Psalm 34 – Fromme Sauce für Entrechtete
Zu frommer Sauce undefinierbarer Farbe kann man ja unterschiedlich stehen.
Es gibt die einen, die lesen den Psalm 34 mit Freuden, denn er tut ihnen nicht weh, und es ist für jeden etwas dabei.
Psalm 34 passt immer.
Und klingt auch noch recht fromm und erbaulich und ist dabei so unkonkret, dass es immer wahr ist und jeder das irgendwie auf sich beziehen kann.
Zudem ist die Farbe dieser Sauce völlig undefiniert, weil von allem etwas dabei ist. Einmal umrühren, und es wird irgendwas zwischen braun und grau und dunklem Ocker draus.
Und niemand kann sich beschweren, dass der Psalm zu rot oder zu gelb oder zu schwarz oder zu weiß ist.
Er ist das ja alles, aber alles nur ein bisschen.
Die kritischen Leser
Es gibt allerdings auch die anderen.
Die lesen diesen Psalm und fragen sich, wer eigentlich so etwas farbloses oberflächliches alles-und-nichts-sagendes schreibt, und wer anschließend auf die Idee kommt, einen solchen Text auch noch in der Bibel zu platzieren.
Denen, die das fragen, fällt dann auch auf, dass in diesem Psalm irgendwelche Leute angesprochen werden, es also offenbar eine Zielgruppe gibt.
Anders als z.B. im weltberühmten Psalm 23, der keine definierte Zielgruppe hat. Das ist Lyrik, einfach so in den Raum gestellt, und wer will, kann sie benutzen.
Da wird niemand angesprochen.
Da spielt auch niemand anders mit als der Autor. Es gibt in Psalm 23 keine anderen handelnden Personen als den Autor und Gott.
Der Rest der Welt ist einfach nur notwendige Umgebung.
Das ist in Psalm 34 anders.
Da werden bestimmte Leute angesprochen, und da reagieren auch Leute auf das, was David da schreibt.
Für wen also wurde diese farblose fromme Sauce zubereitet?
Denn wenn man nicht weiß, wer hier Zielgruppe ist, wird man den Psalm auf jeden Fall falsch verstehen.
Die Informationen des ersten Satzes.
Und während man sonst oft den ersten Satz eines Psalms straflos ignorieren kann, ist er hier das zentrale Element zum Verständnis des Psalms. Ps 34,1
1 Von David. Als er sich vor Abimelech wahnsinnig stellte und dieser ihn wegtrieb und er fortging.
Die ganze Angelegenheit spielt direkt, nachdem David den Hof Sauls endgültig verlassen hat.
Bisher hatte David immer irgendeine Funktion in Sauls Umgebung wahrgenommen, aber jetzt war David endgültig geflohen.
Und das Einzige, was David wusste, war, dass Gott ihn zum König berufen hatte.
Aber wie das jetzt wahr werden sollte, das wusste David nicht. Das hatte Gott ihm nicht gesagt.
Also floh David, weil er sich nicht zu helfen wusste, zu den Philistern.
Er dachte, er könnte dort unerkannt untertauchen und sich irgendwie als internationaler Söldner sein Geld verdienen.
Aber die Mitarbeiter des Königs der Philister machten diesen darauf aufmerksam, dass hier einer der größten Feinde der Philister einzusickern versuchte.
Immerhin hatte David den Goliath erschlagen, und Davids Ehefrau war mit Körperteilen von 100 Philistern bezahlt worden.
Da konnte man sich ja denken, was der Philisterkönig mit so einem machen würde, wenn der ihm so auf dem Silbertablett serviert wurde.
David bekam es also mit der Angst zu tun und stellte sich wahnsinnig, weil die Philister einen Wahnsinnigen nicht töten würden, weil sie dachten, Wahnsinnige seien irgendwie von den Göttern berührt worden.
Tatsächlich jagte der Philisterkönig David davon, und David ging weg, wie es hier im Psalm steht, und als David dann woanders ist, also nicht mehr beim Philisterkönig, da kommt das, was dieser Psalm erzählt.
Wäre also die Frage:
Wo war David, nachdem er das Gebiet der Philister verlassen hatte?
Der Ort des Geschehens
Weil David von Gott noch immer keinerlei Weisung hatte, was er machen sollte, versteckte er sich in der Höhle Adullam.
Die liegt auf dem Gebiet von Juda relativ nah an der Grenze zu den Philistern.
Vermutlich steckte keinerlei Plan dahinter. David musste nur irgendwo hin, möglichst weit weg von Saul und nicht mitten in einer Stadt.
Aber dann passierte etwas, das nicht vorhersehbar gewesen war. 1.Samuel 22,2
2 Und es sammelten sich um ihn lauter Bedrängte und solche, die verschuldet waren, und andere mit erbittertem Gemüt. Und er wurde ihr Anführer. Und es waren bei ihm etwa vierhundert Mann.
Wohlgemerkt: Nicht David rekrutierte diese Leute.
Die kamen von selbst.
David hatte nie die Absicht gehabt, Anführer einer Art Söldnerarmee zu sein.
Weil ihm von vornherein klar war, dass er Saul als von Gott gesalbten König nicht mit Gewalt beseitigen durfte.
Von daher machte irgendeine Armee überhaupt keinen Sinn.
Aber für alle diese Leute, für die Verlierer des Systems, für die Entrechteten und Vertriebenen, für die Unterlegenen in Machtkämpfen und für die Chancenlosen, stellte David irgendwie eine Hoffnung dar.
Man sieht im weiteren Verlauf der Geschichte auch, dass das nicht wirklich eine Gruppe von Kämpfern und Helden war.
Es waren zwar ein paar dabei, die man brauchen konnte und die dann als „die Helden Davids“ in die Geschichte eingingen, aber der größte Teil waren Loser, geborene Verlierer und eben Leute, die einen Anführer brauchten.
Nicht Leute, die es selber reißen konnten.
Die Zielgruppe
Und da saß David jetzt also: In einer Höhle mit 400 zornigen, hoffnungslosen Männern ohne Zukunft.
Und das war nicht die Elite des Landes.
Das war der Bodensatz.
Die meisten von denen waren dumm, ungebildet, ziellos, ohne so etwas wie Kultur oder Kinderstube.
Auch wenn die ganz friedlich wären, würden wir vermutlich einen großen Bogen um die herum machen.
Und damit haben wir die Zielgruppe dieses Psalms.
Und darum stehen im ersten Vers diese Informationen.
Denn David musste diesen Männern als ihr Anführer ja irgendeine Weisung geben.
Ein Programm.
Eine Aussicht. Ein Ziel.
Denn diese Männer erwarteten natürlich, dass David jetzt gegen Saul kämpfen würde und man somit Rache nehmen könnte an dem System, das sie alle ins Elend gestürzt hatte.
Und dieser Psalm ist Davids Programm für diese hoffnungslosen, entrechteten Männer.
Dieser Psalm ist die Antwort auf die Frage: Wie kommen wir aus dieser in jeder Hinsicht hoffnungslosen Situation wieder raus?
Wie bekommen wir Recht, wie bekommen wir Zukunft?
Wie kommen wir zu einem lebenswerten Leben?
Und das ist auch gleichzeitig die Frage von David, denn der hatte noch immer keine Weisung von Gott, was er nun machen sollte.
Der musste jetzt also auch irgendwie eine Linie für sich selber finden.
Der Antwort erster Teil
Als erstes wollte David diesen Leuten jetzt sagen, dass sie Gott zum Mittelpunkt ihres Denkens machen sollen.
Also sie sollen Gott loben.
Sie sollen Gott anbeten.
Da war natürlich die Frage: Weswegen?
Gott hatte ja gar nichts für diese Leute getan!
Die waren ja keineswegs Gesegnete, und David saß ebenfalls als Verfolgter in einer Höhle, der war ja auch kein Gesegneter.
David hatte sogar seine Eltern im Ausland verstecken müssen, damit Saul sich nicht aus Rache an denen vergriff.
Warum sollten diese Leute also Gott loben und Gott zum Mittelpunkt ihres Denkens machen?
Ps 34,2-4 die „Sanftmütigen“ sind je nach Bibelübersetzung auch „die Elenden“ oder etwas dergleichen. Das hebräische Wort hat kein Äquivalent im Deutschen. Gemeint sind diese Leute, die sich hier bei David angesammelt hatten, und besonders kriegerisch und mutig waren die wirklich nicht. Wenn man die als „Sanftmütige“ bezeichnet, ist das zwar kein Kompliment, aber weitgehend zutreffend. Die waren wütend, aber harmlos.
2 Den HERRN will ich preisen allezeit, beständig soll sein Lob in meinem Munde sein.
3 In dem HERRN soll sich rühmen meine Seele; hören werden es die Sanftmütigen und sich freuen.
4 Erhebt den HERRN mit mir, lasst uns miteinander erhöhen seinen Namen!
Also: Warum?
Wegen nichts.
David nennt keinen Grund, warum er und diese Leute Gott loben sollen.
Der einzige Grund, warum diese Leute sich Gott zuwenden sollen, ist, weil Gott existiert.
Man lobt Gott, weil Gott Gott ist.
Das ist zweckfrei.
Man macht das nicht, um irgend etwas zu erreichen.
Man macht das auch nicht als Gegenleistung für einen von Gott erbrachten Service.
Und darum klingt das so ein bisschen Wischiwaschi. Aber das ist so gewollt.
Wir machen Gott zum Mittelpunkt unseres Denkens, weil er Gott ist.
Die Frechheit
Natürlich ruft das den Protest aller wohlmeinenden und mitfühlenden Menschen auf den Plan.
Diese Leute brauchen doch keine Religion!
Die brauchen Recht, die brauchen Gerechtigkeit, die brauchen ein Dach über dem Kopf und was zu essen für ihre Kinder.
Nun gut, deren Kinder waren meistens ohnehin in die Sklaverei verkauft. Das mit dem Essen für die Kinder können wir streichen.
Wie kann man denn Leute missionieren, die auf der Flucht sind, denen das Nötigste zum Leben fehlt, die unterdrückt sind und verfolgt!
Wie wenig Einfühlungsvermögen kann man eigentlich haben?
Nun, das zeigt David ja hier.
Man kann so wenig Einfühlungsvermögen haben, dass man tatsächlich meint, das Erste und Wichtigste, was diese Leute brauchen, ist Gott.
Nicht Recht oder Gerechtigkeit, nicht politische Teilhabe, nicht Schadenersatz oder rückgängig machen der Ungerechtigkeit.
Keine Menschenrechte, keine akzeptablen Lebensumstände, keine Abschaffung von Ausbeutung und Unterdrückung.
Sondern Gott.
Einfach so.
Fake News
Es wird ja noch abgefahrener.
Denn was David jetzt erzählt, hat mit der Wirklichkeit gar nichts mehr zu tun.
Nochmal zur Erinnerung:
Gott hatte David nicht vor Saul beschützt, sondern David musste fliehen.
Dann versuchte David es bei den Philistern. Weil Gott ihm ja keine Weisung gegeben hatte. War wohl keine gute Idee, aber dank seiner Kreativität kam David unbeschadet aus der Sache wieder raus.
Das hatte mit Gott auch nicht viel zu tun.
Trotzdem sagt David nun dieses: Ps 34,5-7
5 Ich suchte den HERRN, und er antwortete mir; und aus allen meinen Ängsten rettete er mich.
6 Sie blickten auf ihn und strahlten, und ihr Angesicht wird nicht beschämt.
7 Dieser Elende rief, und der HERR hörte, und aus allen seinen Bedrängnissen rettete er ihn.
Viel unrealistischer kann man wohl nicht sein.
Es sei denn, man versteht, dass Gottes Wege manchmal sehr seltsam sind und dass sich Dinge zu unserem Vorteil drehen, die von außen betrachtet eigentlich nur schlimm aussehen.
Zum Beispiel wenn man sich in einer Höhle verstecken will, und dann laufen einem 400 Wohnsitzlose zu.
Bis vor kurzem hatte David nur seine schauspielerischen Fähigkeiten, die ihn schützten.
Jetzt hat er 400 Mann, die hinter ihm stehen und die ihn im Zweifelsfall auch schützen werden.
Was hier also jetzt passiert ist, ist, dass David ein Segen für diese Männer ist und diese Männer ein Segen für David.
Gott hat jetzt erst einmal für alle gesorgt.
Das drückt David dann so aus: Ps 34,8-9
8 Der Engel des HERRN lagert sich um die her, die ihn fürchten, und er befreit sie.
9 Schmecket und sehet, dass der HERR gütig ist! Glücklich der Mann, der sich bei ihm birgt!
Also diese Männer können jetzt direkt erleben, was Gott da gemacht hat.
Sie können erkennen, dass David tatsächlich gesegnet ist, denn sie selbst sind der Segen.
Da kann man es tatsächlich schmecken und sehen, man ist ja mittendrin.
Folgerung aus dem Erlebten
Nachdem wir nun die ersten zwei Schritte gemacht haben, nämlich
- Gott an die erste Stelle setzen, nur aus dem Grund, weil er existiert
- Sehen, dass sich das am Ende lohnt
Darum kommt jetzt die Formulierung des Arbeitsprogramms für diese 400 Leute.
Dazu muss man wissen, dass Junglöwen diejenigen unter den Löwen sind, die aufgrund ihrer Jugend und ihrer Schnelligkeit und ihrer aus Unerfahrenheit resultierenden Risikobereitschaft eigentlich immer was zu fressen finden. Also dass Junglöwen lange Hunger schieben müssen, kommt selten vor.
Ps 34,10-11
10 Fürchtet den HERRN, ihr seine Heiligen! Denn keinen Mangel haben die, die ihn fürchten.
11 Junglöwen darben und hungern, aber die den HERRN suchen, entbehren kein Gut.
So, das war jetzt das Programm für 400 Männer, die außer Mangel nichts hatten.
Das Programm ist so ambitioniert, dass die daraus resultierende Versorgung besser ist als die Versorgung von Junglöwen.
Das ausgearbeitete Programm
Jetzt stand David vor dem Problem, dass seine 400 Leute überhaupt keine Ahnung hatten.
Weder Bildung noch Gotteserkenntnis hatten zu dieser Zeit in Israel Hochkonjunktur.
Viele von denen werden zum ersten Mal in einem praktischen Sinne von Gott gehört haben. Außerdem wissen wir aus dem Fortlauf der Geschichte, dass unter diesen Leuten auch eine ganze Reihe ausländischer Heiden waren. Auch Uria, der Mann der Bathseba, war Hethiter, nicht Israelit.
Also muss David denen jetzt in einfachen Worten und an einfachen Beispielen erklären, wie man Gott so fürchtet, dass Gott einen Menschen segnet.
Das ist jetzt nicht Theologie, und das kann man in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift so nicht drucken.
Aber für 400 bildungsferne Männer ohne Zukunft ist das ein absolut brauchbarer Leitfaden.
Und darum steht das in der Bibel. Ps 34,12-22
12 Kommt, ihr Söhne, hört mir zu: die Furcht des HERRN will ich euch lehren.
13 Wer ist der Mann, der Lust zum Leben hat, der <seine> Tage liebt, um Gutes zu sehen?
14 Bewahre deine Zunge vor Bösem und deine Lippen vor betrügerischer Rede;
15 lass ab vom Bösen und tue Gutes, suche Frieden und jage ihm nach!
16 Die Augen des HERRN <sind gerichtet> auf die Gerechten und seine Ohren auf ihr Schreien.
17 Denen, die Böses tun, <steht> das Angesicht des HERRN entgegen, um ihre Erwähnung von der Erde zu tilgen.
18 Sie schreien, und der HERR hört, aus allen ihren Bedrängnissen rettet er sie.
19 Nahe ist der HERR denen, die zerbrochenen Herzens sind, und die zerschlagenen Geistes sind, rettet er.
20 Vielfältig ist das Unglück des Gerechten, aber aus dem allen rettet ihn der HERR.
21 Er bewahrt alle seine Gebeine, nicht eines von ihnen wird zerbrochen.
22 Den Gottlosen wird die Bosheit töten; und die den Gerechten hassen, werden es büßen.
Das war jetzt sehr schwarzweiß, nicht wirklich differenziert, mit vielen Wiederholungen, aber absolut praxistauglich und für jedermann verständlich.
Die 400 Dahergelaufenen haben jetzt einen Leitfaden für ein gutes Leben. Die Zukunft kann kommen.
Der zusammenfassende Schlusssatz
Der letzte Satz des Psalms ist Aussicht und Begründung. Er fasst nicht etwa das bisher gesagte zusammen, sondern sagt, wohin das führt, und zwar in zweifacher Hinsicht: Ps 34,23
23 Der HERR erlöst die Seele seiner Knechte; und alle, die sich bei ihm bergen, müssen nicht büßen.
Wer sich an Gott hält, wird das nicht bereuen, meint David.
Im Gegensatz zu vielen anderen Entscheidungen, die man irgendwann doch einmal bereut.
Und: Gott erlöst die Seele seiner Knechte.
Nicht den Körper.
Denn vorerst sitzen die in der Höhle, und es kommen noch einige Schwierigkeiten auf sie zu.
Aber die Seele ist nicht mehr gefangen von Hass und Wut, von Aussichtslosigkeit und Zukunftsangst.
Der Zustand der Seele wird von Gedanken an Gott bestimmt, nicht von Gedanken an diejenigen, die einem alles genommen haben.
Freiheit bedeutet immer, dass man mindestens zwei Möglichkeiten hat.
Und das haben die 400 unrasierten und lange nicht geduschten Typen jetzt.
Sie können sich für das Gute entscheiden oder für das Böse. Und sie können das tatsächlich entscheiden, weil sie genügend Entscheidungskriterien haben.
Freiheit für die Seele, Freiheit für die Gedanken.
Man kann das nicht hoch genug einschätzen, was David diesen 400 Verlorenen gebracht hat.