Römer 12,1-8 Natürlich oder über?

Dieser Artikel behandelt aus gegebenem Anlass die Frage, ob die in Römer 12 genannten Aufgaben mit den natürlichen Begabungen ausgeführt werden, die jeder Mensch hat, oder mit übernatürlichen, die aber in den heutigen Gemeinden eigentlich nicht mehr vorkommen.

Natürlich ist diese Frage an sich realitätsfern. Als Paulus den Abschnitt schrieb, waren Christen ohne übernatürliche Begabungen für ihn überhaupt nicht vorstellbar. Mit der Taufe wurde die Gabe des Heiligen Geistes vergeben, und die war allgemein mit übernatürlichen Gaben verknüpft.

(Nur der äthiopische Finanzminister hat nicht in ihm unbekannten Sprachen geredet. Zumindest wissen wir nichts davon.)

Folglich hätte Paulus sich sehr über die Frage gewundert. Selbstverständlich hätte er alle in Römer 12 aufgeführten Aufgaben mit Heiligem Geist und damit mit übernatürlicher Begabung getan. Man konnte dem Heiligen Geist ja nicht zwischendurch kurz kündigen.

Außerdem wird, wenn man diese Dinge mit den natürlichen Begabungen des Menschen tun will, sehr schnell ein Gesetzestext daraus, dessen Forderungen man durch Disziplin und Mühegeben zu genügen hat. Jesus ist aber gekommen, das Gesetz (durch Erfüllung) abzuschaffen. Nicht, um ein neues zu etablieren.

Dieser Artikel behandelt den Aspekt der Übernatürlichkeit für den ersten Teil von Kapitel 12.

Im zweiten Teil, ab Vers 9, beschreibt Paulus eher Auswirkungen und Ausprägungen der Liebe. Die allerdings, wie man in 1.Kor 13 sieht, rein übernatürlich verstanden wurde. Es ist Gottes Liebe, die in unsere Herzen ausgegossen ist durch den heiligen Geist.

Dieser Artikel behandelt nur die Gnadengaben, die an dieser Stelle explizit als solche eingeführt werden und wo es sich eigentlich von selbst verstehen würde, dass man sie nicht mit eigener Kraft, eigener Motivation und weltlichen Zielsetzungen ausführen soll.

Vers 2 – die Gleichförmigkeit und die Perfektion

Schon die Aufforderung, nicht gleichförmig dieser Welt zu sein, ist ein Hinweis auf übernatürliche Forderungen.

Anders sein setzt einen anderen Geist, eine andere Haltung und andere Methoden als die Welt voraus.

Und Achtung: Hier steht nicht „seid die besten in der Welt mit den weltlichen Methoden“.

Es geht nicht darum, die Welt mit ihren eigenen Methoden zu toppen.

Da steht nicht: Seid die besten Menschenrechteschützer von allen Menschenrechteschützern!

Da steht nicht: Seid die beste Greta unter allen Gretas!

Da steht: Seid anders als Greta, seid anders als die Menschenrechtsschützer, seid anders als euer aggressiver Nachbar oder eure langweilige Tante.

Auch das zu erzielende Ergebnis ist nicht von dieser Welt: Wir sollen in der Lage sein, festzustellen, was das Vollkommene ist. Also der unverbesserliche Wille Gottes in der jeweiligen Situation.

Das einzige in dieser Situation optimale.

(Und wir sollen das Herausgefundene dann natürlich auch tun.)

Zusammengefasst: Schon der Vers 2 macht nicht den Eindruck, als wenn es hier darum geht, die Welt mit ihren eigenen Methoden zu übertreffen. Sondern etwas völlig anderes muss her.

Vers 3 – Messbecher bereithalten

Die Frage in Vers 3 ist, worauf sich das "höher denken" bezieht.

Natürlich kennen wir aus unseren Gemeinden die Machtfrage. Jeder meint, alles beurteilen zu müssen und zu können. Jeder will beim Gehalt des Predigers mitreden. Jeder meint, die bessere Missionsstrategie zu kennen.

Da wir dieses Verhalten aus unseren Gemeinden kennen, sind wir leicht geneigt, es in die Worte des Paulus hineinzulesen.

Vermutlich geht es dem Paulus aber um ein Verhalten, das wir in unseren Gemeinden nicht kennen, dass aber z.B. in 1.Korinther 13,1-3 deutlich beschrieben ist:

Dass die Leute es nämlich für unglaublich wichtig hielten, Übernatürliches zu tun, und zwar übernatürlicher als der Nebenmann.

Man sprach also nicht nur in normalen Zungen, sondern in Engelszungen. Man hatte nicht nur durchschnittliche Weissagung, sondern mehr und tiefere als der Nebenmann. Im Grunde hatte man Gott voll und ganz verstanden.

Darum weist Paulus hier im Römerbrief darauf hin, dass Gott Maß und Menge bestimmt. Und wenn jemand nicht von Gott beauftragt und autorisiert ist, zu weissagen oder Kranke zu heilen, dann führt sein Handeln zu unschönen Verwerfungen in der Gemeinde, und das Eigentliche, für das die Gemeinde da ist, geht völlig unter.

Wenn hier also ein "Maß" angegeben wird, dann ist die Frage nicht, wer wieviel in die Gemeindekasse geben darf oder wieviel jemand abspülen darf. Sondern wieviel übernatürliche Fähigkeiten Gott dem Einzelnen gegeben hat. (Aber nicht: Wieviel Geld oder wieviel Solidarität.)

Der Vers 4 weist darum auch darauf hin, dass man sich nicht im Prophezeien gegenseitig übertrumpfen soll, sondern jeder soll das machen, wofür Gott ihm die Gabe gegeben hat.

Vers 6 – ohne Hörgerät

Hier ist die Übernatürlichkeit klar:

Jeder Glaubende erfährt das Wort Gottes durch die Bibel, egal, ob er sie selbst liest oder jemand ihm den Inhalt erzählt. Damit hat er es schwarz auf weiß.

Nun gut, da bleibt immer noch viel Interpretationsspielraum.

Der Weissagende aber erfährt das Wort Gottes direkt von Gott. Er kann sich auf keine Buchstaben verlassen.

Darum ist für ihn wiederum der Glaube so bedeutend.

Denn will er hören, muss er sein Verhältnis zu Gott ungetrübt halten.

Wenn dem Hören auf Gott der Filter der eigenen Gedanken und Wünsche und Vorstellungen vorgeschaltet ist, dann wird der Weissagende nicht hören können, was Gott wirklich sagen will.

Der Lesende hat immer noch das Korrektiv der Buchstaben, die ihn davor beschützen wollen, den Willen Gottes zu vergewaltigen.

Dem Weissagenden fehlt dieses Korrektiv. Er hört „übernatürlich“.

Darum muss er es dem Glauben gemäß tun, d.h. er muss mit dem Vertrauen auf die Größe und Unfehlbarkeit Gottes hören.

Vers 7 – Dienst oder nur Service?

Der Diakon diene nicht, indem er herrsche oder lehre. Aber er diene so, dass es wirklich Dienst ist und nicht nur Service. Also so, dass es dem Bedienten wirklich hilft.

Die Fähigkeit, das zu tun, was wirklich dient, ist aber weder über verstandesmäßige Analyse noch durch natürliche Empathie zu erreichen. Was dem Menschen wirklich dient, weiß nur Gott. Denn nur Gott kennt das Innere meines Gegenübers.

Somit ist die Form des Dienstes, die der Gemeinde Gottes würdig ist, die, welche sich von Gott sagen lässt, was dem Anderen jetzt tatsächlich am meisten dient. Und sich nicht vom anderen sagen lässt, was der jetzt braucht. Gott ist klüger als der Andere. Würde man auf den anderen hören, bliebe man im Bereich des Weltlichen, des menschlich Vorstellbarem und Denkbarem.

Vers 7 – Lehre oder Rechthaberei?

Es wird hier unterschieden zwischen verschiedenen, durch Menschen ausgesprochenen Worten.

  • Das Wort der Weissagung, das ohne Umwege von Gott kommt.
  • Das Wort der Lehre, bei dem jemand verstanden haben muss, was Gott wirklich will.
  • Das Wort der Ermahnung, das erkennt, wie Umsetzung in den heutigen Zusammenhängen zu geschehen hat.

Die Lehre muss dringend unterscheiden können zwischen dem Zeitgeist und der political correctness auf der einen Seite und dem Willen Gottes auf der anderen Seite. Letzterer wird u.a. daran erkannt, dass er zu sämtlichen weltlichen Strömungen im Widerspruch steht und weitaus größere und bessere Ziele verfolgt, als wohlmeinende aber erdgebundene Organisationen es jemals könnten.

Der übernatürliche Lehrer muss auch unterscheiden können zwischen dem, was der Bibelleser liest und aufgrund seines reformatorischen Vorverständnisses versteht, und dem, was Gott wirklich durch diesen Text sagen wollte.

Die in diesem Vers benannte Lehre muss also übernatürlichen Ursprungs sein, sonst kann sie Gott, den Übernatürlichen, nicht verstehen.

Vers 8 – praktisch oder kritisierend?

Man kann sich ja darüber streiten, wer hier den schwierigeren Job hat. Während der Lehrer sich eher mit intellektuellem oder dogmatischem Widerstand herumschlagen muss, hat der, der ermahnt, es mit dem praktischen Widerstand zu tun.

Das ist zum Einen der Widerwille, sich überhaupt ändern zu sollen. Das hört sich dann ja so an, als wenn man es nötig hätte.

Da ist zum Anderen der Widerwille, gerade in diesem Punkt, in dieser Sache etwas anders machen zu sollen. Ausgerechnet diesem Trottel vergeben zu sollen, ausgerechnet diesem Staat Steuern zahlen zu sollen. Sich im Angesicht ausgerechnet dieser Diktatur oder dieser Umstände nicht mehr als Opfer fühlen zu sollen.

Um zu erkennen, wo und wie Verhaltensänderung notwendig ist, reicht aufgrund des unendlichen Willens Gottes normale Pädagogik und durchschnittlicher Ideenreichtum nicht aus.

Vers 8 – gehorsam oder berechnend?

Zu wissen, wo Gott das Geld haben will, ist keine weltliche Fähigkeit.

Denn die Maßstäbe, nach denen Gott das Geld verteilt, sind dem menschlichen Geist erst einmal unbekannt.

Das liegt daran,

  • dass Gott nicht im normalen Sinne berechnend ist, sondern großzügig
  • dass Gott die ganze Welt kennt, auch in ihrem Finanzbedarf, und wir nicht
  • dass unser Geben vielleicht gar keine Wirkung auf jemand oder etwas anderes haben soll, sondern nur auf uns – das wissen wir aber nicht
  • dass wir auch überlegen, wem wir das Geld gerne geben würden; wer es in unseren Augen verdient hat.

Wenn Paulus hier Einfalt fordert, ist das das Gegenteil von Einschätzung oder Berechnung.

Sondern es verlangt die Erkenntnis, wo Gott das Geld hinhaben will. Und genau da gibt man es hin: In Einfalt, ohne Berechnung, sondern schlicht gehorsam.

Vers 8 – führen oder verhindern?

Auf den ersten Blick könnte man meinen, die Arbeit eines Gemeindevorstandes hat wenig bis gar nichts mit Übernatürlichkeit zu tun.

Schließlich muss der Vorsteher ja vor allem die Fäden zusammenhalten und als Moderator zwischen den Gemeindegliedern fungieren.

Dieses Bild des Vorstehers geht aber von einer statischen Gemeinde aus. Von einer Gemeinde, die kein zu erreichendes Ziel hat, sondern ihren Mitgliedern einen Ort der christlichen Geborgenheit bietet.

Im Neuen Testament ist die Gemeinde schon deshalb nicht statisch, weil sie der Leib Christi ist. Damit ist sie ähnlich lebendig wie ein Nilpferd.

Und der Vorsteher einer Gemeinde ist Stellvertreter des Hauptes des Leibes Christi.

Der muss wissen, was der Christus will.

Zuverlässig.

Der Vorsteher muss nämlich eigentlich vorangehen. Er ist Führer, nicht Verwalter eines Status quo.

Um vorangehen zu können, muss er aber wissen, wo der Christus hingehen will.

Und das geht nicht mit natürlichen Mitteln.

Vers 8 – barmherzig oder von oben herab?

Der, der Barmherzigkeit übt, kopiert Jesus in dessen zentraler Rolle.

Nicht nur, dass Jesus die Opfer alles Bösen befreit hat – sei es von Krankheit, sei es von Dämonen, sei es von Gottesferne durch Unreinheit – sondern Jesu Kommen zur Gründung des neuen Reiches, in dem wir heute leben, war ja ebenfalls der Barmherzigkeit mit den Sündern gewidmet.

Wie man Barmherzigkeit mit weltlichen Mitteln übt, können Sie am Sozialamt sehen. Da werden Regeln und Maßstäbe erlassen, damit es zu keiner Ungerechtigkeit und zu keiner Ausnutzung kommt.

Sozialamtsbarmherzigkeit funktioniert, aber auf einem sehr kärglichen Niveau.

Wenn Sie in der Barmherzigkeit Jesus vertreten wollen, vergessen Sie menschliche Methoden.

Und vergessen Sie „Gerechtigkeit“.

Die Barmherzigkeit, die vom Leib Christi ausgeht, muss anderes bieten können als die Entwicklungshilfe des deutschen Staates.