Apostelgeschichte 7,48 Sie werden doch wohl nicht …?!?!

Eines ist mal klar: Lukas war ein großartiger Schriftsteller.

Denn natürlich ist diese Rede des Stephanus nicht das mitstenografierte Original.

Auf Papyrus oder Pergament.

Unter Benutzung von zwei Federn, weil der ja weitergeredet hat, während man die Feder eintauchen musste.

Sondern diese Rede ist die absolut gekonnte Zusammenfassung von dem, was Stephanus vermutlich in einer sehr langen Rede gesagt hat.

Und alle die Argumentationsstränge, die Stephanus gebracht hat, die hat Lukas hier ineinander gewoben und zu einem Kunstwerk verarbeitet, das eines großen Gottes würdig ist.

Die Sache mit dem Tempel

Ich entzerre jetzt die Argumentationsstränge des Lukas und betrachte nur die Sache mit dem Tempel.

Den Tempel bespricht Stephanus hier, weil die (falsche) Anklage gegen Stephanus lautete, er würde gegen den Tempel reden und wollte ihn zerstören (Apg 6,13+14).

Und gelegentlich hat man sich ja gewundert, warum Stephanus in seiner Rede so weit ausholt und sich ausführlich ergeht in der Geschichte von Abraham, Jakob, Josef, Mose und der Landnahme bis zu David.

Nun, er hat das einfach deswegen gemacht, weil die zentrale Geschichte Israels ohne Tempel auskam.Apostelgeschichte 7,48

Die große Zeit Israels endet ja letztlich mit David.

Und bis dahin gab es keinen Tempel.

Salomo hat den Tempel gebaut, aber mit Salomo begann im Grunde der Niedergang des Reiches.

Bis zu David zeigte die Kurve nach oben, wenn auch mit erheblichen Schwankungen.

Mit Salomo beginnt der Niedergang. Zuerst der Niedergang des Glaubens, dem der Niedergang des Reiches folgte.

Der Tempel ist also eigentlich eine Begleiterscheinung des Niederganges.

Aber während Salomo noch genau wusste, dass Gott eigentlich nicht in Häusern wohnt und somit dem Tempel nur eine relative Bedeutung zumaß, aber keine absolute, hatte sich später eine Tradition entwickelt, welche die gesamte Religion mit all ihren Aspekten und Unterpunkten an den Tempel band. Der Tempel war die Mitte der Religion, und ohne den Tempel ging gar nichts.

Was sowohl aus Sicht der alten Geschichte Israels Unsinn war, denn da hatte die Sache mit Gott ohne Tempel funktioniert, als auch aus Sicht der Geschichte des Exils, während dessen Gott ja ebenfalls kräftig gehandelt hat, ohne dass ein Tempel existierte.

Es war eine religiöse Tradition entstanden, die als absolute Wahrheit galt, obwohl das mit dem Wort Gottes und dem Handeln Gottes überhaupt nicht in Einklang stand.

Und Stephanus erzählt dem Hohen Rat hier nicht, dass er den Tempel zu zerstören beabsichtigt.

Sondern er erzählt dem Hohen Rat, dass der Tempel völlig überflüssig ist.

Man braucht ihn nicht zu zerstören. Er ist ohnehin relativ null.

Gott hat alle großen Operationen völlig unabhängig vom Tempel gestartet und durchgeführt.

Die Vergebung Gottes ist weder vom Tempel noch von Priestern abhängig.

Das Eingreifen Gottes geschah überall, aber erst bei Zacharias zum ersten Mal tatsächlich im Tempel.

Gott ist auf den Tempel nicht angewiesen, und wenn man sich mal zurückerinnert, dann fand Gott die Idee, dass David ihm ein Haus bauen wollte, ohnehin absurd (2.Sam 7,5ff).

Traditionen statt Gott

Nun war der Tempel an und für sich nichts schlecht. Er war ja nicht gegen den Willen Gottes entstanden, und Gott selbst war bei Salomo in den Tempel eingezogen.

Schlecht war, dass die Tradition alles Handeln Gottes auf den Tempel konzentrierte und vom Tempel abhängig machte.

Aber Gott lässt sich nicht von Menschen limitieren.

Gott ist frei.

StephanusIch hoffe aber natürlich sehr, dass in Ihrer Gemeinde beim Abendmahl die Einsetzungsworte Jesu zitiert werden. Und zwar jedesmal. Praktisch als Zauberformel, als magisches Mittel. Sonst gilt das ganze Abendmahl nämlich nicht.

Und Sie glauben ja hoffentlich an die Inspiration der Schrift. Denn sonst ist die Bibel logischerweise nicht heilig und kann uns nicht den Willen Gottes offenbaren. Und Sie werden doch hoffentlich jeden, der nicht an die Inspiration der heiligen Schrift glaubt, aus der Gemeinde ausschließen? Denn das mit der Inspiration steht ja, warten Sie, wo war es doch gleich …

Genauso gehorchen Sie doch wohl der Pflicht, nach jedem Gebet in der Gemeinde den Zauberspruch „in Jesu Namen Amen“ zu sprechen. Eine magische Formel a la Harry Potter, die dafür sorgt, dass Ihr Gebet tatsächlich im Namen Jesu ist. Unabhängig davon, welchen egozentrischen Blödsinn Sie gerade von sich gegeben haben. Das Abrakadabra, das jeden Unfug mit heiligem Flair überzieht.

Dass Hiob ein frommer Jude aus Israel war, brauche ich wohl nicht zu betonen (nein, er war aus dem Land Uz irgendwo im fernen Arabien, und das Buch Hiob hat keinerlei Anklänge an das Judentum), und dass Jeremia das gleichnamige Buch geschrieben hat, ist doch wohl klar (nein, es war Baruch Jer 36:18+32), und selbstverständlich gibt das Buch Hiob eine historisch wahre Begebenheit detailgetreu wieder (und Steve Jobs hat sein iPhone mitlaufen lassen, weshalb wir 40 Kapitel Unterhaltungen wörtlich und wortgetreu vor uns haben) und Matthäus hat die Worte und Taten von Jesu tatsachengetreu wiedergegeben und keineswegs eine Auswahl getroffen und nicht die Spur Unpassendes weggelassen und sich zuverlässig an die historische Reihenfolge gehalten und uns ein völlig ungefärbtes Bild der damaligen Geschehnisse überliefert.

Der Autor dieser Zeilen stammt noch aus einer Zeit, da durften Christen nicht „ogottogott“ sagen oder „Himmelherrgottsakramentnocheinmal“. Damals war Gott gegen Jeans im Gottesdienst, und Wetten war Sünde, und Männer und Frauen durften im Gottesdienst nicht zusammen beten (ob sie zusammen schwimmen gehen durften, war umstritten), und in der Gemeinde saßen damals noch Leute, die wussten, dass Karten spielen (Skat, Rommé) ein Teufelszeug war.

Aber wenn Sie in der Kirche eine Kerze anzünden, da freut sich Gott.

Wobei zu hoffen ist, dass Sie sich beim Lesen der letzten Absätze mehrfach bekreuzigt haben. (Ein Vorgang, der der Schule von Hogwarts würdig wäre.) So wie es notwendig ist, dass die Diakone und Pastoren in Ihrer Gemeinde geweiht oder „eingesegnet“ sind, denn sonst ist aller Segen, den die spenden, ungültig.

Und es versteht sich wohl von selbst, dass Sie Freitags kein Fleisch essen und in der Fastenzeit …

Und so weiter.

Gottes Gebundenheit

Gott ist gebunden an Traditionen, die wir uns ausgedacht haben.

Traditionen, für die es meistens irgendwo in der Bibel einen Anklang gibt.

Anklänge, die aber nie als ein Gesetz gedacht waren, dem Gott sich zu unterwerfen hat.

Unfreie Menschen haben Gott in die Ketten ihrer eigenen Unfreiheit gezwungen.

Und wenn dann jemand diese Ketten als von Menschen gemachte Versklavungsutensilien bezeichnet und sie nicht mehr anwenden will, dann werden die Menschen sehr böse.

Wie der Hohe Rat, als Stephanus sagte, man brauche den Tempel nicht abzureißen, er sei ohnehin nicht wichtig.

Ende

Gott ist frei.

Und er hätte es gerne, wenn Sie so würden wie Gott.

Oder was dachten Sie, wozu Gott den Jesus geschickt hat?