Levitikus 24,10+11 der Namenlose
Es hätte für denjenigen, der diesen Text geschrieben hat, so einfach sein können!
Er hätte den Mann, dessen Handeln hier beschrieben wird, mit Namen nennen können. Dann hätte sich der Text flüssig lesen lassen, und wir könnten in Predigten oder in der Kinderstunde diesen Mann als ein Beispiel nehmen, so wie wir Ahab und Isebel als Beispiel nehmen oder Judas Iskariot.
Und kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Argument, der Autor des Textes hätte den Text nicht mit irgendwelchen Namen überfrachten wollen. Der Autor nennt uns den Namen der Mutter und des Großvaters von diesem jungen Mann. Eine Sorge um die flüssige Lesbarkeit des Textes liegt hier nicht vor.
Im Gegenteil: Die dreimalige Formulierung „Sohn der israelitischen Frau“ innerhalb von drei aufeinanderfolgenden Sätzen macht den Text entsetzlich holprig.
Die mit dem Namen
Während es also eigentlich sinnvoll und interessant gewesen wäre, den Namen dieses Mannes zu erfahren, kann uns der Name seiner Mutter und seines Großvaters ziemlich egal sein. Mutter und Großvater handeln in der Geschichte nicht. Die Information am Ende von Vers 12 erscheint für uns völlig sinnlos. Denn dass der junge Mann eine Mutter und diese wiederum einen Vater hatte, das hätten wir uns schon von alleine gedacht. Für diese Erkenntnis hätten wir den Bibeltext nicht gebraucht.
Aber derjenige, der diesen Text geschrieben hat, war eben nicht ein mäßig begabter Schreiberling.
Sondern das war ein Schriftsteller. Der hatte literarisches Niveau.
Und er hat uns den völlig überflüssigen Namen der Mutter genannt, damit wir merken, dass der Sohn keinen Namen abbekommt.
„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen: du bist mein“ gilt für diesen namenlosen Mann nicht.
Er wollte ja von Gott nicht beim Namen gerufen werden.
Schließlich hat er Gott verflucht.
Eine gründlichere Ablehnung Gottes kann es nicht geben.
Und Gott wird im Weiteren dafür sorgen, dass dieser Mann in Israel auch keinen Namen bekommt.
Denn dieser Mann wird keine Nachkommen haben.
Dieser Mann wird seinen Namen nicht an die nächste Generation weitergeben.
Es wird keinen Stammbaum geben, in dem sein Name für alle Zeit (mindestens aber bis zum Aussterben seiner Sippe) immer wieder erscheinen wird.
Von einem „ewigen Gedenken“ oder etwas ähnlichen kann keine Rede sein.
Der Name dieses Mannes ist aus der Geschichte Israels gelöscht.
Nur der Name seiner Verwandtschaft wird genannt, damit wir wissen, dass es diesen Menschen tatsächlich gegeben hat, der so etwas Unglaubliches getan hat.
Damit niemand auf die Idee kommt, die Geschichte sei frei erfunden.
Weil sie ja ziemlich absurd klingt.
Die bizarren Taten dieses Mannes sind für immer ins Gedächtnis Israels notiert.
Sein Name nicht.
Und damit er selbst nicht.
Totale Vernichtung. Ewiger Tod.
Ägypten exportieren
Diese ganze Geschichte über das Verhalten dieses Halbägypters ist sehr vielschichtig.
Eines, was deutlich wird, ist:
Gott hat sein Volk nicht aus Ägypten herausgeführt, damit man sich nun in der Wüste ägyptisch benimmt.
Gott wollte nicht ägyptisches Verhalten exportieren, sondern wollte sein Volk von ägyptischen Verhalten befreien.
Israel sollte nie wieder Sklave eines Ägypters sein, weder eines Ägypters qua Nationalität noch eines Ägypters qua Charakter.
Selbst wenn dieser „Ägypter“ ein Israeli war. Von den Pharaonen hatte Gott genug. So etwas brauchte man in Israel nicht.
Gott wollte ein neues Volk mit neuen Menschen schaffen. „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig“ sagte Gott u.a. in 3.Mose 19,2.
Und die Definition des neuen Menschen hing an der Verbindung mit Gott.
Wer aber in Israel lebte und den Gott und damit natürlich auch die Beziehung zu diesem Gott ablehnte, der war deplatziert.
Dieser namenlose junge Mann war einfach im falschen Film.
Darum hat man ihn aus dem Film entfernt.
Des kritischen Theologen Stolperstein
Selbstverständlich haben die aufgeklärten Wissenschaftler längst entdeckt, dass diese Geschichte von dem namenlose Mann gar nicht dahin gehört, wo sie jetzt steht.
Denn vorher geht es zuerst um die genauen Bestimmungen für den Sabbat und die großen Feste, dann gibt es lang und breit und bis ins kleinste Detail Vorschriften für die Schaubrote im Tempel und die dortigen Leuchter. Dann kommt diese unsere Geschichte, und danach folgen die Gesetze über Sabbatjahr und Jobeljahr, auch wieder in aller Genauigkeit und Ausführlichkeit.
Da haben diese klugen Leute natürlich sofort erkannt, dass eine Geschichte in einer solchen Gesetzessammlung gar nichts zu suchen hat und ganz bestimmt später aus Versehen eingefügt wurde.
Ja ja ja.
Vor dieser Geschichte geht es um die Schaubrote, und der letzte Vers vor dieser Geschichte lautet: 3.Mose 24,9
9 Und es soll Aaron und seinen Söhnen gehören, und sie sollen es an heiliger Stätte essen; denn als ein Hochheiliges von den Feueropfern des HERRN soll es ihm gehören: eine ewige Ordnung.
Soviel Heiligkeit in einem einzigen Satz!
Soviel Besonderheit Gottes!
Soviel Besonderheit derjenigen Menschen, die sich Gott nähern dürfen!
Soviel Elite, soviel Erlesenheit, soviel Erhabenheit, soviel Herausgehobensein!
Und sofort anschließend dieses Halbblut, das sich mit einem Israeliten prügelt und den Gott dieses Israeliten verflucht.
Was der Schriftsteller hier herausarbeiten wollte, war der Unterschied zwischen Hinz und Kunz und den von Gott berufenen Menschen.
Das Reich Gottes ist ein Ort der Heiligkeit, und der Mensch Gottes hat ein Mensch der Heiligkeit zu sein.
„Heiligt euch und seid heilig, denn ich bin heilig!“ sagte Gott in 3.Mose 11,44.
Das ist eine Frage der Identität: Wer bin ich?
Das ist eine Angelegenheit der Lebenshaltung: Wie stehe ich dem Leben und der Welt gegenüber?
Wenn ich morgens dem neuen Tag entgegentrete, was ist dann meine Einstellung?
Soviel sollte nach dieser Geschichte klar sein: ägyptischer Style ist falsch.
Ägyptisches Verhalten gehört nach Ägypten.
Ägyptisches Denken auch.