Matthäus 5,31-32 doch keine Scheidung

Wenn Sie schon immer einen Beweis suchten, dass die Bibel ein sehr kompliziertes Buch ist, dann sind die Bibelstellen über die Ehescheidung Ihr Ding.

Die technischen Grundlagen sind erstmal klar:

Mann und Frau waren ursprünglich eine Einheit. Die Frau war nämlich eine Rippe des Mannes.

Nach der Herstellung der Frau erkennt der Mann sie als „Knochen von meinen Knochen“ (Genesis 2,23), und durch den Sexualakt wird die ursprüngliche Einheit wiederhergestellt.

Was Jesus dann veranlasst, in Matthäus 19,6 zu sagen, dass man das, was Gott zusammen gedacht hat, nicht trennen soll.

Und dass deshalb eine zweite Ehe nach einer Scheidung immer zu Ehebruch führt.

Unklare Zeit

Nun können Sie als ausgebildeter Bibelwissenschaftler natürlich argumentieren, dass Genesis 2 später entstanden ist als die frühen Bibelstellen über die Unantastbarkeit der Ehe z.B. bei Abraham.

Das kann durchaus so sein, dass die Priester am Tempel irgendwann gemerkt haben, dass die Ehe eine ziemlich seltsame Konstruktion ist, und dass die Priester darum Gott gefragt haben, warum das so ist. Und die Antwort lesen wir dann in Genesis 2.

Dieser Umbau in der biblischen Reihenfolge klärt aber gar nichts. Denn bis heute können die meisten Menschen das nicht haben, wenn in ihre Ehe ein Dritter einbricht. Selbst bei unverheiratet zusammenlebenden Paaren ist die sexuelle (und emotionale) Treue ein unglaublich hoher Wert. Die Faszination der Menschen für die Ehe ist so groß, dass die gleichgeschlechtlichen Paare auf der ganzen Erde für die sogenannte Homoehe kämpfen oder gekämpft haben.

Wir werden also die Tatsache akzeptieren müssen, dass das Bedürfnis nach lebenslanger und exklusiver Zusammengehörigkeit im Menschen verankert ist. Die Priester haben damals Gott gefragt und die Antwort von Genesis 2 bekommen. Sie können von mir aus eine andere Antwort geben. An dem Bedürfnis nach lebenslanger Zugehörigkeit ändern Sie damit aber nichts.

Unklare Folgerungen

Nun stehen diese schönen Verse über Scheidung und Ehebruch so knackig in der Bibel – aber was wir letztlich damit anfangen sollen, ist unklar.

Jesus redet hier in der Bergpredigt in die Welt des Alten Testaments hinein. Die Rede geht an und über Leute, die zum Reich Gottes gehörten und darum den biblischen Regeln gehorchen sollten.

Und eigentlich geht es in diesen ganzen „ich aber sage euch“-Stellen ja nicht um die Frage, was man nun darf und was nicht.

Sondern es geht um den Umgang mit Gottes Wort.

Dass man das, was Gott will, nicht zur Kenntnis nimmt.

Und statt dessen den Bibeltext so verdreht, dass er den eigenen Wünschen entspricht.

Denn was man mit den Menschen machen soll, die als Geschiedene wieder heiraten, sagt Jesus nicht.

Auch vom Täufer ist nicht überliefert, was er Herodes Antipas androhte, weil der die Frau seines Bruders geheiratet hatte, was im Gesetz (Lev 18,16) verboten wurde. Der Text sagt nur, dass der Täufer diese Ehe kritisierte.

Vom Gesetz her haben wir das Problem, dass dem Mann ein Ehebruch nur dann angehängt werden kann, wenn er die Ehe eines anderen brach – wenn er sich also mit einer verheirateten Frau einließ. Dann galt offiziell für beide Beteiligten die Todesstrafe (Lev 20,10 und Deut 22,22). Ob die Todesstrafe aber jemals an einem männlichen Ehebrecher vollzogen wurde, ist nicht bekannt.

Wobei das genau der Fall ist, den Jesus hier beschreibt: Die erste Ehe besteht trotz Scheidebrief fort, und der zweite Mann wird durch die Heirat der geschiedenen Frau zum Ehebrecher.

Damit müssten die beiden nach dem Gesetz getötet werden. Was natürlich unter den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht denkbar war.

Allerdings ist bei Jesus das Besondere, dass die Frau hier bezüglich der Schuldfrage außen vor war. Die Ehebrecher sind bei diesem Scheidungsverhalten ausschließlich die Männer.

Nichts machen

Es geht Jesus hier offenbar nicht darum, dass irgendetwas „gemacht“ wird: Die Todesstrafe angewandt oder die Ehefrau wieder zurückgenommen.

Ebenso wenig erhebt Paulus in 1.Kor 7,10 Forderungen nach irgendwelchen Maßnahmen. Wie auch Jesus sagt Paulus: Es ist schlecht und gegen Gottes Willen, sich scheiden zu lassen. Aber ein Ausschluss aus der Gemeinde oder eine andere Strafe wird nicht angedacht. 

Es geht wohl eher um die Frage der Selbstverantwortung: Dass der einzelne Mensch sich selber dafür entscheidet, das Richtige zu tun, zumindest aber anzustreben. Und das Richtige ist dadurch definiert, dass es dem Willen Gottes in seiner ganzen Tiefe und Grundsätzlichkeit entspricht. Man tut nicht zwangsläufig das Richtige, wenn man irgendwelchen Regeln befolgt.

Und darum geht es ja in diesem ganzen Abschnitt, den Matthäus hier zusammengestellt hat: Dass man den eigentlichen Willen Gottes hinter den Bestimmungen des Gesetzes erkennt.

Und hier noch nicht einmal, dass man erkennt, welche Scheidung in Gottes Augen angemessen ist und welche nicht. Sondern eigentlich beantwortet Jesus hier die Frage, wann ein Verhalten als „Ehebruch“ zu betrachten ist. Es geht nicht um die Eingrenzung des Scheidungsbegriffes, sondern um die Definition des Ehebruches.

Nichts Neues

Wenn wir als Gemeinde diese Bibelstellen lesen, machen wir es sicher falsch, wenn daraus Regeln für den Umgang mit Ehescheidungen in der Gemeinde formulieren. Selbst Paulus hat keine solche Regeln erstellt.

Es geht Jesus auch nicht um Regeln.

Es geht Jesus darum, dass die Menschen das Wort Gottes nehmen und es nach ihren egoistischen Wünschen auslegen oder verformen.

Dass man also das Akzeptieren der Existenz des Scheidebriefes, wie es in Deut 24 vorkommt, dazu benutzt, die männlichen Machtinteressen zu Ungunsten der Frauen durchzusetzen. Und das dann auch noch als den Willen Gottes verkauft.

Oder für heute:

Dass man das Vollkommene aus 1.Kor 13,10 als „das Neue Testament“ definiert und damit belegt, dass es Weissagung heute nicht mehr geben kann, weil das Neue Testament ja schon da sei.

Dass man „wo zwei oder drei in meinem Namen“ interpretiert als „wo zwei oder drei wegen mir“ und damit die besondere Anwesenheit Jesu für Veranstaltungen proklamiert, bei denen ein geistlich gesinnter Mensch sich an den Kopf fasst.

Dass man aus „meine Schafe hören meine Stimme“ „meine Schafe lesen ein Buch über mich“ gemacht hat.

Dass man Johannes 16,23 einfach unterschlägt, weil es mit den eigenen Erfahrungen nicht übereinstimmt.

Und so weiter.

Dass man also die Bibel dazu bringt, dass sie das sagt, was man gerne hätte, was sie sagt.

Angefügtes Nachwort

Gewisse Leute aus der Gegend um Friesoythe haben angemerkt, dass es doch sehr ungerecht sei, dass die Frau und der zweite Mann hier zu Sündern erklärt werden, obwohl doch die gesamte Schuld beim ersten Mann liegt, der die Frau (vermutlich) aus selbstsüchtigem Gründen rausgeschmissen hat.

Erst einmal: Die Frau ist hier draußen. Ihr wird an dieser Stelle keine Schuld oder Sünde angerechnet. Der Satz heißt im griechischen nicht: „Die Frau begeht Ehebruch“. Dazu müsste die Frau im Nominativ stehen (wer oder was tut etwas), und das Verb „Ehebruch begehen“ müsste im Aktiv stehen. Die Frau steht im griechischen aber im Akkusativ [auten], und das Verb steht im Passiv. Es wird also an der Frau gehandelt; sie ist sozusagen Opfer. (Was auch verständlich ist; denn viel andere Möglichkeiten, als einen neuen Ernährer zu heiraten, hatte eine geschiedene Frau nicht.)

Bei dem zweiten Mann könnte man freundlicherweise annehmen, dass er versucht, etwas Gutes zu tun, indem er die verlassene Frau heiratet. (Es sind auch viele schlechte Motive denkbar.)

Nun können wir aber die Sünde des ersten Mannes nicht unter den Tisch fallen lassen, nur weil ein Anderer versucht, die Folgen dieser Sünde zu beheben.

Die Sünde des ersten Mann war, dass er einen Zustand, den Gott für dauerhaft erklärt hat, unterbrochen hat.

Und Jesus sagt: Der erste Mann kann diesen dauerhaften Zustand gar nicht unterbrechen. Wenn Gott die Ehe für lebenslang erklärt hat, kann niemand anders kommen und sie für zeitlich begrenzt erklären.

Wir können nicht die erste Ehe für aufgelöst erklären, weil da so ein netter Mann gekommen ist, der die verlassene Frau wieder heiratet.

Der Wille Gottes kann nicht pausiert werden, weil die Umstände das Problem dann doch noch irgendwie gelöst haben.

Die Frage hier ist nicht, ob Gott hinterher gnädig und freundlich zu dem zweiten Mann ist, weil er der Frau ein neues Zuhause gegeben hat. Das kann schon so sein.

Jesus verhandelt hier eine Rechtsfrage des Gesetzes. Nicht eine Frage der freundlichen und holperfreien Lösung.

Und er sagt: Der erste Mann wird seine Sünde nicht los, weil ein zweiter ihm die Frau abgenommen hat.

Der Wille Gottes wird nicht in dem Moment abgeschafft, wo jemand die Folgen des Aufstandes gegen Gott abgemildert hat.

Es geht hier nicht um einen Einzelfall, bei man vielleicht Gnade walten lassen könnte, weil die Lage nicht besser wird, wenn man päpstlicher als der Papst sein will.

Es geht hier um den prinzipiellen Willen Gottes.

Und der ist nicht durch die Umstände biegbar.