Psalm 133 - weder fein noch lieblich

Psalm 133,1

1 Ein Wallfahrtslied. Von David. Siehe, wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen.

Es hätte so schön sein können.

So harmonisch und so allerliebst.

Aber es ist wie immer in der Bibel: Anstatt dass man so einen wunderschönen Vers in aller Andacht alleine stehen lässt, schreibt man noch ein paar Verse hinterher.

Und macht damit alles kaputt.

Das Problem als Anlass

Der Anlass für diesen Vers ist das übliche Problem: Wo mehrere Leute zusammen kommen, gibt es über kurz oder lang Streit.

Oder es schwelt schon seit Jahren ein Streit, aber solange man voneinander Abstand hat, wird der nicht akut.

Aber wenn die Leute jetzt alle zum Fest nach Jerusalem gehen - vielleicht haben Sie es gemerkt: Dieser Psalm ist ein Wallfahrtslied – also in Jerusalem trafen die jetzt alle aufeinander.

Auch Familienmitglieder, die sich wegen einer Erbschaft gram waren – der Psalm redet von Brüdern, die friedlich miteinander leben.

In der Telefonseelsorge war der größte Fehler, den man machen konnte, sich für den Dienst ab dem zweiten Weihnachtsfeiertag Nachmittag einzutragen. Dann kamen die Leute von den Familienfeiern zurück, und das Telefon stand nicht mehr still.

Ein anderes Buch lesen

Würde der erste Vers dieses Psalms in einem anderen Druckerzeugnis stehen, wäre er eine Lebensweisheit. Man könnte ihn dann auch als Aufforderung verstehen, für die paar Tage des Festes tief durchzuatmen und Frieden zu bewahren.

Weil das doch so schön ist, wenn Brüder einträchtig beieinander sind.

Dummerweise steht der Text in der Bibel, und man wird erfahrungsgemäß davon ausgehen können, dass der Text folglich nicht bei der Formulierung platter moralischer Weisheiten stehen bleibt.

Naja, wenn schon „Wallfahrtslied“ oben drüber steht.

Dann kommt bestimmt noch irgendwas hinterher, auf das man hätte verzichten können.

Der zweite Vers

2 Wie das köstliche Öl auf dem Haupt, das herabfließt auf den Bart, auf den Bart Aarons, der herabfließt auf den Halssaum seiner Kleider.

Der Autor des Psalms will jetzt die Frage beantworten, wie das denn funktionieren kann, dass die Israeliten tatsächlich in Frieden zusammen leben können.

Und er beantwortet damit auch die Frage, wie denn die Einheit in der Gemeinde funktionieren kann.

Und er beantwortet diese Frage durch die Benutzung von zwei Bildern.

Das erste Bild bezieht sich auf die allererste Salbung eines Priesters in Israel.

Es bezieht sich mit Absicht nicht auf die damals amtierenden Priester in Israel, denn das Priestertum war die meiste Zeit seiner Existenz relativ gottlos und korrupt. Dieses Priestertum war als Mittel zur Herbeiführung der Einheit nicht zu gebrauchen.

Sondern der Autor bezieht sich auf die erste Salbung eines Priesters, die ausdrücklich von Gott angeordnet wurde und in allen Einzelheiten von Gott beschrieben wurde.

Denn das, sagt der Autor, ist der erste Weg zur Einheit: Die Salbung. Das Priesterliche in seiner besten Form.

Die Israeliten werden nicht von sich aus einig werden, genauso wenig wie die Babylonier oder die Japaner.

Die Christen bekommen keine Einheit durch ihr eigenes Bemühen, genauso wenig wie die Amerikaner oder die Beatles.

Und darum bringt er die Salbung ins Spiel, und er ist nicht der letzte, der es macht: 1.Joh 2,27

27 Und ihr? Die Salbung, die ihr von ihm empfangen habt, bleibt in euch, und ihr habt nicht nötig, dass euch jemand belehre, sondern wie seine Salbung euch über alles belehrt, so ist es auch wahr und keine Lüge. Und wie sie euch belehrt hat, so bleibt in ihm!

Die Einheit, sagt der Psalm, kann niemals eine selbst gemacht sein.

Weil das nicht funktioniert.

Damit das mit der Einheit aber funktioniert, darf die Salbung, die der erste Priester bekam, nicht auf seinem Kopf ganz oben drauf bleiben.

Es nützt nichts, wenn das Oberhaupt der Gemeinde gesalbt ist, der Rest aber nicht.

Sondern das Priesterliche muss weiter nach unten dringen. Es muss auch da hin, wo man es nicht unbedingt erwarten würde und wo man es auf den ersten Blick nicht für nützlich halten würde, denn was soll das Öl im Bart und auf den Klamotten? Das ist doch eher eklig und schmierig!

Paulus hat das gleiche Bild benutzt und hat gesagt: 2.Kor 1,21-22

21 Der uns aber mit euch festigt in Christus und uns gesalbt hat, ist Gott,

22 der uns auch versiegelt und die Anzahlung des Geistes in unsere Herzen gegeben hat.

In Israel wäre es schon hilfreich gewesen, wenn wenigstens die ganze Priesterschaft vom Heiligen Geist durchdrungen gewesen wäre.

Aber selbst von diesem Ideal war man weit entfernt.

Und darum wird die Einheit von Israel und Juda auch erst für eine neue Zukunft in Aussicht gestellt. Die Propheten sagen nicht: „Gebt euch Mühe, habt euch lieb, geht Kompromisse ein, damit Einheit entsteht!“ Sondern sie sagen die Einheit für die neue Zeit voraus, wenn der Geist Gottes auch dahin kann, wo man ihn am wenigsten erwartet.

(Das ist bekanntlich einer der Punkte, den die Pharisäer nicht verstanden hatten. Das der Heilige Geist nun auch für die einfachen Leute und für die ohne eine theologische Ausbildung zur Verfügung stand.)

Was der Vers 2 vom Psalm 133 sagen will, ist, dass die Einheit von Vers 1 nur durch ein hohes Maß an Priesterlichkeit entstehen kann.

Auf der gleichen Ebene argumentierte Jesus, der im hohepriesterlichen Gebet sagte: Joh 17,22

22 Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, dass sie eins seien, wie wir eins sind

Auch hier führt also göttliche Herrlichkeit zur Einheit, nicht Mühe geben und nicht Kompromissfähigkeit. Einheit ist ein göttliches Werk, kein menschliches.

Von daher ist die Abhängigkeit von Gott und die damit verbundene Heiligkeit der Weg, wie Einheit funktionieren kann.

Der einzige Weg, wie sie funktionieren kann.

Und daran hat sich auch im Neuen Bund nichts geändert. 1.Joh 2,20

20 Und ihr habt die Salbung von dem Heiligen und habt alle das Wissen.

Der Tau vom Hermon

3 Wie der Tau des Hermon, der herabfließt auf die Berge Zions. Denn dorthin hat der HERR den Segen befohlen, Leben bis in Ewigkeit.

 

Das ist die zweite Methode, die nötig ist, damit die Gläubigen in Einheit zusammen leben können.

Die Methode wird beschrieben durch ein Wetterphänomen.

Der warme Südwind des Tages fährt über Israel hinweg und landet am eigentlich immer schneebedeckten Hermon. Dort kühlt die Luftmasse ab, erstens weil sie aufsteigt, zweitens weil dort der Schnee liegt. Und wenn die Kraft der Sonne nachlässt, dreht sich die Windrichtung um, und die kalte Luft vom Hermon sackt wieder zurück nach Israel, denn kalt fällt nach unten. Aber weil die Luft nun relativ kalt ist, verliert sie all das Wasser, was sie über dem Hermon zuerst aufgenommen hatte.

Folglich gibt es bis ins israelitische Bergland einen kräftigen Tau, der aber von einem Berg stammt, den man von dort gar nicht sehen kann. (der ist 150 km weit weg)

Und eigentlich würde man erwarten, dass die warme Luft ihre Feuchtigkeit schon vollständig über dem Hermon abgegeben hat.

Aber weil der Luftstrom sich umdreht, schafft sie das nicht ganz, und das israelitische Bergland kriegt nächtens nennenswerte Niederschläge ab.

 

 

Wo es regnet

Nun nennt der Autor aber nicht einen bestimmten Berg in Israel mit Namen, und er sagt auch nicht „Berge Israels“, sondern er benennt Israel als Wohnsitz Gottes. Er sagt „Zion“.

Und so, wie der Tau in einer Gegend landet, wo man ihn nicht erwartet, so wird auch der Segen Gottes da landen, wo man ihn nicht erwartet.

Beides wird nämlich an dem Ort landen, den Gott dafür bestimmt hat.

Und dieser Ort wird dadurch beschrieben, dass dort Gott wohnt. Und Gott wohnt in Zion. Das ist weitaus mehr als nur Jerusalem oder Israel, sondern Zion beschreibt einen geistlichen Ort, eine virtuelle Wohnung Gottes.

Wobei der Segen, der im Falle eines Falles dorthin fließt, dann schon unbeschreiblich enorm ist.

Denn wenn das Höchste, was ein Israelit sich vorstellen konnte, ein langes, glückliches Leben in Frieden und Wohlstand war, so wird diese Erwartung hier noch getoppt: „Leben in Ewigkeit“.

Womit der Autor nicht etwas Genaues über Jesus und die mit ihm zu erwartenden Neuerungen sagen will.

Sondern er setzt einen Superlativ, um die Menge an Segen zu beschreiben, die möglich ist, wenn die Menschen priesterlich und heilig handeln und den Segen Gottes sodann dorthin strömen lassen, wo Gott den Segen haben will.

Anwendung von Vers 3

Die zweite Voraussetzung dafür, dass Brüder einträchtig beieinander wohnen, ist die, dass auch Gott dort wohnt, wo die Brüder wohnen.

Dass Gott sich dort wohlfühlt.

Dass Gott dort wohnen will.

Das setzt voraus, dass Gottes Wille dort akzeptiert wird.

Und zwar als der überraschende, selten vorhersagbare und oft recht bizarr erscheinende Wille eines Gottes, dessen Gedanken weitaus höher sind als unsere Gedanken.

Um es genauer zu formulieren: Dass in der Gemeinde das geschieht, was Gott gesagt hat und nicht das, was ich für richtig und passend halte.

Dass der Wille Gottes und der Wille der Gemeinde übereinstimmen.

Man könnte es auch „Gehorsam“ nennen.

Zusammenfassung

Der Psalm 133 will darauf hinweisen, dass Einheit in der Gemeinde kein Ergebnis von Friedenspolitik und gutem Willen ist.

Sondern Einheit entsteht aus einem priesterlichen Lebensstil und dem Gehorsam gegenüber Gott.

Einheit steht durch Heiligkeit.

Und somit kann jeder etwas für die Einheit in der Gemeinde tun.

Aber das, was getan werden muss, ist nicht die Kröte zu schlucken oder tief durchzuatmen oder das Niveau einfach so niedrig halten, dass gar kein Streit aufkommen kann.

Sondern Einheit entsteht, wenn jeder Einzelne sein Leben mehr und mehr Gott widmet und – um mal einen Anfang zu nennen – das, was in der Bibel steht, tatsächlich für voll nimmt.

Einheit entsteht, wenn der Einzelne stellvertretend für Gott handelt. Das ist nämlich, was der Priester macht: Er vertritt Gott.

Und das ist es, was ich mache, wenn ich Gottes Willen umsetze: Ich handele stellvertretend für Gott. Ich mache das, was Gott auch machen würde, und denke diejenigen Gedanken, die Gott an dieser Stelle auch denken würde.

Und es stimmt: Die weltliche Strategie zur Förderung der Einheit ist einfacher. Kostet den Einzelnen weniger. Durchatmen und den Ball flachhalten braucht wenig Energie. Aber die weltliche Strategie zur Förderung der Einheit ist auch vergleichsweise wirkungslos. Was wir übrigens nicht erst seit den Balkankriegen wissen, sondern schon seit Jahrtausenden.

Zum Schluss also eine Richtigstellung:

Es ist keineswegs immer gut und lieblich, wenn Brüder beieinander wohnen.

Sondern das ist es nur, wenn die Bedingungen von Vers 2 und 3 gegeben sind.

Und was werden Sie jetzt tun, um die Einheit zu fördern?