Psalm 30 - Wenn Ihr Mörder auf dem Weg ist
Wenn Sie heute sterben würden.
Jetzt gleich, nachdem Sie diesen Artikel gelesen haben.
Ihr Mörder ist schon ihrer der Wohnung. Nur noch nicht in diesem Zimmer, darum haben Sie es noch nicht gemerkt.
Hätte Gott einen Grund, Sie vor Ihrem Mörder zu schützen?
Oder wäre es für Gott egal, ob Sie auf dieser oder der anderen Seite der Ewigkeitsschranke stehen?
Hätte Gott einen Nutzen davon, wenn er Sie vor Ihrem Mörder beschützen würde?
Das ist eine der Fragen in diesem Psalm. Denn wenn Gott gar nichts davon hat, warum sollte er den Mord an Ihnen verhindern?
Der Psalm beginnt mit etwas, das überhaupt nicht dazu gehört. Der Psalm ist eigentlich von David, nur der erste Satz nicht. Der erste Satz sagt nur, aus welchem Anlass dieser Psalm immer gelesen wurde, aber nicht, warum er eigentlich geschrieben wurde.
1 Ein Psalm. Ein Lied zur Einweihung des Hauses. Von David.
Also von der Einweihung irgendeines Hauses ist im ganzen Psalm nicht die Rede, darum geht es hier auch gar nicht. Aber seit der Neueinweihung des zweiten Tempels unter den Makkabäern wird dieser Psalm jedes Jahr zum Jahrestag der Tempelweihe gelesen. Und daher stammt dieser Einleitungssatz.
Und jetzt geht es richtig los, jetzt beschreibt David, warum er diesen Psalm zu Papier gebracht hat.
Es ging ihm nämlich richtig dreckig. Dem David, nicht dem Psalm. Wir wissen nicht, welches Ereignis konkret gemeint ist, ob David sehr krank war oder ob etwas anderes passiert ist, was ihm das Gefühl gab, im Grunde genommen schon mehr tot als lebendig zu sein, auf jeden Fall muss es sehr schlimm gewesen sein.
2 Ich will dich erheben, HERR, denn du hast mich emporgezogen und ließest meine Feinde sich nicht über mich freuen.
3 HERR, mein Gott, zu dir habe ich geschrien, und du hast mich geheilt.
4 HERR, du hast meine Seele aus dem Scheol heraufgeholt, hast mich am Leben erhalten <und bewahrt> vor dem Hinabfahren zur Grube.
Wobei David hier nicht beschreibt, wie schlimm es war, sondern David beschreibt die Dramatik der Situation dadurch, dass er beschreibt, was Gott gemacht hat. Der Schwerpunkt liegt also nicht auf ich war krank und mir ging es schlecht, sondern der Schwerpunkt liegt auf „Gott hat gemacht“.
Was insofern auch passt, dass Gott nicht ganz unschuldig daran war, dass es so dicke gekommen war. Was David in den folgenden Dankesworten auch entsprechend benennt:
5 Spielt dem HERRN, ihr seine Frommen, und preist seinen heiligen Namen!
6 Denn einen Augenblick <stehen wir> in seinem Zorn, ein Leben lang in seiner Gunst; am Abend kehrt Weinen ein, und am Morgen ist Jubel da.
David weiß, dass er in den Zorn Gottes hineingeraten ist. Und er wird uns gleich erzählen, wie er es geschafft hat, Gott zornig zu machen.
Aber erstmal freut er sich, dass Gottes Gnade und Güte weitaus dominierender ist als sein Zorn.
Und die zusammengefasste Botschaft dieses ersten Teiles des Psalms ist, dass Gott eigentlich gut ist. Das allgemeine Bild von Gott ist das eines hilfreichen Gottes, der auf Davids Seite steht.
Schon in Vers 3 sagte David, dass er zu Gott gerufen hat, und Gott daraufhin Davids Lage deutlich verbessert hat. Ja, Gott war zornig auf David, denn David hatte etwas Entscheidendes falsch gemacht, aber auch in seinem Zorn hat Gott David nicht losgelassen und nicht allein gelassen. Nun gut, wie wir im weiteren sehen werden, hat dazu nun wiederum David einiges dazu getan, dass Gott sich ihm relativ schnell wieder liebevoll zugewendet hat.
Aber der Tenor dieses ersten Überblickes ist: Die Lage war schlimm, die Situation unerträglich, aber Gott ist gut.
Nun kommen wir zu dem Teil, wo David beschreibt, warum er überhaupt Ärger mit Gott bekommen hatte.
7 Ich zwar dachte in meiner Sorglosigkeit: »Niemals werde ich wanken.«
8 HERR, in deiner Gunst hattest du mich auf feste Berge gestellt. Du verbargst dein Angesicht, da wurde ich bestürzt.
Gott hatte David zu einer sicheren Position verholfen. David nennt das „du hattest mich auf feste Berge gestellt“. David hatte etwas, auf das er dachte sich verlassen zu können. Wir wissen nicht, was es war, ob es einfach die Tatsache war, dass er König war, oder ob es eine bestimmte Begabung war oder ein bestimmter Besitz, von dem David dachte, den könnte ihn nun keiner mehr wegnehmen und auf den könne er sich verlassen.
Vielleicht war es auch ein moralisches Level, dass er glaubte erreicht zu haben, und wo er einfach dachte, gewisse Dinge passieren ihm nicht mehr, da sei er jetzt drüber erhaben.
Paulus beschreibt das gleiche Problem, als er sagte: 1.Kor 10,12
12 Daher, wer zu stehen meint, sehe zu, dass er nicht falle.
Was das Problem bei dieser Sache war, war, dass David sich unabhängig von Gott gemacht hatte. Das, was er hatte, hatte er von Gott, das war klar, aber jetzt war es seins, und er konnte sich unabhängig von Gott darauf verlassen.
Modern würden wir sagen: Er liebte die Gaben, nicht den Geber.
Und es ist ja auch verständlich, denn wie unpraktisch ist das, wenn man immer wieder Gott fragen muss, wenn man sein Leben lange in seinen Handlungen und Entscheidungen abhängig ist von Gott. Das ist doch viel besser, wenn man selber spontan entscheiden kann, ohne Gott fragen zu müssen und dann noch möglicherweise auf eine Antwort warten zu müssen.
Wenn man zu anderen nicht sagen muss: „Ich bin mir nicht sicher, was Gott in diesem Fall will“, und wenn man anderen auch nicht sagen muss: „Das mache ich nicht, denn Gott will das nicht.“ Sondern wenn man souverän handeln kann und den Anschein erwecken kann, man könne ohne Rücksicht auf Gott und ohne einen Herrn handeln.
Wie sieht denn das aus: Man ist König, aber im Ernstfall muss man immer Gott fragen.
Wie sieht denn das aus: Man ist seit 30 Jahren gläubig, und hat immer noch so dermaßen untertan zu sein.
Und weil David sich eben so verhalten hatte, als wenn er Gott nicht mehr brauchte, darum hatte Gott sich dann eben mal verabschiedet. Er wurde ja nicht mehr gebraucht. „Du verbargst Dein Angesicht“, so nennt David das, als Gott sich zurückzieht.
Und plötzlich ist die Gabe nichts mehr wert! Plötzlich nützt die Gabe einem nichts mehr! Und David muss merken, dass die Gabe ohne die Beziehung zu Gott plötzlich nicht mehr funktioniert. Dass die Gabe abhängig davon ist, dass der Inhaber der Gabe mit Gott in Verbindung steht.
Und dass der größte Segen eigentlich nicht die Gabe ist, sondern dass man Gott kennt!
Gesegnetsein besteht nicht aus Haben, sondern aus Kennen!
Und wenn man nur etwas von Gott hat, aber Gott nicht kennt beziehungsweise das, was man hat, nicht in der aktiven Beziehung mit Gott benutzt, dann ist man arm dran!
Und als ich zur Gemeinde kam, hatten wir z.B. so eine Situation: Wir hatten als Gemeinde die reine Lehre, wir kannten uns am besten aus von allen; wir wussten, wie es zu gehen hatte; die Bibel beantwortete alle wirklich wichtigen Fragen schwarz auf weiß und unmissverständlich, und Gott brauchten wir überhaupt nicht mehr zu fragen, sondern wir brauchten nur noch in die Bibel zu schauen, da stand ja alles drin.
Die Wahrheit war eine Frage der Interpretation, nicht des Vertrauens.
Und zur Zeit von Jesus war es genauso: Die Pharisäer waren Kinder Abrahams, sie hatten den Tempel, sie saßen im Heiligen Land, sie hatten die Bibel und den Talmud und noch jede Menge anderer Schriften, sie hatten die Tradition und den rechten Glauben – wozu hätten sie jetzt noch Gott gebraucht?
Aber David hat den Unterschied bemerkt, als Gott sich zurückzog, denn er hatte vorher Nähe zu Gott gehabt und wusste, wie sich das anfühlt. Die Pharisäer hatten diese Nähe zu Gott nie gehabt und merkten es darum auch nicht, als Gott sich abwandte.
Und als David merkte, was passiert war, reagierte er:
9 Zu dir, HERR, rief ich, und zum Herrn flehte ich:
10 »Was für Gewinn bringt mein Blut, mein Hinabfahren in die Grube? Wird der Staub dich preisen? Wird er deine Treue verkünden?
11 Höre, HERR, und sei mir gnädig! HERR, sei mein Helfer!«
Wir dürfen davon ausgehen, dass Gott den David wirklich gerettet hat, denn sonst hätte er diesen Psalm nicht aufschreiben können.
Also ist die nächste Frage: Wie hat David es gemacht? Wie hat David Gott davon überzeugt, dass Gott ihn nicht sterben lassen soll?
David hat nicht gesagt: Oh Gott, ich bin noch so jung! Und ich wollte doch noch ein Buch über Kriegsführung schreiben!
David hat nicht gesagt: Oh Gott, dann sehe ich ja meine Enkelkinder nicht mehr aufwachsen!
David hat nicht gesagt: Aber Gott, dann wird meine Frau Witwe und meine Kinder Waisen, das kannst Du doch nicht machen! Außerdem kann meine Frau die Steuerklärung nicht alleine machen, ich werde noch gebraucht!
David erzählt Gott nicht, welche Nachteile David von seinem Tod hätte, und er erzählt Gott auch nicht, welche Nachteile andere Leute durch seinen Tod hätten.
David erzählt Gott, welche Nachteile Gott von Davids Tod hätte.
David kann tatsächlich und wahrheitsgemäß sagen, dass Gott zu seinem eigenen Nachteil handeln würde, wenn er David sterben lassen würde.
David sagt noch nichtmal, dass die Gemeinde einen Nachteil hätte, wenn er stürbe, weil dann keiner mehr zum Predigen da ist.
Er sagt auch nicht, dass das Reich Gottes dann einen Nachteil hätte, wenn er stürbe, weil es dann keinen so tüchtigen König mehr hätte.
David sagt, dass Gott ganz persönlich einen Nachteil haben würde, wenn David stürbe.
David sagt zu Gott:
10 »Was für Gewinn bringt mein Blut, mein Hinabfahren in die Grube? Wird der Staub dich preisen? Wird er deine Treue verkünden?
Im übrigen haben wir hier ein ähnliches Phänomen wie bei Salomo, der einen Wunsch frei hatte, und der sich dann das Richtige wünschte und darum viel mehr bekam, als er jemals erbeten hatte.
So hätte David hier natürlich auch mit seinen verwaisten Kindern argumentieren können, und vielleicht hätte Gott auf ihn gehört und ihn am Leben gelassen, wer weiß.
Und David hätte Gott gegenüber mit seinem noch nicht fertigen Buch argumentieren können, und vielleicht hätte Gott auf ihn gehört und ihn am Leben gelassen, damit er das Buch fertig schreiben kann, wer weiß.
Aber David hatte Gott in den Mittelpunkt seiner Bitte gestellt. David hatte nicht sein eigenes Wohlergehen zum Hauptthema gemacht, sondern Gottes Wohlergehen, Gottes Vorteil.
Infolgedessen stellte Gott jetzt nicht nur wieder den vorherigen Zustand wieder her.
Gott löste jetzt nicht einfach das Problem, das David hatte.
Gott verwandelte Davids Leben nicht von minus wieder auf normal.
12 Meine Wehklage hast du mir in Reigen verwandelt, mein Sacktuch hast du gelöst und mit Freude mich umgürtet,
13 damit meine Seele dich besinge und nicht schweige. HERR, mein Gott, in Ewigkeit will ich dich preisen.
Gott hat Davids Elend nicht in Normalität verwandelt.
Gott hat Davids Furcht nicht in Erleichterung verwandelt. David sagt nicht, jetzt sei er aber erleichtert, dass die schlimme Zeit vorüber sei.
Gott hat David nicht vom Niveau der Trauer auf das Niveau des Gleichmutes versetzt. David sagt nicht, dass er ab jetzt wieder business as usual machen könne, denn das Furchtbare sei überwunden.
Ich meine, das war ja das, um was David gebeten hatte. Dass er aus diesem tiefen Loch wieder rauskäme und wieder die Lebensqualität wie vorher hätte.
Aber weil David das Richtige gebetet hatte und nicht irgendwen oder irgendwas in die Mitte seines Gebetes gestellt hatte, sondern Gott, darum hat Gott seine Wehklage in Tanzmusik verwandelt, und rein bekleidungstechnisch wurde ein Umtausch von Sacktuch auf Freudengürtel vorgenommen.
Und so lernen wir aus diesem Psalm mal zumindest zwei zentrale Dinge: Man kann in sehr unterschiedlicher Qualität beten, und der Unterschied von Qualität wird sich auch in unterschiedlichen Ergebnissen zeigen.
Von den 7 Bitten des Vaterunsers stellen 3 Gott und seine Interessen in die Mitte: Dein Reich komme, Dein Wille geschehe, Dein Name werde geheiligt. Und das steht da im Vaterunser, damit wir uns beim Beten nicht immer nur um menschliche Bedürfnisse drehen.
Und als zweites bleibt natürlich die Frage: Wenn Du sterben würdest, hätte Gott dann hier auf der Erde einen Nachteil? Könntest Du Gott beweisen, dass er hier auf der Erde einen Nachteil erleiden würde, wenn Du nicht mehr da wärest?
Also nicht dass irgendwer einen Nachteil erlitte durch Deinen Tod, sondern tatsächlich Gott persönlich?
David konnte das beweisen.