Lukas 17,11-19 – nichts zu danken!
Herzlich willkommen zurück in der Rubrik fürs eimerweise Kotzen.
Den Eimer brauche ich jedes Mal, wenn wieder jemand erzählt, die Geschichte von den 10 Aussätzigen handele von der Dankbarkeit.
Nein, tut sie nicht.
Die Gegend als Aussage
Gehen wir mal davon aus, dass Lukas den Wunsch hatte, dass Theophilus tatsächlich kapierte, was Lukas sagen wollte.
Dann ist der erste Satz dieser Geschichte kein Lückenfüller und kein einleitendes Geplänkel, sondern macht wirklich eine Aussage: Lukas 17,11
11Und es geschah, als er nach Jerusalem reiste, dass er mitten durch eine Gegend zwischen Samaria und Galiläa ging.
Wenn es hier um Dankbarkeit ginge, wäre es völlig egal, ob Jesus durch die Mongolei zog oder durch Marokko. Man hätte sich den Vers 11 komplett sparen können, weil er zur Sache nichts beitrüge.
Lukas beschreibt hier aber, dass Jesus (gleichzeitig) durch jüdisches und (halb)heidnisches Land zog.
Das ist die Problematik: Jesus berührt beide Seiten, und von beiden Seiten kommen unterschiedliche Reaktionen.
Heute müsste man leider sagen: „Und es geschah, als Jesus durch die christliche Welt zog, dass er mitten durch die ideologischen und die charismatischen Gemeinden zog.“
Die Grenze des Landes, durch das Jesus heute zieht, ist also nicht so eindeutig zu bestimmen wie damals. Die Vermischung von Glaube und Ideologie ist heute komplexer.
Nicht zum Teich
Das Nächste, was auffällt, ist, dass Jesus die 10 Aussätzigen nicht zu einem Teich schickt.
Oder ihnen Matsch auf die Haut kleistert.
So läuft das doch normalerweise.
Oder dass die Aussätzigen Jesu Klamotten anfassen müssen oder Jesus selbst sie „anrührt“.
Sondern Jesus schickt sie zu den Priestern, ist aber recht ungehalten, als 9 von denen tatsächlich hingehen.
Unrettbar
Und am Ende wird der, der nicht zu den Priestern ging, gerettet.
Aufgrund seines Glaubens.
Nicht aufgrund seiner Dankbarkeit.
Wenn aber der eine explizit gerettet ist, dann sind die anderen – nun, soweit werden Sie sicher nicht gehen wollen, diese 9, die ganz brav und gehorsam zu den Priestern gehen, als „verloren“ zu bezeichnen.
Die Eindeutigkeit des Verursachers
Selbstverständlich sind auch die 9 Jesus dankbar.
Und Gott. Es gibt keinerlei Anhaltspunkt, dass die 9 ihre Heilung dem Zufall zuschreiben.
Schließlich haben sie vorher Jesus angerufen und um Hilfe gebeten, und weil Jesus sie zu den Priestern schickt, nur darum sind sie auf diesem Weg, auf dem die Heilung passiert.
Der Zusammenhang ist für jedermann klar erkennbar.
Die 9 werden ohne Zweifel Gott danken für die Heilung, und sie werden sehr dankbar von Jesus sprechen, der ihnen den Weg zu dieser Heilung ja schließlich gewiesen hat.
Man tut den 9 wirklich unrecht, wenn man davon ausgeht, sie wären Gott oder Jesus gegenüber undankbar gewesen.
Und den Samaritaner rettet auch nicht seine Dankbarkeit. Ihn rettet sein Glaube.
Und das ist nicht der Glaube daran, dass Jesus die Heilung zu verantworten hat. Das haben die 9 auch geglaubt. Es war ja offensichtlich.
10 von 10 und auch die Falschen.
Was dem Samaritaner aufgefallen war: Von 10 Erkrankten wurden 10 geheilt.
Das mag uns, die wir die Geschichten von Jesus kennen, gar nicht groß verwundern.
Aber selbst von Jesus gibt es Zitate, wo er erzählt, dass unter den Bedingungen des Alten Testamentes eben nicht alle Aussätzigen geheilt wurden oder alle Witwen mit Lebensmitteln versorgt wurden (Lk 4,26+27), sondern dass es immer solche und solche gab.
Es war auch nicht so gewesen, dass Jesus zu jedem Einzelnen der 10 separat gesagt hatte: „Geh du hin und zeige dich den Priestern, geh du hin und zeige dich den Priestern, geh du hin und zeige dich den Priestern“, sondern er hatte die 10 als Gruppe behandelt.
Und in dieser Gruppe gab es jetzt keine Ausnahme.
Selbst für den, für den es keinen Sinn machte, sich den Priestern zu zeigen und anschließend die Opfer zu bringen, die das Gesetz bei einer Heilung von Aussatz vorsah, gab es keine Ausnahme.
Wenn es aber keine Ausnahme mehr gibt, dann gibt es offenbar eine Regel, und wenn es eine Regel gibt, dann gibt es aufgrund dieser Regel einen Anspruch.
Der Samaritaner feiert hier den, der den Anspruch auf Heil sichtbar macht und umsetzt.
Die Rettung
Die Rettung des Samaritaners bestand darin, dass er ab jetzt in dem neuen Reich leben durfte, in dem jeder, der sich an Jesus wandte, einen Anspruch auf Erhörung und Erlösung hatte.
Diesen absoluten Anspruch benennt und betont Jesus immer wieder. Schon sein „bittet, so wird euch gegeben“ stellt diesen Anspruch dar. Wer sich an Jesus wendet, dem steht das größte Heil der Welt zur Verfügung.
Die 9 Juden kehrten in ihr altes Leben zurück. Der Samaritaner kehrte in ein neues Leben zurück.
Die 9 mussten weiterhin in einem Reich leben, in dem der Anspruch auf Heilung von den Priestern abhing. Wenn die Priester jemanden nicht für rein erklärten, dann war man nicht rein. Selbst wenn man rein war.
Und weil es bei Aussatz um eine religiöse Erkrankung ging (Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten, Bakterienruhr, Pocken, Keuchhusten oder Kinderlähmung waren in ihren Auswirkungen oft weitaus schlimmer, führten aber nicht zu einem Ausschluss aus dem Volk Gottes), darum geht es hier auch immer um das Böse. Das Böse, das über einen Menschen herfällt.
Die 9 mussten weiterhin in einem Reich leben, in dem die Priester zwar feststellen konnten, ob das Böse vorhanden war oder nicht. Aber sie konnten das Böse nicht beseitigen.
Der Samaritaner durfte in einem Reich leben, wo der König das Böse beseitigen konnte.
Der Glaube
Der Glaube des Samaritaners bestand darin, dass er erkannt hatte, dass die Macht des Gesetzes durch die Macht der Gnade ersetzt worden war.
Nein, das hat der nicht wörtlich so gesagt.
Aber die 9 gehen zu denen, die die Macht des Gesetzes verkörpern. (Das Gesetz als Text auf Papier hatte ja keine Macht. Das kann man einfach verbrennen. Macht bekam das Gesetz erst durch die ausführenden Organe, in diesem Fall die Priester.) Die Priester konnten einen Menschen für krank oder gesund erklären, ihn aus dem Volk ausschließen oder wieder reinlassen. Diese Macht über die Menschen verlieh ihnen das Gesetz.
Was die Priester nicht konnten: Das Böse beseitigen. Sie konnten das Böse nur dokumentieren. Oder sie konnten die Abwesenheit des Bösen dokumentieren.
Der Samaritaner verstand, dass jetzt eine Macht gekommen war, die das Böse vernichten konnte.
Nein, das ist zu wenig.
Er hatte verstanden, dass jetzt jeder, der sich an Jesus wandte, einen Anspruch auf die Freiheit vom Bösen hatte.
Ein Recht.
Denn von 10 Anfragen wurden 10 positiv beantwortet. Sogar die Anfrage von einem, der gar kein Jude war.
Es gab von diesem Recht keine Ausnahme.
Der rettende Glaube des Samaritaners bestand darin, dass er verstanden hatte, dass jetzt eine neue Zeit mit neuen Regeln angefangen hatte. Die Macht der Priester und des Gesetzes war vorbei.
Und er machte vor Jesus einen Fußfall der Verehrung, wie man ihn vor einem König macht (Vers 16 und Vers 19). Der Glaube des Samaritaners bestand darin, dass er sich an den richtigen Machthaber wandte, um ihn als König anzuerkennen.
Sie, werte Leserin
Sie haben kein Recht auf Heil, weil Sie rechtgläubig sind oder moralisch einwandfrei leben.
Sie haben kein Recht auf Heil, weil Sie in eine Gemeinde gehen (also auf der richtigen Seite stehen) oder weil Sie bestimmte christliche Regeln einhalten.
Der Anspruch auf Heil entsteht aus dem Wort, das Jesus (oder Gott) an Sie richtet. Und daraus, dass Sie den souveränen König anerkennen.