Psalm 137,2-4 Singen Sie bitte nicht!
Natürlich war das eine Frechheit der Besatzer.
Nachdem sich der babylonische Gott als stärker erwiesen hatte, forderten sie die deportierten Juden auf, doch mal eins ihrer schönen Lieder auf ihren wunderbaren Gott zu singen.
Das war reiner Hohn.
Und vielleicht waren die Lieder wirklich schön.
Vielleicht war die gottesdienstliche Kultur in Israel erlesener gewesen als in den heidnischen Ländern.
Aber Zionslieder singen, wo Zion kaputt war?
Die ganze Sache war ja auch blamabel.
Als der Tempel in Jerusalem noch stand und Gott noch in Jerusalem regierte, da hatten sie Gott nicht für voll genommen. Sie hatten so getan, als regiere Gott eben nicht. Sie hatten gemacht, was sie wollten.
Und dann hat Gott sie rausgeschmissen. Mit langer und ausführlicher Vorankündigung. Und sie mussten erkennen: Gott regiert doch!
Aber diese Erkenntnis kam nun zu spät.
Jetzt saßen sie in Babylon, und sie sollten singen, dass Gott auf Zion wohnt und regiert.
Und jedesmal, wenn sie diese Lieder sangen, wurden sie an ihr eigenes Versagen erinnert.
Dass sie damals, als sie die Chance hatten, mit Gott zusammen zu leben, diese Chance nicht genutzt hatten.
Und jetzt gab es diese Chance nicht mehr.
Singen und Singen ist zweierlei
Natürlich haben Paulus und Silas auch gesungen. In Philippi, im Gefängnis. Also auch in „fremden Land“.
Aber die zwei waren Gemeinde. Nachweislich. Damit waren die zu dritt. Denn sie handelten tatsächlich in Jesu Namen – konnte man ja am Ergebnis sehen – und damit war ihnen Gottes besondere Gegenwart gewiss. (Steht so in Mt 18,20).
Seit Jesus war der Wohnort Gottes nicht mehr auf dem Zionsberg in Jerusalem. Der Vorhang war zerrissen.
Wenn Paulus und Silas also in Griechenland gottesdienstliche Lieder sangen, dann ging das in Ordnung – das Ergebnis ihres Singens bewies die Richtigkeit.
Aber wenn die Juden in Babylon gottesdienstliche Lieder sangen, dann war das nicht in Ordnung. Denn sie waren nicht Gemeinde. Die besondere Gegenwart Gottes, die im Tempel gegeben war, konnte am Euphrat nicht stattfinden.
Eine Ansammlung von Christen ist eben noch keine Gemeinde.
Es ist ein Unterschied zwischen „versammelt sein wegen Gott“ und „versammelt sein im Namen Gottes“.
Und im Namen Gottes waren die hier in Babylon sicher nicht versammelt.
Das hätten sie früher in Jerusalem haben können.
Gott hatte sie extra nach Babylon transferiert, um deutlich zu machen, dass ihr Verhalten nicht in seinem Namen war.
Wenig authentisch
Wäre jetzt auch irgendwie blöd gewesen.
Gott hatte die Gemeinde offenbar aufgegeben. Er hatte die Babylonier beauftragt, Jerusalem als Begegnungsort Gottes aufzulösen.
Gott hatte der Gemeinde gekündigt.
Und jetzt sollten sie so tun, als wären sie Gemeinde, und die Zionslieder singen?
Irgendwelche Lieder über die schöne Beziehung zwischen Gott und Israel?
Wo diese schöne Beziehung offenbar vorbei war?
Authentisch ist anders.
Nebenbei gefragt
Ganz nebenbei gefragt: Bachkantaten zur kulturellen Erbauung Gottloser?
Die in Babylon haben sich geweigert.
Musik, die für den Gottesdienst ist, ist eben für den Gottesdienst.
Und nicht zur Hebung der Gefühle der Götzenanbeter.
Heiliges vor die Hunde, damit die Hunde über das Heilige nachdenken, hat noch nie funktioniert, und darum hat Jesus sich in der Bergpredigt dagegen ausgesprochen. (Mt 7,6).
Zusammengefasst
Gottesdienstliche Lieder dort zu singen, wo Gottesdienst im eigentlichen Sinne nicht möglich war, das mochten die Deportierten dann doch nicht.
Denn irgendwie war Gott ihnen jetzt heilig geworden.
Vorher war er selbstverständlich gewesen.
Jetzt, wo es zu spät war, merkten sie, was zusammenpasst und was nicht.
Und Lieder, die für den Gottesdienst geschrieben waren, dann zu singen, wenn der Gottesdienst mangels Gott nicht stattfinden konnte – nein, das ging nicht.