Lukas 6,20 Ein Hoch auf Hartz IV!
20 Und er erhob seine Augen zu seinen Jüngern und sprach: Glückselig ihr Armen, denn euer ist das Reich Gottes.
21 Glückselig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet gesättigt werden. Glückselig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen.
Franz von Assisi ist durch diese Bibelstelle berühmt geworden. So berühmt, dass sich der argentinische Papst dieses Jahrhunderts nach ihm benannt hat.
Franz von Assisi hat die Bibelstelle wörtlich genommen.
Das ist aber aus verschiedenen Gründen eher schwierig.
Erster Grund: Glorifizierung von Elend
Es ist im gesamten Rahmen der Evangelien und der Reden Jesu schwierig, dass Jesus gesagt haben soll, dass diejenigen glückselig sind, die nicht wissen, was sie ihren Kindern zu essen geben sollen.
Die Armut des Franz von Assisi war selbst gewählt. Die Armut der meisten Menschen auf dieser Welt ist eine aufgezwungene.
Erzwungene Armut ist nicht schön. Das Leben ist mistig genug. Es scheint mir unwahrscheinlich, dass Jesus da noch eine Schippe Mist drauflegen wollte.
Zweiter Grund: Widerspruch gegen Jesaja
Die Vorhersage der Propheten beschreibt das Gegenteil. Schon Jakob beschreibt den Messias in Genesis 49,11+12 als einen Mann der Lebensfreude und des umfassenden Genug, und alle anderen Propheten beschreiben das Gottesreich durchgängig als etwas, wo die Not und das Elend endlich vorbei sind.
Wir reden hier nicht von goldenen Wasserhähnen. Aber die Propheten lassen schon den Eindruck von genug Schokolade für alle Gläubigen entstehen.
Dritter Grund: Das Nazareth-Programm
Jesus hat in Nazareth sein Programm anhand von Jesaja-Stellen beschrieben (Lukas 4,18). Darin findet sich auch, dass Jesus den Armen gute Botschaft verkünden will.
Aber soll es eine gute Botschaft für die Armen sein, dass sie für immer arm bleiben werden? Soll die gute Botschaft sein: „Ich bringe euch Gott, aber euch knurrt weiterhin der Magen und nachts werdet ihr nass, weil das Dach undicht ist, aber immerhin seid ihr glückselig“?
Vierter Grund: Jesu Anweisungen an Dritte
Als Jesus die Jünger in die Dörfer und Städte schickt, sagt er, dass sie in dem Haus bleiben sollen, in dem sie jeweils angefangen haben, und dass sie essen sollen, was es dort gibt. Der Arbeiter sei nämlich seines Lohnes wert.
Natürlich kann man dabei auch an einen ärmlichen Haushalt geraten. Aber wenn man an Hähnchen mit Pommes gerät, ist das offensichtlich nicht verwerflich.
Jeder, der den Jüngern auch nur ein Glas Wasser reicht (von Cola ganz zu schweigen), wird von Gott dafür belohnt (Matthäus 10,42). Mangel ist also scheinbar nicht von Jesus gewollt.
In 1.Thess 4,11 und 2.Thess 3,10-12 weist Paulus die Gemeindeglieder darauf hin, dass sie arbeiten sollen und ihr eigenes Brot essen sollen. Das Angewiesensein auf andere scheint in des Paulus Augen nicht besonders ehrenvoll gewesen zu sein, und der Bettelmönch steht bei Paulus wohl nicht auf der Liste der angesehenen Berufe.
In Matthäus 16 machten die Jünger sich Sorgen, weil sie kein Brot mit auf die Fähre genommen hatten. Da machte Jesus ihnen klar, wieviel bei der Speisung der 4000 übrig geblieben war und wieviel bei der Speisung der 5000. Wie schon gesagt: Es geht hier nicht um Goldbarren für die Gläubigen. Aber von abends hungrig ins Bett gehen steht hier auch nichts.
Fünfter Grund: Die ersten Jünger
Maria, die Mutter von Johannes Markus, hatte ein Haus, in dem sich viele Christen versammeln konnten. So viele, dass Petrus nicht zu Wort kam (Apostelgeschichte 12,12). Das war offensichtlich keine Blechhütte in einem Slum.
Auch die Grüße des Paulus an die Gemeinden in den Häusern von X erwecken nicht den Eindruck von der Bedürftigkeit der Hausbesitzer. Ein Haus, in dem sich eine Gemeinde versammeln kann, ist keine Einraumwohnung. Selbst wenn die Gemeinde klein ist.
Philemon hatte einen Sklaven, und dass er aufgrund seiner Armut nur einen einzigen hatte, ist genauso Spekulation wie jede andere Zahl.
Jesus wurde von einigen wohlhabenden Frauen unterstützt, die Jüngerinnen waren, und Josef von Arimathäa war wohlhabend, aber Nachfolger. Und als Jesus die Apostel in Lukas 22,35 fragte, ob sie an irgendwas Mangel gehabt hätten, verneinten sie.
Das alles hört sich nicht nach der Mentalität von Hedgefondsmanagern an, aber auch nicht nach Armut und Elend.
Sechster Grund: es fehlen Mitte und Definition
In diesen 4 Seligpreisungen und den 4 dazu gehörenden Weherufen kennt Lukas nur Arme und Reiche. Es gibt aber auch noch was dazwischen.
Das unterscheidet sich zweifellos von Gesellschaft zu Gesellschaft und von der Definition von Armut innerhalb einer Gesellschaft. Wer in Deutschland in den Armutsbericht der Bundesregierung fällt, fällt in Russland in die Mittelschicht, denn das, was es bei uns als „Hartz IV“ gibt, ist in Russland das Durchschnittseinkommen.
In manchen Ländern machen die Armen 80% der Bevölkerung aus, in anderen deutlich weniger.
Die Begriffe „arm“ und „reich“ sind nicht definiert. Ab wann ist man arm? Wenn ich abends genug zu essen habe, dass es für ein Frühstück für die ganze Familie reicht, muss ich dann schon ein schlechtes Gewissen haben?
Wenn ich fürs Alter vorgesorgt habe, was nach dem Thessalonicherbrief wohl wünschenswert wäre, und ich habe nun 100.000 Euro oder ein eigenes Haus, ist meine ewige Seligkeit dann gefährdet?
Zusammenfassung eins
Die oben genannten Gründe weisen darauf hin, dass es Jesus erstmal nicht darum ging, die Armut zu preisen, den Hunger erstrebenswert zu machen und die Traurigkeit zu loben.
Armut, Hunger und Traurigkeit sind Produkte einer gefallenen und ungerechten Welt, und es war nie Jesu Gewohnheit, die Werke des Teufels oder deren Folgen gut zu heißen.
Es bleibt dabei: Armut ist schlecht, Hunger ist böse, und Traurigkeit ist nicht die Spur gottgewollt.
Der Gag ist jetzt, dass Jesus sagt: Armut ist gut, obwohl jeder weiß, Armut ist schlecht. Und Jesus meint ja auch, dass Armut schlecht ist, denn er ist ja nicht gekommen, um alles noch schlimmer zu machen. Aber wenn Du keine Armut hast, hast Du kein Reich Gottes.
Falsche Partnerschaft
Man stelle sich mal vor, ich bin wohlhabend. Ich habe keinen Mangel. Es geht mir gut. Mir fehlt nichts von dem, was man vernünftiger Weise auf dieser Welt erwarten kann.
Natürlich ist diese Welt böse und ungerecht und das Leben als solches schwer und brutal. Der moderne Mensch drückt sich etwas gekonnter aus und sagt: Das Leben ist kein Ponyhof.
Aber Moment mal: Wenn es mir in einer durch und durch bösen Welt gut geht, was sagt das dann über mein Verhältnis zum Bösen?
Und was sagt das in Folge über mein Verhältnis zu Gott, der das Böse ja auf den Tod nicht ausstehen kann?
Wenn ich wohlhabend bin und im Grunde genommen ausgesorgt habe, und neben mir werden Menschen Opfer des Bösen – und sei es jetzt nur das Schlimmste, was passieren kann, nämlich dass sie niemals in ihrem Leben Gott kennen lernen – aber mich beunruhigt das nicht, sondern ich genieße meinen Wohlstand, und von meinem Geld werden keine Missionare bezahlt.
Wenn ich im Grunde alles habe, was man vernünftigerweise in dieser Welt haben kann, wenn mir nichts fehlt und mich im Großen und Ganzen kein Mangel bedrückt, aber der Mangel an Gott bei meinen Nachbarn bedrückt mich eben auch nicht, und das Böse feiert in meiner Umgebung fröhliche Urständ, aber ich kann das gut ertragen, wenn das Böse andere Menschen angreift – es greift ja nicht mich an – soweit, dass ich intensiv für meine vom Bösen geplagten Nachbarn bete, kommt es dann ja doch nicht.
Der Zustand meiner Gemeinde ist eigentlich zum Weinen, aber mir geht es ja gut, ich mache nächsten Monat Urlaub in - also natürlich wo wo es schön ist – ich habe gut lachen, und das Elend des Reiches Gottes bin ich für 3 Wochen los. Ja, sagt Gott, da lachst du an der falschen Stelle.
Der einzige Weg
Jesus hat das jetzt so umgedreht, dass der einzige Weg in den Himmel das Böse ist.
Aber natürlich nicht gemeinsame Sache machen mit dem Bösen, sondern dass man sich der Macht des Bösen gegenüber arm fühlt, dass man hungert nach dem Ende des Bösen und man traurig ist über die Auswirkungen des Bösen.
Und dass man darum ins Handeln kommt.
Denn wenn Jesus mit diesen Seligpreisungen und den dazugehörenden Weherufen zu Ende ist, kommt sofort die Handlungsanweisung gegenüber dem Bösen.
Das Böse ist ja vorhanden. Es wird uns nicht passieren, dass wir eines Tages vom Sofa aufstehen, und das Böse ist für 4 Tage verschwunden und wir können uns darum leider nicht gegenüber dem Bösen positionieren.
Und darum kannst du nicht in den Himmel kommen ohne das Böse. Früher haben wir gedacht: Das Böse ist böse, darum muss man es meiden. Die Wahrheit ist aber: Jesus verwandelt das Böse und macht es zu der einzigen Möglichkeit, wie man in den Himmel kommt.
Wer dem Bösen aus dem Weg geht, wer kein Problem mit dem Bösen hat, wird von Gott nicht viel zu sehen bekommen. Kann man auch andersrum ausdrücken: Wenn das Böse keine Probleme mit dir kriegt, kriegst du am Ende Probleme mit Gott.
Zweite Umdeutung
Wenn das Alte Testament in den Verheißungen vom Wohlstand und vom Frieden und vom Glück sprach, waren das eigentlich Bilder für einen viel größeren Wohlstand, für einen höheren Frieden und ein tieferes Glück.
Es ist Gott ja nicht damit gedient, wenn die Christen wohlhabend, übergewichtig und lebenslang ausgelassen sind. Man wusste zudem schon zur Zeit des Mose, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt.
Wenn Jesus also von Armut sprach, war das Geld zwar tangiert, aber eigentlich ging es um Armut an Gott und bei Gott, was Matthäus dann ja auch „arm im Geiste“ genannt hat. Es geht also um die Haltung, dass ich nicht genug von Gott habe. Diejenigen, die immer mehr von Gott haben wollen, denen gehört das Himmelreich.
Wenn Jesus von Hunger sprach, meinte er den Hunger nach Gott. Matthäus nennt das auch so: Hunger nach der Gerechtigkeit des Himmelreiches.
Wenn Jesus von Traurigkeit sprach, sprach er über die Traurigkeit über den Zustand der Welt und wegen der Macht des Bösen, nicht über weltliche Traurigkeit, wenn mein Goldhamster gestorben ist oder meine Pläne sich nicht erfüllen lassen.
Wenn Jesus vom Unfrieden sprach, meinte er den Unfrieden mit dem Bösen. Glückselig ist, wer Frieden mit Gott hat, aber keineswegs irgendwelche Kompromisse mit dem Bösen eingeht.
Zusammenfassung zwei
Fassen wir also diesen doppelten Salto in Jesus seiner Argumentation zusammen:
Jesus dreht zuerst das Alte Testament um, welches die Armut, das Elend, die Traurigkeit und den Unfrieden für schlecht erklärt und für mit dem Reich Gottes beendet, und Jesus sagt im Gegensatz dazu, dass Armut, Elend, Traurigkeit und Unfrieden jetzt erst richtig wichtig wird. Früher war das Zeug nur lästig, jetzt wird es wichtig.
Weil das alles nämlich böse ist.
Und darum wird es wichtig, denn die Konfrontation mit dem Bösen ist die einzige Möglichkeit, in den Himmel zu kommen. „Wer überwindet, dem werde ich geben“ sagte Jesus in der Offenbarung immer wieder, und überwinden ohne Konfrontation geht nicht.
Wer selber genug hat und darum keine Notwendigkeit mehr sieht, gegen das Böse anzugehen, der hat verloren. Wer sich nicht arm gegenüber dem Bösen fühlt, weil er scheinbar zu wenig Mittel gegen das Böse hat, selbst wenn es nur seinen Nachbarn trifft, der wird von Gottes Reichtum nichts zu sehen bekommen.
Dann dreht Jesus das Ganze noch einmal um. Denn es geht gar nicht um die Armut an medizinischen Möglichkeiten, nicht um den Hunger nach Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, nicht um die Trauer über Ungerechtigkeiten und nicht um den Unfrieden mit unfreundlichen Menschen und Unterdrückern.
Sondern alle diese eigentlich schlechten Zustände beziehen sich auf immaterielles, auf Gott und sein Reich.
Wem der Hunger nach mehr Gott abhanden gekommen ist, der hat ein Problem, und wen der Teufel in Frieden lässt, der wird später Krieg ernten.
Zusammenfassung drei
Wir kamen her von diesem hier: Lukas 6,20
20 Und er erhob seine Augen zu seinen Jüngern und sprach: Glückselig ihr Armen, denn euer ist das Reich Gottes.
Es schien zuerst um materielle Armut zu gehen, dann wurde daraus, dass man nicht genug hat für den Kampf gegen das Böse, und das wurde dann dazu, dass man zu wenig von Gott hat.
Was sich zuerst anhörte wie eine Lobpreisung der Armut, war in Wahrheit das genaue Gegenteil und zum Schluss das Gegenteil vom Gegenteil.
Die Reden Jesu: Ich finde, man muss sie einfach mögen.