Lukas 9, 51-62 – ein Reich ohne Feuer

Dieser Artikel erklärt Ihnen, warum Lukas nach der Frage bezüglich des Feuers vom Himmel drei Antragsteller auftreten lässt, von denen Matthäus zwei in völlig anderem Zusammenhang bringt und einen gar nicht. Sie erfahren hier, welche Maßstäbe aus der Arbeit des Elia in das Reich Jesu übernommen werden und welche auch und welche auch und welche auch und ganz sicher nicht, welche nicht.

So, jetzt war er also endlich da. Dieser Jesus. Also der Messias, auf den alle gewartet hatten.

Und damit muss es jetzt ja wenigstens so sein, wie es bei Elia und Elisa war. Denn wenn der Messias nicht besser ist als Elia und Elisa, dann ist er ja nichts besonderes. Wie kann er dann der Gesalbte Gottes sein, wenn es vor ihm Leute gab, die viel kraftvoller waren als er?

Und darum kamen die Jünger auf die Idee, dass man doch Feuer auf dieses unfreundliche Samariterdorf herunterfallen lassen müsse. Wenn schon diejenigen, die gegen Elia waren, vom Feuer gefressen wurden, wieviel mehr diejenigen, die gegen Jesus waren?

Jesus machte den Jüngern deutlich klar, dass ihre Vorstellungen an dieser Stelle grundsätzlich falsch waren.

Aber was ist dann mit Elia und Elisa? Sie, die damals Maßstäbe gesetzt haben, gelten sie und ihre Maßstäbe jetzt nichts mehr?

Die Macht der Propheten

Nun war die große Leistung von Elia und Elisa ja nicht, dass sie Feuer vom Himmel geholt haben. Sondern ihre Leistung war, dass sie in Israel eine zweite Machtstruktur eröffnet haben – oder nein, eigentlich war diese Machtstruktur schon immer da, aber die zwei Propheten haben sie sichtbar gemacht.

Gegen die Machtstrukturen der Könige haben Elia und Elisa eine Machtstruktur entwickelt, die von völlig anderer Qualität war als die des Königs. Elia und Elisa wollten auch nicht das gleiche wie der König, und sie hatten nicht die Absicht, sich in die Regierungsarbeit einzumischen. Wirtschaft, Militär, Verwaltung, das blieb weiterhin in den Händen der Könige.

Aber Elia und Elisa weckten Tote auf – was der König nicht konnte.

Elia und Elisa befahlen dem Regen und dem Feuer – was der König nicht konnte.Lukas 9,51

Die Propheten konnten Essen vermehren und Eisen schwimmen lassen, sie konnten die Krankheit eines syrischen Generals heilen. Sie konnten das Ende der Belagerung und die Schachzüge des syrischen Königs voraussehen – für den König von Israel völlig unmöglich.

Somit gab es mit Elia und Elisa eigentlich zwei Reiche (oder zwei Machtstrukturen) in Israel. Gelegentlich berührten die sich, weil der syrische König eine Bedrohung für beide war. Aber oft hatten die nichts miteinander zu tun. Der König selbst vertrat die weltliche Seite, Elia und Elisa vertraten Gottes Seite. Wir hatten historisch zum ersten Mal eine Trennung von Reich Gottes und Reich der Welt.

Und jetzt kam nun der Messias, dessen Wirken und Sein man stark mit den beiden großen Propheten assoziierte. Man tat das schon deshalb, weil Elia und Elisa die stärkste Manifestation Gottes waren, die es jemals innerhalb des gelobten Landes gegeben hatte.

Also war die Idee naheliegend, auf die gottlosen Samaritaner Feuer regnen zu lassen. Allerdings hätte man damit in die Belange des weltlichen Staates eingegriffen, denn die Todesstrafe durchzuführen ist normalerweise alleiniges Recht der Staatsführung.

Oder andersrum gesagt: Der Mord an 50 oder 100 Samaritanern durch Feuer vom Himmel wäre eine kriminelle Handlung gewesen. In einer Gesellschaft wie zur Zeit des Elia, wo ein Menschenleben nicht viel zählte und der König auch mal schnell den Naboth wegen des Weinberges oder einen Propheten wegen der Kritik am König umbrachte, war Feuer vom Himmel auf 50 Soldaten ein Teil des offenen Machtkampfes und vergleichbar mit zwei Mafia-Organisationen, die sich bekämpfen. Aber zur Zeit des römischen Reiches hatten wir in Palästina einen Rechtsstaat, und in einem Rechtsstaat tötet man nicht 50 Einwohner, weil einem deren Meinung nicht passt.

Noch dazu, wo Israel zur Zeit des Elia ja eigentlich Gottes Reich war, während das römische Reich zur Zeit Jesu mit Gott nichts zu tun hatte: weder in seiner Zweckbestimmung noch aufgrund seiner Herkunft und Entstehung.

Die Frage, die sich ergibt

Wenn man also kein Feuer auf die Samariter herabbeten durfte – was war dann mit den restlichen Maßstäben, die Elia und Elisa gesetzt hatten?

Was war mit den großen Manifestationen Gottes:

  • mit der Unabhängigkeit vom (weltlichen) König
  • mit der Macht über den Tod
  • mit dem Auffahren in den Himmel
  • mit der Unauffindbarkeit oder der Unsichtbarkeit (Syrer in Dotan)
  • mit der Macht über die Materie
  • mit der einseitigen Entscheidung für das Eine oder für das Andere (also die Kompromisslosigkeit)?

Um diese Fragen zu beantworten, hat Lukas an dieser Stelle die drei Anfragen von potentiellen Jüngern gebracht.

Erste Antwort: wir gehen nirgendwo hin

Lk 9,57-58

57 Es geschah aber, als sie auf dem Weg dahinzogen, sprach einer zu ihm: Ich will dir nachfolgen, wohin du auch gehst, Herr. 

58 Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; aber der Sohn des Menschen hat nicht, wo er sein Haupt hinlegt. 

Wenn Sie schon länger bei dem christlichen Laden dabei sind, kennen Sie sich die Auslegung, welche mit dem Bibeltext nichts zu tun hat: Dass Jesus hier nämlich sagen will, dass er selbst ja nicht mal einen Platz zum Übernachten hat, und dass deshalb der Jünger, der Jesus folgt, ebenso keine Reichtümer und keine Bequemlichkeit und keinen Komfort in der Nachfolge zu erwarten hat.

Und diesen Quatsch finden Sie in allen gängigen Kommentaren. Da hat ein Ahnungsloser vom anderen abgeschrieben.

Aber die Füchse halten sich nicht in ihren Höhlen auf, weil es da am bequemsten ist. Und die Vögel benutzen ihre Nester nicht, weil sie da ein Dach über dem Kopf haben. Das Nest ist auch keineswegs immer der sicherste Ort für den Aufenthalt des Vogels. Es ist auch nicht das Zuhause des Vogels.

Auch geht es hier gar nicht um Jesus. Es geht nicht darum, dass die Jünger, wenn sie Jesus nachfolgen, halt im Garten Gethsemane schlafen müssen und nicht in einem 4-Sterne-Hotel. Es geht nicht darum, dass Jesus immer unterwegs ist und selten zu Hause und es den Jüngern genauso ergehen wird.

Hier ist nämlich gar nicht von Jesus die Rede. Hier ist vom Menschensohn die Rede. Damit liegt die Betonung auf den übernatürlichen Anteilen von Jesus, und deren Problem ist weder der Schlafplatz noch der Komfort des täglichen Lebens.

Es geht nicht

Der Antragsteller sagt ja auch so schön, dass er Jesus nachfolgen will, „wohin Du auch gehst“. Und die Aussage mit den Füchsen und den Vögeln ist eine Antwort auf „wohin Du auch gehst“.

Denn den Fuchs finden Sie normalerweise nicht. Am sichersten finden Sie ihn allerdings, wenn Sie bei seinem Bau auf ihn warten. Wobei wir das jetzt weglassen, dass so ein Fuchsbau mehrere Eingänge hat.

Auch den Vogel finden Sie normalerweise nicht. Er ist nicht standfest. Er hat zwar oft ein Revier, aber ob er oben auf einem Baum sitzt oder unter einem Busch oder gerade um die Häuser fliegt, das wissen Sie nicht. Wenn er allerdings Junge hat, dann können Sie den Vogel am zuverlässigsten an seinem Nest treffen.

Aber wenn Sie den Menschensohn treffen wollen – also den übernatürlichen Anteil von Jesus … haben Sie schon einmal versucht, Elia zu kontaktieren? König Ahab hat es 3 Jahre lang versucht und nicht geschafft, und die Prophetenjünger haben Elias Leiche bis heute nicht gefunden.

Der Antragsteller sagte „wohin du auch gehst“, aber es gibt kein solches wohin. Der Auferstandene hat auf der Erde keinen Ort, an dem man ihm zuverlässig begegnen kann. Es gibt kein Nest und keinen Bau und keinen Tempel.

Damit gibt es aber auch keinen Ort, wo man dem Menschensohn nicht begegnen kann.

Falls der Antragsteller aber immer in Jesu Nähe sein will, dann geht das ab jetzt nicht mehr so, wie man das normalerweise von Menschen gewöhnt ist. Es gelten die Regeln des Elia, dass nämlich der Ort, wo Gott ist oder wo Gott handelt, nicht von vornherein auszumachen ist. Nein, Antragsteller, Du kannst dem Menschensohn nicht folgen, wohin er geht, denn diesen Ort gibt es nicht.

Irgendwie ist es so wie bei Elisa nach der Himmelfahrt des Elia: Plötzlich ist er weg, und als Nachfolger hast Du zwar den Mantel und die doppelte Portion heiligen Geistes, aber Du musst alleine sehen, wie du zurechtkommst.

Zweite Antwort: Leben statt Tod

Der zweite Antragsteller wollte dem Tod die Aufmerksamkeit zukommen lassen, die man in seiner Kultur dem Tod nun mal zukommen ließ: Lk 9,59-60

59 Er sprach aber zu einem anderen: Folge mir nach! Der aber sprach: Herr, erlaube mir, vorher hinzugehen und meinen Vater zu begraben. 

 60 Jesus aber sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! 

Bei Elia und Elisa hatte der Tod schlechte Karten.

Lukas 9,53Beide Propheten haben einen Toten auferweckt, und beider Tod war mit seltsamen Begleiterscheinungen gekoppelt: Elia ist mit einem Wagen Richtung Himmel gefahren, ohne eine Leiche zu hinterlassen; und als man einen Verstorbenen in Elisas Grab legte (wegen der Räuber, 2.Kö 13,21), da ist der Verstorbene wieder zum Leben erwacht.

Der Antragsteller soll aber nicht nur die Beerdigung sausen lassen, sondern er soll im Gegenteil das Leben verkünden. Ausdrücklich: „verkünde das Reich Gottes“.

Was bei Elia und Elisa schon angedeutet war, dass nämlich die Herrschaft Gottes zu einer Verminderung der Ansprüche des Todes führt, kommt mit Jesus jetzt zu voller Blüte. „Tod, wo ist dein Stachel?“ soll Paulus gesagt haben (1.Kor 15,55) und hat damit den Vorrang des Lebens treffend ausgedrückt.

Natürlich war die Herrschaft des Lebens über den Tod bei Elia und Elisa nur ein schwacher Abglanz dessen, was mit Jesus gekommen ist.

Dritte Antwort: Der kaputte Pflug

Lk 9,61-62

61 Es sprach aber auch ein anderer: Ich will dir nachfolgen, Herr; vorher aber erlaube mir, Abschied zu nehmen von denen, die in meinem Hause sind. 

 62 Jesus aber sprach zu ihm: Niemand, der seine Hand an den Pflug gelegt hat und zurückblickt, ist tauglich für das Reich Gottes.

Auch hier wieder das gleiche Trauerspiel: Alle schreiben voneinander ab, dass man sich beim Pflügen nicht umdrehen darf, sondern den Blick unverwandt auf den einen Punkt gerichtet haben muss, weil die Furche sonst krumm wird.

Dass also der Christ von Anfang an fokussiert sein muss und sich von Anfang an mit vollerster Entscheidung und ohne Plan B an Jesus hängen soll. Dass man sein altes Leben radikal verlassen sollte.

Nun muss man ja aber fragen, warum Lukas zu den beiden Antragstellern, die Matthäus fast wortgleich hat, diesen hinzugefügt hat.

Und was fällt uns auf? Dass wir hier Elisa in Reinkultur haben. 1.Kön 19,20-21

20 Da verließ er die Rinder und lief hinter Elia her und sagte: Lass mich doch meinen Vater und meine Mutter küssen! Dann will ich dir nachfolgen. Er aber sagte zu ihm: Geh, kehre um! Denn was habe ich dir getan? 

 21 Da kehrte er sich von ihm ab, nahm das Gespann Rinder und schlachtete sie, und mit dem Geschirr der Rinder briet er ihr Fleisch und gab es den Leuten, und sie aßen. Dann machte er sich auf und folgte Elia nach und diente ihm.

Der Antrag, den Elisa stellt, ist genau der gleiche, den der Antragsteller bei Jesus stellt. Natürlich kann alles und jedes immer überall Zufall sein, aber wenn wir beim Samariterdorf soviel Elia hatten, dann wird dieses Elisa-Zitat hier wohl nicht aus Versehen hingerutscht sein.

Was Lukas wollte

Die Antwort, die Elia auf die Frage nach der Verabschiedung gab, ist ein klares Nein.

Aber hier ist jetzt nicht mehr Elia. Hier ist Jesus. Jetzt können wir nicht mehr verlieren – während Elia und Elisa immer mal wieder gefährdet waren. Jetzt ist scheinbar soviel Macht da, dass wir noch nicht einmal mehr Feuer vom Himmel holen müssen.

Und irgendwie sind wir am Ende der Zeit angekommen. Es eilt jetzt nichts mehr, denn der Messias ist da. Alle Dämonen werden ausgetrieben, alle Krankheiten geheilt – ob ich dem Jesus nun heute oder morgen nachfolge, ob ich erst noch die dringenden Dinge erledige, das macht keinen Unterschied. Das Große und Herrliche ist längst geschehen, und mein Engagement macht den Käse nicht mehr fett.

Nein, sagt Lukas, die Sache ist noch genauso dringend wie damals bei Elia. Gott ist noch immer mit gleichem Eifer gegen die Gottlosigkeit wie damals. Das Böse hat an Gefährlichkeit nichts eingebüßt (ganz im Gegenteil: Der Teufel hat angeblich große Wut Ofb 12,12). Kompromisslosigkeit ist die einzig mögliche Einstellung, mit der man sinnvoll nachfolgen kann.

Der Pflug

Einerseits ist die Annahme, dass der Pflug zum Pflügen benutzt wird und man die Hand an den Pflug legt, um diese Tätigkeit auszuüben, natürlich naheliegend.

Andererseits hat Elisa seine Hand an den Pflug gelegt, um ihn zu zerstören. Naja, nicht ganz genau: Er hat das Geschirr zerstört, mit dem die Tiere den Pflug zogen. Ob der eigentliche Pflug dabei mitgedacht war, kann man nicht sagen. Allerdings war von der Masse her das Geschirr, also die Joche der Tiere und die Deichsel, weitaus größer als das bisschen Pflug. Man könnte sich also darüber streiten, ob Elisa, als er das Geschirr der Tiere verbrannte, den Pflug mitverbrannt hat oder nicht.

Letztlich ändert sich die Aussage nicht, wenn Sie den Pflug zerstören und dabei wehmütig zurückschauen (und es deshalb vielleicht sein lassen) oder wenn Sie den Pflug zum Pflügen benutzen und (warum auch immer) zurückschauen.

Zusammenfassung

Die Frage, die Lukas hier beantwortet, indem er die drei Antragsteller an genau dieser Stelle (anders als Matthäus) auftreten lässt, lautet: „Gibt es die parallelen Machtstrukturen wieder, die es bei Elia und Elisa gab? Gibt es wieder zwei Reiche, und gelten im zweiten Reich wieder so außergewöhnliche Regeln?“ Die Frage entstand dadurch, dass das Feuer vom Himmel offenbar nicht mehr Bestandteil des neuen Reiches war und man also fragen musste: Was ist dann Bestandteil dieses Reiches?

Lukas sagt, das neue Reich sei noch viel krasser als das Reich der Propheten. Denn was damals die Ausnahme war und nur für Elia und Elisa galt, das gilt jetzt für jeden Gläubigen.

Das, was früher das Maximum war, ist jetzt das Minimum.

Das, was früher die oberste Grenze war, ist jetzt die unterste.

Das, was früher die Ausnahme war, ist jetzt der Standard.