Johannes 19,28-30 Schrifterfüllung ohne Durst

Dieser Artikel erklärt, auf welche Weise Jesus die Schrift erfüllte, als er am Kreuz zu Protokoll gab, dass ihm dürste. Und Jesus erfüllt die Schrift hier ganz sicher nicht, weil es irgendwo eine Bibelstelle gibt, die vom leidenden Gottesknecht sagt, dass er Durst hat.

Ja, da haben uns die Leute mit den Parallelstellen ganz schön aufs Glatteis geführt. Weil doch Jesus in Vers 28, ausdrücklich damit die Schrift erfüllt wird, auf seinen Durst hinweist. Also haben sie mit Eifer nach einer Bibelstelle gesucht, in der jemand Durst hat. Und sie haben natürlich eine gefunden. Was bei der riesigen Menge an Bibelstellen aber auch nicht besonders schwer war. Und so eine Bibelstelle dann auf den Gesalbten Gottes zu münzen, ist für den guten Ausleger ja kein Problem. Man kann Bibelstellen immer so drehen, dass es passt.

Zudem sagt der Vers 28 ja auch, dass Jesus an dieser Stelle wusste, dass alles vollbracht ist, offenbar alles bis auf eines. Eine Sache fehlte noch.

Nun muss man natürlich schon ein bisschen kleinlich denken, wenn man auf die Idee kommt, dass Jesus am Kreuz hängt und im Sterben ist, und in diesem Moment fällt ihm ein: „Oh, ich habe ja noch gar nicht Durst gehabt, wie die Bibel das angekündigt hat. Jetzt aber schnell: ‚ich habe Durst!‘ Mann, das war knapp!“

Und ganz nebenbei: Das wäre keine Erfüllung einer Bibelstelle im biblischen Sinn. Wenn ich einen Vorgang mit Absicht so drehe, dass er zu einer bestimmten Bibelstelle passt, dann ist das Manipulation. Dann erfüllt sich nicht eine Vorhersage, sondern ich selbst erfülle sie, weil es sonst blöd aussähe.

Nicht gemeint.

Da Johannes bei allen anderen Bibelstellen, die im Zusammenhang mit der Kreuzigung erfüllt werden, jedes Mal auch die Bibelstelle zitiert hat, fällt es doch auf, dass er die mit dem Durst nicht zitiert.

Er zitiert sie nicht, weil er sie gar nicht gemeint hat. Gemeint hatte er, dass Jesus sein Leben hingibt. Dass es ihm also nicht genommen wird, sondern dass er es gibt. Wie er in Kapitel 10,18 ja schon angekündigt hat. Gemeint ist, dass Jesus nicht als Opfer stirbt, sondern als der Herr.

Die Erfüllung der Schrift ist hier also nicht, dass Jesus Durst hat, sondern dass er sein Leben selbstbestimmt aufgibt. Dazu muss Jesus aber halbwegs bei Kräften sein. Es darf nicht sein, dass er vor Durst ohnmächtig wird und dann unkontrolliert stirbt. Also stärkte er sich noch einmal, nimmt einen Schluck vom Schwamm, und dann stirbt er. Absichtlich.

Und wer jetzt unbedingt eine Bibelstelle braucht, die auf diesem Wege erfüllt wird, nimmt Jesaja 53,12.Johannes 19,28

So wenig, wie Jesus auf natürlichem Wege in die Welt hineingekommen ist (auch wenn es äußerlich sehr natürlich aussah), so wenig geht er auf natürlichem Wege wieder aus dieser Welt hinaus. Hier ist jemand selbstbestimmt.

Die Schrift wird in Vers 28 nicht dadurch erfüllt, dass Jesus etwas bezüglich seines Durstes sagt, sondern sie wird dadurch erfüllt, dass Jesus durch die Stärkung in die Lage versetzt wird, selber sein Leben Gott zu übergeben. Anstatt dass der Teufel ist ihm wegnimmt (oder so ähnlich).

Selbstverständlich können Sie jetzt meckern, dass die Formulierung und der Satzbau des Johannes arg umständlich sind und die Logik recht verschachtelt. Aber der Johannes wusste ja, was er aussagen wollte. Und wenn man weiß, was am Ende rauskommen soll, ist der Satzbau gar nicht so unlogisch.

Anwendung

Die Anwendung für uns heute ist: Jesus ist der Herr, und Gott ist der König. Immer. Selbst in absurdesten Situationen und aussichtslosesten Momenten. Selbst dann, wenn wirklich nichts mehr davon zu sehen ist. Wenn keiner darauf käme. Es gibt keinen Zustand und keinen Moment, in dem Jesus die Herrschaft verliert.

Und wenn wir denken: „Jetzt haben wir verloren, jetzt hat ein anderer die Herrschaft, jetzt kann Gott uns nicht mehr helfen“, dann ist das schlicht falsch. Immer.

P.S.

Sie warten immer noch auf die Bibelstelle, welche Johannes meinte, als er in Vers 28 schrieb, „damit die Schrift erfüllt wird“?

Gäbe es diese Bibelstelle, hätte Johannes sie wohl zitiert, weil er das in der Regel macht, wenn er auf die Erfüllung der Schrift hinweist.

Was Johannes als erfüllt sehen will, ist nicht eine Bibelstelle, sondern ein biblisches Prinzip.

Dass nämlich ein Opfer gegeben werden muss. Freiwillig. Ein Opfer kann dem Eigentümer nicht gewaltsam entrissen werden und dann gegen dessen Willen geopfert werden. Es hätte dann keine Wirkung, es würde nicht zählen. Im Alten Bund hatten die Priester und Leviten nicht die Macht, durchs Dorf zu gehen und von jedem Bauern ein Tier zum Opfer zu verlangen. Weil es dann kein Opfer mehr wäre, sondern eine Enteignung.

Die Schrift wird also dadurch erfüllt, dass Jesus sein Leben gibt und es ihm nicht gegen seinen Willen genommen wird. Wahrscheinlich würde man auch eine Bibelstelle finden, in der steht, dass jemand geben soll, was er sich vorgenommen hat. Aber Johannes hat sich nicht die Mühe gemacht, so eine Bibelstelle zu suchen. Das Prinzip der Freiwilligkeit eines Opfers war zu selbstverständlich.