Psalm 091 nicht für die Gläubigen!
Ps 91,1
1 Wer im Schutz des Höchsten wohnt, bleibt im Schatten des Allmächtigen.
Ein einziger Satz, und selten wurde etwas so missverstanden.
Wenn die Leute diesen Satz lesen, denken die nämlich, der gilt für die Gläubigen.
Und gehen dann davon aus, der ganze Psalm beschreibe das Leben der Gläubigen und habe Zusagen für die Gläubigen.
Dem ist aber beileibe nicht so.
Die Zielgruppe dieses Psalms sind keineswegs die Gläubigen, und die Aussagen, die dieser Psalm macht, beziehen sich nicht die Bohne auf alle Gläubigen.
Sondern die Zielgruppe sind diese: Ps 91,7-8
7 Tausend fallen an deiner Seite, zehntausend an deiner Rechten — dich erreicht es nicht.
8 Nur schaust du es mit deinen Augen, und du siehst die Vergeltung an den Gottlosen.
Das sind die Leute, um die es in diesem Psalm geht.
Es geht um die Leute, die inmitten von Katastrophen stehen, aber die katastrophalen Wirkungen der Katastrophe treffen sie nicht. Sie schauen der Katastrophe zu, ohne selber zu Schaden zu kommen.
Es handelt sich hier also mitnichten um die Gläubigen.
Sondern es geht um die Leute, denen die zahlreichen Schrecken des Lebens nichts anhaben können. Ps 91,5-6
5 Du fürchtest dich nicht vor dem Schrecken der Nacht, vor dem Pfeil, der am Tag fliegt,
6 vor der Pest, die im Finstern umgeht, vor der Seuche, die am Mittag verwüstet.
Der Schrecken der Nacht, der existiert. Ohne Zweifel.
Der Pfeil, der am Tage fliegt, fliegt ja nicht nur im Krieg. Aus den USA erreichen uns immer wieder Berichte, dass die Kugeln auch in Friedenszeiten reichlich fliegen.
Und es gibt kriegerische Angriffe im übertragenen Sinn. „Mobbing“ nennt man das manchmal. Oder man hatte Aktien von Wirecard.
Die Pest und die Seuche hat der Vers 6 dann sogar doppelt: Bei der einen ging man davon aus, dass die heiße Sonne sie ausbrütet, bei der anderen, dass man morgens aufsteht, und dann hat sie zugeschlagen. Du fährst wohin, und über Nacht hat die Bundesregierung das zum Risikogebiet erklärt.
Also diese Dinge gibt es, und es gibt sie auch im Leben der Zielgruppe dieses Psalms.
Bei dieser Zielgruppe handelt es sich übrigens keineswegs um die Gläubigen, falls ich das noch nicht erwähnt haben sollte.
Diese Zielgruppe fürchtet sich nämlich nicht vor diesen Dingen.
Die Schwierigkeiten des Lebens existieren, ohne Zweifel, und sie existieren auch für die Zielgruppe des Psalms.
Die Schwierigkeiten können denen aber nichts anhaben.
Die sind immun.
Aber die sind nicht immun gegen die Schwierigkeiten. Sondern gegen die Auswirkungen.
Das steht dann auch in Ps 91,9-10
9 Denn du <hast gesagt>: »Der HERR ist meine Zuflucht!«; du hast den Höchsten zu deiner Wohnung gesetzt;
10 so begegnet dir kein Unglück, und keine Plage naht deinem Zelt.
Was die Beschreibung der Zielgruppe angeht, wird hier Vers 1 wiederholt, nur dass das, was in Vers 1 als hypothetische Behauptung stand und allgemein formuliert wurde als „wer unter dem Schutz des Höchsten wohnt“, das wird hier in Vers 9 als persönlich geschaffene Tatsache behandelt: „Du hast den Höchsten zu deiner Wohnung gesetzt“.
Es geht hier also nicht um Leute, die woanders wohnen, aber wenn die Katastrophe eintritt, rennen sie zu Gott.
Sondern es geht hier um Leute, die sich beständig im Dunstkreis Gottes aufhalten. Die da wohnen.
Und die sich damit auf das Gastrecht Gottes verlassen. Denn so war das früher: Wenn man bei jemand anderem wohnte, dann stand man unter dem Schutz dieses Gastgebers. Der Gastgeber ist dafür zuständig, Wache zu halten und dafür zu sorgen, dass der Gast unversehrt bleibt.
Wer also bei Gott wohnt – so ist es.
Wer natürlich nur gelegentlich bei Gott zu Besuch kommt – also wenn der Schutz dauerhaft wirken soll, muss man dauerhaft dort wohnen.
Und dieses dauerhafte Wohnen hat einen Grund: Ps 91,2
2 Ich sage zum HERRN: Meine Zuflucht und meine Burg, mein Gott, ich vertraue auf ihn!
Damit sind wir beim Glauben. „Ich vertraue auf ihn.“
Aber, wie man am Ergebnis sieht, sind wir eben nicht beim 08/15 Glauben.
Weshalb eben der durchschnittliche Gläubige hier gar nicht gemeint ist.
Sondern wir sind hier bei einer Form von Glauben, die jede Angst unsachlich macht.
Angst ist dann einfach nicht mehr sachgemäß.
Magengeschwüre sind hier der Nachweis des Gegenteils.
Denn: Ps 91,3-4
3 Denn er rettet dich von der Schlinge des Vogelstellers, von der verderblichen Pest.
4 Mit seinen Schwingen deckt er dich, und du findest Zuflucht unter seinen Flügeln. Schild und Schutzwehr ist seine Treue.
Gottes Treue oder Gottes Wahrheit sind Schild und Schutzwehr.
Also allein die Existenz Gottes garantiert für Gottes Eigenschaften.
Damit unterscheidet Gott sich bemerkenswert von allen anderen Göttern der Welt.
Darum funktioniert nicht: „Wer im Schutz des Geldes bleibt, bleibt im Schatten des Kapitals.“
Oder „wer im Schutz des Sozialstaats bleibt, bleibt im Schatten der Demokratie“.
Es gibt nur diesen einen Gott, der ankündigt, dass neben dir zehntausende fallen, und du guckst zu und bleibst stehen.
Diese Möglichkeiten sind so einzigartig, dass eigentlich niemand sie haben will.
Darum sind die normalen Gläubigen hier auch nicht Zielgruppe.
Denn die glauben das nicht.
Nichts anderes als bei Jesus
Was der Psalm 91 erzählt, ist nicht anderes, als was Jesus später erzählt.
Der sich wundert, als sie über den stürmischen See fahren, dass die Jünger so voller Angst sind.
Und der das Kleinglauben nennt.
Der das nicht nur deshalb Kleinglauben nennt, weil die Jünger sich offenbar nicht zur Zielgruppe von Psalm 91 zählen.
Der Psalm 91 erzählt das gleiche, was Jesus in die Worte gefasst hat, dass dem Glaubenden nichts unmöglich ist.
Und während der Psalm 91 sagt Ps 91,13
13 Auf Löwen und Vipern trittst du, Junglöwen und Schlangen trittst du nieder.
heißt im Missionsbefehl am Ende des Markusevangeliums Markus 16,17-18
17 Diese Zeichen aber werden denen folgen, die glauben: In meinem Namen werden sie Dämonen austreiben; sie werden in neuen Sprachen reden;
18 werden Schlangen aufheben, und wenn sie etwas Tödliches trinken, wird es ihnen nicht schaden; Schwachen werden sie die Hände auflegen, und sie werden sich wohl befinden.
und Jesus sagte schon vorher bei der Aussendung der 70 Lukas 10,19
19 Siehe, ich habe euch die Macht gegeben, auf Schlangen und Skorpione zu treten, und über die ganze Kraft des Feindes, und nichts soll euch schaden.
Es hat sich also nicht so sehr viel geändert, sondern die Macht und die Sicherheit, die Gott den Menschen geben will, war absolut und grenzenlos und ist absolut und grenzenlos.
Und, wie gesagt: Die Botschaft lautet nicht, dass die Gläubigen keine Schlangen und Skorpione und Löwen treffen werden.
Sondern die Botschaft ist, dass diese bestimmte Gruppe von Gläubigen darüber erhaben ist. Die treffen die Löwen und die Schlangen wie alle anderen, aber es macht nichts.
Eine Frage des Glaubens
Das, um was es dem Psalm 91 geht, ist zweierlei:
- Es ist zum einen eine feststehende Tatsache.
- Es ist zum anderen der Glaube an diese Tatsache.
Die Tatsache allein nutzt überhaupt nichts.
Die Tatsache, dass unser Gott so dermaßen einzigartig ist, dass er seinen Freunden einen Lebensstil bieten will, der sich mit nichts anderem vergleichen lässt, diese Tatsache ist völlig für die Katz, wenn man sie nicht glaubt.
Oh, sagen die Gläubigen, wir glauben das sehr wohl. Wir nicken immer zustimmend mit dem Kopf, wenn solche Wahrheiten verkündet werden.
Aber Kopfnicken und verbale Zustimmung bedeuten gar nichts, wenn man sich dann vor allem und jedem fürchtet.
Und wenn damit beweist, dass man es eigentlich doch nicht glaubt.
Weil es eben auch so seltsam ist.
Es gibt nichts und niemanden, der das bietet, was Gott uns bieten will.
Das ist vollkommen einzigartig, das ist unvergleichlich, und darum glauben auch die Gläubigen, dass das völlig unglaublich ist, und folglich glauben sie es nicht.
Gottes Schlussworte
Der Witz ist dann ja noch, dass man für diese Art des Segens überhaupt nichts machen muss.
Man kann sich das nicht durch eine bestimmte Leistung verdienen.
Am Ende des Psalms kommt Gott zu Wort, und Gott erklärt, warum er diese bestimmte Gruppe von Gläubigen vor den Auswirkungen allem und jedem Unheil bewahren will.
Also nicht von dem Unheil. Sondern von den Auswirkungen. Dass die Welt voller Unheil ist, das ändert Gott nicht, und dass wir mit dem Unheil konfrontiert sind, das ändert Gott auch nicht. Gott schützt vor den Auswirkungen, nicht vor den Ereignissen als solchen.
Und die Begründung, die Gott liefert, warum er so handelt, die geht so: Ps 91,14-15
14 »Weil er an mir hängt, will ich ihn retten. Ich will ihn schützen, weil er meinen Namen kennt.
15 Er ruft mich an, und ich antworte ihm. Ich bin bei ihm in der Not. Ich befreie ihn und bringe ihn zu Ehren.
Der einzige Grund, warum Gott so handelt, dass die göttliche Unantastbarkeit auch auf den Menschen übergeht, ist, dass der Mensch eine entsprechende Beziehung zu Gott hat.
Und wenn der Mensch sich an Gott hängt, oder wenn er sich unter Gottes Fittiche begibt, oder wenn er bei Gott wohnt, dann trifft den Menschen das gleiche Schicksal, das auch Gott trifft.
Kann ja nicht anders sein. Man befindet sich ja auf dem gleichen Quadratzentimeter, da geschehen dann ja nicht unterschiedliche Wirkungen. Und wenn man sich in Gottes Wohnzimmer befindet, wo Gott den Teufel nicht reinlässt, dann kommt der Teufel in diesem Moment an mich natürlich auch nicht ran.
Also der einzige Grund ist: Ich bin in Gottes Wohnzimmer. Und ich bin da, weil ich mich da hin begeben habe.
Es gibt keinen anderen Grund für diesen großen Segen, den der Psalm beschreibt.
Das Abstruse
Und natürlich sind die Verse 7 und 8 abstrus: Ps 91,7-8
7 Tausend fallen an deiner Seite, zehntausend an deiner Rechten — dich erreicht es nicht.
8 Nur schaust du es mit deinen Augen, und du siehst die Vergeltung an den Gottlosen.
Denn man muss sich natürlich fragen: Warum sollte das passieren?
Warum sollte ich so eine Sonderrolle haben?
Warum sollten mir Dinge passieren, die gegen jede Wahrscheinlichkeit sind?
Da kommen die Gläubigen dann schnell mit der Demut und sagen, dass man so etwas Besonderes doch nicht verlangen darf.
Sowas ist ja irgendwie schon geradezu unsozial.
Ist ja auch fast peinlich, wenn man selber so eine Sonderrolle hat.
Und die hat man ja auch nicht. Man ist ja eigentlich nichts Besonderes.
Also warum sollte so etwas passieren?
Nun, darum:
14 »Weil er an mir hängt, will ich ihn retten. Ich will ihn schützen, weil er meinen Namen kennt.
15 Er ruft mich an, und ich antworte ihm.
Realisierung
Das Problem ist, dass alle diese wunderbaren Dinge erst wahr werden, wenn man beschließt, dass sie es sind.
Also man muss beschließen, sich vor der Seuche nicht mehr zu fürchten.
Man muss beschließen, sich vor dem Mobbing nicht mehr zu fürchten.
Man muss beschließen, dass man dem Löwen und der Schlange nicht furchtsam auszuweichen braucht, und das muss man auch bildlich beschließen, dass man eben auch dem Teufel (der im Bild der Schlange immer mitgedacht ist) nicht ängstlich ausweichen muss.
„Ich habe euch Macht gegeben über die ganze Kraft des Feindes“, hat Jesus gesagt.
Diese Macht verwirklicht sich natürlich nicht, wenn man dem Teufel aus dem Weg geht.
Die Frage ist also immer, ob man Gott als eine Super Idee behandelt, oder als Wirklichkeit.
Das ist bei Schokolade nicht anders: Man kann Schokolade als Super Idee betrachten, oder als Wirklichkeit. Das macht geschmacklich einen Unterschied, und auch in den Kalorien.
Schlusswort
Der Psalm 91 ist nicht für alle Gläubigen, sondern nur für eine bestimmte Zielgruppe, weil er nur für die gilt, die das darin beschriebene auch verwirklichen.
Und das ist das Dilemma des Glaubens seit Menschengedenken:
Die Verheißung eines gelobten Landes nützt nichts, wenn man nicht hingeht.
Die Möglichkeit, auf dem Wasser zu gehen, nützt nichts, wenn man im Boot bleibt.
Die Möglichkeit, 5000 Leute mit 5 Broten und 2 Fischen zu speisen, nützt nichts, wenn man nicht anfängt, die 5 Brote und 2 Fische auszuteilen.
Der Psalm 91 ist nicht für die Gläubigen.
Er ist nur für die Leute, die das, was sie angeblich glauben, auch verwirklichen.