Johannes 5,43 Zwei Typen mit Vollmacht

Die Frage wird sicher nicht jeden interessieren: Warum nehmen die Schriftgelehrten den einen auf und den anderen nicht?

Der erste, den sie nicht aufnehmen, ist der Bevollmächtigte Gottes. „Im Namen seines Vaters“ kam Jesus.

Das ist ein juristischer Begriff.

Jesus war beauftragt. Er hatte eine Vollmacht.

Der kam nicht von sich aus. Der wurde geschickt.

Der kam auch nicht zwangsläufig freiwillig.

Der kam auch nicht unbedingt, weil er das selber so entschieden hatte.

Darum kann er in Vers 41 behaupten, er nähme keine Ehre von Menschen.

Weil er Gesandter ist. Jeder Applaus wäre ohnehin Applaus für seinen Auftraggeber.

Das Dumme ist, das dieser Auftraggeber weit weg ist.

Sehr weit weg.

In jeder Hinsicht.

Nicht nur räumlich.

Auch inhaltlich. Und wesenhaft. Und universumsmäßig.

Der Auftraggeber war schon sehr anders.

Der dachte auch nicht menschlich. Selbst wenn ihm menschliche Gedankengänge nicht fremd waren, waren sie doch niemals seine eigenen. Er verstand menschliche Gedanken, aber er dachte sie niemals selber.

Den Schriftgelehrten war der Auftraggeber sehr fremd, und damit war ihnen der Gesandte auch nicht geheuer.

Wobei die Schriftgelehrten den Auftraggeber eigentlich hätten kennen sollen. Zumindest aus der Literatur. Sie hatten viel über ihn gelesen, sie hatten ihn durchaus erforscht.

Aber irgendwie hatte der Auftraggeber nichts mit dem zu tun, was das Leben der Schriftgelehrten ausmachte.

In der Gesellschaft, in der sie lebten, war für so jemanden kein Platz. Und für seinen Bevollmächtigten folglich auch nicht.

Fremdenfeindlichkeit würde man das heute nennen.

Die Vorteile des Anderen

Ja, wenn der Andere gekommen wäre! Der, der die Werte der Schriftgelehrten und der sie umgebenden Gesellschaft geteilt hätte!

Der, der den Schriftgelehrten Rechtschaffenheit und rechte Erkenntnis bescheinigt hätte!

Der den Schriftgelehrten applaudiert hätte! Sie in ihrer eigenen hohen Meinung bestätigt hätte!

Den hätte man gerne empfangen!

Aber dieser Jesus stellte irgendwie alles in Frage, was die Schriftgelehrten so glaubten.

Wie sie die Welt sahen.

Es wäre ja gegangen, wenn der Jesus ein klein bisschen anders gewesen wäre.

Ein klein bisschen anspruchsvoller als die Schriftgelehrten.

Eine Greta, die einen ein wenig anspornt und mal wieder so eine interessante Farbe in das Leben und in die Diskussion nach dem richtigen Lebensstil bringt.

Jemand, der wieder ein bisschen Schwung in die Sache bringt, ein klein wenig Herausforderung, einen Hauch von Faszination.

Aber dieser Jesus stellte alles auf den Kopf, der drehte die Bibel in ein Licht – so wollte man das nicht sehen, und so konnte man es auch nicht sehen, weil es zu anders war.

Das war so, als wenn Greta nachgewiesen hätte, dass die Verwendung von elektrischem Strom krebserregend ist.

Dieser Jesus zog ihnen den Teppich ihres Lebens unter den Füßen weg.

Nein, so jemand akzeptierten die Schriftgelehrten nicht.

So jemanden würden wir ja auch nicht akzeptieren.

Jemanden, der unsere Rechtgläubigkeit in Frage stellt.

Ursachenforschung

Da stellt sich natürlich die Frage, wie das passieren konnte:

Dass Gott seinen Sohn schickt, mit dem Recht der Vollmacht und der Kraft der Vollmacht – das konnte man ja sehen! - und trotzdem wird der nicht anerkannt.

Jesus benennt die Ursache in Vers 42: Die, zu denen der Gesandte gesandt wurde, haben die Liebe Gottes nicht in sich.

Was nun eigentlich das Normalste von der Welt ist.

Normalerweise hat jeder Mensch seine eigene Liebe in sich.

Was sonst?

Wenn man aber im Dienst Gottes steht wie diese Schriftgelehrten (und wie in gewisser Hinsicht auch das ganze Volk), dann wäre natürlich zu erwarten, dass man auch die Ziele dessen verfolgt, in dessen Dienst man steht.

Das ist auch bei uns Grundlage jedes Arbeitsverhältnisses.

Aber weil Gott nun mehr ist als ein Arbeitgeber, darum ist die Erwartung die, dass man das liebt, was Gott liebt.

Und die Voraussetzung, die Jesus hier anwendet, ist, dass kein Mensch zwei Lieben in sich haben kann.

Sonst würde man zur gespaltenen Persönlichkeit, zu einem unklaren Charakter. Modern ausgedrückt: wenig authentisch.

Die Erwartung an die Schriftgelehrten wäre also gewesen, dass sie die Liebe Gottes zu ihrer eigenen machen. Dass sie lieben, was Gott liebt.

(Im Neuen Bund werden diese Erwartungen noch verschärft. Laut Römer 5,5 ist die Liebe Gottes ausgegossen in unsere Herzen. Oder anders gesagt: Wir haben ein neues Leben, und mit ihm natürlich auch eine neue Liebe.)

Die Schriftgelehrten haben dieser Erwartung allerdings nicht entsprochen, weswegen Jesus in Vers 42 sagt, dass sie die Liebe Gottes nicht in sich haben.

Die Verse 41 und 44 bilden den Rahmen für diese Aussage: Die Pharisäer lieben das, was Menschen lieben, in diesem Falle die Ehre.

Und sehr absolut fragt Jesus die Schriftgelehrten, wie sie unter diesen Voraussetzungen überhaupt irgendeine Form von Glauben ihr Eigen nennen können.

Anwendung

Es ist über die Jahrtausende immer wieder vorgekommen, dass Gott einen (oder eine) Gesandte zu seinem Volk geschickt hat, der Vollmacht von Gott hatte, bestimmte Dinge zu sagen oder zu tun.

Es war immer so, dass in diesen Gesandten Gott selber kam.

Darum haben schon die Propheten regelmäßig gesagt: „So spricht der Herr“ und nicht „so spreche ich“.

Auch im Neuen Bund und damit in der heutigen Zeit ist die Vollmacht von Gläubigen ein wichtiges Thema.

Und nach wie vor ist es so, dass in vielen Fällen Leute, die von Gott bevollmächtigt wurden, von den Gläubigen nicht anerkannt werden.

(Die Kirchengeschichte ist nicht nur voll von Leuten, die sich eine Vollmacht angemaßt haben, die sie niemals hatten, sondern auch voll von Leuten, die von Gott bevollmächtigt waren und von den Kirchen gnadenlos verfolgt wurden.)

Die Ursache, warum wir auch heute in den Gemeinden das Phänomen haben, dass Christen mit Vollmacht keineswegs willkommen sind, liegt wie schon immer darin, dass die Christen ihre eigenen Vorstellungen sehr lieben, ihrem althergebrachten oder selber zusammengebastelten Glauben sehr zugetan sind und somit keineswegs das lieben, was Gott liebt, sondern das, was ihnen angenehm ist und was ohne Knirschen zu ihnen passt.

Unter solchen Umständen ist es aber völlig unmöglich, einen Gesandten Gottes überhaupt zu erkennen.

Denn Voraussetzung für das Erkennen des göttlichen Gesandten wäre, dass Gott aus meinen Augen rausguckt. Denn nur göttlich guckende Augen können göttliches erkennen.

Wenn aber gar nichts von Gott in mir ist, kann auch nichts von Gott aus mir rausgucken.

Folglich werde ich den von Gott bevollmächtigten nicht erkennen und nicht anerkennen können, weil er meinen eigenen Interessen und Wünschen widerspricht.

Nachschlag

Der von Gott bevollmächtige wird immer meinen Wünschen und Vorstellungen widersprechen.

Gott schickt normalerweise keine bevollmächtigten Personen, damit sie mir applaudieren und mir erzählen, was für ein super Gläubiger ich bin und wie beeindruckt Gott von der Tiefe meiner religiösen Empfindungen und meine Bibeltreue ist.

Es ist nämlich eines der Luxus-Items des Heiligen Geistes, dass Gott mir so etwas ganz direkt sagen kann. Wenn meine Beziehung zu Gott in Ordnung ist, braucht es zwischen mir und Gott keinen Vermittler.

Wenn die Beziehung zwischen mir und Gott aber nicht in Ordnung ist und Gott darum nicht direkt mit mir reden kann, dann muss er notgedrungen einen Bevollmächtigten schicken, der an Gottes Stelle das sagt, was gesagt werden muss.

Somit ist es zwangsläufig, dass der Bevollmächtigte Gottes mir widerspricht.

Gott schickt keine Leute, die mit extra Vollmacht ausgestattet sind, wenn alles in Ordnung ist.

Schlusswort

Versuchen Sie also um Himmels willen, mit den Augen Gottes zu gucken.

Und wenn Sie Gott erkennen wollen, schauen Sie bitte durch eine Brille namens „Jesus“.

Wenn Sie nicht das lieben, was Gott liebt, werden Sie nichts sehen.

Absolut nichts.

Wäre doch schade.