Matthäus 7,28+29 Auslegen reicht nicht
Zuerst muss man natürlich mal feststellen, dass die Pharisäer an der Misere keine Schuld trifft.
Dass die Pharisäer ohne Vollmacht lehrten, war im System auch genauso vorgesehen.
Denn der Pharisäer hatte nur die Bücher.
Nur das Schriftliche.
Druckerzeugnisse, auch wenn sie von Gott initiiert wurden, verleihen aber keine Vollmacht.
Sie verleihen Wissen oder Erkenntnisse.
Der Pharisäer war nicht direkt von Gott gelehrt. Er war durch Lesen gelehrt und durch Belehrung von Seinesgleichen gelehrt.
Es war also vom System her gar nicht vorgesehen, dass der Pharisäer eine Vollmacht hat.
Er hat eine Erkenntnis, und er kann versuchen, andere von der Richtigkeit seiner Erkenntnis zu überzeugen.
Der Schriftgelehrte ist zurückgeworfen auf das, was andere aufgeschrieben haben und auf das, was er daraus zu entnehmen in der Lage ist.
Damit wird er letztlich begrenzt auf seinen Verstand und sein sonstiges Denkvermögen.
Somit konnte der Schriftgelehrte auch nur das Menschenmögliche verlangen. Alles andere wäre sehr kreativ gewesen, aber sinnlos in seiner Forderung.
Jesus hingegen konnte sagen, was Gott eigentlich sagen wollte. Er konnte das göttliche sagen, das hinter dem Buchstaben des Gesetzes und der Propheten stand.
Die Vollmacht Jesu zeigte sich darin, dass er das Göttliche formulieren konnte, das hinter den rein menschlichen Anforderungen des Gesetzes stand. Jesus beschrieb die wahren Forderungen Gottes. Der Geruch solcher Forderungen war in den Formulierungen der Schriften schon vorhanden, aber niemals hätte ein Pharisäer das Recht gehabt, aufgrund dieser Aromen zu raten, was wohl die Forderung Gottes dahinter sei, geschweige denn sie als Forderungen an die Menschen zu verkünden.
Aber die Zuhörer im Volk merkten natürlich, dass Jesus genau diesen Geruch, der hinter den Worten des Gesetzes immer schon herausgekrochen war, dass Jesus diesen Geruch in die richtigen Worte fasste. Die Zuhörer gewannen letztlich den Eindruck, dass hier endlich einer ist, der Gott in seinem eigentlichen Wollen verstanden hat.
Am Ende der Bergpredigt
Ganz nebenbei bemerkt: Diese Stelle über die Vollmacht Jesu hat Matthäus ans Ende der Bergpredigt gesetzt.
Markus und Lukas berichten dieses Erstaunen über die Vollmacht aber aus einer Synagoge im Zusammenhang mit dem Sichtbarwerden eines Dämons.
Dieser Artikel erklärt nur die Aussage, die Matthäus im Zusammenhang mit der Bergpredigt machen wollte, nicht die Ereignisse in der Synagoge.
Anwendung für heute
Diese Bibelstelle bekommt ihre Bedeutung für heute dadurch, dass die Gemeinde der Leib Christi ist.
Die Gemeinde hätte also heute diese lehrmäßige Vollmacht, die Jesus damals hatte.
(Immer vorausgesetzt, der Kopf des Leibes Christi ist ebenfalls anwesend. Die Gemeinde allein hat nicht viel Wert und keinerlei Vollmacht. Sie ist ja nur Rumpf und Extremitäten.)
Diese Vollmacht bekommt die Gemeinde aber nicht durch Exegese, durch Auslegung und Abwägung der Schrift.
Das wäre nämlich der Weg der Pharisäer.
Dieser Weg war im Alten Bund, insbesondere im Anschluss an die babylonische Gefangenschaft, richtig und angemessen. Man kam aus einer Zeit der völligen Missachtung der Schrift, und man hatte nichts anderes als die Schrift. (Also keinen heiligen Geist und keine regelmäßigen Offenbarungen Gottes.)
Die Folge war allerdings, dass man in der Schriftauslegung über menschlich logische Gedanken nicht hinauskam. Die Ausleger waren auf ihren Verstand, ihr Verständnis und ihre logischen Schlüsse zurückgeworfen.
Wenn die Gemeinde heute der Leib Christi ist, so ist sie im Hören auf Gott aber nicht auf ihre logischen Schlüsse beschränkt.
Sondern sie kann, wie Jesus es damals konnte, die menschlich unlogischen Gedanken Gottes hinter den Worten der Schrift erkennen.
Dieses geschieht aber nicht durch Exegese, sondern durch Offenbarung.
Wobei wir als Gemeinde die Schrift genauso wenig verlassen, wie Jesus sie in der Bergpredigt verlassen hat.
Sondern Gott wird uns durch die Schrift mitteilen, was sein eigentlicher Wille, speziell für uns, hinter diesem Wort der Schrift ist.
Dieses wird aber nur geschehen, wenn die Gemeinde als Leib Christi in Vollbesitz der damit verbundenen Vollmachten auftritt.
Was überhaupt nichts mit Vollmacht zu tun hat
Ganz schlimm wird es, wenn Person A aufgrund einer Bibelstelle etwas behauptet.
Darauf hin sagt Person B, an einer anderen Stelle stände aber etwas anderes geschrieben, und damit habe Person A Unrecht.
Es ist irrelevant, ob der Diskurs damit zuende ist oder ob man sich noch 20 weitere Bibelstellen an den Kopf wirft, um zu beweisen, dass man selber recht hat und der andere Unrecht.
Hier verwenden Gläubige das Schwert des Geistes nicht gegen den Teufel, sondern gegen einander.
Selbst wenn am Ende einer die besseren Argumente hatte und als Sieger aus dem Gefecht hervorgeht: Auf diese Weise wird der „Leib Christi“ niemals in die Lage versetzt, vollmächtig zu handeln oder zu sprechen.
Auf diese Weise erfahren wir nicht Lehre mit Vollmacht und auch nicht den Willen Gottes.
Sondern nur, wer am besten Recht haben kann.
Zusammenfassung
Sofern die Gemeinde heute tatsächlich als der Leib Christi auftritt und handelt (und nicht als Fans von Jesus oder als Anbeter des wahren Gottes), unterscheidet sie sich von der Gemeinde des Alten Bundes genauso, wie Jesus sich von den Pharisäern unterschieden hat.
Aus diesem Grunde gibt es sowohl im Alten wie im Neuen Testament die zahlreichen umfassenden Zusagen, wie z.B. dass die Gläubigen größere Werke als Jesus tun werden, weil Jesus zum Vater geht.
Das Beklagenswerte ist, dass die heutigen evangelikalen Gemeinden im Grunde nicht anders handeln als die Gemeinde des Alten Bundes und auch über keine weitere Autorität und Vollmacht verfügt.