Genesis 08,20 bis 09,07 Noah allein zu Haus
Dieser Artikel behandelt die ersten Momente nach der Sintflut. Der Artikel erklärt, was Noah vorfand, als er die Arche verließ, und warum die ersten Anweisungen Gottes so lauteten, wie wir sie heute lesen.
Die Frage, die die Theologen sich gestellt hatten, war: Warum ist die Welt so, wie sie ist? Warum ist Gott so fern? Das ist doch sinnlos, einen Gott zu haben, der so weit weg ist.
Und darum erzählt die Bibel in ihren ersten Kapiteln die Geschichte, wie das ist, wenn Gott ganz nah bei den Menschen auf der Erde wohnt. Gott mit all seinen Eigenschaften, aber wohnhaft auf der Erde, nicht im Himmel. Immer noch allwissend und mächtig und voller Liebe, aber wohnhaft nicht im Himmel, wie wir das kennen, sondern auf der Erde.
Und so erzählte die Bibel uns zuerst, wie das im Garten Eden daneben gegangen ist mit der Schlange und den Bäumen. Schon damals wohnte Gott auf der Erde, und manchmal ging Gott eben auch in diesem Garten spazieren. „Bei der Kühle des Tages“, sagt Gen 3,8, woran wir schon sehen, dass hier irgendwas anders ist als wir es kennen.
Dann haben wir Kain und Abel, und die beiden brachten Gott ein Opfer. Aber sie benutzten dazu keinen Altar. Wozu auch, Gott war ja anwesend. Die Bibel sagt nicht, wo die beiden die Opfer hinbrachten und sie erklärt auch nicht, warum Abel scheinbar ein Opfer aus Fleisch bringen durfte, obwohl er doch Tiere eigentlich nicht hätte töten dürfen. Hat Abel die Tiere lebendig zu Gott gebracht? Wir wissen es nicht.
Aber wir wissen, dass Kain vertrieben wird, weg vom Angesicht Gottes. Das geht nur, wenn Gott auch auf der Erde wohnt. Wenn Gott im Himmel wohnt, kann man niemanden von Gottes Angesicht wegtreiben. Und dem Kain wurde der Ackerbau verboten. Der Ackerboden war ohnehin schon verflucht wegen Adam und Eva, aber für Kain verdoppelte sich der Fluch, er durfte überhaupt keinen Ackerbau mehr betreiben. Kain musste jetzt leben, als wäre er im Paradies, aber weil Gott weit weg war, war es kein Paradies.
Aber: Kain bekam auch nicht die Todesstrafe. Auch Menschen durften ihn nicht töten. Da wo Gott wohnt, kann es so etwas furchtbares nicht geben, zumindest nicht mit Zustimmung Gottes. Nach Noah ist die Todesstrafe auf Mord und Totschlag ein Muss. Bei Kain war sie eine Unmöglichkeit.
So alt!
Damals wurden die Menschen sehr alt. Methusalem ist uns als der Älteste bekannt, er lebte 7 Jahre länger als Jered, der 962 Jahre lebte. Allerdings zeugten die Männer ihr erstes Kind erst jenseits der 150 Jahre. Wir sehen also, dass wir eine gänzlich andere Welt vor uns haben als das, was wir heute kennen. Entweder waren die Jahre völlig anders, oder weil Gott ebenfalls auf der Erde war, darum war das Leben viel kräftiger als heute.
Dann haben die Söhne Gottes sich mit Menschen verheiratet, was zu Riesenbabys führte. Wir wissen nicht genau, wer diese Wesen waren, aber wir sollen wissen, dass sie mit Gott auf der Erde lebten. Vielleicht waren es die Engel, die heute im Himmel leben.
Auf jeden Fall hatte Gott ab diesem Moment genug von den Menschen. Vor allem: Von der Tatsache, Menschen in seiner direkten Nähe zu haben.
Da ist man der heilige Gott, man lebt auf der Erde mit den Menschen, und dann benehmen die sich erst im Garten so daneben, dass man sie rausschmeißen muss; dann ermorden sie ihren Bruder, so dass man sie ganz an das Ende der Erde schicken muss, weil man sie nicht in der Nähe haben kann; und neben aller weiteren Schlechtigkeit machen die sich dann noch an die Söhne Gottes ran und versuchen damit, mehr Göttlichkeit zu bekommen, aber nicht auf legalem Weg.
Der legale Weg, mehr zu werden wie Gott, wären Gehorsam oder Freundlichkeit oder Liebe oder Güte oder Anbetung. Jede dieser Methoden ist gut. Aber zu versuchen, an Göttlichkeit zu kommen, indem man sich an die Söhne Gottes ranmacht, das ist unzulässig.
Experiment gescheitert
Kurz gesagt: Das Experiment, dass Gott zusammen mit den Menschen auf der Erde lebte, war vollkommen daneben gegangen. Die Menschen waren zu schlecht, als dass Gott mit ihnen zusammen auf der Erde leben konnte.
Und jetzt kommt die Sintflut. Aber die Sintflut war nicht nur ein Hochwasser, welches die Sünder tötet. Sondern die Sintflut war die Beseitigung alles Lebens der bisherigen Schöpfungswelt und die Erschaffung einer zu 50% neuen Schöpfung, indem nämlich alles Lebendige vernichtet wurde.
Pflanzen galten für den Orientalen nicht als Lebewesen.
Die Beseitigung alles Lebens meint auch die Tiger. Obwohl die Tiger ja nichts gemacht hatten. Uns ist zumindest nichts darüber bekannt.
Die Beseitigung des Lebens meint auch die Beseitigung Gottes. Nach der Sintflut lebt Gott nicht mehr auf der Erde.
Wenn Noah jetzt aus der Arche steigt, findet er völlig neue Verhältnisse vor.
1.Mose 8,20
20 Und Noah baute dem HERRN einen Altar; und er nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar.
Noah steigt aus der Arche, und das erste, was er feststellt ist: Gott ist nicht mehr da.
Das führt dazu, dass Noah einen Altar baut. Den ersten Altar der Weltgeschichte.
Der Altar bringt das Opfer in Richtung auf Gott, nämlich nach oben. Bisher war Gott aber nicht oben.
Jetzt ist er oben, ab jetzt werden Opfer immer aus der erhöhten Position dargebracht.
Nun ist die Frage: Warum bringt Noah hier ein Opfer für Gott dar?
Der unbedarfte Leser würde natürlich sagen: Aus Dankbarkeit für seine Rettung. Aber das ist unzutreffend, denn es passt nicht mit Gottes Antwort auf dieses Opfer zusammen.
Denn die Antwort Gottes auf dieses erste Opfer auf dem ersten Altar der Weltgeschichte ist nicht, dass Gott sagt: „Ach, das ist ja schön, dass der Noah sich bedankt. Dann werde ich ab jetzt keine weitere Sintflut mehr schicken.“
21 Und der HERR roch den wohlgefälligen Geruch, und der HERR sprach in seinem Herzen: Nicht noch einmal will ich den Erdboden verfluchen wegen des Menschen; denn das Sinnen des menschlichen Herzens ist böse von seiner Jugend an; und nicht noch einmal will ich alles Lebendige schlagen, wie ich getan habe.
Das ist natürlich eine tolle Begründung:
Vor der Flut hat es geheißen: Ich werde alles Leben vernichten, denn der Mensch ist böse von Jugend auf.
Und jetzt heißt es: Ich werde die Menschen nicht mehr vernichten, denn der Mensch ist böse von Jugend auf.
Das ist Logik pur.
Aber was ist, wenn Noah Gott auf der Erde so sehr vermisst? Dass Opfer von Noah mag auch Dankbarkeit beinhalten, aber wenn es nun auch eine Bitte ist, dass Gott die Beziehung nicht abbrechen möge? Dass Gott, obwohl er jetzt weg ist, doch irgendwie da bleibt? Dass er Noahs und der Menschen Gott bleibt?
Was, wenn Noah sieht, dass alle Menschen weg sind, und er weiß, dass er im Grunde seines Herzens auch nicht besser ist, und nun Gott bittet, dass Gott mit ihm selbst gnädig ist? Oder noch größer ausgedrückt: Dass nun eine Zeit der Gnade mit den unbrauchbaren Herzen der Menschen beginnt?
Wenn der Sinn von Noahs Opfer tatsächlich die Bitte ist, dass Gott das nicht noch einmal macht und dass Gott sich wieder zuwendet, dann ist die Reaktion von Gott verständlich. Und dann versteht man auch Gottes Weggehen: Die Lösung des Problems muss Gott durch sein eigenes Verhalten herbeiführen.
Vom Menschen ist die Lösung des Problems, dass der Mensch böse ist und Gott nicht in dessen Nähe leben kann, nicht zu erwarten.
Der Mensch wird sich nicht ändern. Wenn, dann muss Gott sich ändern.
Dass Gott weggegangen ist, ist also letztlich die Rettung des Noahs und von uns allen. Da Gott jetzt weit entfernt von den Menschen lebt, braucht er die sündigen Menschen nicht mehr zu vernichten. Solange Gott im Himmel wohnt, können die Geschehnisse auf der Erde seine Heiligkeit nicht beeinflussen.
Und ganz nebenbei erwähnt: Der Rest der biblischen Geschichte ist eigentlich nur die Erzählung davon, wie Gott zurück auf die Erde und zu den Menschen kommt.
Der Einfluss der Sonne
Jetzt kommt dann noch der schönste Satz von allen:
22 Von nun an, alle Tage der Erde, sollen nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.
Aha. Von nun an. Und was war vorher?
Oder sind durch das Hochwasser Tag und Nacht und Sommer und Winter durcheinander gekommen?
Kann aber eigentlich nicht sein, denn Tag und Nacht und Sommer und Winter werden von der Sonne beeinflusst, und durch ein Hochwasser wird ja die Sonne nicht manipuliert oder gestört.
Dieser Satz mit den strukturierten Zeiten des Tages und des Jahres heißt also vermutlich nur: vor der Sintflut war die Zeit irgendwie anders. Vielleicht war vorher immer Tag, immer Sommer und immer warm. Adam und Eva waren beide nackt, da müssen wir vermutlich 30 Grad im Schatten voraussetzen, und nachts durfte es nicht kalt werden. Falls es überhaupt Nächte gab.
Wir haben also mit der Sintflut nicht einfach nur ein Hochwasser, das alle Bösen ersäuft, sondern wir haben den Beginn einer neuen Schöpfung.
Die neue Schöpfung
Der Teil der Schöpfung, der sich als tauglich erwiesen hat, wie die Steine und Bäume und die Naturelemente, sind geblieben, und der Teil, der sich als unbrauchbar erwiesen hat, wurde verändert. Die Menschen und Tiere, die in dieser neuen Schöpfung leben, sind immer noch die gleichen, aber die Umstände sind völlig anders.
Und darum kommen jetzt völlig neue Anweisungen für eine völlig neue Zeit.
9:1 Und Gott segnete Noah und seine Söhne und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, und vermehrt euch, und füllt die Erde!
Das ist natürlich genau das Gleiche, was Gott auch schon zu den beiden ersten Menschen gesagt hat, deren Namen wir allerdings nicht kennen. Die Menschen im ersten Schöpfungsbericht haben keine Namen. 1.Mose 1,28
28 Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, und füllt die Erde, und macht sie <euch> untertan; und herrscht über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf der Erde regen!
Wobei das allerdings komisch ist: Gerade hat Gott die Menschen alle vernichtet, und jetzt sollen die sich wieder vermehren!
Einladung zum Grillen
Kommen wir nun zur Abschaffung des Vegetarismus:
2 Und Furcht und Schrecken vor euch sei auf allen Tieren der Erde und auf allen Vögeln des Himmels! Mit allem, was sich auf dem Erdboden regt, mit allen Fischen des Meeres sind sie in eure Hände gegeben.
3 Alles, was sich regt, was da lebt, soll euch zur Speise sein; wie das grüne Kraut gebe ich es euch alles.
Dass der Mensch der Chef der Schöpfung sein soll, hatten wir schon als Befehl im ersten Schöpfungsbericht.
Aber jetzt wird es richtig brutal.
Hier wird das heute noch geltende System installiert, dass Leben nur durch die Zerstörung anderen Lebens erhalten werden kann.
Und der Mensch ist der oberste in diesem brutalen System. Seine Macht ist nicht mehr durch Gottes Anwesenheit begrenzt. Die Atmosphäre, die früher durch Gottes Anwesenheit in der Welt war, die gibt es nicht mehr. Gott ist weg, und der Mensch hat die Macht.
Obwohl: nicht ganz.
4 Nur Fleisch mit seiner Seele, seinem Blut, sollt ihr nicht essen!
Die äußere Erscheinungsform des Lebens stand den Menschen also zur Verfügung, aber das Wesen des Lebens oder „das Leben an sich“ stand ihnen nach wie vor nicht zu.
Bei gewissen Opfern im Gesetz wird das Blut des Tieres an den Altar gegossen. Denn das Leben im engsten Sinn steht nach wie vor Gott zu. Es ist Gottes unantastbares, souveränes Gebiet.
Die Todesstrafe
Nun noch eine Bestimmung darüber, was mit Menschenblut geschehen soll. Und Kain kann im Grunde genommen froh sein, dass er vor der Sintflut gelebt hat, denn hinterher wäre er nicht so glimpflich davon gekommen.
5 Jedoch euer eigenes Blut werde ich einfordern; von jedem Tiere werde ich es einfordern, und von der Hand des Menschen, von der Hand eines jeden, nämlich seines Bruders, werde ich die Seele des Menschen einfordern.
6 Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll durch Menschen vergossen werden; denn nach dem Bilde Gottes hat er den Menschen gemacht.
Da Gott nicht mehr da ist, um sich um die extremen Straftaten zu kümmern, ist jetzt der Mensch dafür zuständig. Der Mensch ist jetzt verantwortlich für die Erde, der Mensch ist Stellvertreter Gottes.
Gott fordert das Blut des Mörders, aber der Mensch muss diese Strafe ausführen, denn Gott ist nicht mehr da. Überhaupt ist die Todesstrafe erst jetzt möglich und erst jetzt auch vorgeschrieben. Bei Kain war sie noch verboten.
Seit der Sintflut haben diese Zustände sich nicht geändert. Die irdische Todesstrafe ist zwar (zumindest von Gott her) abgeschafft, aber der Mensch ist immer noch derjenige, der den Willen Gottes auf der Erde umsetzen muss.
Nach wie vor sind wir Licht der Welt, Salz der Erde, Priester und Könige. Wenn Gottes Wille getan werden soll, muss er durch uns getan werden, oder er wird überhaupt nicht getan.
Die 8-Milliarden-Frage
7 Ihr nun, seid fruchtbar, und vermehrt euch, wimmelt auf der Erde, und vermehrt euch auf ihr!
Das klingt jetzt natürlich etwas übertrieben. Erstens stand das Gleiche schon in Vers 1, zweitens steht hier 4x, dass der Mensch sich vermehren soll.
Aber so wie der Mensch dadurch geadelt wurde, dass er Ebenbild Gottes wurde, so wird nun die Erde dadurch geadelt, dass der Mensch auf ihr lebt. Gott selber ist nicht mehr da, der ist jetzt im Himmel. Aber im Menschen oder durch den Menschen ist Gott dann eben doch da, also man könnte sagen: Durch den Menschen, insbesondere durch den gläubigen Menschen, wird die Welt gottisiert.
Fazit
Was wir hier im Endergebnis haben, ist der Verlust der Unmittelbarkeit Gottes.
Und was wir im Neuen Testament haben, ist der Anfang davon, dieses wieder rückgängig zu machen.
Dass Gott nicht mehr unmittelbar mit den Menschen umgehen konnte und wollte, war nachvollziehbar und logisch. Die Menschen waren in ihrer Veranlagung zu schlecht, als dass der heilige Gott in ihrer direkten Nähe leben konnte.
(Diese schlechte Veranlagung des Menschen war aber kein Fehler, den Gott in der Konstruktion gemacht hatte. Sie war die Folge davon, dass der Mensch als entscheidungsfähiges Wesen erschaffen worden war.)
Mit Jesus ist nun die Unmittelbarkeit Gottes wieder auf die Erde zurückgekehrt. Jesus war eben auch ganzer Gott, und die Herrlichkeit Gottes ist mit ihm auf die Erde zurückgekehrt.
Als Jesus nun starb, ist diese schöne Zeit aber nicht zuende gegangen, und nun sitzen wir wieder da und haben einen entfernten Gott, der im Himmel wohnt.
Sondern wir haben jetzt eine Mischform zwischen dem, was vor der Sintflut war und dem, was in den Jahrhunderten danach war:
Wir sind, wie die Menschen des Alten Bundes, Gottes Stellvertreter auf der Erde.
Wir haben den Willen Gottes zu tun, weil er ansonsten nicht stattfinden würde.
Wir haben die Welt mit Gott zu infizieren. Wenn wir nicht Gott in diese Welt hineinbringen, bleibt er draußen.
Für die Ungläubigen ist Gott also immer noch ein mittelbarer Gott. Für sie ist Gott immer noch weit entfernt.
Aber für die Gläubigen – also für diejenigen, die den Status von Noahs Vorgängern überwunden haben – also diejenigen, deren Sünden vergeben sind und die darum von Gott als makellos und fleckenfrei angesehen werden und vor denen Gott darum nicht mehr weglaufen muss – für diejenigen ist die Unmittelbarkeit Gottes wieder hergestellt.
Das ist der Sinn des Heiligen Geistes.
Das ist das, mit dem Jesus dafür gesorgt hat, dass die Unmittelbarkeit Gottes, die man mit Jesu Anwesenheit ja kurzfristig hatte, dass die mit seinem Tod nicht wieder verloren geht.
Der Grund aber dafür, dass wir das heute haben und dass wir in der Zukunft noch eine ganz andere Existenzform haben werden, in der wir Gott in noch viel unmittelbarerer Unmittelbarkeit erleben werden, der liegt in der Sintflut begründet.