Johannes 6,70-71 der freie Wille des Judas.
Dieser Artikel klärt, ob Judas sich frei entscheiden konnte, Jesus zu verraten, oder ob er von Gott von vornherein für die Arschkarte bestimmt war.
Irgendwie riecht die Berufung des Judas durch Jesus schlecht.
Hat Jesus den Judas als Jünger berufen, damit er jemanden hat, der den Buhmann spielt und Jesu Aufenthaltsort an die Hohepriester verrät (und daran dann selber zugrunde geht)?
War Judas von Anfang an dazu verdammt, der Verräter Jesu zu sein?
Oder hatte Judas einen freien Willen und hat sich in aller Freiheit für sein Verhalten entschieden?
Aber wenn Judas einen freien Willen hatte, woher wusste Jesus dann, was Judas machen würde? Konnte Jesus in die Zukunft schauen und damit in eine Zeit hineinsehen, die in diesem Moment ja noch gar nicht erschaffen war?
Diese Frage ist für viele Menschen wichtig, weil es eine Frage nach der Gerechtigkeit zu sein scheint. Behandelt Gott Menschen ungerecht, indem er sie zu irgendwas verdammt oder verurteilt?
Und, ganz nebenbei: Nach welcher Regel bin denn ich berufen zu dem, was scheinbar mein Schicksal ist?
Naheliegend
Der Verdacht, dass Gott Einfluss nimmt auf das Schicksal der Menschen, ist naheliegend, denn das mit dem freien Willen des Judas, das haut nicht hin.
Das haut auch dann nicht hin, wenn Gott in die Zukunft schauen kann.
Denn wenn Judas einen freien Willen gehabt hätte, dann hätte er tausende von Möglichkeiten gehabt, was er machen konnte. Dass er ausgerechnet etwas macht, das so genau in Gottes Heilsplan passt, ohne dass man das vorher wissen konnte, ist schon verdächtig.
Denn den Heilsplan Gottes verstehen wir nur im Nachhinein. In der Rückschau. Nachdem alles geschehen war. Die Apostel und auch Judas hatten nicht die Spur einer Idee von dem, was am Ende dann passiert ist.
Gott baut ein wenig
Natürlich könnte man sagen: Gott hat seinen Heilsplan um die Entscheidung des Judas drumrum gebaut. Also: Gott wusste vorher, dass Judas Jesus an die Hohepriester verraten würde, und Gott hat dann alles drumrum passend gebaut.
Dumm dabei ist nur, dass – wenn wir vom freien Willen ausgehen – auch alle anderen Beteiligten einen freien Willen hatten: Die Hohepriester hätten sich bekehren können, Pilatus hätte die Grippe haben können, so dass die Hinrichtung nicht pünktlich zum Passah hätte passieren können. Petrus hätte sich als Jesus ausgeben können und den Judas nach dem Kuss öffentlich schimpfen, warum er denn da einen Unschuldigen ins Elend stürzt und gleichzeitig die Knechte des Hohepriesters hereinlegt. Mitglieder des Hohen Rates hätten Skrupel bekommen können wie Gamaliel in Apg 5,38 und die Hinrichtung abblasen. Die Soldaten hätten Jesus heimlich gegen einen anderen austauschen können. Des Pilatus Ehefrau hätte sich durchsetzen können.
Gott hätte es also im Grunde nicht passend bauen können, wenn er allen Beteiligten ihren freien Willen gelassen hätte. Obwohl Gott zweifellos intelligenter ist als wir und deshalb Szenarien bauen kann, die wir für völlig unmöglich halten würden.
Vorbei ist vorbei
Sollte jemand an meiner bisherigen Antwort herumnörgeln wollen, so sei ihm gesagt: Nicht meine Antwort ist schlecht, sondern die Frage.
Denn der Frage liegt der Wunsch zugrunde, eine Regel für Gottes Handeln zu erkennen und damit formulieren zu können.
Aus Gott also im Grunde einen berechenbaren Automaten zu machen, der nach einer bestimmten Programmierung handelt.
Letztlich sind wir dann bei der Erstellung eines Dogmas angekommen. Wir formulieren einen Lehrsatz, der Gottes Denken und Handeln fehlerfrei widergibt.
Das schöne daran wäre: Gott würde berechenbar.
Und zwar ohne dass man eine Beziehung zu Gott eingehen müsste. Man könnte ihn von außen, wie einen Sachgegenstand, analytisch betrachten. Gott als Objekt, über dessen Handlungen ich aufgrund eines Gesetzes, eines Dogmas oder einer Regel verfüge.
Gott, der mir Rechenschaft abzulegen hat, wenn er sich nicht an diese Regeln hält.
Die Frage, wieviel Einfluss Gott auf das Handeln des Judas oder irgend eines anderen Menschen nimmt – wieviel freien Willen der Mensch also hat – ist also nicht thematisch falsch, sondern grundsätzlich.
Und während man in der Wissenschaft hervorragend damit fährt, wenn man das Verhalten von Objekten betrachtet und aus diesen Beobachtungen heraus eine Regel erstellt, wie das Objekt sich regulär verhält, ist dieses Vorgehen im Zusammenhang mit Gott völliger Unsinn.
Warum die Regel Unsinn ist
Dass das Aufstellen einer Regel für Gottes Verhalten Unsinn ist, liegt an Gott.
Beziehungsweise an seinem Willen.
Gott will zum Menschen ja nicht in eine funktionale Beziehung treten wie ein Zahnrad zum Uhrwerk.
Sondern letztlich will Gott mit dem Menschen verschmelzen. Der Mensch soll Träger von Gottes Persönlichkeit werden.
Wir bezeichnen das oft als eine „Beziehung“, die ganz modernen Frommen nennen es eine „Liebesbeziehung“.
Aber das trifft es nur sehr unvollkommen. Denn bei einer Liebesbeziehung hat man immer noch zwei getrennte Personen. Aber im Christentum ist das Ziel, dass mein Wille und Gottes Wille gleich werden. Dass Gott in mir wohnt.
Das Ziel Gottes ist also ein ständiges Miteinander mit dem Menschen, der moderne Mensch würde „Interagieren“ sagen. Dabei reagiert der Mensch auf Gott und Gott auf den Menschen. Und das nicht mit dem Ziel, ein System umzusetzen, sondern eine Einheit auf ziemlich individueller Grundlage herzustellen.
Dafür ist es aber wichtig, dass nicht nur der Mensch unberechenbar ist, sondern auch Gott. Der Mensch soll Gott nicht berechnen, sondern ihn hören.
Dieses Hören wird aber überflüssig, wenn man alle Regeln kennt, an die Gott sich zu halten hat.
Und ganz nebenbei hätte auch der Teufel es leicht, wenn er die Regeln kennen würde, nach denen Gott handelt.
Was machen wir nun mit dem freien Willen?
Natürlich gibt es so etwas wie Willensfreiheit für Menschen. Nur weil es so etwas gibt, kann es auch ein göttliches Gericht geben. Ein göttliches Gericht über Marionetten wäre sinnlos.
Andererseits hatte Judas in mancher Hinsicht keinen freien Willen. Denn am Ende seines Verrats stand ein Ergebnis, das Judas selbst nicht gewollt hatte, der Teufel aber schon. Ja, das vergisst man oft: Die (angebliche) Unfreiheit des Willens geht nicht nur von Gott aus, sondern auch von anderen übernatürlichen Mächten. Was man an der Besessenheit durch Dämonen sehen kann.
Woran man sieht: Wir können über den freien Willen des Menschen nichts Genaues sagen, weil zu viele Mitspieler im Spiel sind,
- die wir nicht kennen
- deren Absichten wir nicht kennen
- deren Methoden wir nicht kennen.
Denn möglicherweise spielt in den freien Willen auch unsere Seele mit hinein – manche Dinge verbietet uns vielleicht unsere Prägung ( = unser Gewordensein), unsere Kultur oder Menschen, gegen deren Willen wir niemals handeln würden.
Andererseits hatte Judas genügend freien Willen, zu Gott Ja oder Nein zu sagen. Er hatte genug freien Willen, sich für Jesus zu entscheiden, und auch genug freien Willen, um sich dann gegen Jesu Weg zu entscheiden.
Schlusswort
Gott hat die Sache mit dem freien Willen und auch alle anderen Dinge, die den Willen Gottes in Bezug auf individuelle Menschen angeht, nicht der Allgemeinheit kundgetan. Es gibt keine erkennbaren Regeln, keine nachvollziehbaren Prinzipien.
Was es aber gibt, ist Gott.
Den kann man fragen. Jeder persönlich.
Und Gott hat in der Bibel umfangreich versprochen, solche ehrlichen Fragen auch zu beantworten.
Oder anders gesagt: Gott hat dafür gesorgt, dass die Menschen ihn zur Beantwortung solcher Fragen brauchen.
Und auch dann wird Gott uns nicht die Regeln erklären – schlicht weil es sie nicht gibt.
Sondern er wird mir das erklären, was mich etwas angeht. Was ich wissen muss. Für mein Leben, nicht für die Menschheit.
Die Frage, inwieweit Judas sich frei entscheiden kann, ist irrelevant.
Sie können sich frei für oder gegen Gott entscheiden. Und das ist das Einzige, was Sie wissen müssen.