Psalm 118,22 Die Suche nach dem Stein

Von alleine hätte ich es ja nicht gelesen.

Vor allem, weil ich in letzter Zeit schon soviel über die Psalmen gemacht habe.

Da bekommt man es dann hinterher nur gemeckert, man mache immer nur Sachen aus dem Alten Testament.

Aber ich hatte nun einmal Gott gefragt, was ich lesen soll, und er kam wieder mit einem Psalm: einhundertachtzehn.

Und wie immer: Bei oberflächlichem Lesen allerliebst und erbaulich, bei genauerem Hinsehen völlig unverständlich.

Denn insbesondere in der zweiten Hälfte stehen die Verse völlig zusammenhangslos hintereinander. Da hat der nächste mit dem vorigen nichts zu tun.

Und in diesem Psalm (und frei von jedem Zusammenhang) steht nun auch der bekannte Vers, dass der Stein, den die Bauleute verworfen haben, zum Eckstein geworden ist.

Ja, noch mehr: Gott hat das gemacht, und es ist ein Wunder.

Das Unverständnis

Nun weiß ich ja, dass Jesus diesen Vers auf sich bezogen hat. Und in dem Zusammenhang, wie Jesus den Vers für sich selbst gebraucht, habe ich das verstanden.

Aber der Mensch, der den Psalm ursprünglich geschrieben hat, hat ja auch irgendwas vor Augen gehabt, als er von dem Stein schrieb hat.

Und um den Psalm in seinem Durcheinander zu verstehen, fand ich es halt wichtig, zu verstehen, was der Autor sich beim Schreiben gedacht hat.

(Man denkt, wenn man so etwas schreibt, ja nicht: „Oh, eine hübsche Formulierung! Passt zwar hier nicht hin, kann aber bestimmt mal jemand brauchen. Ich schreibe sie mal in den Text, für eventuell und irgendwen.“)

Die Exegeten

Also habe ich – um zu verstehen, von welchem Stein er spricht - die Kommentare und Bibelauslegungen gelesen.

Und zwar 10 verschiedene.

(Ja, zehn. Das ist der Fluch des Internets, dass es so eine Flut an Information gibt.)

Und manchmal passiert das:

Dass die über Jahrhunderte alle voneinander abschreiben.

Ist mir schon ein paarmal begegnet, und hier war es nun wieder so.

Die Ausleger bezogen die Sache mit dem Stein alle auf die Grundsteinlegung des zweiten Tempels in Jerusalem. Zitierten alle Esra 3,12.

Nun gut, sie brauchten einen Eckstein oder etwas ähnliches.

Da ist die Auswahl im Alten Testament nicht wirklich groß.

Und keinem von denen ist aufgefallen, dass die Sache doch ein Wunder ist, das Gott für alle sichtbar gemacht hat.

Aber wenn ein Stein, den man zuerst beiseite gelegt hat, sich hinterher als passend erweist, ist das ja kein Wunder. Man denkt dann in erster Linie vielleicht doch an ungeübtes Augenmaß der Maurer.

Selbst wenn bei Esra gemeint ist, dass aus so einem vergleichsweise kleinem Stein dann doch noch ein vernünftiger Tempel wird – wenn man nach 19 Jahren Bauzeit endlich den Putz an den Wänden hat, ist das – auch unter den Umständen, unter denen die damals in Jerusalem bauen mussten – kein Wunder. Arbeit führt in der Regel zu Ergebnis. Da ist nichts Übernatürliches bei. Schon gar nichts, was man in einem Psalm verarbeiten muss.

Das Folgeproblem

Aus der Festlegung des Steins auf den Grundstein bei Esra schlossen die Ausleger nun auf die Aussage des Rests des Psalms.

Kurz gesagt: Die Ergebnisse waren wenig hilfreich. Denn wenn die Grundlage, auf die man seine Erkenntnisse stellt, nicht stimmt, taugen die Erkenntnisse natürlich auch nichts.

Denn eigentlich passt der Rest vom Psalm zu keiner Grundsteinlegung oder Einweihungsfeier für einen Tempel.

Aber was nicht passt, wird passend gemacht.

Genauso klang es.

Die Lösung

Nachdem Gott mich drei Tage lang immer wieder mit diesem Psalm und diesem Stein beschäftigt hatte – denn Gott gab keine Ruhe, fing immer wieder damit an – und ich ihn am vierten Tag wieder fragte, was ich lesen soll, da war die Antwort, ich soll den Psalm 118 in der roten Bibel lesen.

Das ist eine Einheitsübersetzung.

(Ich besitze Bibeln in vielen unterschiedlichen Tönungen.)

Und dort wurde mir beim Lesen klar, dass der Fehler war, dass man davon ausgegangen war, dass der Stein, von dem der Autor spricht, ein echter massiver Stein war.

Der Fehler war entstanden, weil man sagte: Jesus hat diesen Stein bildlich gebraucht, sozusagen als Gleichnis auf sich selber.

Also muss es im Original ja ein echter Stein gewesen sein.

Aber es war schon im Original ein Bild, ein Vergleich, ein Gleichnis.

Es war schon in Psalm 118 die bildliche Anwendung eines Sprichwortes.

Es gab keinen echten, massiven Stein.

Und dann bekommt alles andere in dem Psalm plötzlich Sinn.

Dann entsteht ein Zusammenhang.

Und dann sagt der Psalm auf einmal viel mehr als nur frommes, erbauliches Gedankengut in rosa.

Der Stein, den man als unbrauchbar für das Haus verworfen hatte, war Gott.