Psalm 54 – die Freiheit des Richtigen
Wieder einmal haben wir kein Originaldokument von einem Ereignis. Sondern wir haben einen Text, für den hat sich jemand an den Schreibtisch gesetzt, hat sich das Hirn ausgewrungen und dann diesen Text zu Papier gebracht.
Ein Originaldokument wäre, wenn David, während er auf seinem Kamel durch die Steppe prescht, zu dem neben ihm reitenden Sekretär gegen den Wind ruft: Und jetzt schreib: Psalm 54! Und dann schreibt der Sekretär, während er sich mit den Beinen an seinem rasenden Kamel festhält, mit dem Federkiel auf den Papyrus.
Der Text ist aber nicht während der Flucht geschrieben worden, sondern er wurde an einem Schreibtisch speziell für den Gottesdienst geschrieben. Das ist ein liturgischer Text. Man wollte, dass der Gottesdienstbesucher etwas ganz spezielles hört. Das ist hier kein Tagebucheintrag von David, der peinlicherweise an die Öffentlichkeit gelangt ist. Sondern das ist ein Text wie von Thomas Mann oder von Erich Kästner.
Ps 54,1
1 Dem Chorleiter. Mit Saitenspiel. Ein Maskil. Von David.
2 Als die Sifiter kamen und zu Saul sprachen: Hält sich David nicht bei uns verborgen?
Die Geschichte mit den Sifitern geht so: Gott hatte bestimmt, dass David König werden sollte. Damit wäre die Dynastie des bisherigen Königs Saul beendet gewesen. Außerdem ist es beleidigend für Saul, dass Gott ihn aussortiert hat. Darum versuchte Saul mit allen Mitteln, David zu töten.
David versteckte sich in den Bergen Judas, damit Saul ihn nicht finden konnte. Bei David waren auch etwa 400 Söldner, also so etwas wie die Gruppe Wagner, aber nicht so gut ausgebildet und nicht so gut bewaffnet.
Wenn David alleine gewesen wäre, wäre er in so einer Höhle nicht aufgefallen. Das Bergland war dünn besiedelt, da hätte ihn niemand gesehen. Aber 400 Männer versteckt man nicht einfach so. Also hatten die Bewohner der Stadt Sif in den Bergen Judas gemerkt, dass David sich bei ihnen vor der Verfolgung durch den König versteckte.
Und es wäre ja eines gewesen, wenn Saul seine Suchtrupps durch Land geschickt hätte, und die wären auch nach Sif gekommen und hätten gefragt, ob David in der Nähe sei. Da hätte man es ja vielleicht noch verstanden, dass irgendjemand aus der Stadt Siff den David verrät.
Nun war es aber so, dass die Bewohner von Sif eine Delegation zum König in die entfernte Stadt Gibea schickten, um dort aus eigenem Antrieb Davids Versteck zu verraten. Die waren also nicht irgendwie feige, sondern die waren richtig planmäßig hinterhältig. Der Verrat von Davids Versteck war kein Unglück und kein Zufall, sondern pure bösartiger Absicht.
Und die machten das nicht nur einmal, sondern die haben das zweimal gemacht. (1.Sam 23,19-28; 1.Sam 26,1).
Das entstandene Problem
Dadurch entstand jetzt das Problem, dass David in Israel überhaupt nicht mehr sicher war. Es ist eines, wenn du vom König verfolgt wirst. Es ist aber noch mal ein anderes, wenn die Bevölkerung des Landes dem König aktiv verrät, wo du dich versteckst.
Wäre David ein freier Mann gewesen, hätte er natürlich nach Ägypten fliehen können oder nach Saudi-Arabien, er hätte angreifen können und den König töten – diese Möglichkeit hatte er zwischendurch ja – als unabhängiger Mann hätte David noch jede Menge Möglichkeiten gehabt, um der Gefahr zu entgehen.
Aber David war nicht unabhängig. Er hatte einen Auftrag von Gott. Er hatte eine Berufung. Er konnte jetzt nicht einfach irgendwas machen. Er hatte von Gott einen Auftrag, und den musste er irgendwie umsetzen.
Denn wenn man einen Auftrag von Gott hat, dann kann man nicht einfach weggehen und sagen „das geht nicht. Das ist nicht durchführbar.“ Gott gibt keine Aufträge, die nicht durchführbar sind.
Gleichzeitig hatte David ein Versprechen von Gott: Er, der jüngste Sohn einer Mittelschichtfamilie, sollte König werden. Mancher mag das nicht für erstrebenswert halten, aber Charles weiß schon, warum er nach dem Tod von Elisabeth nicht gleich William drangelassen hat.
Gott als Ansprechpartner
Da David jetzt keine Möglichkeit mehr sieht, das Richtige zu tun – das Falsche könnte er immer noch tun – darum bittet er jetzt Gott um Hilfe. Und zwar meint er, dass Gott jetzt ziemlich massiv auftreten muss, also mit seiner Gesamtpersönlichkeit, die in seinem Namen liegt – es wird nichts nützen, wenn hier jetzt ein bisschen Gott eingreift, 20% oder so.
Und selbstverständlich fordert David Recht. Recht kann er aber nur fordern, wenn seine Konkurrenz zu Saul rechtmäßig ist. Wenn seine Konkurrenz zum amtierenden König nicht von Gott legitimiert ist, dann wäre David in diesem Moment im Unrecht.
3 Gott, durch deinen Namen rette mich und schaffe mir Recht durch deine Macht!
4 Gott, höre mein Gebet, nimm zu Ohren die Reden meines Mundes!
5 Denn Fremde sind gegen mich aufgestanden, und Gewalttätige trachten nach meinem Leben; sie haben Gott nicht vor sich gestellt. //
Damit ist das Problem formschön beschrieben: Gott hat einen Plan, aber die Leute interessiert weder Gott noch sein Plan.
Diese Leute arbeiten sogar aktiv gegen Gottes Plan.
Gottes Plan funktioniert also nicht.
Der Helfer
Der Psalm geht nun weiter, indem beschrieben wird, was Gott nun macht, nachdem der Beter die entsprechenden Anträge gestellt hat:
6 Siehe, Gott ist mir ein Helfer; der Herr ist der, der meine Seele stützt.
7 Er wird das Böse zurücklenken auf meine Feinde; nach deiner Treue vernichte sie!
Es gibt manchmal Dinge, da kann es keine friedliche Koexistenz geben.
Das ist hier so ein Fall.
Wenn Gott einen neuen König installieren will, dann wird der alte König und seine Parteigänger nicht ewig bleiben können.
Nun haut Gott aber nicht einfach auf diese Leute drauf. Das ist nicht Gottes Stil. Das hätte er dann ja auch längst machen können.
Sondern Gott lässt diese Leute einfach ihr eigenes Böses erleiden. Das Böse wird umgeleitet. Es kehrt zum Verursacher zurück.
In diesem speziellen Fall mit den Sifitern war es so, dass Saul, während er David in der Nähe des verratenen Verstecks angriff, selber von den Philistern angegriffen wurde und darum den David leider nicht mehr verfolgen konnte.
Das Ergebnis
Das Ergebnis des Eingreifens Gottes ist jetzt nicht, dass wir gerade so überlebt haben.
Das Resultat ist nicht, dass wir erschöpft zu Boden sinken, weil wir dem Untergang knapp entronnen sind.
Der Ausgang ist nicht, dass wir kraftlos darnieder liegen, weil die Angriffe des Bösen uns so geschafft haben, und nun sind wir traumatisiert und pflegen unsere Depression, weil die ganze Geschichte so furchtbar ist.
Sondern das Ende ist, dass der Autor begeistert ist von Gott.
Der will jetzt aus eigenem Antrieb Gott ein Opfer bringen. Einfach so. Nicht weil er muss.
Der ist nicht erschöpft und niedergeschmettert, sondern der ist elektrisiert.
8 Opfern will ich dir aus freiem Antrieb; deinen Namen will ich preisen, HERR, denn er ist gut.
Gottes Name und damit seine Gesamtpersönlichkeit ist gut.
Also nicht nur Gottes Handeln in dieser einen Situation ist gut.
Sondern Gott ist prinzipiell gut. Absolut. Ausnahmslos. Gott ist nur Licht, und es ist kein bisschen Finsternis in ihm (1.Jh 1,5). Gott hat keine Nachteile.
Und damit ist natürlich auch der Wille Gottes gut: der allgemeine globale, und der ganz spezifische für mein Leben. Dass David König werden soll, ist gut. Wobei ich, wenn ich David wäre, einiges an dem Prozess zu kritisieren hätte. Aber David geht davon aus, dass Gottes Vorhaben schon in Ordnung ist.
Warum Sie nicht jubeln können
David kann hier jubeln, weil er es tatsächlich versucht hat, den Willen Gottes umzusetzen.
Er hat zu dem Unwahrscheinlichen gestanden.
Er hat Gottes Ankündigungen für voll genommen und hat entsprechend gehandelt.
David ist das Risiko eingegangen.
Und darum konnte er Gott erleben. Denn Gott wird jemanden nicht hängen lassen, der sich Gottes Willen zu eigen macht.
Wer Gott begegnen will in seiner ganzen Qualität, der muss sich bemühen, Gottes völlig unmögliche und unwahrscheinliche Vorstellungen umzusetzen.
Und dann kann man jubeln.
Das Gute des Augenblicks
Jetzt beschreibt der Autor noch, woran man gerade im Moment erkennen kann, dass Gott tatsächlich gut ist:
9 Denn aus aller Not hat er mich gerettet, so dass mein Auge auf meine Feinde <herab>sieht.
Das Problem, mit dem der Psalm anfing, war die fehlende Freiheit, das Richtige zu tun. Das Problem wäre nur noch zu lösen gewesen, wenn David das Falsche getan hätte – nämlich Saul umbringen oder das Land verlassen, das er einen sollte.
Oder Rache zu nehmen an der Bevölkerung von Sif.
Aber jetzt ist David wieder oben, und die Feinde sind unten. Es ist noch nicht alles möglich, aber David hat seine Handlungsfreiheit zurück. Wenn er will, kann er jetzt das Richtige tun.
Er ist nicht mehr gezwungen, das Falsche zu tun. Er hat nicht mehr die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Ihr Auftrag, verehrter Leser
Natürlich könnte man diesen Psalm nun einfach schön finden und dem Autor zu dem gelungenen Werk gratulieren.
Leider hat Gott aber diesen Psalm in die Bibel aufnehmen lassen, damit Sie keine Ausrede mehr haben, das Richtige nicht zu tun.
Denn den Auftrag haben Sie als Nachfolger von Jesus sowieso: In jedem Fall (und nicht nur in jedem zweiten) das Richtige zu tun.
Es kann sein, dass Sie wie David einen speziellen Auftrag haben. Die Bibel ist voll von Leuten, die solche Aufträge hatten.
Um genau zu sein: Alle biblischen Personen, die durchschnittliche Christen kennen, sind in die Bibel hineingeraten, weil sie einen besonderen Auftrag hatten.
Etwas spezielles.
Etwas individuelles.
Einen Auftrag, den nicht jeder bekommt.
Aber es gibt ja auch die anderen Leute: Deren Auftrag von Gott erstmal nichts anderes ist, als das Richtige zu tun.
Denn man hat in jeder Situation mindestens zwei Möglichkeiten.
Meistens viel mehr.
Aber selbst wenn es nur zwei Möglichkeiten gibt, hat man sich als Nachfolger von Jesus für die Richtige zu entscheiden.
Für die Beste.
Für die perfekte Lösung, die optimale Reaktion.
Das Sterben der Ausrede
Aber dann gibt es natürlich tausend Ausreden, warum man das Gute und Edle und Richtige nicht tun kann.
Klar, das Gute wäre vermutlich der Wille Gottes.
Aber es geht ja nicht. Es steht ja alles dem entgegen:
· Saul will einen töten, anstatt dass er zurücktritt.
· Die Sifiter verraten das Versteck und fallen also denen, die das Richtige tun wollen, noch mehr in den Rücken.
Ja, da kann doch jeder sehen, dass man hier jetzt den Willen Gottes nicht tun kann.
Sie kennen das auch aus dem Neuen Testament:
· Es ist ja völlig unmöglich, 5000 Leuten irgendwo in der Steppe ohne ein Cateringunternehmen ein sattmachendes Essen anzubieten.
· Es ist völlig unmöglich, die Tempelsteuer zu bezahlen, denn dann würde man seine eigene Stellung als Kinder Gottes verraten. (Am Ende hat Gott sie durch einen Fisch bezahlt.)
· Es ist völlig unmöglich, dem Sturm zu befehlen.
· Es ist völlig unmöglich, die Tochter des Jairus zu heilen, wo die doch schon gestorben ist.
Aber mit Jesus war das Gute auf einmal eine Möglichkeit. Und nicht nur eine theoretische, sondern eine reale.
Die Quelle der Verantwortung
Der Psalm sagt: Wenn der Auftrag von Gott ist, dann ist er auch durchführbar.
Gott wird den Auftrag umsetzbar machen.
Wenn Gott einen Auftrag vergibt, zeichnet er auch für die Durchführbarkeit verantwortlich.
Man kann sich nicht mehr rausreden mit …
· Auf mich hört ohnehin keiner.
· Ich kann das überhaupt nicht.
· Es spricht doch alles dagegen.
· Das kann ja überhaupt nicht funktionieren.
· Wie soll denn das jetzt gehen?
Der Wille Gottes und der Auftrag und so
Gott schafft für seine Leute also die Freiheit, das Richtige zu tun.
Das Richtige kann eine große Aufgabe sein.
Das Richtige kann aber auch der Auftrag sein, endlich das eigene Leben zu leben und nicht das von jemand anderem. Und damit selber die Verantwortung zu übernehmen für das eigene Leben und nicht die Verantwortung für die eigenen Umstände jemand anderem zuzuschreiben.
Das Richtige kann ein bisschen mehr Geduld oder ein wenig mehr Barmherzigkeit sein.
Was auch immer es ist: Ausgeführt als der Wille Gottes und zusammen mit Gott kann es nicht misslingen. Gott garantiert für die Durchführbarkeit seines Willens.
Der Psalm sagt: Am Ende siegt das Gute. Sofern es getan wird.