Markus 1,22 der Tod der Hermeneutik

Das ist alles eine Machtfrage.

Immer und überall auf der Welt.

Und hier nun hat Jesus Macht.

Erstmal nur eine Macht des Wortes, die sich aber wenige Verse weiter als eine absolute Macht erweist.

Was Markus interessiert und was er uns mitteilen will, ist, woher Jesus diese Macht hat.

Denn um an Macht zu kommen, gibt es viele verschiedene Wege:

  • Waffen aller Art und Größe
  • Geld 
  • Beeinflussung und Lügen.
  • Drohen mittels Beziehungen, über Statusverlust und Schande.
  • Charme und Ausstrahlung
  • ein Machtvakuum. Niemand anders will die Macht an dieser Stelle.

Wo also hat Jesus seine Macht her?

Denn er redet ja so, dass es den Anschein hat, dass das, was er sagt, verbindlich ist. Dass man sich danach zu richten hat, schlicht, weil es die Wahrheit ist.

Und natürlich ist es verbindlich: Wenn es gleich im Anschluss für die Dämonen verbindlich ist, ist es selbstverständlich für die menschlichen Zuhörer auch verbindlich.

Der Unterschied

Um zu begründen, woher Jesus seine Macht des verbindlichen Wortes hat, bemüht Markus die Schriftgelehrten: So nicht!

Denn die Schriftgelehrten kannten den Willen Gottes nicht.

Das Wort Gottes war für sie ein fremder Stoff, mit dem sie sich angestrengt beschäftigen mussten.

Die Schriftgelehrten machten das, was wir in der Schule immer so geliebt haben: Sie machten Textanalyse.

Sie analysierten den alten Text, um herauszufinden, was denn nun der Wille Gottes sei.

Sie verglichen verschiedene Teile des Textes miteinander. Sie wogen Bibelstellen gegeneinander auf, sie wägten deren jeweilige Bedeutung und deren Wert gegeneinander ab.

Und so kamen sie auf den Willen Gottes.

Dumm nur, dass je nachdem, welche Bibelstellen man miteinander verglich und welche Bedeutung man den einzelnen Wörtern gab, man zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kam.

Der Wille Gottes konnte also so sein, oder doch ein bisschen anders. Der Zuhörer musste sich irgendwie entscheiden, und gezwungenermaßen tat der Zuhörer das auch, und er entschied sich normalerweise für die Version, die ihm selbst am nächsten lag, am passendsten erschien und seine eigenen Lieblingsideen stützte.

Beweisführung für Unsichere

Weil der Schriftgelehrte den Willen Gottes per se nicht kannte, benutzte er das Mittel der Beweisführung.

Er konzipierte eine logische Kette von Argumenten, die beweisen sollte, dass dieses und nichts anderes der Wille Gottes ist.

Argumente braucht der, der es nicht weiß.

Logische Schlussfolgerungen braucht der, der etwas vermutet.

Wer die Wahrheit kennt, kann sich hingegen jede Argumentation sparen. Der sagt, wie es ist, weil er weiß, wie es ist.

Wer die Wahrheit kennt, braucht keine Gründe zu nennen und nicht auf die Logik seiner Aussagen zu verweisen.

In dieser komfortablen Lage waren die Schriftgelehrten aber nicht.

Sie hatten nur die Schriften. Die Bibel. Den Text.

Es war auch gar nicht vorgesehen, dass sie eine solche Vollmacht hatten, wie Jesus sie hatte.

So eine Vollmacht hatten im Alten Testament nur die Propheten.

Das Problem war eher, dass die Schriftgelehrten ihre Auslegungen für verbindlich erklärten, obwohl das Ergebnis nur erraten war und andere Leute mit anderen Methoden jederzeit zu anderen Ergebnissen hätten kommen können.

Das Problem der Textanalyse

Die Schriftgelehrten standen vor dem gleichen Problem, vor dem jede Textanalyse steht.

(Allerdings nicht nur die Textanalyse, sondern auch die Archäologie, die Geschichtswissenschaft und die Astronomie.)

Man hat einen alten Text, der Autor ist verstorben oder nicht befragt worden, und jetzt fragt man: Was wollte der Autor sagen?

Und dazu analysiert man die Worte des Textes, vergleicht ihn mit anderen Texten des Autors und seiner Zeit und passt den Text in den Zusammenhang ein, in dem er steht.

Und dann kommt man zu einem Ergebnis.

Und jemand anders kommt zu einem anderen Ergebnis.

Die Archäologie fragt: Warum sind die Dinosaurier ausgestorben? Man versucht, alle Erkenntnisse, die man hat, in einen logischen Zusammenhang zu bringen, und dann war es ein Meteoriteneinschlag.

Oder auch nicht. Denn man weiß es nicht.

Niemand war dabei, man kann niemanden befragen.

Und so geht es oft, und man verkauft die Ergebnisse dann als „wissenschaftlich“. Dabei sind es nur Spekulationen aufgrund von ausgewählten Fakten, Annahmen und Vermutungen, welche man nach eigenem Belieben zu einer Logikkette verknüpft hat.

Übrigens tauchen immer mal wieder echte Lösungen auf, die jahrelange Spekulationen in all ihrer Lächerlichkeit offenlegen. Als Beispiel sei hier die Bedeutung der Zahl 42 genannt, die im Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams die Antwort auf die Frage aller Fragen ist. Die zahlreichen Spekulationen über die Bedeutung der Zahl 42 und die Lösung finden Sie hier.

Die Überwindung der Schriftgelehrten

Welch ein Glück also, dass man Douglas Adams nach der Bedeutung der Zahl fragen konnte!

Oder: Wie langweilig! Die Spekulationen waren viel interessanter als die Wahrheit!

Was seit Jesus möglich ist und was darum die Schriftgelehrten außer Betrieb setzt, ist die Tatsache, dass man Gott selber fragen kann.

Jesus war der erste, der diese Quelle anzapfte. Er konnte sagen, wie genau Gott diese oder jene Aussage gemeint hatte.

Er konnte genau Auskunft über den Willen Gottes geben, weil er diesen Willen im Original kannte.

Jesus musste nicht raten und spekulieren, er muss keine Beweisketten zusammenstellen und keine Argumente benutzen.

Jesus brauchte keine Textanalyse und keine Hermeneutik, keinen Vergleich der verschiedenen Bibelausgaben und kein Studium alter Kommentare.

Jesus sitzt an der Quelle, und folglich kann er mit Vollmacht das sagen, was Gott sagen will. Denn er hat Einblick in den Willen Gottes. Gott hat Jesus die Vollmacht gegeben, hinter die Fassade des Himmels zu schauen.

Die Überwindung der Hermeneutik

Nun hat Markus sein Evangelium ja nicht geschrieben, um irgendwelche geschichtlichen Tatsachen ins rechte Licht zu rücken.

So dass wir jetzt wissen, dass Jesus nicht raten musste wie die Schriftgelehrten.

Sondern Markus hat sein Evangelium geschrieben, damit die Gemeinde weiß, wie sie den Sieg über alles Herkömmliche einschließlich des Teufels realisieren kann.

Denn die Gemeinde ist der Leib Christi. Der Körper von Jesus. Sie ist diejenige, die das Werk Christi vollenden soll, das Jesus selbst nicht vollenden konnte, weil er an Ostern noch etwas anderes vorhatte.

Das Problem in unseren heutigen Gemeinden ist: Wir machen es genauso wie die Schriftgelehrten.

Wir nehmen den Bibeltext und analysieren ihn, vergleichen ihn mit Parallelstellen oder anderen biblischen Aussagen, erwägen die Grundbedeutung des griechischen oder hebräischen Urtextes und erklären dann, was der Wille Gottes ist.

Das hat nichts mit Vollmacht zu tun, sondern nur mit raten. Darum kommen die Katholiken auch zu anderen Ergebnissen als die Zeugen Jehovas, die Pfingstgemeinden zu anderen Ergebnissen als die evangelische Landeskirche. Jeder verbindet andere Bibelstellen miteinander, jeder rät anders.

Die Briefe des neuen Testamentes (und auch die Apostelgeschichte) gehen aber davon aus, dass der Leib Christi in der gleichen komfortablen Lage ist, wie der Christus es hier auf der Erde war: Man kann Gott fragen. Man kann in Vollmacht lehren und kann eindeutig sagen, was der Wille Gottes in einem bestimmten Punkt ist.

Darum kennt das neue Testament das Lehren als Gnadengabe. Als übernatürliches Können. 1.Petrus 4,10+11 verlangt infolgedessen, dass der, der vor der Gemeinde redet, Aussprüche Gottes redet und nicht seine Meinung kundtut.

Römer 12,6+7 kennt die Lehre als eine der übernatürlichen Gnadengaben, und 1.Korinther 12,28-31 nennt Apostel, Propheten, Lehrer und Wundertäter in einem Rutsch. All derer Können ist von der gleichen Qualität, hat den gleichen Ursprung, geschieht in Vollmacht und Gewissheit und nicht in Abwägen und Spekulation.

Auch Apostelgeschichte 13,1 hat die Propheten und Lehrer in einem Atemzug, und Epheser 4,11 wiederholt nur, was in 1.Korinther 12,28-31 ohnehin schon steht.

Das Lehren in Vollmacht, das uns bei Jesus beschrieben ist, sollte also nicht ein einmaliger Fall bleiben, der sich mit dem Tode Jesu erledigt hat. Und anschließend machen wir es wieder so wie die Schriftgelehrten.

Sondern Markus beschreibt diese Neuerung, weil er sie als ein verbindliches Zeichen der neuen Zeit versteht.

Dauerhaft.

Schade, dass die Bemühungen des Markus vergeblich waren.

Wir haben heute wieder keinerlei Vollmacht. Wir haben Hermeneutik.