Genesis 36 Edom oder Segen oder was?

Es geht heute um ein Kapitel in der Bibel, das wahrscheinlich noch niemand von Ihnen vollständig gelesen hat. Darum gibt es jetzt diesen Artikel darüber.

Das Kapitel steht im Buch Genesis, nachdem Jakob wieder aus dem Zweistromland zurückgekehrt war und nun wieder in Palästina wohnte.

Und das Kapitel steht vor der Geschichte, wo Josef nach Ägypten verkauft wurde und die 400 Jahre in Ägypten eingeleitet wurden.

Und an dieser Stelle kommt nun ein langes Kapitel nur über Esau. 1.Mose 36,1

1  Und dies ist die Generationenfolge Esaus, das ist Edom.

Dann kommt als erster Abschnitt eine genaue Beschreibung der Frauen Esaus und die Benennung der Söhne, die diese zur Welt gebracht haben.

Danach wird berichtet, dass Esau mit eben diesen Frauen und den genannten Söhnen und den Töchtern und allem seinem Hab und Gut ins Gebirge Seir ausgewandert ist, zu den Horitern, von denen er auch eine Fürstentochter geheiratet hatte.

Dieser Abschnitt endet so: 1.Mose 36,8

8 So ließ sich Esau auf dem Gebirge Seïr nieder; Esau, das ist Edom.

Im nächsten Abschnitt kommen alle Enkel von Esau. 1.Mose 36,9-14

9 Dies ist die Generationenfolge Esaus, des Vaters von Edom, auf dem Gebirge Seïr. Genesis 36

Und nachdem alle Enkel vollständig aufgezählt sind, kommt eine neue Liste, und die nimmt aus allen Enkeln von Esau diejenigen heraus, die von den Hauptfrauen geboren wurden, denn diese werden jetzt als Fürsten vorgestellt.

Und, oh Wunder, es sind genau 12 Fürsten. So wie Jakob 12 Söhne hatte, die zu Gründungsvätern von Stämmen wurden, so hat auch Esau 12 erbberechtigte Nachkommen, die zu Stammesfürsten wurden.

Und dieser Abschnitt über die 12 Fürsten endet feierlich mit 1.Mose 36,19

19 Das sind die Söhne Esaus und das ihre Fürsten; das ist Edom.

Nun hat ja irgendwer dieses Buch Genesis geschrieben.

Irgendwer hat sich mal hingesetzt und hat seinen Laptop aufgeklappt und hat gesagt: „Ich schreibe jetzt mal auf, was Gott eigentlich so gemacht hat, bevor er sich auf Israel als Staat und als befreites Volk konzentriert hat.“

Und dieser Autor hat sich mit Sicherheit überlegt, was er schreiben wollte. Wenn man ein Buch schreibt, muss man sich ja vorher Gedanken machen, wovon es handeln soll und wie ausführlich es sein soll und was man mit dem Buch überhaupt erreichen will.

Und entsprechend musste der Autor entscheiden, was er wegließ. Und was er in das Buch aufnahm. Je nachdem, was seine Absicht mit dem Buch war, nahm er Stoff auf oder ließ Stoff weg, der für die Absicht des Buches nicht notwendig war.

Und der Autor hat sich entschieden, ein ausführliches Kapitel über Esau und seine Nachkommen in das Buch reinzuschreiben.

Damit schreibt er aber im Grunde über Leute, die uns gar nicht so wirklich interessieren. Esau hat sein Erstgeburtsrecht verkauft und seinen Segen an Jakob verloren, also für die weitere Geschichte Gottes mit der Welt ist er uninteressant. Er spielt keine Rolle mehr.

In der Bibel kommen die Edomiter später immer mal wieder vor, aber eher, weil sie Nachbarvolk von Israel sind. Man hat eine gemeinsame Grenze und manchmal sogar einen gemeinsamen Feind. Der letzte Edomiter, der uns begegnet, ist Herodes der Große und seine Nachkommen.

Und weiter geht es mit den Listen, jetzt mit den ursprünglichen Bewohnern von Edom, weil Esau nämlich in die Fürstenfamilie des Landes eingeheiratet hat. 1.Mose 36,20

20 Dies sind die Söhne des Horiters Seïr, die Bewohner des Landes: Lotan, Schobal, Zibon und Ana, 

21 Dischon und Ezer und Dischan. Das sind die Fürsten der Horiter, Söhne Seïrs, im Land Edom. 

Und dann werden die Familien dieser Fürsten lang und breit entwickelt, damit man genau sehen kann, an welcher Stelle Esau da eingeheiratet hat.

Die Liste ist noch immer nicht fertig, denn jetzt kommen die Könige. 1.Mose 36,31

31 Und dies sind die Könige, die im Land Edom herrschten, bevor ein König über die Söhne Israel regierte: 

Es folgt nun eine lange Liste der Könige von Edom, die bis in die Zeit Davids reicht. Weiter reicht sie nicht, denn David hat mit dem Königtum in Edom ein Ende gemacht und hat dort Statthalter eingesetzt.

Aber es wird extra betont: lange, bevor es in Israel eine Staatenbildung gab und damit auch einen gemeinsamen König, war Edom längst ein ordentlich organisiertes Gemeinwesen.

Ganz nebenbei sieht man hier auch, wann der Autor seinen Laptop aufgeklappt hat und das Buch Genesis geschrieben hat. Nämlich vermutlich an die 800 Jahre, nachdem Esau ins Gebirge Seir ausgewandert ist. Der Autor kannte nämlich noch die edomitischen Könige, mit denen David zu tun hatte.

Und zu guter Letzt wird nun noch gezeigt, dass die Stammesfürsten in Edom genauso ein eigenes Gebiet besaßen wie die israelitischen Stämme. 1.Mose 36,40-43

40 Und dies sind die Namen der Fürsten Esaus, nach ihren Sippen, nach ihren Ortschaften, mit ihren Namen: der Fürst Timna, der Fürst Alwa, der Fürst Jetet, 

 41 der Fürst Oholibama, der Fürst Ela, der Fürst Pinon, 

 42 der Fürst Kenas, der Fürst Teman, der Fürst Mibzar, 

 43 der Fürst Magdiël, der Fürst Iram. Das sind die Fürsten von Edom nach ihren Wohnsitzen, im Land ihres Eigentums. Das ist Esau, der Vater Edoms.

Jetzt ist die Liste endlich zuende, und sie ist feierlich und voller Stolz.

Wir haben Patriarchen, wir haben Fürsten, wir haben Könige, alles geordnet und gradlinig, ein funktionierendes Gemeinwesen, ein mächtiger Staat.

Und die Horiter spielen zum Schluss gar keine Rolle mehr. Esau und seine Nachkommen haben Land und Volk geschluckt.

Vergleich zur Geschichte Israels

In den beiden Kapiteln vor diesem Kapitel 36 hatte der Leser die Schande und den Niedergang des Hauses Jakob miterlebt:

  • Dina und der Massenmord in Sichem,
  • Ruben hat sich Bilha, die Nebenfrau von Jakob gegriffen,
  • und Gott musste Jakob erst auffordern, in Bethel ein Gotteshaus zu bauen, obwohl Jakob das schon vor Jahrzehnten versprochen hatte.

Und dann kommt als Gegenpol diese Geschichte Edoms, die so erzählt wird, als wenn es dort keine Niederlage und keine Schande gegeben hätte.

Anschließend bringt der Autor den Verkauf von Josef nach Ägypten, den Gefängnisaufenthalt von Josef in Ägypten, die Hungersnot in Kanaan und den Anfang der 400jährigen Versklavung des Volkes am Nil. Im Großen und Ganzen Gemeinheit, Intrige und Niederlage.

Und der Leser weiß natürlich auch, wie es mit Israel weitergeht: Während man in Edom Könige hat und Fürsten mit genau definierten Zuständigkeitsbereichen und schon eine Form der Staatenbildung mit einem König, irrt Israel erst durch die Wüste und versucht dann eine Landnahme, die nur zum Teil gelingt, es gibt Neid und Eifersucht zwischen den Stämmen, und in der Richterzeit bestand das Ganze größtenteils aus Orientierungslosigkeit, Chaos und Missgeschicken.

Ich wiederhole nochmal die Frage: Der Typ, der irgendwann nach David dieses Buch Genesis geschrieben hat, was hat der sich dabei gedacht?

Warum hat er mitten in die irgendwie beklagenswerte Geschichte des entstehenden Israels die stolze und erfolgreiche Geschichte ausgerechnet des Volkes geschrieben, das ja den Segen nicht hatte und auch nicht hatte haben wollen? Und ihn übrigens nach Gottes Plan auch gar nicht haben sollte?

Die Frage nach dem Segen

Vielleicht muss man an der Stelle mal fragen: Was ist eigentlich Segen?

Der Autor dieses Buches stellt ganz klar die Edomiter als die gesegneteren dar.

Die Nachkommen Jakobs, die eigentlich den Segen Abrahams geerbt haben, sitzen fast ständig in Elend und in Schwierigkeiten. Die Geschichte Israels bis David ist eine Geschichte von Unfähigkeit und Niedrigkeit, und nach David ist es bald wieder genauso.

Aber warum stellt der Autor dieses Buch das so dar?

1.Mose 36Und er stellt es so dar. Die Beschreibung des Autors ist nicht historisch wahr. Denn auch bei den Edomitern wird es Ärger, Schande und Schwierigkeiten gegeben haben, auch die Edomiter hatten Feinde und Konkurrenten und Ehebruch und Unterdrückung und Neid.

Aber die Nöte und Probleme der Edomiter lässt der Autor weg und schreibt eine Erfolgsgeschichte auf, die ganz im Gegensatz zur Geschichte Israels steht.

Was ist nun bitte Segen?

Auch die Pharisäer dachten ja, Segen sei das, was die Edomiter haben. Siegreich, erfolgreich, ordentlich und ungestört.

Und die Pharisäer waren konfrontiert mit Jesus, der sagte, die Sanftmütigen werden das Land besitzen, was aller Erfahrung nach die Falschen sind, denn im Normalfall besitzen die Starken und die Mächtigen und die Durchsetzungsfähigen das Land.

Und Jesus wurde gekreuzigt, und die Israeliten hatten 400 Jahre Knechtschaft in Ägypten.

Und während Jesu Kreuzigung jeder gesehen hat, wurde die Auferstehung nur von Gläubigen gesehen, von Insidern. Wo man sagen könnte: „Ein Triumph, ein siegreicher, ein vorzeigbarer!“ da war das nicht zu sehen.

Was ist nun eigentlich Segen?

Gesegnet ist nach der Bibel derjenige, der zu Gott gehört.

Der Gott kennt.

Früher hätte man gesagt: „Der Gott hat.“

Weltlich würde man sagen, gesegnet ist, wer gesund ist und ein finanzielles Auskommen hat und in irgendeiner Hinsicht Grund zum Glücklichsein hat. Gesegnet nach weltlicher Sichtweise wäre der reiche Kornbauer oder derjenige, dem der Hinterhof gehört, wo Lazarus das Essen aus dem Müll gesammelt hat.

Gesegnet nach weltlicher Sicht sind die Herodesse.

Oder eben die Edomiter.

Es ist ein großer Unterschied zwischen den Israeliten und den Edomitern. Und derjenige, der das erste Buch Mose geschrieben hat, beschreibt den offensichtlichen Unterschied, damit man den fast unsichtbaren Unterschied erkennt:

Die Israeliten hatten Gott, sie gehörten zu Gott.

Die Gläubigen sind Teil einer Geschichte. Sowohl einer literarischen Geschichte als auch einer historischen: Der Geschichte Gottes mit der Welt. Und dabei handelt es sich um eine Geschichte, die ein Ziel hat. Die wohin will. Und wir sind dabei. Wir sind Teil davon. Und weil wir Teil dieser Geschichte sind, werden wir auch Teil des Ziels sein. Teil der Erfüllung.

Darum nannte man Israel auch „das Volk der Verheißung“. Weil sie dazu verdonnert waren, auf etwas zu warten. Während die Edomiter nichts zu erwarten hatten. Was sie hatten, das hatten sie, und ob die Zukunft noch irgendwas mit ihnen vorhatte, war Schicksal oder Zufall und letztendlich völlig egal.

Von Esau sagt Paulus später, Gott habe ihn gehasst. Gut, das hat Paulus nicht erfunden, sondern er hat es von Maleachi (Mal 1,3+ Römer 9:13). Der Mensch, der das Buch Genesis geschrieben hat, hat die Geschichte der Edomiter hineingeschrieben, damit seine Leser zwischen scheinbarem Segen und tatsächlichen Segen unterscheiden lernten.

Wirklicher Segen ist nicht Gesundheit und Geld und Wohlergehen und politischer Friede.

Wirklicher Segen ist es, von Gott geliebt zu sein und von Gott als Gegenüber anerkannt zu sein.

Wirklicher Segen ist es, mitmachen zu dürfen bei Gottes Geschichte.

Gott zu kennen, das ist Segen.