Matthäus 5,3 – die Ausbeutung der Armen im Geist

Wenn Sie wissen, was „postevangelikal“ ist, dann wissen Sie auch, auf was wir hier jetzt schimpfen.

Wobei Sie natürlich recht haben, wenn Sie sagen, die Postevangelikalen sind sich ja selber nicht wirklich einig, was „postevangelikal“ nun eigentlich bedeutet. Sie wissen immer nur, was es nicht bedeutet. Wie schon der Name sagt: man will nicht mehr evangelikal sein. Sondern irgendwie anders.

Bei der folgenden Seligpreisung wird es schön deutlich: Mt 5,3

3 Glückselig die Armen im Geist, denn ihrer ist das Reich der Himmel.

Das Dumme ist nun, dass der Begriff „Arme im Geist“ sonst nirgendwo vorkommt. Nicht in der Bibel, nicht in der weltlichen Literatur. Man kann also nicht herausbekommen, welche Menschen Matthäus gemeint hat, indem man schaut, wie der Begriff an anderer Stelle benutzt wurde. Er wurde ja nicht benutzt. Matthäus (oder Jesus) haben ihn neu erfunden.

Und weil unter den Postevangelikalen viele studierte Theologen und auch ansonsten kluge Leute sind, haben sie dann versucht herauszubekommen, wie denn das Wort „Geist“ in der Bibel benutzt wird, wenn nicht „heiliger“ davor steht. Ein Versuch, der natürlich erstmal lobenswert ist. Man erforscht die Bibel. Wenn man das Wort Gottes nicht versteht, sucht man im Wort Gottes. Der Ansatz ist als solcher erstmal richtig.

Aber der Ansatz funktioniert hier nicht. Denn das Ergebnis ist, dass „Geist“, wenn nicht „heiliger“ davor steht, in der Bibel immer im Sinne von „menschlicher Geist“ verwendet wird. Also Denken, Haltung, Vernunft, Moral.

Klar, damit ist man jetzt nicht klüger. „Arm an menschlichem Geist“ ist ja nun nichts, was sich von selber erklärt. Als ich jung war, erklärte man uns, das hieße „Selig sind die Dummen“. Im Sinne von: der untere Bodensatz der Bevölkerung. Die Ungebildeten, die sich nicht selber helfen können aufgrund von mangelnder Begabung. Und denen deshalb Gott hilft.

Und so ähnlich erklären es auch die Postevangelikalen: Weil es bei Lukas (6,20) ja ohnehin nur die Armen sind, darum sind hier ebenfalls die Armen gemeint, und es wird auf deren geringe Selbstachtung Bezug genommen. Ihre (aufgrund ihrer Armut) geringe Selbstachtung ist gleich der Armut im Geist. (So z.B. Siegfried Zimmer in einer Auslegung dieser Stelle bei Worthaus.)

Letztlich macht der Postevangelikalismus nur das, was die Befreiungstheologie auf katholischer Seite schon vor 50 Jahren gemacht hat. Und ja: Diese Art, das Göttliche aus der Sphäre des Himmlischen rauszuziehen und es in eine Form der Sozialpolitik zu gießen, ist noch genauso albern wie damals, hat aber auf viele Menschen immer noch die gleiche Anziehungskraft, die es auf die damalige Generation hatte.

Und die theologischen Folgen sind natürlich auch schwierig: Wenn der finanziell arme Taliban jetzt das Himmelreich versprochen bekommt, dann sind wir schnell auf der Schiene der Allversöhnung. Ja, genau: eben postevangelikal.

Luther

Luther und viele Generationen nach ihm haben sich bemüht, die Armut in diesem Vers geistlich zu fassen und sie auf irgendeine Art in eine Beziehung zu Gott und nicht in eine Beziehung zum Geld zu setzen. Weil es im Neuen Bund einfach seltsam erscheint, wenn man das Himmelreich an rein irdische Tatsachen hängt.

Aber die Auslegung, dass sich hierbei um Leute handelt, die wissen, dass sie vor Gott nichts vorzuweisen haben – die vor Gott also arm sind, weil sie Gott nichts bringen können, aufgrund dessen er sie erlösen oder liebhaben könnte – holpert natürlich auch kräftig.

Diese Auslegung scheint zwar gegenüber der rein finanziellen Variante die geistlichere und somit bessere zu sein, aber sie riecht halt auch nach einer Notlösung. Man muss den Begriff „die Armen im Geist“ schon sehr drehen und wenden und um die Ecke interpretieren, damit man diese Auslegung rechtfertigen kann. Was insofern auffällig ist, weil die anderen Seligpreisungen alle ohne Verdrehung zu verstehen sind.

Die neue Erfindung

Die Theologen, die festgestellt haben, dass es den Begriff „Arme im Geist“ im Alten Testament nicht gibt, haben damit etwas sehr richtiges festgestellt.

Arme gab es im Alten Testament nur in finanzieller Hinsicht. Ausbeutung geschah auf der Erde, über den Tisch gezogen wurde man von Menschen, und die Mächtigen, denen man ausgesetzt war, waren handfeste Personen mit Blutkreislauf. Was auch nicht verwunderlich war, denn das Reich Gottes war ein rein irdisches. Es hatte zwar eine gewisse übernatürliche Komponente, weil es eben Gott gab, und weil funktionierende Kommunikation mit Gott nun einmal übernatürlich ist. Aber ein rein geistliches Reich Gottes, wie wir es heute haben, war damals nicht vorstellbar.

Aber nun kam es. Mit Jesus.

Und Jesus musste es jetzt in der Fortsetzung des Alten Bundes erklären.

Fällt Ihnen vielleicht auf: Die Bergpredigt ist auf breiter Front eine Fortschreibung des Alten Bundes in den neuen hinein.

Denn das Land geerbt wurde auch im Alten Bund, und die Trauernden gab es schon bei Jesaja (61,3). Die Hungernden nach der Gerechtigkeit gab es schon bei den Propheten (wobei die Propheten beklagten, dass es zu wenige davon gäbe). Das reine Herz wünsche sich schon David (Ps 51,10; Ps 24,4), und die Forderung nach Barmherzigkeit kommt auch aus dieser Ecke (Ps 41,2), steht aber auch schon bei Mose für den Fall, dass die Kuh meines Feindes davonläuft (Ex 23,4).

Wenn aber nun das Reich Gottes von irdisch auf übernatürlich umgestellt wird, müssen natürlich auch die entsprechenden Komponenten umgestellt werden:

·         Das Land, das geerbt wird, ist jetzt ein Teil des Himmelreiches. (Oder gehören Sie zu Jehovas Zeugen und erben eine irdische Parzelle?)

·         Die Gerechtigkeit, nach der man hungert, ist nicht mehr die politische oder soziale, sondern die des Reiches Gottes (Mt 6,33). Vorher musste man sich verhalten wie ein anständiger Bürger, jetzt muss man sich verhalten wie Gott (oder Jesus).

·         Der Tempel steht nicht mehr auf der Erde, sondern ich bin der Tempel oder die Gemeinde.

·         Der König kann keine staubigen Füße mehr bekommen, denn er ist auferstanden.

·         Die Schätze liegen nicht mehr auf der Erde, sondern man sammelt sich Schätze im Himmel.

Wenn wir nun also alle Komponenten des Himmelreiches aus der irdischen Sphäre in die himmlische transferieren, müssen wir das natürlich auch mit den Armen, Elenden und Ausgebeuteten machen. Es kann ja nicht sein, dass wir alle relevanten Teile des Gottesreiches als übernatürlich verstehen, aber die Opfer der Ausbeutung lassen wir natürlich.

Dieses Problem erkennen Sie übrigens besonders deutlich im Psalm 72. Dort wird der ideale König beschrieben, den wir heute richtigerweise mit dem Messias gleichsetzen, weil die Ergebnisse seines Handelns recht wunderbar sind. Die Autoren damals wussten aber nichts von einem „geistlichen“ Reich, und sie beschrieben den idealen König durch irdische, wenn auch unrealistische Ergebnisse. Gerade weil wir eben davon ausgehen, dass in Psalm 72 eigentlich der auferstandene Jesus beschrieben wird, darum übersetzen wir alle natürlichen Beschreibungen dort in übernatürliche. Und da es in Psalm 72 ausführlich um die Armen und Elenden geht, müssen wir dort selbstverständlich auch die Armen und Elenden auf eine geistliche Ebene heben und dürfen sie nicht in materieller Ausbeutung stehen lassen.

Wenn wir also den finanziell Armen und den irdisch Elenden auf die Ebene des neuen Bundes heben, dann brauchen wir einen neuen Begriff. Denn „finanziell Armer“ geht ja nicht mehr, da ohnehin zugesagt ist, dass Nahrung und Kleidung und wessen man so bedarf, für die kostenlos geliefert werden, die zuerst nach dem Reich Gottes trachten. Und weil wir die rein irdische Ebene verlassen haben.

Jesus erfindet hier also, weil der Arme im Geld ja nicht mehr geht, den Armen im Geist. Der wird immer noch ausgebeutet, über den Tisch gezogen, als Schwacher behandelt. Aber eben nicht mehr finanziell oder nach den Maßstäben des BGB oder des StGB.

Wer der Arme ist

Es erstaunt ja, dass diese neue Erfindung von Jesus im Rest der Bibel dann nicht mehr vorkommt. Man sollte doch erwarten, dass wenn Jesus einen neuen Begriff prägt, dass dieser Begriff dann von seinen Nachfolgern hochgehalten wird.

Da dieser Begriff von Paulus und Co. aber nicht weiter verwendet wird, könnte man ja auf die Idee kommen, dass die Armen im Geist (spätestens) mit der Auferstehung Jesu ausgestorben sind.

Denn wenn die Armen und Elenden nicht mehr von den Reichen und Mächtigen ausgebeutet werden und auch nicht mehr Opfer der Umstände sind (denn die politischen oder sozialen Umstände sind irdische Komponenten), dann müssen sie ja Opfer des Satans sein. Und der Ausbeuter, der sie zu Elenden macht, ist eben auch der Satan.

Und Opfer des Satans konnte man zu Jesu Lebzeiten noch sein. Das sieht man daran, dass Jesus so viele Dämonen ausgetrieben hat aus Leuten, die eigentlich zum Volk Gottes gehörten. (Dass Menschen, die nicht zu Gott gehören, von Dämonen besessen und beherrscht werden, ist nichts Besonderes.)

Aber spätestens mit der Auferstehung Jesu ist der Teufel besiegt.

Und damit kann es in der Gemeinde eigentlich keine Menschen mehr geben, die vom Satan ausgebeutet werden oder denen es aufgrund des satanischen Wirkens elend geht.

Und im alten Bund konnte es den geistlich Armen nicht geben, weil die Ausbeutung und der Betrug durch den Satan dort nicht thematisiert wird. Der Satan kommt zwar nach der babylonischen Gefangenschaft ein paarmal vor und bedroht auch Gläubige (Hiob; Hohepriester Joschua Sach 3,1), aber das Bild des Menschen als der vom Satan unterdrückte wird dort nicht verallgemeinert.

Was die Seligpreisung sagt

Die „Armen im Geist“ sind also, im Gegensatz zu den Armen im Geld, diejenigen, die vom Satan ausgebeutet und ins Elend gestürzt werden. Bei Jesus sichtbar in den Besessenen, aber auch den Petrus (Lk 22,31) wollte der Satan über den Tisch ziehen, und in der Versuchungsgeschichte von Jesus sehen wir das Gleiche.

Mit der Auferstehung Jesu ist der Satan aber auf einer grundsätzlichen Ebene besiegt. Die Armen im Geist, auf die der Teufel losgeht, sind jetzt wehrhaft. Sie können nicht mehr vom Satan ausgebeutet werden, weshalb sowohl Paulus als auch Petrus in ihren Briefen sagen, dass man gegen den Satan jetzt etwas unternehmen kann.

Wer also heute noch vom Satan ausgebeutet und ins (seelische) Elend gestürzt wird, hat als Kind Gottes jetzt die nötigen Waffen, um sich zur Wehr zu setzen.

Darum sind die Armen im Geist selig zu preisen. Weil sie nicht mehr vom Satan ausgebeutet werden können und darum ihren Status als Arme verlieren. Sie sind jetzt mächtig, weil Jesus alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden.