Psalm 64 – viel Gerede
Willkommen zu einem Psalm, in dem sehr viel geredet wird.
Wie wir es ja lieben: Bei den Politikern, in den sozialen Medien, in Talkshows und von Onkel Erwin.
Ein Schwall von Worten.
Und diese vielen Worte sollen nun in den Gottesdienst exportiert werden.
Denn der Psalm ist dem Chorleiter gewidmet, er soll also ausdrücklich im Gottesdienst verlesen werden.
Genau dazu ist er geschrieben worden. Es handelt sich nicht um einen heimlichen Tagebucheintrag von David, der peinlicherweise in die Öffentlichkeit geraten ist.
Es ist kein intimer Text für den kleinen Kreis.
Sondern jemand hielt das Thema, um das es hier geht, für so wichtig, dass er einen Psalm darüber geschrieben hat, damit das Thema im Gottesdienst behandelt wird.
Psalm 64,1
1Dem Chorleiter. Ein Psalm. Von David.
Das Problem
Der Psalm beginnt nun damit, dass jemand ein heftiges Problem hat und Gott bittet, gegen dieses Problem vorzugehen.
Wobei das Problem nicht unbedingt lebensbedrohend ist.
Aber schrecklich ist es schon.
Und man geht davon aus, dass die Gottesdienstbesucher ebenfalls mit ähnlichen Schrecken konfrontiert sind. Darum bekommen die Gottesdienstbesucher ja diesen Psalm zu hören.
2Höre, Gott, meine Stimme in meiner Klage; behüte mein Leben vor dem Schrecken des Feindes!
3Verbirg mich vor der Verschwörung der Übeltäter, vor dem Aufruhr derer, die Böses tun!
Das war jetzt natürlich sehr allgemein. Die Übeltäter können vom Pferdedieb bis zu einem Betrüger oder einem Berufskiller alles und jeder sein.
Die beredte Beschreibung des Redens
Darum folgt nun die Beschreibung dessen, was die Übeltäter und die Feinde tun.
Und sie tun nichts anderes, als zu reden oder als zu planen zu reden.
Allerdings reden sie so, dass der Autor militärische Ausdrücke für ihre Art zu sprechen verwendet. Kommunikation als ein militärischer Vorgang. Sprache als Mittel der Kriegsführung.
4Die ihre Zunge gleich einem Schwert geschärft, bitteres Wort als ihren Pfeil angelegt haben,
5um im Versteck auf den Unschuldigen zu schießen, plötzlich schießen sie auf ihn und scheuen sich nicht.
Bis hierher hatten wir die offene verbale Kriegsführung. Jeder kann es hören, dass hier mit Worten ein Vernichtungsfeldzug stattfindet.
Jetzt kommt die verborgene Kriegsführung. Täuschungsmanöver, unsichtbare Fallen; verbale U-Boote, die man nicht sieht. Wo man es erst merkt, wenn der Torpedo eingeschlagen ist.
6Sie stärken sich in böser Sache; sie reden davon, Fallstricke zu verbergen; sie sagen: »Wer wird sie sehen?«
7Sie denken Schlechtigkeiten aus: »Wir sind fertig. Der Plan ist ausgedacht. Und das Innere eines jeden und sein Herz ist unergründlich.«
Heißt: Was wir wirklich wollen mit dem, was wir sagen, kann uns ja keiner nachweisen.
Wo das vorkommt
Dieses U-Boot-ähnliche Verhalten von Menschen gegenüber Gläubigen sehen wir natürlich besonders deutlich bei den Pharisäern.
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Als sie Jesus fragten, wer von 7 Männern denn nach der Auferstehung mit der Witwe verheiratet sein werde.
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Als sie ihn fragten, ob sie Steuern zahlen sollten. Die Falle war hier, dass sowohl Ja als auch Nein falsch gewesen wäre.
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In Lk 10,25 entsteht die Geschichte über den barmherzigen Samariter dadurch, dass der Gesetzeslehrer sagt, er könne das Gebot der Nächstenliebe nicht befolgen, da nicht definiert sei, wer nun eigentlich der Nächste ist.
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In Mt 19,3 versuchten sie Jesus zu verführen, dass er sich für oder gegen die Ehescheidung äußere – in jedem dieser Fälle hätten sie ihm nachweisen können, dass er Unrecht hat.
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In Lk 11,6 wollten einige Anwesenden ein Zeichen vom Himmel – aber natürlich nicht, um Jesus hinterher zu ehren. Sondern sie erwarten, dass er es ohnehin nicht kann; wenn er aber doch ein Zeichen präsentiert, werden sie es als Zufall oder Zaubertrick schlecht machen.
Allerdings wurde der Psalm nicht geschrieben, damit wir das Verhalten von Leuten einordnen können, die seit 2000 Jahren tot sind.
Sondern der Psalm wurde geschrieben, damit die Menschen im Gottesdienst lernen, wie sie mit solchen Situationen in ihrem eigenen Leben fertig werden.
Nun leben wir in einem Land mit Religionsfreiheit und einer relativ toleranten Gesellschaft. Da wird es sehr selten vorkommen, dass jemand versucht, mir nachzuweisen, dass Jesus nicht auferstanden ist oder dass Gott ein Fake ist oder dass der Glaube nur auf Einbildung beruht. Und das dann auch noch so gut nachweist, dass mein Glaube bedroht ist und ich Gottes Hilfe brauche, um den Angreifer zu widerlegen.
Den meisten Menschen ist unser Glaube vollkommen egal. Und der Missionseifer in den Gemeinden ist zu gering, als dass dieses Problem in nennenswertem Ausmaß auftritt.
Das schlimmere Vorkommen
Es hat wohl seine Gründe, dass der Feind in diesem Psalm keinen Namen bekommt.
Während wir bei Jesus ja erfahren, wenn es die Pharisäer sind oder wenn es Pilatus ist oder gelegentlich auch Petrus.
Denn der schlimmste Feind, der auf uns schießt, sind wir selber.
Die Stimme, die uns fragt, ob wir ganz sicher sind, dass das mit Gott so seine Richtigkeit hat und ob es nicht doch alles eingebildet ist – die kommt aus uns selbst.
Die Stimme, die Zweifel anmeldet an der Richtigkeit der Bibel und an der Treue Gottes und ob man das wirklich alles so wörtlich nehmen kann und ob das nicht vielleicht ganz anders gemeint ist, diese Stimme klingt erst einmal wie unsere eigene.
Sie kommt ja schließlich auch aus unserem Hirn.
Diese Stimme, die sagt, wenn Gott mich wirklich lieben würde, dann würde er doch … also das, wie es jetzt ist, das würde er doch nicht zulassen!
Die Stimme, die in schwierigen Situationen sagt, dass alles vorbei ist, alles verloren ist und keine Hoffnung zu erwarten ist.
Natürlich kann man diese Stimme auch nach außen verschieben und sagen, das sei der Teufel, der das sagt. Das bringt die Stimme allerdings auch nicht zum Schweigen.
Diese Stimme, die sagt, es sei alles umsonst und umsonst gewesen. Es war alles vergeblich, und wir haben es vermasselt.
Die anderen in uns selbst
Da, wo die Stimme besonders penetrant ist, untersteht sie auch nicht unseren eigenen Entscheidungen.
Und sie ist auch nicht eigentlich unsere Stimme, obwohl sie sich unserer Stimme bedient.
Denn in den ganz penetranten Angelegenheiten sagt die Stimme das, was uns andere Menschen verbal oder unmerklich gesagt haben.
Die Botschaften, die uns unsere Eltern mitgegeben haben, ohne sie uns zu sagen. Vielleicht sogar, ohne es selbst zu wissen, weil sie selbst auch nur die Aufträge ihrer Vorfahren erfüllten.
Die Aussagen über uns, die Erzieher im Kindergarten, Lehrer in der Schule oder andere einflussreiche Menschen unseres frühen Lebens über uns gemacht haben:
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Du wirst das niemals schaffen!
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Du bist wertlos! Du bist dumm! Du bist zum Verlieren geboren!
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Wenn Du dieses machst, bist du ganz schlecht!
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Wenn du es nicht schaffst, warst du faul!
Alle diese Stimmen sind feindlich. Obwohl es natürlich auch die Stimmen aus der Vergangenheit gibt, die gute Botschaften vermittelt haben und in uns Selbstbewusstsein, Ehrgeiz und Zuversicht geschaffen haben. Aber gegen diese positiven Stimmen brauchen wir ja nicht vorzugehen.
Die negativen Stimmen sind jedoch unsere Feinde. Sie wollen unser Leben behindern oder zerstören, unsere Möglichkeiten einschränken und unsere Freiheit reduzieren.
Damit wollen sie das Gegenteil von dem, was Gott will.
Allerdings können wir selbst nur sehr wenig gegen diese Stimmen machen. Denn diese Stimmen haben Einzug in unser Leben gehalten, als unsere Seele noch leer war, ungeformt. Folglich haben diese Stimmen unsere Seele geformt und gefüllt, weil das einfach der normale Vorgang ist, dass die Seele des Kindes in den ersten Lebensjahren von der Außenwelt geformt wird.
Und wenn diese Stimmen jetzt unseren Glauben angreifen – wenn sie ganz heimlich und hintenrum uns erzählen, dass Gott gar nicht auf unserer Seite ist oder dass das mit der Erlösung für andere ist, aber nicht für uns – oder dass wir uns schon sehr anstrengen müssen, um den Ansprüchen Gottes genügen zu können, und ob wir das schaffen, naja, das ist doch sehr fraglich -
… dann sind wir in der Position, die dieser Psalmschreiber hier einnimmt. Unser Glaube ist in Gefahr, damit ist unser eigentliches Leben in Gefahr, und die ganze Sache ist ziemlich schrecklich. Von Lebensgenuss kann keine Rede sein.
Gott schießt (zurück)
Es macht nun keinen Sinn, wenn der Mensch selbst gegen diese Stimmen ankämpft. Gerade wenn die Stimmen aus ihm selbst heraus kommen, hat er ja in sich nichts anderes, das stärker ist als diese Stimmen.
Darum schießt nun Gott.
Gott benutzt in diesem Fall genau die gleichen Waffen wie die Angreifer: Worte. Gegen das Wort der Angreifer setzt Gott jetzt sein Wort:
8Aber Gott schießt auf sie einen Pfeil, plötzlich sind ihre Wunden da.
9Und sie brachten ihn zum Straucheln, doch ihre Zunge kommt über sie; alle, die auf sie sehen, schütteln sich.
So wie die Pharisäer zwar vorübergehend zum Schweigen gebracht wurden, und so wie Paulus den Elymas (Apg 13,8) vorübergehend kalt stellte, so werden auch hier die Feinde nicht umgebracht und endgültig aus dem Weg geräumt, sondern nur verwundet.
Die Feinde müssen eine Pause einlegen.
Das Wort Gottes hat das Wort der Feinde aus der Wohnung gedrängt.
Ein einziger Schuss von Gott – und das Wort der Feinde lässt die Feinde so dämlich aussehen, so peinlich, so unterbelichtet.
Nehmen Sie es einfach zur Kenntnis: Gottes Wort ist stärker als jedes andere Wort auf der Welt.
Dabei stört es auch nicht, dass ein Großteil von Gottes Reden über die Bibel läuft, die man ja verbrennen oder in die Papiertonne werfen kann, die also eigentlich sehr schwach aussieht.
Der Sinn des Psalms
Jetzt könnte dieser Psalm ja zu Ende sein.
Gott hat seinen Pfeil geschossen, und die Stimmen der Feinde sind verstummt.
Die Gefahr, dass man dem Gläubigen mit einem Wortkrieg seinen Glauben und damit sein eigentliches Leben wegnimmt, ist gebannt.
Die Stimme des Zweifels ist zum Schweigen gebracht, und das Gerede des Teufels ist nicht mehr zu hören.
Aber der Psalm ist noch nicht zu Ende. Jetzt kommen alle Menschen ins Spiel.
Bisher hatten wir ja nur einen Menschen, nämlich den Autor. Die Steigerung ist also beachtlich:
10Da fürchteten sich alle Menschen und verkündeten das Tun Gottes und verstanden sein Werk.
Man hätte das jetzt literarisch nicht erwartet.
Darum kann man davon ausgehen, dass in dieser unerwarteten Fortsetzung das Geheimnis des Psalms verborgen liegt.
Und natürlich: Der Hammer ist, dass Gott mit seinem Wort alle anderen Stimmen zum Schweigen bringt. Die direkten, aggressiven - und die heuchlerischen, falschen, lügnerischen und damit trickreichen und listigen.
Ein Wort von Gott, und es ist Ruhe.
Natürlich hätte man das irgendwie wissen können. Die Schöpfung wird ja schon so dargestellt, dass Gott die ganzen Dinge einzig durch sein Wort geschaffen hat. Gott sprach, und es wurde.
Und die Apostel sind bei Jesus geblieben, nicht weil er Wunder tat und Kranke heilte und Brot vermehrte und fassweise qualitativ hochwertigen Wein produzierte, sondern weil er Worte des ewigen Lebens hatte.
„Sprich nur ein Wort, und mein Diener wird gesund werden“, das sagte der Hauptmann in Kapernaum zu Jesus (Mt 8,8).
Und man fragt sich ja immer: Warum macht Gott eigentlich nichts?
Warum redet der immer nur?
Und warum ersetzen wir unsere Wortgottesdienste nicht durch Wohltätigkeit und Asylantenbetreuung?
Das ist, weswegen alle Menschen Gott fürchten und sein Werk verkünden und es auch verstanden haben: Weil Gott durch sein Wort regiert.
Weil Gottes Wort stärker ist als alles andere auf der Welt.
Die Regierungen müssen Soldaten schicken oder Drohnen oder die Polizei.
Gott sagt ein Wort – und das ist mächtiger als alles und jedes auf der Welt.
Die Könige im Alten Testament haben schon gewusst, warum sie die Propheten so gerne eingesperrt oder umgebracht haben. Die Propheten hatten nämlich Worte von Gott. Und die sind gefährlicher als eine Kalaschnikow.
Dass Gott seine ganze Macht in Worte steckt und mittels Worten die sichtbare und unsichtbare Welt regiert, das ist bemerkenswert und so außergewöhnlich, dass der Autor das hier als weltweit einmalige Erkenntnis beschreibt.
Und zusätzlich muss man ja noch bedenken: Wenn Gottes Wort schon so mächtig ist, wie wird es denn sein, wenn Gott erst mal handelt?
Das Schlusswort
Der letzte Vers verweist noch auf die Tatsache, dass Gott gerecht ist.
Gott hilft mit seinem Wort den Richtigen, nicht den Falschen.
Gott stützt mit seinem Wort die Wahrheit und nicht alles das, was irgend etwas anderes ist.
11Der Gerechte wird sich am HERRN freuen und sich bei ihm bergen; und alle von Herzen Aufrichtigen werden sich rühmen.
Gott ist also parteiisch.
Gott ist auf der Seite der Einen und nicht auf der Seite der anderen.
Funktionieren tut das Ganze aber nur, wenn man Gott auch zu Wort kommen lässt.
Wenn man Gott nicht mal in Ruhe reden lässt, dann gibt es kein Wort Gottes und dann gibt es auch keinen Pfeil, der die anderen Quasselstrippen zum Schweigen bringt.
Und mit dem Wort Gottes meine ich nicht das Andachtsbuch.
Ich meine die Bibel.