vaters delegieren! Wir wollen doch Rücksicht nehmen.

60 Jesus aber sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!

Entweder, Du erledigst die Aufgaben, die die Tradition von Dir fordert, und die die Nachbarn von Dir fordern und die Familie und Dein Pflichtgefühl und die Gesellschaft und der gute Ton und der Anstand und die Verantwortung und Dein sozialer Status .... nehmen Sie einfach alle diejenigen, die etwas von Ihnen erwarten. Wo Sie es sich nicht trauen, „nein“ zu sagen: die Lehrer mit dem Elternabend und der Flohmarkt im Kindergarten und der Sportverein, der einen Kuchen erwartet zum Jahresfest, und Tante Lola die unseren Besuch zum 70.Geburtstag erwartet und die Kollegen, die uns beim Betriebsfest erwarten und unsere Nachbarn, die von uns einen gepflegten Vorgarten erwarten, und all die Ereignisse, wo wir sagen, also da müssen wir uns doch sehen lassen, und das wird doch von uns erwartet ......

Jesus sagt: Entweder Du befriedigst die hundert Ansprüche von den tausend Leuten um Dich rum, oder Du befriedigst die Ansprüche des Einen. Ganz oder gar nicht. Alles oder nichts.

61 Es sprach aber auch ein anderer: Ich will dir nachfolgen, Herr; vorher aber erlaube mir, Abschied zu nehmen von denen, die in meinem Hause sind.

Das mag manch eine wundern, aber Ihr kennt vielleicht auch die Leute, die bereit sind, ein Buch wegzuwerfen, dass schon seit 20 Jahren unberührt im Schrank steht, aber bevor sie es wegwerfen, wollen sie es nochmal lesen. Dafür fehlt aber natürlich die Zeit, und so steht das Buch 20 weitere Jahre im Schrank. Man will sich noch verabschieden von dem Buch. Aber ansonsten braucht man es nicht mehr, gar nicht mehr.

Genauso geht das mit den Menschen. Man will zwar Jesus nachfolgen, aber wenn Tante Lola Geburtstag hat, oder wenn Kindergartenflohmarkt ist, oder wenn die Schwägerin zur Babytaufe lädt, dann hat das Vorrang vor jedem Termin von Gemeinde und Reich Gottes.

62 Jesus aber sprach zu ihm: Niemand, der seine Hand an den Pflug gelegt hat und zurückblickt, ist tauglich für das Reich Gottes.

Alles.Vom Fahrrad fahren kennen wir das, wie schwierig das ist, nach hinten zu schauen und weiter geradeaus vorwärts zu fahren. Das war früher beim Pflügen nicht anders, vor allem, wenn man die erste Furche pflügt und noch keinen Anhaltspunkt links oder rechts von sich hat. Da darf man das Orientierungsmerkmal, das man sich ausgesucht hat, nicht aus den Augen lassen.

Jesus sagt hier: Entweder Du arbeitest an der Zukunft, oder Du pflegst Deine Vergangenheit. Die Pflege der Vergangenheit ist zwar total heimelig und völlig ungefährlich, denn da weiß man, was man hat, und die Vergangenheit wird ja im Laufe der Jahre immer schöner, aber die Pflege der Vergangenheit bringt Dich im Sinne Jesu nicht weiter. Vergangenheitspflege ist nicht wachstumsfördernd.

Entweder vorwärts oder rückwärts, entweder ganz oder gar nicht, alles oder nichts.

Noch ältere Argumente

Die Frage nach der Entscheidung war natürlich zur Zeit Jesu nicht mehr neu, denn schon Elia hat auf dem Karmel zu den Leuten gesagt: 1.Kön 18,21

21 Und Elia trat zum ganzen Volk hin und sagte: Wie lange hinkt ihr auf beiden Seiten? Wenn der HERR der <wahre> Gott ist, dann folgt ihm nach; wenn aber der Baal, dann folgt ihm nach! Aber das Volk antwortete ihm kein Wort.

Natürlich antwortete das Volk nicht, denn es wollte sich nicht entscheiden. Man wollte sowohl als auch. Man hatte Angst, etwas zu verpassen, gewisse Chancen nicht zu nutzen, wenn man sich für eine Seite entschied.

Wir sind natürlich schon etwas weiter. Wir entscheiden uns zwar auch nicht, aber wir bewundern zumindest mal die, die sich entscheiden. Die nach irgendwo gehen, wo wir niemals hingehen würden, weil es dort ungemütlich ist, und die dort eine Arbeit anfangen für Menschen, von deren Existenz wir noch nicht einmal gehört haben.

Und wir wundern uns, dass das mit der Gemeinde irgendwie nicht richtig funktioniert, und wir stellen fest, dass diese komischen Verheißungen in der Bibel, die so radikal klingen, so mit Berge versetzen und nichts unmöglich und so, dass die gar nicht so richtig funktionieren, und dass wir uns immer furchtbar viel Mühe geben müssen, um sie umzuinterpretieren, damit die Bibel nicht als Lügenbuch dasteht.

Aber wenn Jesus heute zu uns sagen würde: „Folge mir nach!“ – müssten wir da nicht verlangen, dass Jesus gefälligst Rücksicht nimmt auf unsere Familie, unseren Beruf, unsere Ambitionen, unseren Urlaubsanspruch, unsere Finanzierungspläne und unsere Pflichten im Elternbeirat und im Turnverein? Und Tante Lolas Geburtstag und die Silberhochzeit des Cousins zweiten Grades?

Würde Jesus uns heute mitnehmen, oder würde er uns heimschicken, damit wir uns in Ruhe unseren vielfältigen Angelegenheiten widmen können?

Ein pingeliger Gott

Es ist ja keineswegs so, dass Gott dankbar ist für alles, was man ihm bringt und opfert. Meine Lieblingsstelle zum Thema Steak und Schnitzel ist in Mal 1,8

8 Auch wenn ihr Blindes darbringt, um es als Opfer zu schlachten, ist es <für euch> nichts Böses; und wenn ihr Lahmes und Krankes darbringt, ist es <für euch> nichts Böses. Bring es doch deinem Statthalter! Wird er Gefallen an dir haben oder dein Angesicht erheben? spricht der HERR der Heerscharen.

Ich habe schon gelegentlich darauf hingewiesen, dass ein blindes Schaf auch einen guten Braten gibt und eine hinkende Kuh auch ein vollwertiges Steak. Umso unverständlicher ist es ja, dass Gott hier solche Ansprüche stellt. Schließlich könnte man die gesunde Kuh ja noch zu was brauchen. Da ist es doch viel vernünftiger, wenn man die behinderte Kuh spendet.

Aber Gott will das Beste, oder er will gar nichts. Und da kann die Kuh 200 kg wiegen oder mehr, in den Augen Gottes fällt sie in die Rubrik „Nichts“. 200 kg Nichts.

Das Schlusswort

Angefangen hat dieser Artikel mit Jesu Forderung, dass man Gott lieben soll mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit ganzem Verstand und mit aller Kraft. Etwas ähnliches sagt auch Mt 10,37-38

37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig;

38 und wer nicht sein Kreuz aufnimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig.

Wenn ich die Kraft meiner Liebe darstellen sollte auf einer Messlatte, die von 1 bis 100 geht, und wenn meine Liebe zu Jesus tatsächlich den Wert 70 erreicht, meine Liebe zu einem Menschen aus meiner Peripherie aber den Wert 80, dann, so sagt Jesus, zählen die 70 wie Nichts.

Alles oder nichts. Der Artikel zu diesem Thema wurde geschrieben, weil es ein biblisches Thema ist. Kein sehr beliebtes, aber ein zentrales.

Man hat ja sogar versucht, das ins heutige Deutsch zu übersetzen. Mit dieser Übersetzung endet dieser Artikel: Sei ganz sein, oder lass es ganz sein.