Psalm 111 - keine Ausnahme für niemanden!
Klingt nach nichts, dieser Psalm.
Eine beliebige Aneinanderreihung frommer Aussagen.
Teilweise sogar recht öde, denn das Wort „ewig“ kommt in jeder zweiten Zeile vor. Man rätselt über die Phantasielosigkeit des Autors.
Darum mache ich es jetzt auch andersrum als man es erwarten würde: Ich entwickele den Psalm nicht Stück für Stück, sondern ich sage Ihnen die Aussage des Psalms, und dann zeige ich anhand des Textes, wo diese Aussage steckt.
Der Autor hat den Text nämlich nicht aus Langeweile geschrieben oder weil er einen religiösen Fülltext für den Gottesdienst brauchte.
Sondern weil er eine Aussage machen wollte, die sich gewaschen hat.
Und diese Aussage lautet:
Es gibt keine Ausnahme. Niemals. Für niemanden.
Wir schaffen Gesetze
Eine der wichtigsten Aussagen dieses Psalms bezieht sich darauf, wie Gott neue Gesetz, Regeln oder Gebote erschafft.
Er tut es nämlich auch, indem er handelt.
Vermutlich war ihnen die Methode, einen Text zu diktieren und dadurch ein Gesetz zu schaffen, schon bekannt. Ein Teil des mosaischen Gesetzes ist dadurch entstanden, dass Gott den Text für das Gesetz diktiert hat.
Mindestens genau so wichtig, wenn nicht noch wichtiger, ist aber die Methode, dass Gott eine einzige Handlung vornimmt, und durch diese Handlung entsteht automatisch ein ewiges und für alle Betroffenen gültiges Gesetz.
Der Psalm beschreibt das in den Versen 4, 8 und 9.
In Vers 4 sagt der Autor, dass Gott dafür gesorgt hat, dass seine Wunder auch lange nach deren Realisierung noch erwähnt werden.
Das ist deshalb so, weil jedes dieser Wunder automatisch eine für immer gültige Regel schafft.
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Weil Gott die Israeliten einmal aus der Unterdrückung durch den Pharao befreit hat, heißt das, dass Gott sein Volk immer bis in alle Ewigkeit aus der Hand seiner Unterdrücker befreien wird. Diese Regel zieht sich seit jenem Moment bis heute durch die Weltgeschichte und hat mit Jesus ihren methodischen Höhepunkt gefunden.
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Weil Gott den Israeliten einmal Manna, Wachteln und Wasser besorgt hat, wird Gott seine Leute für alle Ewigkeit mit der lebensnotwendigen Nahrung versorgen. Das zieht sich durch bis zu Jesus: „Sorgt euch nicht darum, was ihr essen oder trinken werdet“.
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Weil Gott einmal die Sünde in aller Deutlichkeit bestraft hat (z.B. bei Adam und Eva), darum wird Gott die Sünde bis ans Ende der Zeit mit allem Nachdruck bekämpfen und bestrafen. Dass Jesus diese Strafe auf sich genommen hat, bestätigt die andauernde Gültigkeit dieses Gesetzes.
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Weil Abraham einmal durch Glauben bei Gott freigesprochen wurde, darum ist der Glaube für alle Zeiten ein hinreichender Grund für einen Freispruch von der Anklage der Sünde.
Diese Liste könnte man noch fast endlos fortführen.
Warum göttliche Gesetze auf diese Weise entstehen
Der Psalm sagt, dass die Zuverlässigkeit und Unveränderbarkeit Gottes der Grund ist, warum ein Handeln Gottes immer eine ewige Regel schafft.
Wenn Gott einmal etwas macht, so entspricht dieses Handeln dem göttlichen Recht und der Wahrheit. (Oder was dachten Sie?)
Weil Gott perfekt ist, darum gilt sein auf diese Weise entstandenes Recht und seine auf diese Weise geschaffene Wahrheit ständig und überall.
Wir Menschen müssen unsere Gesetze und unser Recht immer wieder den Gegebenheiten anpassen. In dem Moment, wo wir das Gesetz beschließen, scheint es uns zwar logisch und gut, aber dann treten Ereignisse auf, die deutlich machen, dass das Gesetz diesen Ereignissen nicht gerecht wird und darum verändert werden muss.
Gott braucht sein Recht aber niemals zu ändern, denn schon als er es beschloss, war es perfekt und passte auf alle jemals zu erwartenden Vorgänge.
Ein einmaliges Handeln Gottes entspricht also einem ewig gültigen göttlichen Gesetz und verkündet gleichzeitig dieses Gesetz, falls wir Menschen das Gesetz noch nicht kannten.
Folgerungen aus dieser Form der Gesetzgebung
Der Psalm bemerkt in Vers 4, dass Gott seinen Wundern Erwähnung geschaffen hat.
Will sagen: Es ist wichtig und gut, dass wir die Taten Gottes aus der Vergangenheit kennen.
Denn weil alle diese Taten jeweils ein Gesetz schaffen, können wir diese Taten hochrechnen auf unser eigenes Leben. Wir können von Gottes Handeln mit den Menschen damals auf Gottes Handeln mit uns heute schließen.
Das hat einen großen Vorteil: da die meisten Gesetze Gottes sich einer sprachlichen Beschreibung entziehen, können wir diese Gesetze intuitiv erfassen, wenn wir die damalige Umsetzung betrachten. Gott und sein Handeln sind zu groß, als dass wir es mit den begrenzten Mitteln der Sprache zutreffend wiedergeben könnten.
Wenn wir dennoch versuchen würden, Gottes Handeln in Sprache zu fassen, würden sehr unzureichende Informationen für die Menschen, die uns zuhören, herauskommen. Wir würden den Willen Gottes nicht in seiner ganzen Größe darstellen, sondern nur soweit, wie er sich in sprachliche Formen pressen lässt.
So jedoch können wir schauen, wie Gott mit Mose oder Abraham oder David oder anderen biblischen Personen umgegangen ist, und können dieses Vorgehen Gottes „intuitiv“ auf uns übertragen. Was nicht nur zulässig ist, sondern sogar erwünscht, immer vorausgesetzt, wir befinden uns in einer vergleichbaren Situation und Lage wie die biblische Person.
Der Unterschied zur egozentrischen Gemeinde
Der Unterschied zu den modernen egozentrierten Gemeinden ist grundsätzlich.
In den heutigen Gemeinden geht es immer darum, was Gott an mir getan hat, mir bedeutet, mir sagt. Und wenn man Glück hat, kommt am Ende solcher Zeugnisse dann der Verweis auf ein biblisches Ereignis, bei dem Gott so ähnlich gehandelt hat wie aktuell bei mir.
Der Autor dieses Psalms weist darauf hin, dass man nicht das eigene Leben und Gottes Handeln darin erforschen soll, sondern Gottes Handeln unabhängig vom eigenen Leben.
Wenn ich von Gott auf mich schließe, kommt nämlich mehr dabei heraus als wenn ich von meinem Erleben auf Gott schließe.
Wenn ich selbst der Mittelpunkt der Bewertung und des Nachdenkens bin, dann wird das Ergebnis nicht größer sein als die Möglichkeiten meines Nachdenkens.
Wenn aber Gott der Maßstab der Bewertung und des Nachdenkens ist, ist die Größe des Ergebnisses von der Größe Gottes abhängig und damit unendlich.
Der Unterschied zum egozentrischen Menschen
Unter den Christen gibt es seit jeher (nein, ist nicht neu) die Haltung, dass Gott für mich eine Ausnahme macht.
Das gilt bei Geboten, die ich nicht zu halten brauche. Alle anderen Gläubigen müssen natürlich.
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Glaubensschritte, die ich nicht gehen muss, aber Gott wird mich trotzdem krass segnen.
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Gott wird mich vor Krankheiten bewahren (die alle anderen bekommen), Gott wird mich vor dem Konkurs bewahren (alle anderen müssen für ihre Dummheiten geradestehen).
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Wenn ich nicht in den Gottesdienst gehe, ist das voll verständlich; wenn die anderen nicht gehen, werden sie schon sehen, was Gott über Leute denkt, denen Gott nicht so wichtig ist.
Dieser Psalm besteht extrem darauf, dass Gottes Recht und seine Maßstäbe ewig sind, unwandelbar. Gott gedenkt seines Bundes ewig (V.5), somit werden die Regeln auch für mich nicht außer Kraft gesetzt. Gottes Gebote sind zuverlässig (V.7) und nicht verhandelbar. Gottes Bund gilt ewig (V.9).
Außerdem handelt Gott als König: Majestät und Pracht (oder Hoheit, je nach Bibelübersetzung V.3) sind Maßstäbe, die eine Diskussion verbieten, und mit einem, dessen Name heilig und furchtbar ist (V.9), verhandelt man nicht um kleinliche Ausnahmen.
Außerdem sind die Taten seiner Hände Wahrheit und Recht (V.7) – wollen Sie jetzt hingehen und behaupten, für Ihren speziellen Fall sei es nicht genügend Wahrheit und nicht ausreichend Recht?
Folgerungen aus der Ausnahmslosigkeit
Die Bibel macht zwischen Gottes „Geboten“ und Gottes „Verheißungen“ keinen Unterschied.
Das ist auch logisch, weil viele Aktionen Gottes gleichzeitig Gebot und Verheißung sind.
Beispiel: Verlasse Ägypten, denn ich will dir ein eigenes Land geben.
Die Folge der Ausnahmslosigkeit von Gottes Geboten ist, dass auch die Verheißungen keine Ausnahmen kennen.
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Wenn es das Angebot der Erlösung für einen Sünder gibt, gilt dieses Angebot für alle Sünder. Auch für Sie. Auch wenn Sie es nicht glauben wollen. Es gibt kein Ausschlusskriterium.
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Wenn Gott sagt „Bittet, so wird euch gegeben“, so gilt das für alle Gläubigen und bezüglich jeder guten Gabe, ausnahmslos. Sie können darauf pochen. Sie können von Gott verlangen, dass er diese Aussage auf Ihr Leben anwendet.
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Dass Gott denen, die ihn lieben, alle Dinge zu ihrem Vorteil verwandeln wird, gilt ausnahmslos. Wobei dabei durchaus die Gefahr besteht, dass Sie mit dieser Haltung in eine miserable moralische Ecke geraten, aus Sicht der Gesellschaft, in der Sie leben: Denn diese Verheißung bedeutet, dass Sie im Zweifelsfall zum Kriegsgewinnler werden.
Der Anfang der Weisheit
Der Psalm endet mit der Aussage, dass die Furcht Gottes die Grundlage der Weisheit ist.
Zumindest dann, wenn man die Weisheit ausübt. Wenn man das Leben so lebt, dass es gut wird.
Die Weisheit würde in diesem Zusammenhang auch daraus bestehen, dass man gar nicht damit rechnet, dass Gott ein Auge zudrückt.
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Geldgier ist also immer schlecht und nicht nur, wenn andere sie machen.
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Die dritte Ehefrau nach der zweiten Scheidung wird den Segen Gottes zerstören, und ich werde bei diesem Punkt mit keinem Entgegenkommen Gottes zu rechnen haben, obwohl meine Situation selbstverständlich völlig anders ist als die von all den Ehebrechern.
Die Weisheit besteht andererseits auch darin, dass man mit einem positiven Ausgang rechnet. Oder mit dem Segen Gottes. Oder mit der Ernährung durch Gott. Dass man sich also keine Sorgen wegen des Essens machen muss. Dass man es sich leisten kann, den Feind zu lieben.
Schlusswort
Das Problem der Menschen ist, dass alles im Fluss ist.
Dass die Veränderung das einzig Sichere ist, das wir wissen.
Weil es „Zeit“ gibt, findet unser ganzes Leben in Prozessen statt, nie in Ergebnissen. Alle Ergebnisse sind vorübergehend.
Gerade wer Weltkriege oder Seuchen wie Corona miterlebt hat, stand irgendwann vor der Tatsache, dass alte Werte oder Vorgehensweisen nicht mehr funktionierten.
Aber Gottes Regeln sind ewig.
Die gelten immer.
Gottes Verheißungen ebenso.
Die passen zu jeder Situation.
Darum ist die Furcht Gottes die Grundlage eines vernünftigen Umgangs mit der Corona-Krise.