1.Timotheus 1,8-10 – das Sterben der Regeln
1.Tim 1,8-10
8 Wir wissen aber, dass das Gesetz gut ist, wenn jemand es gesetzmäßig gebraucht,
9 indem er dies weiß, dass für einen Gerechten das Gesetz nicht bestimmt ist, sondern für Gesetzlose und Widerspenstige, für Gottlose und Sünder, für Heillose und Unheilige, Vatermörder und Muttermörder, Mörder,
10 Unzüchtige, Knabenschänder, Menschenhändler, Lügner, Meineidige, und wenn etwas anderes der gesunden Lehre entgegensteht,
Wenn Sie aus einer ordentlichen bibeltreuen Gemeinde kommen, dann kennen Sie zweifellos viele Gesetze oder Regeln, die Ihnen sagen, was Sie alles nicht machen dürfen.
Und zwar Regeln, die nicht mit den Regeln des Staates und der Gesellschaft konform sind.
Während Sex vor der Ehe in unserer Gesellschaft sowohl rechtlich als auch moralisch akzeptiert ist, ist es in den konservativen Gemeinden ein No-Go.
Während Ehescheidung in Europa gesetzlich geregelt und rundrum erlaubt ist, ist sie in vielen konservativen Gemeinden ein Ausschlussgrund. Zumindest aber eine Sünde. Und wenn ein Pastor oder Prediger von einer Scheidung betroffen ist, dann war er die längste Zeit Pastor.
Homosexualität ist in bibeltreuen Gemeinden schwierig.
Wobei sich die Regeln mit der Zeit ändern. Sie sind also keineswegs immer so „biblisch“, wie gerne getan wird. Um 1850 waren Tanzen und Kartenspiel eindeutig satanisch, und als der Autor dieses Artikels zum Glauben kam, waren Jeans im Gottesdienst verboten. Und aus der Rockmusik sprach der Teufel. Und mit dem Fernseher kam die Welt ins Haus – darum sollte man keinen haben. Und Weihnachten zu feiern mit einem heidnischen Weihnachtsbaum war zumindest unchristlich.
Kein Gesetz gar nicht
Alle diese Gesetze innerhalb der Gemeinde – die alten, die ganz alten oder die modernen – sagen ja immer, dass Gott Sie nicht mehr lieb hat, wenn Sie sich nicht an die Gesetze halten.
Sie sündigen. Sie handeln nicht im Sinne Christi. Sie treten die Erlösung mit Füßen.
Nun sagt Paulus hier in 1.Tim 1,9, dass es für den Gerechten überhaupt kein Gesetz gibt.
Der Gerechte, das sind hoffentlich Sie.
Von Gott gerecht gesprochen. Also eben nicht als ungerecht bewertet. Freigesprochen. Und zwar nicht nur in Bezug auf die Vergangenheit, sondern prinzipiell.
Sie können also machen, was Sie wollen. Es gibt keine Regel mehr, aufgrund deren Ungehorsam Sie aus dem Reich Gottes rausfallen können.
Paulus sagt: Es gibt ein Gesetz über dem Gesetz. Und das ist Gott selbst.
Gott steht über dem Gesetz, er ist die höhere Instanz.
Wenn Gott Sie freispricht, dann gibt es keine Ansprüche des Gesetzes mehr gegen Sie.
(Ganz nebenbei erwähnt: Sie sind damit auf einem ähnlichen Niveau wie Abraham. Der konnte auch nicht sündigen. Es gab ja keine Regeln, gegen die er hätte verstoßen können.)
Umgehung des Nicht-Gesetzes
Jetzt kommen natürlich die Superfrommen und sagen:
„Ja, Gott steht über dem Gesetz. Darum hat er uns das Wort Gottes gegeben, welches ja nun eindeutig von Gott ist und seinen Willen wiedergibt. Darum muss man sich an die Bibel halten.“
Womit wir natürlich den Teufelskreis vollendet haben und Paulus sein Wort über „kein Gesetz“ außer Kraft gesetzt haben.
Keine neuen Schriften
Aber vielleicht ist es Ihnen bei den Voraussagen des Alten Testamentes schon aufgefallen:
Es gibt im Alten Testament Voraussagen für alles und jedes, was Jesus getan hat und was sich durch Jesus verändert hat. (Das war auch notwendig, weil wir das Handeln Jesu sonst nicht verstanden hätten.)
Es gibt die Ankündigung des Heiligen Geistes; der Erlösung; der Freiheit von jeder Macht; des Priestertums für alle; der weltweiten Gemeinde; des ewigen Lebens; auf Jesus selbst als größten Propheten oder neuen König David; des nie mehr Hungerns; die Aufzählung hier könnte fast endlos sein, und es gibt jede Vorhersage in vielerlei Facetten und aus unterschiedlichen Blickrichtungen.
Es gibt aber keine Ankündigung eines neuen Buches. Oder neuer heiliger Schriften – die Bibel als gebundenes Buch gab es damals noch nicht.
Alles wird neu: Der König, die Priester, die Opfer, die Methode der Vergebung, das Reich Gottes, der Bund, die Schöpfung. Es gibt neue Lieder und neuen Wein und ein neues Herz. Aber es gibt keine neuen Schriften. Nirgendwo angekündigt.
Das heißt: Das Neue Testament ist etwas völlig anderes als das Alte Testament.
Beim Alten Testament konnten Sie sagen: „Es steht geschrieben!“ Und das, was geschrieben stand, war dann Gesetz. Sowohl Jesus als auch die Pharisäer sind so mit dem Alten Testament umgegangen.
Und wenn da stand, dass man ein Schaf bringen sollte, dann war nicht ein halbes Schaf gemeint und nicht fünf.
Das war auch notwendig so, denn eine andere Erkenntnisgrundlage als die Schrift (und zwischendurch mal die Propheten) gab es nicht.
Der durchschnittliche Gläubige konnte nur auf diesem Wege wissen, was der Wille Gottes war.
Juchu, ein neues Gesetz!
Wenn Sie jetzt das Neue Testament genauso benutzen wie das Alte, dann haben Sie etwas grundsätzliches nicht verstanden.
Wenn Sie sagen: „Es steht geschrieben, man soll sich nicht scheiden lassen, also ist Ehescheidung eine Sünde und darf in der Gemeinde nicht sein“, dann behandeln Sie das Neue Testament wie das alte Gesetz.
Und das, sagt Paulus, ist grundsätzlich falsch.
Nun hat es zur Zeit des Paulus das Neue Testament überhaupt noch nicht gegeben. Aber Paulus sagt eben auch nicht: „Im Moment gibt es gerade kein Gesetz für den Gerechten, aber wartet mal ab: In 100 Jahren werden meine Briefe das Gesetz sein.“
Als der Autor dieser Zeilen zum Glauben kam, galt in der Gemeinde das Gesetz, dass die Ältesten einer Gemeinde gläubige Kinder haben mussten. Steht in Titus 1,6. Das führte natürlich, wie früher bei den Pharisäern, zu unglaublichen Spitzfindigkeiten. Man brachte Fünfjährige dazu, vor der Gemeinde zu sagen, dass sie den Herrn Jesus lieb haben, damit der Vater Ältester werden konnte. Man diskutierte, was denn sei, wenn ein Ehepaar nur ein einziges Kind hatte – da musste dann eine Ausnahmeregelung her, aber so ein ganz richtig vollwertiger Ältester konnte der Vater natürlich nicht sein. Und wenn die 16jährige Tochter aus Versehen schwanger wurde – galt sie dann noch als gläubig, oder konnte man die Abtreibung vielleicht verheimlichen, so dass sie dann doch noch als „gläubig“ galt?
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Wenn Paulus sagt, es gäbe für den Gerechten kein Gesetz, dann gibt es tatsächlich keins.
Und jeder Versuch, aus dem Neuen Testament dann doch eins zu machen, ist unbiblisch und damit falsch.
Der neue Erkenntnisweg
Dass es einen neuen Weg zur Erkenntnis geben wird, der nicht über das Gesetz läuft, ist schon im Alten Testament umfassend angekündigt:
Joel 3,1
3 Und danach wird es geschehen, dass ich meinen Geist ausgießen werde über alles Fleisch. Und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen, eure Greise werden Träume haben, eure jungen Männer werden Visionen sehen.
Jes 54,13
13 Und alle deine Kinder werden von dem HERRN gelehrt, und der Friede deiner Kinder wird groß sein.
Jer 31,33-34
33 Sondern das ist der Bund, den ich mit dem Haus Israel nach jenen Tagen schließen werde, spricht der HERR: Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und werde es auf ihr Herz schreiben. Und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein.
34 Dann wird nicht mehr einer seinen Nächsten oder einer seinen Bruder lehren und sagen: Erkennt den HERRN! Denn sie alle werden mich erkennen von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Größten, spricht der HERR. Denn ich werde ihre Schuld vergeben und an ihre Sünde nicht mehr denken.
Folglich erzählt uns Jh 16,13, dass der Geist uns in alle Wahrheit leiten wird. Und neben all den vielen Bibelstellen des Neuen Testamentes, die alle das Gleiche sagen, haben wir besonders in der Apostelgeschichte immer wieder den Fall, dass Gott zu einzelnen Gläubigen redet und ihnen sagt, was sie jetzt machen sollen. Philippus, der auf die Wüstenstraße gehen soll; über Petrus, dem Tücher mit Eidechsen geliefert werden; über Hananias, der in das Haus in der geraden Straße gehen soll und der dann nicht will; bis zu Paulus, der Korinth so schnell wie möglich wieder verlassen will, von Gott aber aufgefordert wird, dort zu bleiben.
Es endet mit 1.Joh 2,20
20 Und ihr habt die Salbung von dem Heiligen und habt alle das Wissen.
Und dann weiß Paulus auch noch einiges über Weissagung zu sagen. Was ja auch etwas Übernatürliches ist, weil hier jemand etwas weiß, was er eigentlich unter normalen Umständen nicht wissen könnte.
Zusammengefasst: Der neue Erkenntnisweg geht direkt über Gott ohne den Umweg über etwas, das in Gottes Auftrag geschrieben wurde. Man nennt das „Heiliger Geist“.
Die brutale Liste
Paulus hängt hier im Timotheusbrief nun eine Liste von Leuten an, für die das Gesetz gilt.
Dabei hangelt er sich an den 10 Geboten entlang.
Wobei die 10 Gebote nun ohnehin keine christlichen Gebote sind, noch nicht einmal primär jüdische.
Außer dem ersten Gebot („ich bin der Herr dein Gott“) werden nur Regeln beschrieben, ohne die ein Staat, ein Königreich, eine Grafschaft oder eine Sippe überhaupt nicht funktionieren könnten.
Wenn es in einer Gesellschaft erlaubt wäre, zu morden, zu stehlen, die alten Eltern verhungern zu lassen oder vor Gericht zu lügen, dann wäre diese Gesellschaft nicht überlebensfähig.
Folglich müssen die 10 Gebote notwendigerweise auch in jedem muslimischen, taoistischen, buddhistischen oder naturreligiösen Staat gelten.
Die Verfechter des Gesetzes für die Christen meinten aber, dass man auf ein höheres sittliches Niveau kommt, wenn man neben der Erlösung von Jesus auch noch die Gebote einhält.
Und so schreibt Paulus nun, was das denn für Leute sind, denen man sagen muss, dass sie nicht töten dürfen.
Er beschreibt die Leute, denen man per Gesetz sagen muss, dass sie vor Gericht nicht lügen dürfen.
Er gibt eine Charakterisierung der Leute, denen man erst erklären muss, dass sie nicht stehlen dürfen.
Und Paulus sagt: Das Gesetz bringt Dich keineswegs auf einen höheren sittlichen Stand. Sondern wenn man Dir das Gesetz erst noch erzählen muss, dann bist Du ein Verbrecher, ein Krimineller, ein übler Mensch und ein ausgesprochener Drecksack.
Das Gesetz, sagt Paulus, ist für den Bodensatz der Menschheit.
Für diejenigen, die nicht von alleine drauf kommen, was richtig und anständig ist.
Also eben nicht
Damit ist das Gesetz nicht für einen von Gott gerecht Gesprochenen.
Erstens, weil der ohnehin gerecht gesprochen wurde und nicht erst dadurch gerecht wird, dass er irgendwelche Regeln einhält.
Zweitens, weil der Gerechte direkt von Gott seine Anweisungen erhält. Der muss nicht lesen.
Drittens, weil der Gerechte ohnehin das will, das Gott will. Da kann es so falsch nicht werden.
Die gesunde Lehre
Paulus beruft sich dann – mal wieder – auf die gesunde Lehre.
Die er aber nirgends definiert hat.
Er ging wohl davon aus, dass die Leute wissen, was das ist.
Wir müssen aber wissen, wie denn Ehescheidung und Homosexualität im Verhältnis zu dieser „gesunden Lehre“ stehen.
Da stellen wir beim Lesen der Briefe und der Apostelgeschichte drei Merkmale fest, nach denen Paulus sittliches Verhalten bewertet und in seinen Briefen auch einfordert:
1. Die Liebe. Weil der Sieg des Bösen zu verhindern ist. Es soll nur Gutes geben. Wobei das „Gute“ nicht absolut ist. Sondern der Mensch muss es als „gut“ empfinden können. Darum ist Paulus so negativ gegen die Knabenschänder eingestellt. Der geschändete Knabe macht das nicht freiwillig, und er empfindet das nicht als gut.
2. Die gesellschaftliche Unauffälligkeit. So wie Paulus das Evangelium verstanden und angewandt hat, war das Evangelium extrem extrem. Wenn man sich dazu noch gesellschaftlich revolutionär oder bizarr verhielt, dann würden die „Normalen“ das Evangelium als vollkommen irre ansehen. Man würde sich nicht zu Jesus bekehren, weil diese Jünger ja alles nur Bekloppte waren. Darum hielt Paulus am Kopftuch fest und daran, dass die Frau nicht lehren soll. Darum sollten die Sklaven keinen Aufstand machen und der Älteste ein anständiger, bürgerlicher Mann sein. „Damit das Wort Gottes nicht verlästert wird“, lesen wir bei Paulus öfters (2.Kor 6,3; Rö 12,17; Titus 2,5; 1.Tim 6,1).
3. Der gesellschaftliche Strahlemann. Alles das, was in der Gesellschaft als lobenswert und gut gilt, sollen die Gläubigen noch 10% besser machen. Damit das Leben wirklich als „gutes“ Leben wahrgenommen wird. Allerdings wird dabei nicht an Trends gedacht (es war in der deutschen Gesellschaft mal angesehen, Juden zu jagen oder Hexen zu verbrennen), sondern um grundsätzliche Tugenden, die für alle Zeiten gelten und die dann wieder als zentral angesehen werden, wenn die Trends abgeflaut sind: Treue, Freundschaft, Güte, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Großzügigkeit. Zum Beispiel. Es gibt sicher noch mehr. Und in all diesen Dingen sind Sie bitte um 10% besser als die besten Gottlosen.
Nun sehen Sie vielleicht auch, warum Paulus (und auch Jesus) so vehement gegen die Ehescheidung waren: In der Regel war die Frau die Leidtragende und das Opfer, und das Ergebnis hatte mit „Liebe“ und „gut“ nichts zu tun. Gesellschaftlich war Scheidung, wenn auch nicht ganz unüblich, ein Bruch der Konventionen. Anständige Leute machten sowas nicht. Und mit Treue und Gerechtigkeit hatte es auch nichts zu tun, denn die Frau blieb dabei auf der Strecke.
Und vielleicht erkennen Sie auch, warum wir das heute in Europa zumindest entspannter sehen können: Scheidung ist immer noch nicht gut. Schließlich hat man nicht geheiratet, um sich scheiden zu lassen. Aber der verlassene Ehepartner fällt finanziell und sozial nicht ins Bodenlose; gesellschaftlich ist es akzeptiert – niemand zeigt mit dem Finger auf Christen, weil die sich haben scheiden lassen. Das Evangelium wird nicht verlästert, weil Christen sich scheiden lassen – es sei denn, sie liefern sich eine Schlammschlacht.
Das Variable
Wenn Paulus also sagt, dass es für die Gerechten kein Gesetz gibt – was gibt es für sie dann?
Es gibt zum einen die direkten Anweisungen Gottes. Wem Weisheit mangelt, der bitte Gott.
Es gibt zum anderen die Maßstäbe der Liebe, der gesellschaftlichen Unauffälligkeit und der allerhöchsten Qualität in den Bereichen, auf die es im Leben wirklich ankommt.
Wenn Sie also nicht sicher sind, wie Sie sich verhalten sollen: Fragen Sie Gott, und orientieren Sie sich an des Paulus gesunder Lehre.