Matthäus 27:51-53 - die ruinierten Grenzen

Dieser Artikel erklärt Ihnen, dass der Vorhang im Tempel nicht zerrissen wurde, damit die Menschen nun Zugang zu Gott haben, und warum die Toten in Jerusalem herumlaufen mussten. Und was das alles mit Ihnen zu tun hat. 

Hoffentlich haben Sie ein geordnetes Leben.

Wie es sich gehört.

Dass alles da ist, wo es hingehört.

Dass auch alle Menschen in Ihrer Umgebung die Rollen ausfüllen, die ihnen angewiesen sind, und nicht aus der Reihe tanzen.

Und Sie natürlich auch! Und weil Sie diesen Artikel lesen, kann ich nur hoffen, dass Sie ein ordentliches, christliches Leben führen.

Ein Leben, in dem Gott den Platz einnimmt, der ihm gebührt.

Und damit natürlich auch ein Leben, indem Sie den Platz einnehmen, der Ihnen zusteht.

Gefordert ist, dass oben oben bleibt und unten unten.

Die Ordnung des Alten Bundes

In dieser Hinsicht waren die Juden des Alten Bundes vorbildlich:

Gott wohnte im Tempel, in Jerusalem, im Allerheiligsten, ganz hinten, und da wohnte auch wirklich nur Gott. In dieser Dunkelkammer hatte niemand anders etwas zu suchen.

Und die Gläubigen wohnten irgendwo auf dem Land oder in der Vorstadt von Jerusalem, und da wohnten auch nur die Gläubigen und nicht Gott. Die Gläubigen konnten Gottes Haus besuchen gehen. Man wusste ja, wo es stand.

Und weil Ordnung herrschte, darum hat Gott nicht die Leute besucht. Ausnahmen wie Abraham oder die Frau von Manoach (Richter 13,2) können wir hier weglassen, denn Millionen von Juden haben über einen Zeitraum von 1000 Jahren keinen Besuch von Gott bekommen, da fallen die wenigen Ausnahmen nicht ins Gewicht. Es war nicht üblich, dass Gott die Leute besuchte.

Es gehört sich ja auch nicht, dass der König bei den Bauern um Audienz bittet. Wenn, dann bittet der Bauer beim König um Audienz.

Auch ansonsten herrschte Ordnung: Die Toten waren in den Gräbern, und die Lebenden in den Häusern und auf den Straßen. Davon gab es keine Ausnahmen. Denn die Gräber waren unrein, da durfte man als lebender Mensch nicht wohnen, und wenn das im heidnischen Gebiet mal jemand machte, betrachtete man das als erwähnenswert (Matthäus 8,28).

Genauso durften die Priester unter verschiedenen Bedingungen keine Toten berühren, und wer doch einen Toten berührte, galt für eine Woche als unrein.

Man durfte Leichen auch nicht einfach so liegen lassen, denn damit machte man das ganze Land unrein. Es gab einen Platz für die Toten, und es gab andere Plätze für die Lebenden, und es gab dabei keine Überschneidungen.

Es herrschte also Ordnung, und Felsen waren hart und Wasser war weich. Darum wird Gott, wenn es um seine Zuverlässigkeit und Festigkeit geht, auch mit Felsen verglichen und nicht mit Pudding.

Und ganz nebenbei: Tagsüber  war es hell und nachts war es dunkel. Nicht umgekehrt. So, wie es sich in einem anständigen und ordentlichen Land gehört.

Zur Sache

Als Jesus starb, war das mit der Ordnung allerdings so eine Sache.

Kurz bevor er starb, trat von Mittags um 12 bis nachmittags um 3 eine Finsternis ein, die scheinbar in dem Moment wieder verschwand, als Jesus starb. Das war schon mal nicht ordentlich. Eine Finsternis in dem Moment, wo eigentlich die Sonne am höchsten steht, so etwas gehört sich nicht.

Aber in dem Moment, wo Jesus tot war, wurde es noch unordentlicher: Mt 27,51-53

51 Und siehe, der Vorhang des Tempels zerriss in zwei <Stücke>, von oben bis unten; und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, 

52 und die Grüfte öffneten sich, und viele Leiber der entschlafenen Heiligen wurden auferweckt, 

53 und sie gingen nach seiner Auferweckung aus den Grüften und gingen in die heilige Stadt und erschienen vielen.

Dadurch, dass der Vorhang im Tempel in zwei Stücke zerriss, war sozusagen die Tür zum Allerheiligsten offen. (Die Idee, es handele sich hierbei um den Vorhang, der zwischen Vorhof und Heiligtum hing, macht keinen Sinn. Wenn Matthäus „der“ Vorhang schreibt, dann meint er den, an den alle an dieser Stelle denken, und er meint den, der tatsächlich eine Funktion hatte.)

An dieser Stelle ist es sehr fromm, zu sagen, dass das Zerreißen des Vorhangs ein Zeichen dafür ist, dass nun alle Menschen Zugang zu Gott haben. Der Gedanke stammt aus dem Hebräerbrief, weil dort der Alte Bund und seine Traditionen mit dem Neuen Bund verglichen werden. Und weil es in der Theologie des Alten Bundes nur diese eine Idee gab, nämlich dass jemand zu Gott hineingehen darf, darum kann der Hebräerbrief nur diese Idee weiterspinnen. Eine Idee, die nicht vorhanden ist, kann man nicht weiterspinnen. Darum bearbeitet der Hebräerbrief nicht die Idee, dass Gott ja nun auch rausgehen könnte. Solche seltsamen Vorstellungen hatten im Alten Bund Seltenheitswert.

Tatsächlich war es aber von Anfang an so, dass Gott, nachdem er mit der Sintflut die Erde verlassen hatte, bei Abraham wieder zurück zu den Menschen kam.

Gott kam zu Abraham, Gott kam zu Samuel, Gott kam in Salomos Tempel.Matthäus 27,51

Auch bei Jesus sagen wir ja, dass Gott in dieser Person zu uns kam.

Wenn jetzt also der Vorhang im Tempel von Gott zerrissen wurde, dann nicht, damit irgendwer rein konnte, sondern damit Gott raus konnte.

Zu den Menschen.

Der Vorgang an sich brauchte zwar noch die Auferweckung Jesu und den Heiligen Geist an Pfingsten, aber das Zerreißen des Vorhangs war eine Ansage. Sozusagen ein prophetischer Riss.

Aber damit ist natürlich die ordentliche Ordnung im Eimer: Das klar strukturierte System, bei dem es einen Platz für Gott gibt und einen Platz für die Menschen gibt, ist nun ruiniert.

Das war schon angekündigt, als Jesus sagte Joh 17,26

26 … damit die Liebe, womit du mich geliebt hast, in ihnen sei und ich in ihnen.

Womit dann der Sohn Gottes an einer Stelle auftauchte, wo er eigentlich nicht hingehörte. Denn der Sohn Gottes, der Messias, der gehört doch in den Himmel. Oder vielleicht noch an einen besonders heiligen Ort, eine Wallfahrtskirche vielleicht. Aber das, was Paulus gesagt hat, das ist doch schräg: „nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). Das ist jetzt vielleicht doch ein bisschen wenig Abstand.

Die Grenzen kommen noch mehr durcheinander, wenn die Gemeinde plötzlich „der Körper des Auferstandenen“ wird, also der „Leib Christi“. Wenn der Auferstandene schon einen Körper haben muss, dann gehört dieser Körper doch irgendwie in den Himmel oder sonst irgendeinen Bereich, in dem Gott … aber das ist ja nun das Problem, dass Gott gar nicht mehr irgendwo, sondern hier. Gott ist nicht mehr eingesperrt in seine jerusalemer Dunkelkammer, und wenn der Leib Christi jetzt da sein soll, wo auch Gott ist, dann wird es schwierig.

Die wandelnden Leichen

Matthäus ist in seinem Bericht nicht sehr chronologisch, denn die Leichen, die auf der Straße rumlaufen, erscheinen erst zwei Tage später. Da die Leichen aber nur deshalb rumlaufen können, weil die Gräber durch das Erdbeben aufgegangen sind, darum berichtet Matthäus es schon an dieser Stelle. Und weil es eben auch zu dem gehört, was Matthäus an dieser Stelle feststellen möchte:

Durch den Tod Jesu ist die Ordnung durcheinander gekommen.

Die Toten haben ja ohnehin nicht rumzulaufen. Es ist die Aufgabe der Toten, tot zu sein und nie wieder in Erscheinung zu treten. Aber durch Jesu Sterben sind die Grenzen zwischen Tod und Leben durcheinander gekommen. Wer Tote sind und wer Lebende sind, ist nicht mehr so klar zu klassifizieren, denn die Toten sollen ihre Toten begraben, du aber folge mir nach (Mt 8,22).

Paulus weist im Epheserbrief und Kolosserbrief (Eph 2,1; Eph 2,6; Kol 2,12; Kol 3,1;) mehrfach darauf hin, dass wir jetzt schon mit Jesus auferweckt und auferstanden sind – meine Güte, dabei waren wir noch nicht einmal tot!

Im übrigen ist es noch schlimmer, als ich es bisher beschrieben habe. Die Toten laufen bei Matthäus nämlich nicht „durch die Stadt“, sie laufen auch nicht durch Jerusalem, sondern sie laufen durch „die heilige Stadt“. Selten wird Jerusalem im NT so genannt, aber Matthäus macht es an dieser Stelle, um die extreme Grenzüberschreitung zu zeigen, die hier geschehen ist. Wenn die Toten durch Babylon oder Beirut gelaufen wäre, wäre das unpassend genug gewesen. Aber die Heilige Stadt ist der Ort, wo die Toten am allerwenigsten rumzulaufen haben.

Die Grenze zwischen Mensch und Gott

Eine der zentralen Grenzen, die hier unter die Räder geriet, ist die Grenze zwischen Mensch und Gott.

Wo fängt Gott an, wo hört der Mensch auf?

Wenn Christus in mir lebt, wo ist dann die Grenze?

Wenn ich erfüllt bin mit Heiligem Geist, wo fängt dann mein Geist an und wo sind die Grenzen von Gottes Geist?

The Body

Wenn die Gemeinde der Körper des Auferstandenen ist, wo hört das auf? Wie weit reicht dann dieser Körper in den Himmel hinein, obwohl die Gemeinde ja … also wir wissen ja, wo die Gemeinde ist, es hängt ja auch ein Schild draußen am Haus.

Aber wenn die Gemeinde der Körper des Auferstandenen ist, dann ist sie ja irgendwie – grenzenlos?

Gut, dass die Gemeinde räumlich grenzenlos ist, das mag man noch schlucken. Dass es auch in Thailand und Argentinien Christen gibt, die Gott anerkennt, das haben wir mittlerweile abgehakt.

Aber der Auferstandene ist ja auch machtmäßig grenzenlos. Und wissensmäßig grenzenlos. Wenn die Gemeinde der Körper des Auferstandenen ist, ist sie dann auch grenzenlos mächtig? Jesus soll irgendwann mal gesagt haben, dem Glaubenden sei alles möglich (Mt 17,20; Mk 9,23). Aber welche Verantwortung hätte man, wenn es so wäre? Dann lieber nicht.

Und was das Wissen angeht, gibt es die Gnadengabe der Weissagung. Und die der Prophetie. Und die der übernatürlichen Lehre. Aber was ich nicht weiß, da muss ich mich auch nicht drum kümmern. Ist besser so.

Dieses Verwischen der Grenze zwischen Gott und den Menschen, das ist nämlich gar nicht schön.

Das Wollen und seine Fortsetzung

In Philipper 2,13 steht, dass Gott in mir sowohl das Wollen als auch das Vollbringen bewirkt. Aha. Und was ist dann mein Job? Und am Ende komme ich ins Gericht, weil Gott in mir nicht richtig gewollt hat, oder was?! Habe ich jetzt keinen freien Willen mehr – oder wann weiß ich eigentlich, wann es mein Wollen ist und wann es Gottes Wollen ist?

Die Herrschaft

Paulus entwickelt in Römer 5,17 den Gedanken, dass bei der Katastrophe mit Adam und Eva die Menschen die Herrschaft an den Teufel verloren haben, der ab dem Moment über sie herrschte, und dass die Menschen durch Jesus die Herrschaft wiedergewonnen haben.

Da werden die Christen sich aber schön hüten. Denn wenn die Christen herrschen würden, dann würde das die ganze schöne Ordnung durcheinander bringen. Denn richtig ist es so: Gott herrscht, und die Christen verhalten sich in demütiger Unterordnung. Sie dienen, und sie beugen sich. Alles andere, also bitte: Welch ein Durcheinander! Ohne uns. Wenn Gott herrschen will, soll er herrschen, aber wir lassen das nicht an uns delegieren.

Nichts Neues

Matthäus 27,52Dass mit Jesus die Grenzen verwischen, war natürlich nicht neu. Dass man auf dem Wasser gehen kann, dass sich Brote und Fische vermehren, dass Tote auferweckt werden und Kranke gegen alle Wahrscheinlichkeit gesund werden, das hatte es ja schon 3 Jahre lang gegeben.

Aber bisher waren diese Verschiebungen der Grenzen immer direkt an Jesus als Person gebunden. Und diese Person war jetzt tot.

Aber die Grenzverschiebungen gingen nahtlos weiter!

Das, was die Pharisäer doch eigentlich verhindern wollten, nämlich dass diese unsachgemäße Behandlung Gottes weiterging, das geschah nun erst recht!

Wenn Jesus sagte, mit ihm sei das Reich Gottes nahe herbeigekommen, dann konnte man ihm immer noch den Mund stopfen, und das hatte man ja nun auch recht gründlich getan. Aber nähen Sie mal diesen dicken Vorhang wieder zusammen, der ja noch dazu von oben nach unten gerissen war – wenn Menschen den Vorhang zerrissen hätten, dann wäre er von unten nach oben zerrissen, denn einen aufgehängten Vorhang kann man gar nicht von oben nach unten zerreißen!

Ja, den Jesus hatten sie erledigt, der Gott so unwürdig zu den Menschen herabgeholt hat und der das göttliche Wirken so gotteslästerlich in die Menschen hineinverlegt hat. Aber jetzt sperren Sie doch mal diese Toten wieder in ihre Gräber!

Ende des Artikels

Es gibt heute keine Handlungsanweisung. Es gibt nur diese Frage: Wo ist Ihr Gott?

Denn alle Verheißungen in der Bibel hängen von der Frage ab, wo die Grenze zwischen Ihnen und Gott verläuft und wie klar sie definiert ist.

Wo die Grenze zwischen Gott und der Gemeinde verläuft und wie klar sie definiert ist.

Dass Problem ist, dass diese Grenze nicht sichtbar ist und nicht objektiv beweisbar ist, weil Gott nicht sichtbar und nicht objektiv beweisbar ist.

Wenn diese Grenze verwischt oder aufgeweicht ist, erkennt man das nur an den Ergebnissen.

An zerreißenden Vorhängen, rumlaufenden Toten, Finsternis beim Höchststand der Sonne.

Oder wie Jesus sagen würde: Dem Glaubenden ist alles möglich. Daran könnte man es erkennen.

Denn wenn das wahr wäre, dann wäre der Glaubende wie Gott. Eigentlich würden wir ja sagen, dass nur Gott alles möglich ist. Laut Jesus hat nun der Glaubende aber göttliche Fähigkeiten. Diese Fähigkeiten kann er aber nur haben, wenn die Grenze zwischen Gott und dem Glaubenden ziemlich dünn geworden ist.

Es endet also alles in der Frage: Wie göttlich dürfen Sie sein?