Galater 6,12-15 das Huhn Eugenia
Es geht heute um die Geschichte des Huhns Eugenia.
Das Huhn Eugenia lebte in Käfighaltung. Das war schon sehr gefangen, sehr begrenzt.
Und es legte auch seine Eier immer in diesem Käfig.
Eines Tages kam nun der Erlöser. Also eigentlich der Hühnerhalter.
Der Hühnerhalter hatte festgestellt, dass es für Freilandeier mehr Geld gab, und der Gedanke des Tierschutzes sagte ihm auch ein bisschen zu, und darum hatte der Hühnerhalter ein Freigelände an den Hühnerstall gebaut. Das war natürlich überdacht, wegen den Raubvögeln und hatte einen soliden Zaun wegen Fuchs und Marder, aber es war schon sehr frei und recht groß.
Und so machte der Hühnerhalter nun die Tür vom Stall und von den einzelnen Käfigen auf und verkündete, er erwarte jetzt Eier aus Freilandhaltung.
Das Huhn Eugenia verließ also zuerst seinen Platz, wo es normalerweise den ganzen Tag sitzen musste, und verließ dann auch den ganzen Stall ging nach draußen.
In die Freiheit.
Nun gab es in diesem Stall auch ein paar Hähne. Fragen Sie mich nicht, warum. Es war halt so. Waren auch nicht viele, sechs oder sieben. Vielleicht wollte der Hühnerhalter gelegentlich mal ein halbes Hähnchen aus eigener Herstellung.
Die Hähne waren die Chefs im Stall. Sie bestimmten die öffentliche Meinung. Was man offiziell zu denken hatte, das verkündeten die Hähne.
Die Hähne verstanden, dass sie draußen im Freigelände wahrscheinlich nicht mehr so richtig die Chefs sein würden. Das Gelände war zu groß, die Möglichkeiten zu vielseitig. Ein Huhn am anderen Ende des Zauns war nicht mehr zu kontrollieren.
Aber die Hähne konnten halt auch die Tür nicht mehr zumachen.
Folglich verkündeten sie ein Gesetz, dass Eier nur im Stall gelegt werden dürften. Man könne ja mal rausgehen, wenn man tatsächlich meine, dass durch den Hühnerhalter jetzt so eine große Erlösungstat geschehen sei – eine Meinung, die die Hähne übrigens nicht teilten: Ein anständiges Huhn braucht keine Erlösung, und wer die Gemeinschaft der Stallhühner verlasse, der müsse schon wissen, dass er selber das Problem sei und nicht der Stall und nicht die Käfige.
Die Botschaft der Hähne war also klar: Eier werden nur in der geschützten, intimen Atmosphäre des Stalls gelegt, und jedes Huhn hat ja dafür seit Anbeginn der Zeiten einen festen Platz, und den habe es zum Eierlegen einzunehmen.
Diese neuen Gesetze hatte das Huhn Eugenia nicht mitbekommen. Es war ja nach draußen gegangen, sobald sich diese Möglichkeit ergab. Und draußen war es viel zu schön, als dass das Huhn Eugenia dauernd wieder zurück in den Stall lief.
Nun gab es unter den Hühnern einige, die den Hähnen gerne gefallen wollten. Die den Hähnen schöne Augen machten. Aber es waren halt recht wenige Hähne und ziemlich viele Hühner.
Darum liefen nun einige dieser Hühner nach draußen und teilten dem Huhn Eugenia mit, dass es zwingend notwendig sei, dass man die Eier im Stall am richtigen Platz lege. Man stelle sich mal vor, wenn der Hühnerhalter die Eier draußen auf der Wiese zusammensuchen müsste! Das entspräche keineswegs dem Willen des Hühnerhalters. Das alte System, nachdem die Hühner ihre Eier auf ihren Plätzen zu legen hatten, von wo die Eier dann über so ein Rutschensystem automatisch in die Sammelstelle für Eier befördert würden, bleibe selbstverständlich weiterhin in Kraft.
Und im übrigen habe Eugenia den Erlöser ohnehin völlig falsch verstanden. Es sei keineswegs so gedacht, dass Eugenia den ganzen Tag draußen rumlaufe. Wozu denn auch? Es reicht völlig, wenn man einmal am Tag für 30 Minuten eine Runde durchs Freigelände macht, aber den ganzen Tag in der Freiheit, das schade der Eierqualität, damit täte man dem Erlöser keinen Gefallen.
Eugenia fragte dann noch, ob das denn dann noch Freilandeier seien, wenn sie unter diesen Bedingungen produziert würden, aber die anderen Hühner beruhigten sie und begleiteten Eugenia wieder in der Stall.
Und als diese speziellen Hühner mit Eugenia den Stall betraten, riefen diese Hühner ganz laut: „Wir haben sie zurückgebracht!“ Damit die Hähne das ja nicht übersahen. Und damit die Hähne wussten, neben wen sie sich das nächste Mal zu setzen hätten.
Und genau diese Geschichte vom Huhn Eugenia steht in Galater 6,12 (ELB)
12So viele im Fleisch gut angesehen sein wollen, die nötigen euch, beschnitten zu werden, nur damit sie nicht um des Kreuzes Christi willen verfolgt werden.
Die Hühner nötigen Eugenia, dass sie im Stall ihre Eier legt und nicht soviel draußen rumläuft, damit sie selbst, wenn sie auch mal draußen rumlaufen wollen, nicht etwa von den Hähnen deswegen gemieden werden. Sie wollen nicht, dass die Hähne ihnen, wenn sie rausgehen, hinterherrufen: „Ist das jetzt der Anfang von Eugenia? Muss man dieses unsoziale Huhn kopieren?“
Eugenia soll auf die Freiheit verzichten, damit die anderen Hühner ein gutes Verhältnis zu den Hähnen behalten können.
13Denn auch sie, die beschnitten sind, befolgen selbst das Gesetz nicht, sondern sie wollen, dass ihr beschnitten werdet, damit sie sich eures Fleisches rühmen können.
Die anderen Hühner halten sich ja auch nicht an die strengen Regeln. Die sitzen gar nicht immer auf ihren Plätzen, sondern versuchen immer, möglichst nah bei den Hähnen zu sitzen oder legen manchmal drei Tage hintereinander überhaupt kein Ei. Merkt im neuen System ja keiner.
Aber Hauptsache, sie haben Eugenia im Griff, damit die Hähne nicht etwa denken, die Hühner wären auch solche, die unbedingt Erlösung brauchen und die dem Erlöser glauben, dass Freilandhaltung und Freilandeier viel besser sind.
Denn es geht den Hühnern nicht um die althergebrachte Ordnung oder um die Qualität der Eier. Es geht ihnen auch nicht darum, dass der Erlöser mehr Geld für die Eier bekommt, also Vorteile hat. Der Hühnerhalter, sozusagen ihr Gott, der interessiert sie nicht. Die Hühner sind halt abhängig von dem Hühnerhalter, und es geht nicht ohne ihn, aber in Wahrheit interessieren sich die Hühner nur dafür, ein stressfreies Verhältnis zu den Hähnen zu haben.
Letztlich geht es um zwei Ecken rum um Macht: Die Hähne wollen ihre Macht nicht verlieren, und die Hühner wollen den Hähnen die Macht über sich einräumen. Der Einfluss der Hähne auf das Leben der Hühner ist von den Hühnern gewollt.
Weil sie den Applaus von den Hähnen wollen.
Und wer den Applaus spendet oder vorenthält, der hat die Macht.
Eugenias beste Antwort
Natürlich geht Eugenia nicht mit in den Stall. Eugenia wäre weder stolz darauf, die beste Freundin der Hähne zu sein, noch wäre sie stolz darauf, als ein anständiges ordentliches normales Huhn zu gelten. Wörtlich sagt sie:
„Mir sei es fern, stolz zu sein auf etwas anderes als auf die Stalltüröffnung des Hühnerhalters. Dadurch sind die Hähne tot für mich, und ich bin tot für die Hähne.“
14Mir aber sei es fern, mich zu rühmen als nur des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt.
Die Tür ins Freiland ist offen – wer sind da noch die Hähne?
Die Tür zum Himmel ist offen, Gottes Arme sind für mich offen – wer sind da noch irgendwelche Judenchristen?
Und Eugenia liefert auch noch eine Begründung:
„Denn weder im Stall gelegte Eier noch im Freien gelegte Eier sind bedeutsam, sondern das neue Huhn.“
15Denn weder Beschneidung noch Unbeschnittensein gilt etwas, sondern eine neue Schöpfung.
Zwei Auffälligkeiten
Zwei Dinge fallen hier auf:
Zum einen verbieten die Hähne das Schöne, nicht das Schlechte.
Man könnte Diebstahl verbieten und Gemeinheit, Gewalt könnte man verbieten und Unfreundlichkeit.
Die Hähne verbieten den Aufenthalt im Freien, die Judenchristen in Galatien verbieten die Annahme des Geschenkes der kostenlosen Gotteskindschaft.
Das zweite Auffällige
Das zweite, was auffällt: Paulus steht hier einer besonders extremen Form von Grenzziehung gegenüber.
Es ist nicht nur so, dass die Hühner selber nicht dauerhaft ins Freigehege wollen und darum die meiste Zeit im Stall bleiben. Sondern sie zwingen auch die, die rausgegangen sind, wieder reinzukommen.
Das Erste ist ja schon schlimm genug: Gott gibt Ihnen eine neue, große Freiheit, und Sie wollen diese Freiheit nicht.
Gott bietet Ihnen neue Möglichkeiten, erweiterten Handlungsspielraum, und Sie sagen: „Danke, ich habe hier ein Reisschälchen voller Gott, das ist genug Gott, mehr brauche ich nicht.“
Also wie gesagt: Schlimm genug.
Aber jetzt hinzugehen und denen, die eine ganze Suppenschüssel voller Gott haben – weil man neuerdings so viel haben kann – denen jetzt die Suppenschüssel wegzunehmen und ein Reisschüsselchen hinzustellen mit der Bemerkung, das sei ja wohl genug Gott und mehr Gott sei überhaupt nicht gut, das ist dann schon die doppelte Frechheit.
Das grundsätzliche Problem
Das grundsätzliche Problem an dieser Stelle ist: Die Hähne sind tot.
Wobei ich das hoffentlich im Hühnerstall deutlich gezeigt habe: Die Hähne waren gar nicht das Problem. Sondern die Hühner waren das Problem.
In Galatien war das Problem: Das Gesetz ist tot. Der Ritus ist tot. Das Judentum ist tot. Aber das Gesetz, der Ritus und das Judentum waren gar nicht das Problem. Sondern das Problem waren diejenigen, die unbedingt das tote Pferd weiter reiten wollten. Die es für völlig unangemessen hielten, auf einen Elektroroller umzusteigen.
Das extreme Beispiel
Um es mal an einem extremen Beispiel deutlich zu machen:
Als die Gemeinde an Pfingsten das erste Mal in Erscheinung trat, war Zungenrede das wichtigste Zeichen.
Als die Gemeinde endgültig in die Heidenwelt eindrang – bei Kornelius – war das Zungenrede der schlagende Beweis dafür (Apg 10,46).
Als man in Ephesus beweisen musste, dass die Taufe Jesu weitaus größer war als die Taufe von Johannes dem Täufer, war die Zungenrede das eindeutige Zeichen.
Immer, wenn im Neuen Testament vom Zungenrede die Rede ist, klingt das positiv. Irgendwie scheint das etwas Gutes zu sein. Paulus wünscht, dass alle soviel in Zungen reden wie er, meint also offensichtlich auch, dass das eine tolle Sache ist.
Aber wenn man in Gemeinden wie der unsrigen mit dem Thema „Zungenrede“ anfängt, dann macht sich Unwohlsein breit. Das Thema ist nicht schön. Das Thema ist seltsam. Befremdlich. Das wollen wir nicht, das brauchen wir nicht.
Das haben wir von den Hühnern. Wo die es herhaben, wissen wir nicht.
In den Pfingstgemeinden dieser Welt ist es genau andersherum. Da musst du Zungenreden. Sagen die Hähne, behaupten die Hühner. Und weil das mit dem Zungenreden so einfach nicht ist, findet da ein großes künstliches Nachahmungsprojekt statt. Man tut so, als ob. Man schaut bei den anderen, wie es sich anhören muss. Nicht in Zungen zu reden heißt, du hast den Heiligen Geist nicht, damit gehörst du nicht zu uns und, ganz nebenbei erwähnt, auch nicht zu Gott. Sagen die Hähne, behaupten die Hühner.
Ich will hier jetzt gar nicht Werbung für das Zungenreden machen, aber es ist als Beispiel so anschaulich.
Es gibt eine neue Art, Gott anzubeten, mit Gott zu verkehren. Und diese Art scheint gut zu sein, das ist der Tenor des Neuen Testamentes. Eine Möglichkeit mehr, Gott zu erleben – aber die Hähne, wer auch immer sie sind, haben gesagt: „Die Stalltür bleibt zu.“
Und die Hühner würden es niemals wagen, auszuprobieren, ob die Hähne wirklich recht haben.
Die Steigerung des Exodus
Als die Israeliten aus Ägypten auszogen, war das eine Befreiung aus der Sklaverei. Und dieser Umstand zieht sich durch die gesamte Geschichte Israels. Das ist überhaupt nur die Existenzberechtigung dieses Staates, dass Gott sie aus der Sklaverei befreit hat.
Wenn nun durch Jesus diese Sache noch eine Steigerung erfährt -
Jesus ist ja nicht gekommen, um uns aus der Sklaverei zu befreien. Das war damals schon längst geschehen. Niemand, der im Alten Bund zu Gott gehören wollte, brauchte sich von irgendwas oder irgendwem versklaven zu lassen.
Dass man sich nicht mehr von der Angst versklaven lassen muss, war zur Zeit Jesu schon ein alter Hut. Die Psalmen sind voll davon.
Wir brauchen jetzt also einen Begriff für etwas, was die Befreiung aus der Sklaverei und das selbstbestimmte Wohnen in einem freien Land bei weitem übersteigt.
In dem freien Land gab es immer noch eine Hierarchie. Einen Staat, eine Verwaltung.
In dem Neuen Reich gibt es das nicht mehr. Zwischen mir und Gott steht nichts mehr, und es gibt keine Verwaltung mehr, die etwas verbieten kann – alles ist mir erlaubt, sagt Paulus.
Wir brauchen ein Wort für die Steigerung dessen, was dem Volk Israel am Sinai passiert ist.
Man könnte „Freiheit“ sagen, aber das reicht bei weitem nicht. Denn Freiheit ist ein passiver Begriff. Freiheit besagt nur, dass ringsrum niemand mehr ist, der mir etwas zu sagen hat.
Es gibt in der deutschen Sprache kein Wort für das, was Jesus geschaffen hat. Jesus selbst hat es umschrieben, indem er sagte: „Alles ist möglich dem, der glaubt.“ Aber für die Möglichkeit von allem haben wir kein Wort.
Wenn man dann noch bedenkt, dass diese Unbegrenztheit der Möglichkeiten auch noch zwingend zu etwas Gutem führt – Milliarden Möglichkeiten, und es kann nur zum Guten führen – es kann nicht daneben gehen, also dass etwas Böses dabei herauskommt – dann gibt es natürlich erst recht keinen Ausdruck dafür.
Paulus sagt: „Die Welt ist tot, und ich bin für die Welt auch tot.“ Alle bisherigen Regeln und alle Regeln der äußeren Umgebung sind außer Kraft.
Wir haben kein Wort dafür.
Also sagen die Hähne: Wenn wir kein Wort dafür haben, dann werden wir es sein lassen. Es ist nicht erlaubt, etwas zu machen, was nicht definierbar ist.
Nun sind aber, wie ich schon gesagt habe und wie auch Paulus hier in Galatien sieht, die Hähne gar nicht das Problem. Es gibt die Hähne, sie reden viel, aber das war schon immer so, und man kann ja woanders hingehen.
Das Problem sind die Hühner.
Die Hühner können natürlich in irgendwelchen Gemeinden sitzen und andere Christen zurückpfeifen, wenn die auf neue Ideen kommen und sich nicht an die althergebrachten Regeln halten. Wo kämen wir da hin, wenn es die Gnade und das Reich Gottes kostenlos gäbe.
Die meisten Hühner sitzen allerdings in unserer Seele. In unseren Köpfen.
Und sie nehmen sehr viel Rücksicht auf die Hähne in unserer Familie.
In unserer Nachbarschaft.
In der Schule und solchen sozialen Systemen, von denen wir denken, dass sie die Stütze unseres Lebens sind.
Und so sagen die Hühner immer: „Komm wieder rein! Willst du etwa Ärger mit deinen Kindern haben, die Hähne mit ganz genauen Vorstellungen sind? Die flippen aus, wenn du mit der Grenzenlosigkeit der Möglichkeiten anfängst, für die es auf deutsch noch nicht einmal ein Wort gibt!
Willst Du, dass deine Kinder nicht mehr mit dir reden, weil du so komische Ideen hast und ihr Erbe, anstatt schön aufzuheben für sie ….“
Die Enkel würden später vielleicht mal sagen: Wir hatten interessante Großeltern.
„Vorbildliche!“ brüllen die Hähne. „Vorbildlich haben Großeltern zu sein, nicht frei oder noch etwas schlimmeres, für das es noch nicht einmal ein Wort gibt!“
„Siehst Du“, sagen die Hühner, „jetzt sind die Hähne böse. Komm schnell wieder in den Stall! Du willst doch lieb sein, oder? Du kannst ja an Gott glauben. Konservativ. Im Rahmen. Ein bisschen. Aber doch nicht so!!!“