Johannes 19,38-42 Die Hoffnung und 32 Kilo Biomasse

Beruhigen Sie sich.

Die 100 Pfund an Grabbeilagen, die Nikodemus da ranschleppt, sind nach unseren heutigen Maßen nur 32 Kilo.

Sicher, das ist ordentlich. Knickerichkeit kann man Nikodemus nicht nachsagen. Aber es war auch nicht übertrieben. Denn diese Biomasse aus Kräutern und geraspeltem Holz wurde nicht nur in die Binden hineingewickelt, in welchen die Leiche verschwand, sondern dieses Zeug wurde auch im ganzen Grab verteilt und über die eingewickelte Leiche gestreut oder gekippt. Das sollte nämlich Geruch entwickeln. Sie kennen das vielleicht, wie frischer Rindenmulch riecht.

Die Bilder, die man uns immer vom leeren Grab zeigt, bei denen die Grabhöhle besenrein dargestellt wird, geben einen völlig falschen Eindruck wider.

Wozu, bitte?

Eine andere Frage, die sich hier stellt, ist die, warum Josef von A. und Nikodemus all das machen, was hier berichtet wird.

Was wollten die mit der Leiche?

Die waren doch gar nicht zuständig.

Die gehörten doch nicht zur Familie.

Und vor allem haben sie das ja relativ schnell entschlossen. Vom Prozess über die Verurteilung bis zur Hinrichtung ist ja nicht viel Zeit vergangen, in der die beiden Herren große Überlegungen anstellen konnten und das Für und Wider gründlich durchdenken konnten.

Wir können viel spekulieren, welche Motive die beiden Herren dazu getrieben haben, so Knall auf Fall und in aller Eile eine Beerdigung durchzuführen -

  • man kann über ihre „Liebe zum Herrn“ schwadronieren

  • man kann ein schlechtes Gewissen vermuten, weil sie nur heimliche Jünger waren und sich nun ihrer Feigheit schämten und es wieder gut machen wollten

Es könnte einem noch viel mehr einfallen, aber die Wahrheit ist: Wir wissen es nicht. Wir haben keine Ahnung, was die beiden Herren dazu getrieben hat, denn sie selbst haben sich in der Bibel nicht dazu geäußert, und auch die Berichterstatter geben uns keine Anhaltspunkte.Johannes 19,38

Gott fällt aus

Natürlich gibt es auch die Menschen mit dem kleinen Göttlein, die sagen, für die Auferstehung brauchte man ja ein leeres Grab, und dafür braucht man vorher ein belegtes Grab, und darum hat Gott die beiden Herren dazu veranlasst, die Beisetzung durchzuführen.

Aber Gott braucht kein Grab, um eine Totenauferweckung durchzuführen. So ein leeres Grab ist für die Christen eine nette Denkhilfe, aber wenn Gott eine Leiche wieder lebendig machen will, dann kann er das unter allen denkbaren Umständen an jedem Ort der Welt.

Wenn die Römer Jesus in ein Massengrab geworfen hätten oder auf die Müllkippe, dann hätte die Auferstehung genauso funktioniert. Das Handeln von Nikodemus und Josef von A. war zwar ganz hilfreich, und Gott hat es am Ende ja auch genutzt – also Gott hat die Geschichte, die die beiden Herren angefangen haben, zuende erzählt – aber Gott hätte die Auferweckung auch unter jedweden anderen Umständen durchführen können.

Für die Frage, warum die beiden Herren die Bestattung durchgeführt haben, können wir also auch nicht Gott verantwortlich machen.

Die Frage, aus welchen Motiven heraus die zwei Ratsmitglieder gehandelt haben, können wir nicht beantworten. Wir wissen es einfach nicht.

Die Frage aller Fragen

Wir müssen es auch nicht wissen.

Denn die wichtigste Frage ist doch: Warum haben die Evangelisten das aufgeschrieben? Und zwar alle?

Das Abendmahl finden wir nicht bei allen Evangelisten, diesen Vorgang aber schon. Und zwar bei allen Evangelisten ähnlich ausführlich.

Die Frage ist also: Was wollten die Evangelisten damit sagen, dass sie alle diese Tatsachen für unentbehrlich hielten?

Was will Gott uns damit sagen, dass wir diese Sache so ausführlich in seinem Wort finden?

Die Frage ist also nicht: Was haben Nikodemus und Josef von A. gedacht, sondern die Frage ist: Was sollen wir denken?

Begraben Sie Ihre Hoffnungen

Soviel erklärt uns der Bibeltext immerhin: die beiden Herren begruben hier ihre Hoffnung.

Beide waren davon ausgegangen, dass Jesus der Messias oder so etwas ähnliches ist.

Also einer, durch den das Reich Gottes kommt.

Der Nachfolger Davids, in welcher Form auch immer.

Bei dem, was Jesus getan und gesagt hatte, musste man irgendwie Stellung beziehen.

Wenn solche Wunder geschehen, und zwar am laufenden Meter, dann muss man sich dazu irgendwie eine Meinung bilden. Vieles in der Welt kann man ignorieren, aber als Mitglied des Hohen Rates mit einem Führungsauftrag kann man einem solchen Stil innerhalb des Reiches Gottes nicht gleichgültig begegnen.

Und die beiden Herren hatten Stellung bezogen, nämlich indem sie davon ausgingen, dass Jesus von Gott gesandt ist, um das Reich Gottes wieder herzustellen.

Ob sie damit irgendwelche genaueren Vorstellungen verbanden, wissen wir nicht.

Zumindest rechneten sie nicht mit einer Auferstehung. Man bringt nicht 32 kg riechende Biomasse, wenn der Tote nur vorübergehend tot ist, und man wickelt ihn nicht kunstvoll in Leichentücher, wenn der übermorgen ohnehin wieder rumläuft.

Der Gedankengang als solcher.

Nikodemus und Josef von A. begruben also ihre Hoffnung.

Man kann die Hoffnung auch fahren lassen.

Dann kümmert man sich nicht mehr darum. Dann ist sie wertlos geworden, und jede weitere Beschäftigung mit ihr ist Verschwendung.

Diese hier beschäftigen sich noch mit ihrer Hoffnung, auch wenn sie tot ist.

Denn so falsch kann es eigentlich nicht gewesen sein.

So viele Zeichen, so viele Wunder, solche Reden und solche Auslegungen des Gesetzes: Das musste von Gott gewesen sein.

Und ja: Man hatte Gott offenbar falsch verstanden. Der Gedanke war ja irgendwie so gewesen, dass Jesus jetzt ähnlich wie David das Reich Gottes erneuert. Das war nun offenbar nicht so.

Aber irgendwas musste richtig gewesen sein. Die beiden Herren waren ganz sicher, dass Gott hier die Finger drin hatte. Es war nicht vorstellbar, dass die Reden und die Wunder von Jesus nichts mit Gott zu tun hatten.

Also Gott hatte da die Finger drin.

Auch wenn es im Moment so aussah, als wenn der Teufel gewonnen hat.

Auch wenn es im Moment so aussah, als sei es zu Ende.

Und darum blieben die beiden Herren an ihrer Hoffnung dran. Auch wenn sie die im Moment nur begraben konnten. Aber ihre Hoffnung war nicht falsch gewesen.

Vielleicht war ihre Interpretation falsch.

Vielleicht war ihr Verständnis der Bibelstellen falsch.

Vielleicht war ihre Deutung des Willens Gottes falsch.

Aber dass Jesus von Gott gesandt gewesen war, das war nicht falsch gewesen.

Hier hatte Gott gehandelt.

Und am Ende die Römer und die Hohepriester. Und das Ergebnis der Römer und der Hohepriester, das sah man jetzt hier.

Aber es musste doch auch ein Ergebnis Gottes geben!

Die Natur der Sache

Von Natur aus ist es bei Gott so, dass es nie ein Ende gibt.

Wer gut im Argumentieren ist, der kann das natürlich auch von den irdischen Dingen sagen, indem er auf den Kreislauf aller Dinge verweist. Aber ein Baum, der tot ist und ein Brett wird, ist als Baum zuende, und wenn das Brett verbrennt, stimmt der Gedanke des ewigen Kreislaufes theoretisch zwar immer noch, aber praktisch ist das eigentlich bedeutungslos.

Bei Gott ist aber ein zweites Universum im Spiel. Wir müssen den Wesenszug der Ewigkeit, de Unvergänglichen einberechnen. Anders gesagt: Das Wesen Gottes, der von dauerhaftem Bestand ist.

Johannes 19,42Somit können Dinge, an denen Gott beteiligt ist, nicht enden. Reich Gottes kann sich verändern, aber es endet nicht. Segen kann sich ändern, aber er endet nicht. Die Finsternis kann das Licht nicht schlucken.

Es kann nicht schlecht enden, weil Gott durch und durch gut ist und weil wir hier ja nicht über die Angelegenheiten des Teufels reden. Diese enden natürlich zwangsläufig böse.

Aber Dinge, an denen Gott beteiligt ist, können auch nicht misslingen. Unser Anteil daran kann natürlich misslingen, aber da Gott auch beteiligt ist, wird Gottes Anteil weiter getragen. Unser Anteil muss sich vielleicht verändern, aber der Teufel kann ja nicht gewinnen, und so wird der Segen weitergehen, und auch aus unserem Misslingen wird Gott Segen machen.

Das Wesen der Hoffnung

Damit sind wir beim Wesen der Hoffnung.

Hoffnung ist in irdischen Zusammenhängen eine ungewisse Wette auf die Zukunft. Sie hat zwar immer eine gewisse Wahrscheinlichkeit, denn Menschen hoffen in der Regel nichts, was total unwahrscheinlich ist – also dass die betrunkenen Elfen aus dem Staubsaugerwald kommen und alles Papier in meiner Wohnung in Diamanten verwandeln, das hofft dann ja doch niemand.

Aber irdische Hoffnung kann immer auch enttäuscht werden. Sie kann daneben gehen. Das, was ich erhoffe, tritt nicht ein.

Und letztlich ist die irdische Hoffnung einfach nur der Gegenpol zur Befürchtung. Im Grunde genommen kann es die irdische Hoffnung ohne die dazu gehörende Befürchtung gar nicht geben.

Aber wenn Gott im Spiel ist, dann ist die Hoffnung frei von ihrem Partner, der Befürchtung. Darum sagt Paulus so seltsame Dinge wie „die Hoffnung lässt nicht zuschanden werden“ (Rö 5,5) oder „nun aber bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei“ (1.Kor 13,13). Weil Hoffnung, wenn sie mit Gott zusammenhängt, von der negativen Seite befreit ist.

Das Handeln der beiden Herren

Und so befinden sich Nikodemus und Josef von A. nun in der Lage, dass Gott ganz offensichtlich gehandelt hat. Jesus war von Gott geschickt, und Gott war auf dessen Seite. Anders konnten die sich das nicht vorstellen.

Und da Jesu Hauptaussage immer war, dass das Reich Gottes vor der Tür steht, war Gott also offensichtlich gerade dabei, irgendwas an diesem Reich zu bauen.

Jetzt war zwar irgendwas anders gelaufen, als wie die Ratsherren sich das vorgestellt hatten. Das, was sie erhofft hatten, war so nicht eingetreten. Ihre eigene Sicht hatte sich als nicht zutreffend erwiesen. Aktuell sah es aus wie der größte anzunehmende Unfall.

Und so haben die beiden das Einzige gemacht, was ihnen im Moment übrig blieb; das Einzige, was sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit ihrer Hoffnung machen konnten: Sie haben ihre Hoffnung begraben.

Vermutlich, ohne viel darüber nachzudenken. Ohne großen theologischen Hintergrund. Dafür ging das alles zu schnell.

Sie haben das Beste gemacht, was sie im Moment machen konnten. Damit konnten sie in diesem Moment sogar die Apostel überholen.

Aber eine Hoffnung, die Gott verkündet hat, kann nicht sterben. Dieser Jesus ist jetzt zwar tot, aber die Sache an sich bestimmt nicht tot.

Eine Hoffnung, hinter der ganz offensichtlich Gott steht, kann nicht grundsätzlich falsch sein.

Meine Interpretation mag falsch sein.

Mein Bibelverständnis mag völlig daneben liegen.

Aber die Sache selbst ist doch von Gott.

Folglich ist das hier noch nicht das Ende.

Bleiben Sie dran!