Exodus 20,5 - mein Beileid an Ihre Enkel

Falls Sie gedacht haben sollten, das Karma sei eine moderne Erfindung, dann können die 10 Gebote Sie eines Besseren belehren. Denn das zweite Gebot hat folgende Verheißung: Exodus 20,5

Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott, der die Schuld der Väter heimsucht an den Kindern, an der dritten und vierten Generation von denen, die mich hassen,

Dieses wunderbare Versprechen ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass Gott als Vorlage für seine Gebote die gesellschaftlichen Regeln der entsprechenden Zeit nimmt.

Denn möglicherweise haben Sie schon gemerkt, dass Hesekiel, Jeremia, Paulus und Jesus diese herzerwärmende Ankündigung für null und nichtig erklärt haben.

Obwohl sie im Gesetz des Mose steht, und da an zentraler Stelle.

Allerdings steht das nicht aus Versehen in den 10 Geboten. Sondern es gibt mehrere Gründe für diesen schönen Satz.

1. Grund: Gerechtigkeit

Seitdem die Menschen abstrakt denken können, haben sie gemerkt, dass das Leben ungerecht ist. Dass die einen auf der Sonnenseite geboren werden und die anderen im Schatten. Dass die einen das Glück gepachtet haben und die anderen das Unglück.

Da die alten Gesellschaften (und die meisten modernen auch) durch und durch religiös waren und infolgedessen von der Existenz eines Gottes (oder zumindest einer allmächtigen Gerechtigkeit) ausgingen, mussten die Menschen sich etwas einfallen lassen.

Denn ein Gott, egal welcher, wird als gerecht angesehen.

(Außer es handelt sich um einen lächerlichen Einzeller von Naturgott. Solche sind oft einfach nur despotisch und unberechenbar. Aber etwas komplexere und anspruchsvollere Gottheiten mussten gerecht sein.)

Denn wenn ein Gott nicht gerecht ist und für Gerechtigkeit sorgt, wofür braucht man ihn als menschliche Gesellschaft dann? Ungerecht ist die Welt, das Leben und Tante Gertrud von alleine.

Da sich eine solche Gerechtigkeit aber ganz offensichtlich vor unseren menschlichen Augen nicht zeigt, darum sind die Menschen immer davon ausgegangen, dass diese Gerechtigkeit in einem Bereich durchgesetzt wird, wo wir sie nicht eindeutig erkennen können:

·         In der Reinkarnation – wer als Mensch schlecht gelebt hat, wird als Pinguin wiedergeboren.

·         In Himmel und Hölle – die ausgleichende Gerechtigkeit geschieht nach dem Tod in irgend einer Art von Ewigkeit.

·         In der Generationenfolge – den Lohn für mein Verhalten bekommen meine Nachkommen.

Mit all diesen Ideen wird dafür gesorgt, dass der jeweilige Gott gerecht ist und deshalb auch zu Recht angebetet und verehrt wird.

2.Grund: Rechtsempfinden

Das Rechtsempfinden der alten Gesellschaften war so, dass Schuld immer vererbt wird. Denn Schuld war nie die Schuld des Einzelnen, sondern immer auch Schuld der Sippe oder des Dorfes. Eine rein individuelle Schuld gab es nicht.

Der Gedanke, dass die Schuld mit dem Tod des Täters aus der Welt ist, war für die Menschen undenkbar, da es ihrem Gerechtigkeitsempfinden zuwider lief.

In der Bibel finden Sie diese Übertragung der Schuld auf alle Mitglieder der Sippe an vielen Stellen. Teilweise zeitnah, teilweise über Jahrzehnte verzogen.

·         In Josua 7,26 wird Achans gesamte Familie gesteinigt, weil er von der Beute genommen hat.

·         In Numeri 16,32 werden alle Menschen, die zu Korach gehörten, von der Erde verschlungen, nachdem er mit einigen anderen einen Aufstand gewagt hatte.

·         In 2.Samuel 21 werden 7 Söhne Sauls auf Verlangen der Gibeoniter hingerichtet, weil Saul – der zu diesem Zeitpunkt lange tot war - versucht hatte, die Gibeoniter auszurotten, obwohl sie einen Vertrag auf Koexistenz hatten.

Und obwohl wir heute sagen würden, dass Gott so etwas doch nicht gutheißen kann, dass der unschuldige Angehörige für die Schuld seiner Vorfahren leiden muss, hat sich Gott  diesem Rechtsempfinden angeschlossen. Ja, er hat es sogar unterstützt.

Denn wenn Gott als ein gerechter Gott verstanden werden wollte, dann musste er sich nach dem Empfinden für Gerechtigkeit richten, das unter den Menschen zu diesem Zeitpunkt herrschte.

Somit steht die Vererbung der Schuld (oder sie Sippenhaftung) im zweiten Gebot, weil sie in der damaligen Gesellschaft alternativlos war. Rein individuelle Schuld war nicht denkbar.

Was machen Hesekiel und Jeremia?

Hesekiel und Jeremia haben um das Jahr 600 herum geweissagt. Da war das Gesetz nahezu 800 Jahre alt. (Hesekiel erklärt die Vererbung des Bösen in Kapitel 18 für ungültig, Jeremia in Kapitel 31 Verse 29 + 30.)

Zu diesem Zeitpunkt gab es funktionierende staatliche Strukturen – auch wenn es gerade dabei war, die Struktur der Babylonier zu werden und nicht mehr der Israeliten. Als dann die Deportationen begannen, verlor die Sippe nochmal an Bedeutung, weil die Verbände teilweise auseinander gerissen wurden.

Zudem hatte man nun 800 Jahre Erfahrung mit diesem Gott. Man wusste, wo man mit ihm dran war, und es gab jetzt eine Entscheidungsgrundlage für die Frage, ob man nicht freiwillig bei diesem Gott bleiben und ihn anbeten sollte. Götzendienst mit vererbbarer Schuld zu bedrohen, war nicht mehr zielführend.

Somit konnte Gott jetzt damit beginnen, das einzuführen, was besser war als das vorherige. Eine persönliche Beziehung zu Gott, die dann natürlich auch von persönlicher Verantwortung begleitet war.

Hesekiel und Jeremia berichtigen also nicht die Fehler des Mose, sondern sie passen Gottes Wort an die veränderte Wirklichkeit an.

Ach, es war so praktisch!

Man hätte denken können, dass die Bevölkerung jetzt in der Lage wäre, diesen Denkschritt mitzugehen.

Aber die Bevölkerung hielt an ihrer Meinung fest: „Von irgend woher muss das Unglück doch kommen!“

Weil man von einem gerechten Gott eine gerechte Verteilung der Chancen im Leben erwartete.

Und so konnten die Apostel fragen Johannes 9,2

2Und seine Jünger fragten ihn und sagten: Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren wurde?

Die Behinderung muss doch eine Ursache haben!

Und ja, ein bisschen Hesekiel haben die Apostel in ihrer Frage drin. Immerhin fragen sie auch, ob der Blinde selber eventuell gesündigt hat. (Wobei diese Frage ein bisschen seltsam ist: Dann hätte Gott den Blinden in Vorgriff auf seine zu erwartenden Sünden blind zur Welt kommen lassen.)

Sehr mutig waren diejenigen, welche die Kreuzigung von Jesus verlangten. Sie waren so sicher, dass die Kreuzigung angemessen war, dass sie folgendes anboten (damit Pilatus keine Schuld träfe und er Jesus verurteilen kann, ohne etwas befürchten zu müssen) Matthäus 27,25

25Und das ganze Volk antwortete und sprach: Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!

Offenbar hatte man nicht mitbekommen, dass Gott aus diesem Zug längst ausgestiegen war. 

Schlusswort

Mit der Strafandrohung über Generationen hinweg haben wir ein typisches Beispiel dafür, wie Gott seinen Willen immer wieder an den Kontext des Zeitgeistes und der Einsichtsfähigkeit der Menschen angleicht.

Dabei ist Gottes Wille immer „besser“ als der Zeitgeist. Gott fordert die Gläubigen immer heraus, die philosophisch, ethisch und moralisch Besten ihrer Generation zu sein.

Die Maßstäbe für dieses „besser“ sind Werte, die auch der natürliche Mensch in seinen hellen Momenten als die besten anerkennen würde: Gerechtigkeit, Wahrheit, Freiheit, Liebe, Hoffnung, Güte. (OK, ich hätte hier auch die Frucht des Geistes hinschreiben können.)

Im Grunde könnte man die Werte der zeitgenössischen Philosophie nehmen und 20% draufschlagen. Oder 30%. Dann hätte man, was man von Christen erwarten kann.

Denn im Gegensatz zu den Philosophen haben wir einen Gott hinter uns, der das Böse besiegt hat und der uns durch den Heiligen Geist zu übernatürlichem Handeln befähigt hat.

Damit ist dann aber auch das Problem beschrieben, über das in den Gemeinden seit Jahrzehnten am heftigsten gestritten wird: Sex vor der Ehe, Ehescheidung, Homosexualität. Denn wenn der Wille Gottes sich immer so anpasst, dass die höchsten ethischen Werte erreicht werden können, dann könnte es ja sein, dass der Wille Gottes sich auch in diesen Dingen angepasst hat, um mehr Liebe, mehr Gerechtigkeit, mehr Freiheit und mehr Barmherzigkeit zu erreichen.

Dieser Artikel diskutiert das aber nicht abschließend, denn er ist genau hier zu Ende.