Matthäus 4,14 – wir lesen die Hälfte
Das war jetzt natürlich überflüssig, dass Matthäus hier erwähnt, dass Jesus nach Galiläa umgezogen ist, damit die Bibelstelle mit Sebulon und Naftali aus Jesaja 9 erfüllt wird.
Da wären Sie auch selber drauf gekommen.
Denn wenn es auch nur eine alttestamentliche Bibelstelle gibt, die Sie im Schlaf aufsagen können, dann ist es ja wohl die, dass Sebulon und Naftali ein Licht sehen.
Nicht Psalm 23; nicht die Zusage an Abraham, dass in ihm alle Nationen der Erde gesegnet werden; nicht „es werde Licht“ aus dem Schöpfungsbericht. Nein, die zentrale Bibelstelle mit Sebulon und Naftali und dem Licht, die wäre Ihnen bei Jesu Umzug schlagartig eingefallen.
Ihm schon
Nun, dem Matthäus ist sie eingefallen.
Man darf auch davon ausgehen, dass er sie nicht bemüht suchen musste. Es ist nicht anzunehmen, dass er krampfhaft nach einer Bibelstelle gesucht hat, mit der er dem Umzug von Jesus ein frommes Mäntelchen verpassen konnte.
Das Problem ist, dass Matthäus nur den Anfang dieses Abschnitts bei Jesaja zitiert, und der normale Christ nicht weiß, wie es weitergeht. Der gläubige jüdische Leser hätte es aber wahrscheinlich gewusst.
Denn in Jesaja 9,5 wird das Licht für Sebulon und Naftali damit begründet, dass uns ein Sohn gegeben ist. Der dann „Wunderrat, starker Gott, Vater der Ewigkeit, Fürst des Friedens“ heißt.
Und die Leute, die damals wirklich mit ganzem Herzen auf den Erlöser gewartet haben, die haben die Bibel mit entsprechender Neugier gelesen. Wenn es in der App von Rewe oder Rossmann 20% Rabatt gibt, lesen Sie die App ja auch anders, als wenn da nur die üblichen langweiligen angeblichen Sonderangebote drinstehen.
Und diejenigen, die tatsächlich den Erlöser herbeisehnten, die hatten eben auch mitbekommen, dass dessen Erscheinen etwas mit der Nordgrenze zu tun hat.
Unerwarteter Weise, denn seit der Herrschaft von Salomos Sohn (Rehabeam) war da oben religiös nichts mehr los. Ein paarmal hatte Gott einen Propheten dorthin geschickt, aber die hatte man dort schnell wieder vertrieben. Dafür war Tiglat-Pileser III. (König von Assyrien) gründlicher und deportierte (ca. 722 v.Chr.) einen Teil der jüdischen Bevölkerung des Nordreiches. Diese Leute sind nie wieder aufgetaucht.
Die Bevölkerung an der Nordgrenze waren immer die ersten, die es traf, wenn syrische, assyrische oder babylonische Truppen Israel überfielen. Die saßen dort nicht nur religiös im Dunkeln, sondern auch weltpolitisch.
Und während die gebildeten Theologen zur Zeit Jesu immer davon ausgingen, dass der Erlöser und der Nachkomme von König David in Zion, in Jerusalem, beim Tempel auftauchen würde, gab es eben auch die anderen, denen bewusst war, dass da möglicherweise noch ganz andere Gegenden eine Rolle spielten.
Passt mir nicht
Wenn ich aber selber in Jerusalem sitze, im Zentrum der religiösen und kulturellen Macht, dann lege ich natürlich keinen Wert darauf, dass der Erlöser und damit das wichtigste Ereignis meiner Religion irgendwo im versifften Grenzland auftaucht.
Und sollte es eine Bibelstelle geben, die so etwas verkündet, dann werde ich die überlesen. Uminterpretieren. Für fehlerhaft erklären. Die Bibelstelle ist Quatsch, undurchführbar, nicht ernst zu nehmen.
Was ja auch durch und durch logisch ist: Wenn dieser König tatsächlich Friedefürst, Wunderrat, starker Gott und Vater der Ewigkeit heißt, was soll er dann da in der Pampa? Die Herrlichkeit des Tempels, der Sänger und der weisen Gelehrten befand sich ja wohl woanders.
Und falls Jesus mit seinem Umzug nach Galiläa jetzt einen Hinweis darauf geben wollte, dass er der Erlöser ist – nun, es wäre für den Wind geredet. Man hätte es nicht verstanden. Weil man nicht wollte. Obwohl man das natürlich niemals so gesagt hätte und den Vorwurf des Unwillens auch weit von sich gewiesen hätte. Aber am Ende ist es halt doch so: Man wollte diese Bibelstelle und ihre Verwirklichung nicht.
Und darum benennt Matthäus die Bibelstelle hier. Damit man sich erinnert, dass es sie gab.
Und damit man vielleicht erkennt, dass partielles Bibellesen oder die Bibel als Menükarte nicht das Gelbe vom Ei ist.
Ein Lob an die Leser
Natürlich werden Sie, lieber Leser, so etwas nicht machen.
Sie lieben und verehren die Heilige Schrift in ihrer Gesamtheit.
Sie nehmen jede Aussage des Wortes Gottes so ernst, wie das dem Zusammenhang der Aussage gerecht wird und wie es dem Willen Gottes entspricht.
Und wenn Sie dann in Ihrer Bibel lesen Joh 14,13-14
13 Und was ihr bitten werdet in meinem Namen, das werde ich tun, damit der Vater verherrlicht werde im Sohn.
14 Wenn ihr mich etwas bitten werdet in meinem Namen, so werde ich es tun.
… dann werden Sie diese Ankündigung ernst nehmen.
Und dieses Verhalten und diese Verheißung werden ein unverzichtbarer Teil Ihres christlichen Lebens sein.
Noch dazu, wo Johannes diese Ankündigung ja erst 30 (oder noch mehr) Jahre nach ihrer Erstausgabe aufgeschrieben hat.
Johannes wusste also schon, ob das nun stimmt und funktioniert, oder ob das nur ein imaginäres, visionäres Geschwätz ist.
Johannes wusste, ob es eine Realität gibt, die dieser Ankündigung entspricht.
(Und ich vermute: Wenn es gar nicht funktioniert, hätte Johannes es weggelassen. Aus Angst, es falsch verstanden zu haben. Oder so.)
Und darum können Sie so wunderbar erhörlich beten: Weil Sie nicht unliebsame Bibelstellen weglassen (wie die von Sebulon und Naftali), sondern weil Sie auch das Unglaubliche oder schwer Verständliche an Gottes Wort ernst nehmen und in die Realität umsetzen.
Ist ja schließlich Gottes Wort.
Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer großen Gebetskraft!