Matthäus 11,12 + 13 die Gewalttätigen

Matthäus 11,12–13 (ELB)

12Aber von den Tagen Johannes des Täufers an bis jetzt wird dem Reich der Himmel Gewalt angetan, und Gewalttuende reißen es an sich.

13Denn alle Propheten und das Gesetz haben geweissagt bis auf Johannes.

Wenn man wenigstens umtauschen könnte!

Aber haben Sie einen Kassenbon, wo „Reich Gottes“ draufsteht?

Dabei hatte man sich das so schön vorgestellt mit dem Reich Gottes.

Irgendwie.

Aber jetzt, wo es da war – „mitten unter euch“ – da wollte man es möglichst schnell wieder los werden.

Denn das sagt Jesus ja hier, und das haben die Leute auch selber gemerkt: Mit Johannes dem Täufer ist es losgegangen.

Das, was die Propheten über mehr als ein Jahrtausend geweissagt hatten, das war nun da.

Ganz offensichtlich.

Auch wenn man die Einzelheiten nicht verstand.

Dieser Jesus redete Reden, so hatte noch nie jemand geredet.

Und der redete nicht nur, der konnte seine Sendung auch durch jede Menge Wunder legitimieren. Der hatte den seit 700 Jahren ungebrochenen Wunderrekord von Elia und Elisa nach drei Tagen bereits eingestellt und übertroffen.

Es war völlig klar: Das ist es jetzt.

Man hatte es sich zwar völlig anders vorgestellt, aber der Täufer hatte schon auf diesen Jesus hingewiesen, und er hatte Recht behalten. Das Reich Gottes: jetzt war es da.

Und das Erstaunliche war: Jetzt, wo es da war, versuchten alle, es möglichst schnell wieder loszuwerden. Alle suchten hektisch nach einem Müllcontainer, in dem sie das Reich Gottes entsorgen konnten!

Der Fürst

Ganz vorne: Herodes Agrippa. Der hatte seinem Bruder die Frau ausgespannt – oder, was genauso gut sein kann: Herodias war zu ihm übergelaufen – auf jedem Fall war es nach jüdischem Recht nicht zulässig, dass er mit der Herodias verheiratet war.Matthäus 11,12

Und das hatte der Täufer laut und deutlich gesagt, und offenbar auch noch öffentlich.

Folglich hatte Herodes den Täufer ins Gefängnis gesteckt, von wo aus dieser ja auch gerade vor unserem Abschnitt eine wichtige Frage an Jesus gestellt hatte.

„Gewalttuende reißen das Reich Gottes an sich“, nennt Jesus diesen Vorgang. Herodes versucht, das Reich Gottes in einem dunklen Verlies verschwinden zu lassen. Es mundtot zu machen.

Man ist ja nicht grundsätzlich gegen das Reich Gottes – aber wenn das Reich Gottes mich kritisiert, dann ist ein Müllcontainer vielleicht doch der bessere Platz dafür, und wir bewahren auf diese Weise die alten Zustände.

Die Sadduzäer

Die Sadduzäer waren die führenden Priesterfamilien. Die hatten nun gleich zwei Probleme mit dem neuen Reich, das mit dem Täufer seinen Anfang genommen hatte:

Problem Tempel

Die führenden Priesterfamilien lebten vom Tempel, begründeten ihre Macht auf die Existenz und die Bedeutung des Tempels.

Aber der Täufer hatte so dermaßen betont weit entfernt vom Tempel gewirkt – um Teil zu haben am neuen Reich, mussten die Leute irgendwo in die Wildnis an den Jordan, nicht etwa zum Tempel.

Und dieser Jesus hatte in Galiläa gewirkt, da hatten diese Priesterfamilien überhaupt keine Macht – das hat später ja auch den Paulus gerettet, dass beim Statthalter Felix in Cäsarea der priesterliche Mob keine Macht besaß (Apg 23,23) – das war auch weit weg vom Tempel. Wenn dieses neue Gottesreich aber so wenig mit dem Tempel zu tun hatte, dann mussten die Sadduzäer es irgendwie loswerden.

Noch dazu, wo dieser Jesus dann auch noch die Kaufleute und Geldwechsler im Tempel angriff und damit den ganzen Betrieb in Frage stellte.

Wenn die langersehnte Erweckung in Europa kommt, und sie geht an unserer Gemeinde spurlos vorüber, sondern findet woanders statt – also Gott ist nicht hier, sondern offenbar bei den anderen – da kann man ja nicht dafür sein.

Problem Liberalismus

Das zweite Problem der Sadduzäer war, dass sie ganz bestimmt keine Pharisäer waren. Die führenden Priesterfamilien hatten sich erfolgreich gegen diese „Erweckung“ des Pharisäertums gewehrt. Ihnen ging die tiefe Frömmigkeit der Pharisäer auf den Senkel.

Die Sadduzäer waren griechisch geprägt, wir würden sagen: moderne, aufgeklärte Menschen. Wenn dieses neue Reich nun tatsächlich mehr Hingabe, mehr Frömmigkeit, mehr religiösen Ernst verlangte, so war das weit von den Interessen der Sadduzäer entfernt.

Mit soviel heiligem Geist und soviel Inbrunst konnten die nichts anfangen, so etwas war in ihren Augen rückwärts gewandt.

Zusammengefasst gab es für die führenden Priester das Problem, dass das neue Reich nicht von ihnen ausging, sie noch nicht einmal um Erlaubnis gefragt hatte. Da lief eine Bewegung neben ihnen ab, die sich nicht groß um sie kümmerte und eine zweite Macht neben der Ihrigen aufbaute.

Im Gesetz (Ex 19,2) stand ja drin, dass ganz Israel ein Königreich von Priestern sein soll, dass also alle Mitglieder im Reich Gottes Priester sein sollen, und in Jesaja (61,6) wird das noch mal wiederholt, und da haben die Sadduzäer natürlich gesagt: Wie schön wäre das, wenn alle so wären wie wir! Aber jetzt wurde das plötzlich wahr, und da wollte man das auf keinen Fall!

Das Wort Gottes ist schön in der Theorie, als Vision, als Bild der Hoffnung. Aber doch nicht in der Realität!

Die Pharisäer

Die Pharisäer waren sehr eifrig um das Gesetz bemüht, das sie als Wort Gottes verstanden.

Und jetzt kamen der Täufer und dieser Jesus, und der Täufer taufte Hinz und Kunz, Zöllner und Sünder, Nichtsnutze und Kapitalisten.

Und Jesus aß mit den Sündern und ließ sich von Frauen anfassen, die ein Pharisäer nicht einmal anschauen würde.

Der Jesus unterrichtete Leute über das Reich Gottes, wo das in den Augen der Pharisäer völlig vergeblich war, weil diese Leute niemals zu einem vernünftigen Frömmigkeitsstil in der Lage sein würden.

Ein Händler, der Schweinefleisch an die Römer verkaufte, dem brauchst du doch nichts über Gott und irgendeine Form der Heiligkeit zu erzählen!

In diesem Neuen wurde nach Meinung der Pharisäer die Sünde nicht ernst genommen und damit gleichzeitig auch die Heiligkeit Gottes nicht ernst genug genommen.

Sowohl Jesus als auch der Täufer waren barmherzig zu den falschen Leuten.

Gott ist sicherlich barmherzig zu den Pharisäern, denn die haben es verdient. Aber doch nicht zu diesen anderen!

Den Verkündern dieser seltsamen Barmherzigkeit Gottes musste man das Gottesreich wegnehmen.

Das musste aus deren Mund entfernt werden.

Oder man macht es andersrum: man entfernt diese Menschen, dann kann man selber wieder das Gottesreich für sich beanspruchen.

Das haben die Einwohner von Nazareth ja auch schon versucht. Als der Jesus ihnen die Wunder vorenthielt, auf die sie Anspruch zu haben meinten, wollten sie ihn von einer Klippe stürzen. Das war „dem Reich Gottes wird Gewalt angetan“ unübersehbar.

Problembeschreibung

Man hat ein bestimmtes Verständnis des Gotteswortes, und dann kommt Gott selber und erzählt, er habe das völlig anders gemeint. Und beweist das auch noch durch Wunder und durch gekonnte Schriftauslegung.

kaktusblueteMeine Eltern haben so geglaubt und meine Großeltern und meine Urgroßeltern, und jetzt heißt es, dass man es ganz anders machen muss.

Damit steht man in gewisser Hinsicht vor den Trümmern seines Lebens, und man müsste völlig neu aufbauen, aber man hat noch nicht einmal einen Plan, wie das gehen sollte. Man kennt ja keine brauchbare Alternative zur bisherigen Religionsausübung.

Das Gesetz, das einen ordentlichen Plan und eine verständliche Struktur hatte, soll man aufgeben und bekommt dafür ein Durcheinander, wo man heute nicht weiß, was Gott morgen will.

Die Leute reden ja immer wieder von der Unbegreiflichkeit Gottes. Bezogen auf das Schicksal von Menschen. Auch die Psalmen sprechen ja immer mal wieder davon, wie unbegreiflich Gott letzten Endes ist.

Aber dann verlangt die Leute in religiösen Fragen eine Verwaltbarkeit Gottes, eine vernünftige Erkenntnis Gottes, eine Verstehbarkeit. Während Gott selber in seinen Entscheidungen völlig unbegreifbar ist, muss das Reich Gottes systematisch sein, nachvollziehbar und eindeutig.

Die Religion, die zu diesem unbegreiflichen Gott gehört, die darf diesen Gott nicht widerspiegeln.

Gott versucht Problemlösung

Nun weiß Gott ja, dass die Menschen sich innerlich ein Bild von Gott machen, und danach dann handeln.

Das eigene Gottesbild der Menschen ist dann ihr Maßstab. Da das eigene Gottesbild aber immer falsch ist – denn jedes Gottesbild ist falsch, und jede Meinung über Gott ist letztlich falsch – weil also das eigene Gottesbild falsch ist, kann man natürlich mit diesem Gottesbild als Maßstab auch den Willen Gottes nicht erfüllen. Man kann Gott auf diese Weise nicht verstehen, es ist alles völlig falsch und krumm und unbrauchbar.

Die perfekte Lösung ist: Gott kommt selber.

Dann brauche ich kein Gottesbild mehr und keine Meinung über Gott. Dann ist er ja da.

Das ist das erste Mal bei Jesus selber geschehen. Auch wenn Jesus natürlich ein Mensch war, aber Gott wollte, dass die Menschen ihn sehen, und Gott in seiner eigentlichen Form kann man nicht sehen.

Mit Jesus kam also Gott und hat den Menschen gezeigt, wie er die Worte der Propheten über sich selber gemeint hatte.

Und was Jesus hier in Matthäus 11 beschreibt, ist, dass die Leute das für keine gute Idee hielten.

Die wollten nicht die Anwesenheit Gottes. Die wollten ihr Gottesbild nicht aufgeben. Gott sollte so sein, wie sie sich das vorstellten. Der wahre Gott stört dann.

Und darum wurde dem Reich Gottes damals Gewalt angetan. Weil die Menschen gerne ihre eigene Vorstellung vom Reich Gottes haben wollten, aber nicht das Reich Gottes selber.

Die Fortschreibung

Nun hat diese neue Methode Gottes, nämlich dass er selber kommt, mit Jesus ja nicht ihr Ende gefunden.

Die Tatsache, dass das Wort Gottes so sehr missverständlich ist, hat sich ja nicht geändert.

So wie die Menschen damals das Problem hatten, dass sie das Alte Testament auf eine bestimmte Art verstanden, aber als es dann kam, war es ganz anders, als sie es verstanden hatten, so ist es ja heute immer noch.

Nur dass wir heute noch mehr Text haben, den man falsch verstehen kann.

Dass man die Texte falsch versteht, ist an sich auch verzeihlich. Wenn Gottes unendlicher Wille in die begrenzte menschliche Sprache gepackt wird, das kann nur daneben gehen.

Und darum hat Gott beschlossen, es auch weiterhin so zu machen, wie er es damals mit Jesus gemacht hat: Er kommt selber und erklärt die Texte selber. Dann sind wir nicht mehr auf die Erklärungen von all den Leuten angewiesen, die uns ihr eigenes Gottesbild als die Wahrheit verkaufen wollen.

Die Texte sowohl des Alten als auch des Neuen Testamentes sind wichtig, weil sie uns erst einmal eine Orientierung bieten. Dass es Gottes Absicht ist, selber zu uns zu kommen und uns seinen Willen direkt zu erklären und damit richtig Reich Gottes zu bauen und eben nicht Reich der Pharisäer oder Reich der Einwohner von Nazareth oder der Katholiken oder der Lutheraner oder von wem auch immer, dass Gott also allen denen, die das Reich Gottes mit Gewalt an sich reißen wollen, um selber darüber bestimmen zu können und um letztlich Gottes eigentlichen Willen zu verhindern, dass Gott denen allen das Reich wieder wegnehmen will und wirklich sein Reich bauen will, das wissen wir aus den Texten.

Die Texte sind also wichtig. Sie sind die Grundlage für das Verständnis Gottes.

Aber damit das nun nicht wieder passiert, dass alle möglichen Leute mit einer Meinung kommen und das Reich Gottes an sich reißen, damit sie selber darüber bestimmen können, darum hat Jesus dafür gesorgt, dass nachdem er selber gegangen ist, wiederum Gott selber kommt und jeder Meinung und jedem Gottesbild sich selber entgegenstellt.

Denn der Heilige Geist ist Gott selber.

Der heilige Geist ist kein Werkzeug. Sondern er ist der Handwerker selber.

Der Heilige Geist ist genauso wahrer Gott, wie Jesus wahrer Gott war.

Nur dass Jesus draußen gelebt und gewirkt hat, und der Heilige Geist lebt drinnen.

Damit, wie Johannes das dann ausgedrückt hat, der Geist uns in alle Wahrheit leite.

Damit denen, die wirklich Gott wollen und die wirklich sein Reich wollen, niemand dieses Reich mehr wegnehmen kann.

Damit ist aber die Missachtung des Heiligen Geistes genauso schlimm wie die Missachtung Jesu.