Lukas 8,4-18 – Informatorische Mangelsituation

Wenn Sie ohnehin schon immer einen Text lesen wollten, den der Autor betrunken oder bekifft geschrieben hat, dann sind Sie in Lukas 8 richtig. Da passt nämlich auf den ersten Blick nichts zueinander.

Es beginnt mit einem Gleichnis in Lukas 8 Vers 4:

Es war einmal eine Autofabrik in Sindelfingen, die schickte sich an, Mercedesse zu bauen und unter das Volk zu bringen. Aber einige Mercedesse wurden geklaut und verschwanden Richtung Osten. Einige andere Mercedesse hatten solche Probleme mit der Elektrik, dass sie im Grunde ständig in irgendwelchen Werkstätten standen und kaum zum Fahren kamen. Andere Mercedesse hatten betrunkene Fahrer oder welche, die während der Fahrt telefonierten, und wurden so zu Schrott gefahren. Aber wieder andere Mercedesse fuhren und fuhren und fuhren, und sie fraßen Kilometer, einige hundert tausend, andere fünfhundert tausend und wieder andere eine Million. Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Nach dem Gleichnis

Und damit endet das Gleichnis und die Rede Jesu, das Volk geht nach Hause, die Veranstaltung ist vorbei.

Es wird den Leuten nichts erklärt. Es wird eine Geschichte von Mercedessen erzählt, oder von Samenkörner, oder von Fischernetzen, und die Geschichte ist klar, ja, so ein Mercedes kann ein hartes oder ein weiches Schicksal haben, und das Samenkorn auch, und im Fischernetz kann sowas und sowas drin sein, das ist ja nicht schwer zu verstehen.

Aber irgendwas fehlt. Die Geschichte ist zu oberflächlich, zu glatt, man glaubt kaum, dass von einem so klugen und tiefsinnigen Menschen wie Jesus solche banalen Geschichten kommen, die noch nicht einmal eine Pointe haben. Und die Jünger merken das, das hier irgendwas komisch ist, und sie fragen Jesus deshalb:

Mt 13,10

10 Und die Jünger traten hinzu und sprachen zu ihm: Warum redest du in Gleichnissen zu ihnen?

Denn irgendwie ist das sinnlos. Die Geschichte vom Mercedes, oder vom Sämann, oder vom Hochzeitsmahl oder von der verlorenen Münze. Gott spielt meistens nicht mit, und die Geschichten haben keinerlei Brisanz, keinerlei Bedeutung. Dabei wissen die Jünger doch, wie Jesus reden kann! Petrus sagt mal, dass er nicht von Jesus weggehen will, denn nur Jesus hat Worte ewigen Lebens.

Lukas erklärt nun, warum Jesus zu den meisten Menschen in unverständlichen Gleichnissen redet: Lk 8:10

10 Er aber sprach: Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu wissen, den übrigen aber in Gleichnissen, damit sie sehend nicht sehen und hörend nicht verstehen.

Die Mehrheit der Menschen – denn im Gegensatz zu den Jüngern handelte es sich damals und handelt es sich heute um die Mehrheit – die Mehrheit der Menschen oder der Zuhörer von Jesus soll das, was er sagt, nicht verstehen. Oder doch, nein anders, sie sollen es verstehen, sie sollen den Eindruck gewinnen, sie hätten es verstanden, also sehen sollen sie schon, nur sollen sie dabei nichts sehen, und hören sollen sie schon, nur sollen sie das, was eigentlich gesagt wird, nicht mitkriegen.

Das ist nicht ganz neu. Schon bei Jesaja finden wir das ausführlich, dass Gott Wert darauf legt, dass das Volk etwas sieht, ohne etwas zu sehen, und etwas hört, das nur dazu dient, dass es die Hauptsache nicht hört. (Jes 6,9-11)

Hieroglyphische Texte

Der Tempel des Hesekiel (ab Hes 40) ist ein klassisches Beispiel eines Textes, den Gott so zu Papier hat bringen lassen, damit der oberflächliche Leser sich zu Tode langweilt. Er versteht jedes Wort, links eine Mauer, rechts eine Mauer, aber die wirkliche Bedeutung versteht er nicht. Sacharja ist zum Großteil so geschrieben, ein Teil des Buches Daniel hat diese Absicht, und bei der Offenbarung des Johannes hat ja manch einer den Eindruck, als wenn es eher eine Verschleierung wäre als eine Offenbarung. Das Muster, das Gott etwas sagt, damit die meisten es nicht mitkriegen, ist in der Bibel weit verbreitet und gehört offenbar zum Wesen Gottes dazu. Verstanden zu werden ist nicht Gottes erstes Ziel.

Jesus erklärt dann seinen Jüngern das Gleichnis von den Mercedessen, oder von den Samenkörnern. Und die Quintessenz ist ja: Gott sagt etwas, und das meiste davon kommt nicht an. Ziemlich viel geht daneben. Und eigentlich ist das ein lausiger Landwirt, der Samen da verteilt, wo er ja damit rechnen kann, dass es nichts wird. Dass es auf dem Weg nichts wird, ist klar. Wo Felsen drunter ist, müsste er, wenn er das Land nicht völlig neu gekauft hat, von den Vorjahren her schon wissen, und selbst wenn die Dornen nur als Samen oder Wurzeln im Acker gewesen wären, hätte er letztes Jahr die Dornen schon ausreißen können, bevor deren Samen reif wurden, damit gar nicht erst so viele Dornensamen in die Erde kommen.

Und selbst wenn man den unvollkommenen Landwirt noch verstehen kann, dass er nicht so aufpasst und dass das eine oder andere Korn beim Säen mal daneben fällt, so erzählt das Gleichnis ja die Geschichte vom Reden Gottes. Vom Reden des allmächtigen, allwissenden Gottes. Und warum dem soviel daneben geht und er nichts dagegen tut, das muss einen dann doch wundern.

Aber Jesus hat schon vorher gesagt: Das ist beabsichtigt. Die Leute sollen es nicht verstehen.

Die wörtliche Person

Das Wort Gottes, um das es beim Gleichnis vom Sämann geht, ist ja nicht nur eine akustische oder schriftliche Angelegenheit, sondern Jesus selbst ist ja das Wort Gottes. Und auch er ist ja von den allermeisten Menschen nicht verstanden worden, bis heute nicht. Keine Werbeagentur kann es sich leisten, das Produkt so unverständlich anzupreisen, wie Gott sich durch Jesus vorgestellt hat. Selbst die Jünger hatten erhebliche Probleme, das alles zu verstehen. Keine Ahnung, wer Gottes Kommunikationsberater war, aber wenn Gott gewollt hätte, dass die Mehrheit der Menschheit versteht, was er will, dann hätte er das anders sagen müssen. Die Juden haben Gott nicht verstanden und haben Jesus kreuzigen lassen, und die Römer haben gar nicht kapiert, wen sie da kreuzigen.

Aber Gott hat ja nicht gewollt, dass er allgemein verstanden wird. Der Satz „Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ gilt keineswegs absolut oder bedingungslos.

Und Jesus hat das ja auch an anderer Stelle gesagt: Mt 11,25-27

25 Zu jener Zeit begann Jesus und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß du dies vor Weisen und Verständigen verborgen und es Unmündigen geoffenbart hast.

26 Ja, Vater, denn so war es wohlgefällig vor dir.

27 Alles ist mir übergeben worden von meinem Vater; und niemand erkennt den Sohn als nur der Vater, noch erkennt jemand den Vater als nur der Sohn, und der, dem der Sohn <ihn> offenbaren will.

Vorherbestimmung nach Calvin

Da denkt man dann mit Calvin gerne an Vorherbestimmung, dass Menschen mit einer bestimmten Blutgruppe oder Fingerlänge Gott einfach nicht erkennen dürfen und von Geburt an für die Hölle bestimmt sind. Aber bei denen, denen der Sohn es offenbaren will, handelt es sich nicht um namentlich auserwählte, sondern um Menschen, die sich bestimmte Angewohnheiten zu eigen gemacht haben. Und diese Angewohnheiten kann sich jeder angewöhnen, aber nur dem, der sie sich angewöhnt, wird das Wort Gottes in seiner Tiefe offenbart.

Und es soll ja sichtbar und verständlich werden. Darum geht der Bibelstundentext ja so weiter: Lk 8,16

16 Niemand aber, der eine Lampe angezündet hat, bedeckt sie mit einem Gefäß oder stellt sie unter ein Bett, sondern er stellt sie auf ein Lampengestell, damit die Hereinkommenden das Licht sehen.

Und natürlich gibt es immer wieder Leute, die aus diesem Satz eine moralische Forderung machen im Sinne von „Pass auf, kleines Auge, was Du siehst“ und „wirst Du wohl Dein Licht nicht unter einen Eimer stellen, oh wehe Dir!“ Aber das steht hier nicht, und darum geht es hier auch gar nicht. Sondern nachdem Jesus gerade ausdrücklich erläutert hat, dass das Wort Gottes keineswegs von jedermann verstanden werden soll, und wir ja auch schon wissen, dass die Denkenden, die Gebildeten und die Intellektuellen es auf keinen Fall verstehen sollen, da sagt Jesus jetzt hier, was wir uns sowieso schon gedacht haben: Eigentlich ist es doch sinnlos, eine Lampe anzuzünden und sie dann unter einen Eimer zu stellen.

Obwohl er ja gerade gesagt hat, dass das eigentlich das ist, was Gott macht. Gott nimmt sein eigenes großes wunderbares Licht und verpackt es so, dass nur sehr wenige Menschen es verstehen können.

Wenn Sie bis hierher verstanden haben, dass Jesus sagt, dass Gott sein eigenes glückbringendes Licht unter einen Eimer stellt und dass das eigentlich Blödsinn ist, sowas zu machen, dann haben Sie das bis hierher richtig verstanden.

Aber der Bibeltext geht ja weiter, und wenn man hier nur einfach oberflächlich liest, dann sind das lauter einzelne Sätze, die scheinbar gar keinen Zusammenhang haben. Also als wenn Lukas bekifft gewesen wäre beim Schreiben. Man ist geneigt zu überlegen, ob man den Bibelkritikern nicht recht geben soll und hier einen fehlerhaften Text vermuten soll. Denn es geht so weiter:

Lk 8,17

17 Denn es ist nichts verborgen, was nicht offenbar werden wird, auch <ist> nichts geheim, was nicht bekannt wird und ans Licht kommt.

Und der Mensch, der Gott vor allem als moralische Instanz versteht, denkt sofort: Oha, das geht um meine Sünden, die eines Tages ans Licht kommen werden. Oder die Sünden von Herrn Putin, wenns gerecht zugeht.

Aber es geht hier gar nicht um Sünden, es geht um das Wort Gottes und darum, wie man es verstehen kann. Und Jesus sagt hier, dass von Gott nichts verborgen ist, was nicht sichtbar und bekannt werden wird, und dass von Gott nichts geheim ist, das nicht ans Licht kommen wird.

Nun ja, könnte man jetzt sagen, ist ja nicht neu, denn dass wir am Ende der Zeit und am Ende unseres irdischen Lebens Gott ganz anders verstehen werden als heute, haben wir ja schon mal gehört.

Tun Sie was!

Aber der Text geht ja noch weiter, und zwar jetzt – endlich – mit einer Forderung an uns. Denn die Geheimnisse Gottes sollen nicht erst im Jenseits bekannt werden, sondern schon den Menschen hier und heute. Obwohl Gott die Geheimnisse ja versteckt hat. Lk 8,18

18 Seht nun zu, wie ihr hört! Denn wer hat, dem wird gegeben werden, und wer nicht hat, von dem wird selbst, was er zu haben meint, genommen werden.

Aus der Aussage, dass Gott sein Wort versteckt, es aber eigentlich sinnlos ist, so etwas Gutes zu verstecken, und es darum in Wahrheit der Wille Gottes ist, dass die Geheimnisse über ihn bekannt werden - offenbar werden - nicht geheim bleiben - ergibt sich die Forderung: Seht nun zu, wie ihr hört!

Will also sagen: Die Art, wie wir hören, bestimmt, wieviel wir von Gott erfahren können. Aber die Art, wie wir hören, muss irgendwas damit zu tun haben, dass Gott seine Wahrheiten ja versteckt hat. Dass Jesus in Gleichnissen redet, deren wahren Inhalt die meisten Leute nicht verstehen, oder dass Gott eine Offenbarung schreiben lässt, die den meisten Menschen nichts offenbart, oder dass er den Propheten Sacharja so reden lässt, dass der im Grunde genommen auch hätte schweigen können, weil man es sowieso nicht versteht.

Und offenbar gibt es hier etwas, was man haben muss, damit einem die Erkenntnis Gottes gegeben wird. Und wenn man das nicht hat, dann wird man zwar meinen, man habe Erkenntnis über Gott, aber man hat so wenig Erkenntnis über Gott, dass Jesus hier von einem negativen Betrag ausgeht – dem wird das, was er zu haben meint – was er also in Wahrheit nicht hat, aber er denkt halt, er hat es – das wird ihm noch genommen werden. Also Du hast Null, denkst aber, Du hast 5, und diese fünf werden Dir auch noch genommen, also Du endest bei minus fünf.

Das heißt, die Klugen, die Intellektuellen, die Gebildeten, die Denkenden, die Philosophen und Psychologen und Mathematiker und Journalisten und Germanisten, die meinen, dass sie aufgrund ihres aufgeklärten Verstandes und ihrer hohen Bildung und ihres ausgeprägten Abstraktionsvermögens Erkenntnisse haben über Gott und über die Zusammenhänge der Welt, die haben nicht nur null Ahnung, was schon schlimm genug wäre, sie haben sogar minus fünf Ahnung.

Ihr Hörgeräteakustiker rät

Seht zu, wie ihr hört, sagt Jesus. Also, was machen wir nun?

Am besten schauen wir uns die Jünger an, wie sie es gemacht haben. Schließlich haben einige von ihnen oder von ihren Schülern dann später Beiträge für die Bibel geschrieben, also sie haben das Geheimnis Gottes erkannt, also wäre die Frage: Wie haben sie es gemacht?

In unserem Beispiel mit dem unverständlichen Gleichnis vom Sämann war es ganz simpel: Sie haben Jesus gefragt, was es bedeutet. Sie haben nicht ihren eigenen Verstand gefragt und nicht irgendwelche gelehrten Leute, sondern den Chef selber. Jakobus hat dann später daraus gemacht: Wem Weisheit mangelt, der bitte Gott.

Man kann aber nicht nur Gott selber fragen, sondern man wird den Begriff dessen, was man haben muss, um angemessen hören zu können, erweitern müssen. Es geht bei der Erkenntnis der versteckten göttlichen Geheimnisse immer um die Frage nach der Abhängigkeit von Gott. Dieser Faden läuft auch durchs ganze alte Testament: Unabhängigkeit von Gott macht dumm, selbst wenn man von Geburt und Bildung her ein schlauer Kopf ist. Und Abhängigkeit von Gott führt dazu, dass Gott uns seine Geheimnisse offenbart, und das muss er auch, denn die Funktionsweise eines Frosches kriegt man raus, indem man ihn zerschneidet und unters Mikroskop legt, aber die Funktionsweise Gottes muss Gott selbst uns offenbaren, da können wir nie und nimmer selbst drauf kommen.

Und nicht nur das: Wir sollen da gar nicht selbst drauf kommen.

1.Kor 8,2-3

2 Wenn jemand meint, er habe etwas erkannt, so hat er noch nicht erkannt, wie man erkennen soll;

3 wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt.

Seht zu, wie ihr hört. Denn wenn Gott gewollt hätte, dass jeder es einfach so versteht, hätte er es anders gesagt.